Mit ein bisschen Verspätung habe ich gestern abend mit meiner Frau den Tatort vom Montag angeschaut. Die Verzögerung erklärt sich auch mit meiner Skepsis der Hauptdarstellerin und dem Plot gegenüber. Zwei Rezensionen - eine von einer Facebook-Freundin und eine von einem deutschen TV-Kritiker - später habe ich mich dann doch für das Nachschauen entschieden. Ich habe es nicht bereut. Ich war sogar mehr als angetan und konnte sogar die von den Rezensenten vorgebrachten Kritikpunkte relativieren. Das, was diesbezüglich übrigblieb war bloß das Gefühl, dass die Geschichte zu groß für das Format "Tatort" war. Die vielen Handlungsstränge, die vielen Themen, die ganz entschiedene Sozialkritik sind normalerweise nichts für den Sonntag-Hauptabend, an dem man vor Wochenbeginn mit einer guten Portion Sex and Crime abgespeist werden will.
In der Handlung zeigten sich das Leben und eine verkehrte Welt. Das Leben ist nun mal nicht so glatt und strukturiert, wie wir es im Film gerne sehen. Es istr komplex. Das durfte die von Heike Makatsch - deren Spiel mir ausgesprochen gut gefiel - dargestellte Hauptkommisarin erleben: als Tochter, als Mutter und neuerlich werdende Mutter, als Ex-BKA-Mitarbeiterin, und als Frau, die ihre Empathie trotz dieser Welt noch nicht verloren hat. Diese Welt tickt nämlich völlig verkehrt rum, was allerdings nicht gottgegeben - wie uns so gerne weis gemacht wird - sondern vielmehr menschengemacht ist. Eine Welt, die sich so anfühlt, gibt keine Perspektiven und nährt aus der daraus resultierenden Hoffnungslosigkeit Aggression und Gewalt in all ihren Nuancen, sowohl gegen andere als auch gegen sich selbst. Auch IS-Kämpfer werden durch diese Tatsachen geformt. Der im Streifen pointiert präsentierte soziale Abstieg durch Lebensumstände und gesellschaftliche Zwangsmaßnahmen, der quer durch alle Schichten läuft, weil er systemimmanent ist, erzeugt ein Klima der dauerhaften Existenzangst. Was ist das für ein Leben, wenn die Furcht es Tag für Tag durchflutet? Was ist das für ein Leben, das man nur dann wirklich leben darf, wenn man mit Macht und Geld ausgestattet ist? Der Kapitalismus hat uns nach den Jahren des Aufstiegs und der Hochkonjunktur in einer noch größeren Misere zurückgelassen. Der Kampf der mutmaßlich Mächtigen um ihr weiteres Wohlergehen verheert alles, was sich einst Mittelschicht nannte. Es gibt nur noch die Ränder der Gesellschaft, einen kleinen oben und einen großen und immer noch wachsenden unten. Nichts fruchtete der Einsatz der Kommissarin für die Betroffenen, wie auch. Immerhin gelang es ihr, in ihrem eigenen Leben eine zukunftsträchtige Basis zu schaffen. Das ist - so auch meine Sichtweise - die einzige Chance, den eigenen Ängsten zu begegnen und dem Leben Sinn zu verleihen. Diese heutigen Veränderungen im Kleinen sind die morgigen Veränderungen im Großen. Das war schon immer so. Das wird immer so sein. Und das ist meine große Hoffnung.
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Jedes Jahr die gleiche Prozedur. Am letzten Sonntag im März wird unsere Zeit um eine Stunde verschoben. Dann müsen wir, wenn wir mitspielen wollen, jeden Morgen um eine Stunde früher raus, damit wir abends dann eine Stunde mehr Tageslicht haben. Wir gehen dann also auch noch eine Stunde später schlafen und verlieren somit eigentlich gleich zwei Stunden Nachtruhe ...
In jedem Jahr versuche ich, für mich eine Lösung zu finden, diesem Wahnsinn zu entgehen. Heuer ist es zum ersten Mal so, dass wir nur noch einen in der Familie haben, der morgens pünktlich raus muss: unser Mittlerer hat um 8 Uhr (also um 7 Uhr) Schulbeginn. Daher findet die Tagwache bereits um 5.30 Uhr statt, damit er pünktlich um 6.10 Uhr das Haus verlassen kann. Meine Frau hat diesen Dienst übernommen, so dass ich weiterhin um 6.30 Uhr (also um 7.30 Uhr) aufstehen kann. Der Große lernt ja von Montag bis Donnerstag im Co-Learning-Space mit flexibler Beginnzeit, der Kleine genießt die Segnungen des Kindergartens, ebenfalls mit an die familiären Bedürfnisse angepasstem Start. Für mich ist es ob meiner Selbständigkeit möglich, ab sofort alle Termine erst ab 10 Uhr (also 9 Uhr) anzunehmen, was meinem Leben die nötige Qualität erhält. Abends freut sich meine Frau, dass ich noch eine Stunde länger mit ihr auf der Loggia verbringe, wir gehen damit ab sofort regelmäßig beide zur gleichen Zeit ins Bett, sie um 23 Uhr, ich um 22 Uhr. Also doch eine Stunde gewonnen! Im übrigen - und trotz bzw. wegen all dem vorhin geschilderten - bin ich der Meinung, dass die Zwangsbeglückung mit dem Wechsel von Normalzeit zu Sommerzeit und wieder zurück umgehend abgeschafft werden sollte. Wie ich an anderer Stelle in meinem Tagebuch bereits bekannt habe, bin ich ein Freund des Musicals. Das gilt zwar nicht generell, aber jedenfalls für die Klassiker. Nichts halte ich hingegen von den als Musicals verkauften Musikshows, in denen Popsongs - seien sie von Abba oder Udo Jürgens - in einen wenig inspirierenden Plot gepackt werden. Sei's drum.
Meine Frau Reetta durfte jedenfalls das eine oder andere Mal bereits mit dem von ihr eher gering geschätzten Genre Bekanntschaft schließen - und sie tat es jedesmal bereitwillig, um nachher zwar nicht eines Besseren belehrt aber doch, sagen wir, angenehm überrascht zu sein. Dieser Tage gab es auf Servus TV die Verfilmung des Andrew-Lloyd-Webber-Dauerbrenners zu sehen. Und wir waren via meines E-Books live dabei. Mit den Werbepausen haben wir uns insofern arrangiert, als wir sie zum Gespräch und zur Reflexion des Gesehenen nützen. Und da gab es diesmal jede Menge Stoff. Das Musiktheaterstück hatte ich vor Jahrzehnten in seiner deutschen Erstfassung im Theater an der Wien mit Alexander Goebel und Luzia Nistler in den Hauptrollen gesehen. Mich beeindruckte damals die Bühnenshow und der eine oder andere Song, mich befremdete die Liebe zwischen Christine Daae und dem Phantom. Die Damen im Publikum aber fühlten offenbar ähnlich wie Christine, denn bei Auftritten des Phantoms waren sie schrecklich hingerissen. Diese Mischung aus Furcht und Verehrung ließ mich ein wenig ratlos zurück - und dennoch schien sie meiner Seele möglich. Damals war mir so vieles aus meiner eigenen Geschichte noch nicht bewusst, das genau dieses Verhalten hervorrufen kann. Es dauerte noch etwas mehr als zwanzig Jahre, um der Sache auf den Grund zu gehen und mein Gebaren nach und nach zu ändern. So wurde mir beim neuerlichen Ansehen des Musicals mit meiner Frau Reetta bewusst, dass es sich beim Phantom um nichts anderes als einen Psychopathen handelt. Solchen bin ich im Lauf meines Lebens des öfteren begegnet und versuchte sie - wie mir anerzogen war - zu retten. Da hatte ich die Christine in mir! Und ich erkannte auch das "phantomare" Gehabe, das mich von Zeit zu Zeit befällt, am Vorbild gelernt ist gelernt. Und ich nahm den Raoul in mir wahr, der jene zu retten versucht, die in die Fänge eines solchen Psychopathen geraten sind. Betroffen und bewegt lauschten Reetta und ich der Handlung - und erkannten so vieles wieder, was unsere Leben schwer gemacht hatte und auch heute noch bedrückt. Die Schlussszene des Films am Grab von Christine Daae zeigte diese Schatten der Vergangenheit, die Gegenwart und Zukunft beeinträchtigen grandios: Als der greise Raoul dort einen Blumenstrauß niederlegen will, erkennt er, dass dort bereist eine rote Rose mit einem schwarzen Band und dem Verlobungsring, den das Phantom der Oper Christine verehrt hat, liegt. Obwohl die Verstorbene noch zu Lebzeiten Schluss mit dem Psychopathen gemacht hat, kennt der auf diese Weise Grenzenlose keine Gnade und bestätigt die im Song "Wie steht mir der Sinn" gesungenen Verse eindrucksvoll: "So lang er lebt, folgt er uns bis in den Tod!" Ich weiß nicht, was Gaston Leroux, den Autor des dem Musical zugrunde liegenden Buches bewegt hat, ich kenne auch die Motive von Andrew Lloyd Webber nicht, sich dieses Stoffes anzunehmen. Klar aber ist für mich, dass der Plot wie ein Loblied auf die Psychopathen klingt, denen es immer eindrucksvoll gelingt sich von Tätern zu Opfern hochzustilisieren und die aus ihren Opfern mit Leichtigkeit Täter werden lassen. Sie sitzen an allen Ecken und Enden der Gesellschaft, im Kleinen wie im Großen - und sie sind so gefährlich, weil sie ihr eigentliches Wesen hinter einer genialen Maske verstecken. Der, der sie entlarvt, gerät nach deren Demaskierung in akute Lebensgefahr, nicht selten bezahlt er diese Aufdeckung tatsächlich mit seinem Leben. Einmal habe ich von einer weisen Frau den Tipp bekommen, dass Psychopathen nur mit ihren eigenen Waffen, nie aber mit Liebe und Verständnis zu schlagen sind. Dieser Scharfsinn bewegte mich sofort, er entlastete einerseits und überforderte mich andererseits. Ich musste ganz böse werden, also alles aufbieten, was ich zum Teil noch nicht drauf hatte, um einen solchen Menschen in meinem Leben loszuwerden. Und die Frage bleibt dennoch, wie lange und wie weit dieses Loswerden reicht ... Unser Aufenthalt in Bad Gleichenberg bringt mich zurück in längst vergangene Zeiten. Zum einen ist da ein Ferienaufenthalt in der Karwoche und über die Osterfeiertage, zum anderen befinde ich mich in der Steiermark. Das war in meinen jungen Jahren regelmäßig der Fall und zuletzt vor mehr als zwanzig Jahren als ich noch einmal mit meinen Eltern und mit meinen Töchtern, die damals noch Kleinkinder waren die Zeit um Ostern in der Mariazeller Gegend verbrachte.
Jetzt bin ich im Südosten der Grünen Mark und erlebe diese Tage mit meiner Frau, deren Söhnen und unserem gemeinsamen Kleinsten. Und da will der doch gestern abend tatsächlich, als er von unserem Balkon aus das brennende Osterfeuer vor der örtlichen römisch-katholischen Pfarrkirche sieht, stante pede dort hinunter gehen und an diesem Fest vor und in der Kirche teilnehmen. Auch das noch, denke ich mir, da ich mal mit dieser Institution engstens befreundet war, ihr aber vor knapp sechs Jahren den Rücken gekehrt habe. Immer schon hat mich unser Sohn über Kirchen gefragt, ich habe ihm nach bestem Wissen geantwortet, immer schon wollte er mal an einem Fest da drinnen teilnehmen, was ich ihm auch zusagte, was aber bis dato noch nicht stattgefunden hatte. Nun lag die Möglichkeit quasi vor der Haustüre und er nützte sie. So warfen wir uns also in Osterschale und eilten zum Platz vor der Kirche, auf dem ein Dutzend Menschen um die Feuerschale standen. Wir kamen zwar zu spät aber immer noch rechtzeitig, da - wie der Mesner den Wartenden mitteilte - die Besprechung "a bissl länger gedauert hat". In diesen Momenten kamen die Erinnerungen an die vielen Osternachtsfeiern hoch, die ich in der zweiten Heimat meiner Kindheit und Jugend alljährlich absolviert hatte. Das wesentlich größere Osterfeuer vor der dortigen Kirche, die Weihe des Feuers die mit jeder Menge Weihrauch vollzogen wurde, die Segnung der Osterkerze und die Weihe des neuen Weihwassers, mit dem alle Anwesenden unmittelbar danach noch vor der Kirche geduscht wurden, egal welches Wetter herrschte. Meistens schneite und stürmte es sogar, also war man eh schon nass. Und noch nässer ging es kaum noch. Dann zog man in die Dämmerung der unbeleuchteten Kirche, rechts nahmen die Männer Platz, links die Frauen. Wir fanden - als Urlaubsgäste - eine Stehplatz im hinteren Teil der Kirche. Und dann begannen die mehr als einstündigen Aktivitäten am Ambo und am Altar, die mir jede Menge Geduld abforderten. Ich konnte sie nur deswegen aufbringen, weil ich mich schon so auf das Heimbringen des Osterlichtes in der Laterne freute. Der Weg von der Kirche zum Gasthof war rund eineinhalb Kilometer lang und bei den zur Osterzeit meist herrschenden winterlichen Bedingungen ein echtes Abenteuer. In unserer Herberge gab es dann meist Bratwürstel mit Sauerkraut, was mir meist den Abend und manchmal den Magen verdarb. Und dann kam die wahre Osternacht. Die örtliche Musikkapelle spielte ab Mitternacht - von Haus zu Haus ziehend - den sogenannten Morgenappell. In unserer Bleibe kamen sie meist so zwischen 2 und 3 Uhr morgens an. Nicht immer hatte ich allerdings Lust Nacht zum Tag zu machen, immer aber wachte ich zumindest auf, um den Klängen der nächtlichen Marschmusik zu lauschen. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich im Laufschritt ein Schar rot-weiß gekleideter MinistrantInnen auf, den Herrn Pfarrer im Schlepptau, den ich an seinem Akzent als Polen identifizierte. Das "e-i" statt des "e" passt aber auch gut in diese Gegend, weil der hiesige Dialekt diesem einen ähnlichen Laut gibt. Dann ging trotz der vorangegangenen länger dauernden Besprechung alles drunter und drüber - und der Laufschritt setzte sich in den liturgischen Handlungen und schnell gelesenen Texten fort. Ich war mit einem Mal bei den Vorlesungen aus Liturgie bei Professor Auf der Maur, seinen eindrücklichen Schilderungen wie die Osternacht ausdrucksstark gefeiert werden sollte, seinen Erzählungen aus seiner Zeit in den Niederlanden, als riesige Osterfeuer die Straßen Amsterdams erleuchteten. Da sprach der Missionar aus ihm, der er einst gewesen war, wie mir in diesem Augenblick schmerzlich bewusst wurde. Ich konnte zwar meinen kritischen Blickwinkel im Laufe der halben Stunde, die wir der Zelebration beiwohnten, nicht gänzlich ablegen, bemerkte noch den stockenden Einzug in die dunkle Kirche, die fehlende Weihwasserweihe, die vollständige Erleuchtung der Kirche noch vor dem Exsultet anstatt erst beim Gloria - aber sei's drum. Nicht mehr mein Bier. Beunruhigend aber, dass die Menschen in der Kirche da waren, ohne an irgendetwas Anteil zu nehmen, nur aus Gewohnheit, Konvention oder der vagen Hoffnung, sich damit einen Platz im Himmel zu verdienen. Unser Sohn wollte immer noch bleiben und so hörten wir nach dem Osterlob noch die erste Lesung, jene von der versuchten Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham. Ich bekam eine Riesenwut dabei, dass da ein Psychotiker seinen Sohn für Gott geben wollte, weil er sich dadurch was weiß ich was erhoffte - und das man dies in den Augen der Kirche als Beispiel sehen soll, selbst das Liebste zu geben, um Gott zu gefallen. Da beruhigt mich der Schluss der Geschichte auch nicht und ich mag mir nicht vorstellen, was Isaak in Wirklichkeit gefühlt haben mag, als er da gefesselt am Opferstein lag und sein Vater das Messer schwang. Mein Sohn jedenfalls nahm es gelassen, für ihn war es ein Märchen mit einem guten Ende. Danach jedenfalls wollte er gehen und wir verließen die Feierlichkeiten durch die laut knarrende Kirchentür. Am Ende dieses Tages las meine Frau unserem Kimi noch das nächste Kapitel der "Fünf Freunde" vor und er schlief ob der vielen Erlebnisse umgehend ein. Auch ich schlief in der darauffolgenden Nacht sehr gut. Ich war mir an diesem Abend dank der Initiative meines Sohnes sehr bewusst geworden, dass ich dem Wahnsinn einer Gemeinschaft, die ich einmal als meine Heimat empfunden hatte, so heil entronnen war. Und ich war mir auch bewusst geworden, dass es im Einvernehmen mit meiner Frau eine gute Entscheidung war, Kimi eine andere Lebensgrundlage zu geben als den Glauben der römisch-katholischen Christen. So nahmen die Wirren dieser Osternacht ein versöhnliches Ende und wir konnten wohlbehalten in einen frühlingshaften, sonnigen und himmelblauen Sonntag starten, an dem wir gemeinsam das erste Eis des Jahres genossen. Alle Jahre wieder feiern die christlichen Kirchen am Wochenende nach dem ersten Frühlingsvollmond das auf elementaren Bräuchen aufgesetzte Osterfest. Seit tausenden von Jahren feiern Menschen die Tag- und Nachtgleiche als Wendepunkt; ein Wendepunkt, an dem das Licht die Dunkelheit endgültig besiegt hat und die Tage wieder länger als die Nächte sind. Die Christen haben dann Jesus als "sol invictus" und Sieger über Sünden und Tod drübergestülpt. Eine "famose" Missionsstrategie, vor allem wenn sie mit der Angst vor der ewigen Verdammnis gekoppelt wird. Niemals ging es diesen Daran-Gläubigen darum, Menschen zu sich selbst und in ihre Freiheit zu führen. Und: Mit dem "Erlöser" Jesus haben sich die Christenmenschen auch gleich von ihrer Wurzelreligion, dem Judentum, klar und deutlich abgegrenzt, in dem sie diese als Feind dargestellt haben. Mit all den Auswirkungen auf diese Menschengruppe, die ihren Höhepunkt im Genozid des Dritten Reiches erreicht haben. In den Evanglien ist von einem Judas die Rede, der Jesus an die Römer verraten hat. Diese Szene beschäftigte mich immer schon. Auch der israelische Schriftsteller Amos Oz hatte seine Probleme mit den Folgen dieser Darstellung, vor allem mit dem, was nicht gesagt wird und was daher interpretiert werden kann. So hat er in einem Interview mit der Kleinen Zeitung, das am vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde, folgende Spekulation angestellt: Judas glaube mehr an Jesus als dieser an sich selbst, so Oz. Daher wollte er zum jüdischen Pessachfest einen großen Showdown inszenieren, in dem Jesus sich endgültig als der Messias erweisen sollte. Jesus musste also sterben, um beweisen zu können, dass er der göttliche Auserwählte sei. Judas war wie viele Menschen seiner Zeit von der Naherwartung beseelt, die ein baldiges Anbrechen des Gottesreiches ersehnte. Jesus sollte also vom Kreuz herabsteigen, die Welt richten und die Himmel für immer auf die Erde bringen. Da dieser Plan scheiterte war Judas, so Amos Oz, einerseits völlig desillusioniert, andererseits voller Schuldgesfühle, weil er einen Menschen durch seinen Verrat zu Tode gebracht hatte. Daher setzte er seinem Leben ein Ende. Schriftreligionen immanent ist die Auslegung des Geschriebenen. Auf dieser Basis ist die phantasievolle Interpretation von Oz zulässig, wiewohl Deutungen anderer Art auch dafür gebraucht werden könne, Kriege zu legitimieren. Mich hat die Sichtweise des Schriftstellers deswegen bewegt, weil sie dem Mythos vom bösen Juden ein Ende setzt. Auch Jesus ist als Jude gestorben und nicht als Christ. Zu dem wurde er erst durch die Jahrzehnte später geschriebenen Evangelien, die aus dem Messias den Christos, den Gesalbten, machten und aus seinen AnhängerInnen die Christen. Amos Oz kennt die Rolle des Verräters sehr gut aus der eigenen Geschichte, wie er im Interview betonte. Er wurde aufgrund seiner Einstellung im ewigen Krieg zwischen Palästinensern und Juden als solcher gebrandmarkt. Diese Vorgangsweise funktioniert auch heute noch bestens, wenn man jemandem, der den eigenen Interessen widerspricht, ausschalten möchte. Vielleicht ist der Roman "Judas" ja auch der Versuch des Autors, Verrat als Mittel im Kampf für das Gute zu rechtfertigen. Wer weiß ... Bei unserem familiären Kuraufenthalt in Bad Gleichenberg, den wir am vergangenen Dienstag angetreten haben, stand heute ein Nachmittagausflug nach Graz am Programm. Dort trafen wir eine liebe Freundin, die Reetta und ich schon vor vielen Jahren über Facebook kennengelernt hatten. Zu meinem Fünfziger war sie dann auch in Wien, zuerst bei uns zuhause, dann bei den Feierlichkeiten im Wiener Bücherschmaus. Geplant war, dass wir Mitte März anlässlich ihres runden Geburtstages nach Monfalcone reisen, um mit ihr zu feiern. Dieser Aufenthalt in Italien fiel eben dieser derzeitigen Kur zum Opfer, die die beiden großen Jungs dringend brauchten. Die Gründe waren nicht zeitlicher sondern finanzieller Natur. Umso mehr freuten wir uns, dass sich dieser heutige Beusch bei unserer Freundin ergeben hatte, da er so nicht geplant war. Für mich hatte er auch einen anderen guten Grund. Meine bereits 2014 verfasste Kindergeschichte "Olli und der Weihnachtsmann" soll noch heuer das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Dazu war ich auf der Suche nach einem Menschen, der sich die eine oder andere Illustration zutraut, da dies Insidern zufolge die Chancen erhöhe, das Buch an den einen oder anderen Verlag zu bringen. Und die besagte Freundin hat neben ihren Fotokünsten auch eine große grafische Begabung, was mich dazu bewog, sie auf mein Projekt anzusprechen. Sie sagte gerne zu. Aha! Und so treffen wir einander, nachdem wir uns fast 6 Jahre lang nur über Facebook ausgetauscht hatten, nunmehr bereits zum dritten Mal innerhalb von 5 Wochen. Aha!
Für die Fahrt nach Graz buchte ich über mein vor kurzem erworbenes E-Book (Chili-Green MX_066) die Tickets für Bus und Bahn. Nachdem ich keinen Drucker mitführte, empfahl mir der ÖBB-Ticket-App wörtlich: "Bitte nicht vergessen: Um Ihr Handy-Ticket zu zeigen, benötigen Sie auf Ihrer Reise: - genau dieses Gerät, - mit dieser App." Aha! Ich hatte ohnehin vor, das Ding mit mir zu tragen, um etwa diesen Blogbeitrag zu schreiben. Vorausblickend wie ich bin, stellte ich mir vor, wie es wäre, beim Busfahrer der steirischen Landesbahnen erstmals ein Tablet statt eines Papiertickets vorzuweisen. Die Szene hatte die Anmutung einer länsgt vergangenen Zeit, als man Wichtiges noch auf Steintafeln einmeisselte. Ich musste schmunzeln. Tatsächlich trug es sich dann doch ein wenig anders zu. Ich zeigte also nach dem Einsteigen mein auf genau diesem Gerät mit dieser App gespeichertes Ticket und erntete Schweigen. Der Fahrer versuchte herauszufinden, warum ich ihm mein E-Book unter die Nase hielt. Nachdem ich ein fragendes Schweigen meist als erster breche, begann ich zu erklären. Der Fahrer entgegnete: "Aha! Des hob i jo no ni g'seg'n! Wird scho pass'n!" Das nenn ich eine passable Antwort. Ich lobte dann noch die vorbildliche steirische Fortschrittlichkeit, was ich gleich nachher bereute, stellte es doch meine großstädtische, noch dazu wienerische Überheblichkeit zur Schau. Der Fahrer dürfte es wohl nicht so eng gesehen haben, denn als wir mit ihm abends zurückfuhren, lächelte er freundlich, widmete sich umgehend der Lektüre des am Tablet-Display aufscheinenden E-Tickets und bedankte sich mit "Jo, passt!". Ich stellte mir noch vor, was er in der Zwischenzeit mit den Kollegen dazu besprochen hatte und ob unsere erste Begegnung auf diese Weise auch eine Andkdote seines Lebens geworden war. Auch in Graz hatten wir noch das eine oder andere Aha-Erlebnis, das erste auf der Fahrt mit unserer lieben Freundin im Auto vom Hauptbahnhof in ein feines Cafe mit Hofladen und Bücherecke im Vorort Stattegg. Die Wiener Straße war stadtauswärts ein einziger Stau, da man von der Stadtverwaltung offenbar beschlossen hatte, die Osterferien für Straßenreparaturarbeiten zu nützen. So wurde an zwei Stellen im Ausmaß von jeweils einem Quadratmeter die Fahrbahn aufwändig asphaltiert. Dazu musste der Verkehr von zwei auf eine Fahrspur reduziert werden. Als ob das in der anbrechenden Stoßzeit so einfach wäre. Wir brauchten denn auch für die ansonsten knapp 20-minütige Fahrt mehr als das Doppelte. Also nutzen wir die Zeit, um das Geschäftliche zu besprechen, bei dem wir uns schnell einig waren. Das hatte ich erwartet, hier blieb das Aha! aus. Den Rest der Zeit konnten wir also gut für unseren privaten Gespräche nutzen und auch unser Kleinster, der Reetta und mich begleitete, war voller Elan und Begeisterung. Im Kaffee gab es Punschkrapfen mit gelber Glasur und Osterhasendeko, laut Informationen an der Theke ganz ohne Alkohol und nur mit Rum-Aroma. Aha! So konnte ich das unsägliche Ding also unserem Sohn zur Jause zumuten ohne schlimmeres befürchten zu müssen. Die dann doch üppig vorhandene Zeit nach dem Kaffeehausbesuch nutzten wir, um noch einen Kurzbesuch im Häuschen unserer Freundin zu machen. Dort gab es nochmal Kuchen und Kaffee bzw. Tee und Kimi bekam sowohl Kopfhörer geborgt, um auf der Heimreise seinen geliebten Kinderliedern zu lauschen und einen Ferrari, ein Spielzeugauto von einem der Söhne unserer Freudin. Die kommentierte dann auch launig, nachdem sie erfahren hatte, dass der finnische Formel-1-Fahrer Kimi Räikkönen derzeit Ferrari fährt, mit den Worten: "Jeder Kimi braucht einen Ferrari!" Diesen durfte er behalten, was ihm ein freudiges "Aha!" entlockte. Dafür ließ er - wie sich erst im Bus von Feldbach nach Bad Gleichenberg herausstellte - offenbar im Gegenzug seine Trinkflasche dort. Aha! Also werden wir demnächst mal Kopfhörer gegen Trinkflasche tauschen, wo auch immer. Wir waren dann trotz zweier kleiner Einkäufe auf dem Weg zum Hauptbahnhof noch 5 Minuten vor der Abfahrt auf unseren Plätzen im Zug. Ich kann mich kaum erinnern, jemals zweieinhalb Stunden in dieser Intesität erlebt zu haben. Die uns gegenseitig geschenkte Zeit hatte eine ungeahmte Ausdehnung erreicht und gibt mir die Möglichkeit in Anlehnung an das Sprichwort "Geteilte Freude ist doppelte Freude!" einen neuen Sinnspruch zu kreieren, das diesem Tag sein letztes Aha-Erlebnis hinzufügt: "Geteilte Zeit ist doppelte Zeit!" Aha! Alles, was wir nach den heutigen Anschlägen in Brüssel wissen, ist: Sicher ist, dass nichts sicher ist. Sicher ist auch, dass alle Maßnahmen, die in den letzten Wochen und Monaten von den PolitikerInnen zur Erhöhung der Sicherheit gesetzt wurden, zwar unsere Bürgerrechte massiv eingeschränkt haben, aber Attentate wie das heutige nicht verhindern können. Wenn selbst ein Flughafen betroffen ist, der angeblich zu den am besten überwachten Zonen einer Stadt zählt, dann können wir die Erfolge der uns auferlegten Sicherheitsmaßnahmen an den Fingern einer Hand abzählen.
Die Lösung liegt ganz anderswo. Sie ist wesentlich komplexer als den IS auszuradieren oder den Krieg in Syrien mit Waffengewalt zu beenden. Die Verantwortung, die PolitikerInnen so gerne für die Bewältigung dieser Herausforderungen übernehmen wollen, sollte sie dazu führen, den Zusammenhang zwischen ihrer hausgemachten Politik und den daraus resultierenden Problemen in ihren "Hinterhöfen" zu erkennen. Nur wenn der Hausverstand sie dazu führt, diese Schritte grundlegend zu ändern, wird sich auch der IS über kurz oder lang von der Bildfläche verabschieden. Nur dann! Daher plädiere ich für das Beenden der Ablenkungsmanöver und für das ernsthafte Angehen von Lösungsstrategien - im Sinne aller betroffenen Menschen, nicht nur der jeweils eigenen Bevölkerung. Ganz nebenbei würde sich auch die sogenannte Flüchtlingskrise in Luft auflösen. Auch sie ist ja bloß ein Zeichen für die verfehlte Politik der EU und eigentlich eine große Krise der europäischen Institutionen und ihrer Nationalstaaten. Also: Höchste Zeit ist's! Gehen wir's gemeinsam an! Was für eine Woche ... ich hatte am Montag bereits so viele Themen auf meinem Notizzettel, dass ich für meinen heutigen Rückblick die Befürchtung hatte, er müsste Romanlänge haben. Nun ganz so arg ist es doch nicht geworden, ich habe versucht, mich wieder auf's Wesentliche zu konzentrieren - auf das mir wesentlich Gewordene. Die Anregung der einen oder anderen LeserIn, doch mehr Positives zu berichten, möchte ich gerne aufgreifen. Allein es fällt nicht leicht, wenn man doch von eben diesen Nachrichten total angeschnitten wird. So müsste ich eine eigene Agentur der Guten Nachrichten (AGN) aufbauen. Doch nichts verkauft sich so schlecht wie ebensolche Good News ...
Ein wirkliches Dilemma. Also der Reihe nach: Die Wahlen in drei deutschen Bundesländern haben das erwartete Ergebnis gebracht. Die rechts-nationale AfD hat ordentlich abgeräumt und ist in Sachsen mit mehr als 20 Prozent der abgegebenen Stimmen zur Nummer zwei geworden. Die Ratlostigkeit der Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD wirkte aufgesetzt. Die drei wollen offenbar nicht kapieren, dass es wirklich grundlegender Veränderungen in ihren Aktionen bedarf und nicht nur dem einen oder anderen Ruck nach Rechts. Die SPD rutscht langsam aber sicher in die politische Bedeutungslosigkeit. Und selbst Sarah Wagenknechts LINKE konnte mit unkonkreten Aussagen in Sachen Kriegsvertriebene, die beweisen sollten, dass man nicht der uneingeschränkten Willkommenskultur anhängt, keine Stimmen machen. Viele Kommentatoren des deutschen Feuilletons mussten zur Kenntnis nehmen, dass der Kanzlerin Sturheit bzw. die Abwendung ihrer Parteigenossen von diesem Kurs keine Auswirkungen auf das Wahlverhalten hatten. Ein bisschen mehr Rechts kostet die AfD rein gar nichts und ist keine wählbare Alternative. Betroffen gemacht hat mich das Ableben des Roma-Aktivisten und Obmann des Kulturvereins Österreichischer Roma Rudolf Sarközi am 12.3.16. Seine Stimme wird fehlen und ich hoffe, dass diese Volksgruppe eine kräftige Persönlichkeit an ihrer Spitze in seiner Nachfolge finden wird. In Österreich ging es auch einigermaßen rund. Zuerst an Sonntagabend das unsägliche Interview mit Bundeskanzler Faymann, in dem er wenig glaubwürdig den Schwenk der SPÖ in Sachen Flüchtlinge verteidigte und dabei immer wieder betonte wie wichtig die diesbezüglich Vorgangsweise seiner Minister Mikl-Leitner und Doskozil ist. Am Montag war dann klar, dass Kärnten aufgrund der Ablehnung eines Kompromissangebots durch die HETA-Gläubiger auf dem Weg in die Insolvenz ist. Diese gilt es nun in langjährigen und kostenintensiven Prozessen abzuwenden. Bedeutsam eine Aktion am HETA-Gebäude, an dem ein Transparent mit der Aufschrift "Danke Jörg! Auf ewig in deiner Schuld" angebracht wurde. Die neue Staffel der Vorstadtweiber, die ich noch nie gesehen habe, wurde vollmundig mit "Noch mehr Sex und Intrigen" angekündigt, was fürs Österreichische Fernsehen nichts Gutes verheisst aber eine logisdche Folge des schon seit Jahren herrschenden Kampfes um Quoten ist. Möglicherweise steckt dahinter ja auch der vom ORF immer wieder eingeforderte Bildungsauftrag. Schaden kann's ja nicht, wenn man lernt wie man erfolgreich ist und schnell an Geld kommt. Aus Bludenz wurde eine Invasion von Halmfliegen gemeldet, die ein ganzes Gebäude "verseuchen", also quasi unbewohnbar amchen obwohl sie ja keine Schädlinge sind sondern bloß Lästlinge. Welch beredtes Wort. Auch die Anschläge in Ankara und Istandbul - so sie denn überhaupt in einem direkten Zusammenhang damit stehen - konnten den EU-Türkei-Deal zur Abschiebung von Kriegsvertriebenen aus Griechenland in das Land am Bosporus verhindern. Ab 20.3. sollte damit begonnen werden, davor allerdings soll sicher gestllt werden, dass allen mit rechten Mitteln zugeht. Bis zu 6000 Beamte sollen dies nun vor Ort prüfen, ob eine Rückschiebung den Menschenrechten bzw. der europäischen Grundrechtscharta entspricht, und das wenn möglich innerhalb eines Tages. Die Schweiz hat angeblich mehr als eine Milliarde zu viel im Budget, es beginnt das große Raten, wofür die Franken aufgewendet werden sollen; das Grundeinkommen, über das demnächst abgestimmt werden wird, wäre aus meiner Sicht eine gute Investition. In China setzt der Onlinehändler Alibaba auf E-Commerce-Nachhilfe in ländlichen Regionen. Unter dem Motto "Bildungsoffensive" sollen Menschen gewonnen werden, die für Alibaba aktiv werden und seine Umsätze vermehren helfen. Der Nutzen des Onlinehandels soll dabei deutlich gemacht werden. Unter Bildung habe ich immer etwas anderes verstanden, aber in einer Welt in der Geld zum Wert an sich geworden ist, ist ein solcher Bedeutungswandel durchaus stimmig. Die Jäger in Österreich stehen vor einem grundsätzlichen Bedeutungswandel. Bei der Jägertagung wurde vorgeschlagen, sie nach dem Vorbild der USA zu Lebensraummangern zu machen, die das Zusammenleben von Mensch und Tier in Wald und Flur besser koordinieren. Waidmanns Heil! Robert Lugar fiel mit seiner Ansage von den Neandertalern auf, als die er die frauenfeindlichen asylsuchenden Männer bei einer Rede im Österreichischen Nationalrat bezeichnete. Die Grünen, die er in dieser gleidch mitbeschimpfte reagierten empfindlich und forderten seinen sofortigen Rücktritt. Das wiederum führt in Österreich eher dazu, einen Politiker einzumauern als ihn zum Fallen zu bringen. Die Aufregung ist wieder verpufft und der gute Österreicher weiß ja eh, dass der schlechte, alte Nazi mit solchen und ähnlichen Sprüchen von Zeit zu Zeit bedient werden will. Ohne ihn ist auf unserer Insel der Seligen kein Staat zu machen. Das hat selbst der vielgerühmte Bruno Kreisky begriffen, als er Friedrich Peter für ein Jahr zum Steigbügelhalter einer SPÖ-FPÖ-Koalition machte um ein Jahr später Neuwahlen auszurufen und seine Alleinregierung zu begründen. Bis heute sind auch bei den Sozialdemokraten die braunen Sprengsel nicht zu übersehen. Einen angenehmen Höhepunkt fand die Woche zu ihrem Ausklang. Es gibt andererseits immer noch tausende, die ein Herz für Menschlichkeit haben. Zwischen 6.000 (Polizei) und 16.000 (Veranstalter) DemonstrantInnen marschierten am Aktionstag für eine menschliche Asylpolitik vom Karlsplatz über die Ringstraße und vorbei am Parlament bis zum Haus der Europäischen Union in der Wipplingerstraße. Womit ich meine LeserInnen abschließend doch noch mit einer zumindest für mich positiven Neuigkeit verwöhnen kann. Es ist wieder eine Woche ins Land gezogen und unsere Welt gleitet meinem Empfinden nach durch die politische Krise des guten alten Europa zunemehmend in die längst vergangen geglaubten Zeiten der Barbarei. Diese gab es ja schon zuhauf, sie werden gerade reanimiert und Bruno Kreiskys Hinweis, man möge doch Geschichte lernen, verhallt einmal mehr ungehört im Orbit.
Dass der Wiener Erzbischof und Kardinal Schönborn - anders als einer seiner Vorgänger - nicht unbedingt ein Kreiskyfan ist, davon darf man ausgehen. Wenn er in der sonntäglichen ORF-Pressestunde dann auch Verständnis für die Österreichische Bundesregierung und die von ihr initiierte Schließung der Balkanroute hat, dann hat sich zu seinen tauben Ohren auch ein taubes Herz dazugesellt. Er sagte: "Dass Österreich dann mit den Balkanländern gesagt hat, machen wir einen Alleingang - schön ist das nicht, ich kann es aber bis zu einem gewissen Grad verstehen. Das darf aber sicher nicht das letzte Wort sein“. So schön windet sich sonst nur ein Regenwurm. Doch schön find ich die Windungen des Herrn Kardinal nicht. Vielleicht ist es ja nicht sein letztes Wort und irgendein Bild eines sterbenden Kindes in Idomeni kann auch sein verhärtetes, barbarisches Herz wieder öffnen. Möge Gott ihm klare Worte und starke Taten schenken. Oder ist auch er längst gottverlassen, so wie die Kirche in den Tagen des Nationalsozialismus? Die österreichische Bundesregierung will Österreich wieder einmal in den Mittelpunkt des Weltgeschehens stellen, zu lange schon mussten wir im Eckerl schmollen und den Deutschen den Vortritt lassen. Die Minister Mikl-Leitner und Kurz sowie ihr siamesischer Drilling Verteidigungsminister Doskozil treiben mit ihren Plänen - Schließung weiterer Grenzübergänge sowie der Italien-Mittelmeer-Route und Aufstockung des Bundesheeres zum Gernzschutz - selbst die SPÖ ins rechte Eck. Auf den Weg dorthin hat sie sich vor einiger Zeit allerdings schon freiwillig gemacht, die derzeitigen Maßnahmen beschleunigen diesen Weg allerdings. Welchem Verantwortungsträger können wir denn in Österreich eine menschliche Lösung zutrauen? Ich sehe keinen, der das Format hätte, leider auch keine, die ihre weiblichen Qualitäten dafür einsetzen würde. So kann in Wels der gestrige FPÖ-Bürgermeister - immerhin unter Protest - das Absingen eindeutiger Lieder im Kindergarten im Rahmen des von ihm präsentierten Wertekodex für Kindergartenkinder bzw. deren Eltern fordern, das Land Niederösterreich in Flüchtlingsfragen volle Härte zeigen, was sich nicht nur auf die finanzielle Situation der Asylwerber sondern zunehemend auch auf die freiwilligen HelferInnen auswirkt - wie mir unser Nachbar, der für den Flüchtlingsdienst der Diakonie arbeitet, bei einem Kaffeeplausch erzählte, sondern auch das Team Stronach eine Aktion vor dem Parlament durchführen, bei der die Sicherheit der Frauen durch Verteilung von Pfefferspray erhöht werden sollte. Der Andrang war offenbar über die Maßen groß - und Klubobmann Robert Lugar musste sich gegen aufgebrachte Damen wehren, weil er nicht genug von den Spraydosen in petto hatte. Lugar zog sich aus der Affäre, in dem die umgehende Zusendung der Waffen per Post ankündigte! Die EU-Verantwortlichen lässen sich indes weiterhin von der türkischen Regierung erpressen, da wird mit keiner Wimper gezuckt, wenn der türkische Präsident Erdogan offen die Legitimität des Verfassungsgerichtshofes in Frage stellt und ein ihm nicht genehmes Urteil als Gefährung der Staatsinteressen darstellt. Das Gericht ordnete nämlich die sofortige Freilassung zweier "regimekritischer" Journalistinnen an. Apropos JournalistInnen: Auf den Nachdenkseiten finde ich mich in meiner Wahrnehmung des Journalismus unserer Tage bestätigt. Die einen skandieren in althergebrachter Weise "Lügenpresse" und man scheut sich glücklicherweise, in ihre Propaganda einzustimmen, da sie aus eindeutiger Ecke kommt. Und dennoch hat man auch als völlig Andersdenkender zunehmend das Gefühl, dass da etwas im Argen liegt, nicht nur in der Journaille unserer Tage, sondern im Medienbereich insgesamt. Das auf der kritischen Website geführte Interview mit Uwe Krüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Journalistik an der Universität Leipzig, gibt einen Einblick in das Dilemma, dem sich Journalisten unserer Tage ausgesetzt sehen. Schade darum, dass eine Stimme gegen diese fortschreitende Erbarmungslosigkeit für immer verstummt ist. Nikolaus Harnoncourt, der sich im Dezember aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, ist am vergangenen Sonntag im Kreis seiner Familie verstorben. Er war nicht nur durch die von ihm geforderten originellen Original-Interpretationen der von ihm inszenierten und dirigierten Musikstücke und Opern, ein Leuchtturm im aufgewühlten Meer eines neuerlich sterbenden Kontinents. Er hat durch seine klaren und scharfen Worte der grassierenden und dabei wachsenden Barbarei Einhalt gebieten wollen. Auch sein Ruf blieb unerhört und ob er als sein Vermächtnis doch noch in die Herzen der Menschen dringt mehr als zweifelhaft. Oder wie sagte einer zum anderen auf einer Fahrt in der U-Bahn am vergangenen Mittwoch: "Ah, der Harnoncourt, ist der auch schon gestorben?" Dass Diego Costa von FC Chelsea im englischen FA-Cup-Viertelfinale zubeisst wie einst Luis Suarez zeigt, dass die Barbarei auch vor dem als völkerverbindend gepriesenen Fußball nicht Halt macht. Wen wundert's da, dass auch unser ganz persönliches Leben ins Schlingern gerät und die Psychopathen, denen meine Frau und ich in der Vergangenheit einen Teil unserer Lebens opferten wieder Oberwasser erhalten und mit ihren grinsenden Fratzen Schatten auf unsere Gegenwart zu werfen versuchen. Immerhin haben wir gelernt, sie zu erkennen. Ihnen die Macht zu nehmen, bräuchte laut ExpertInnen eine ähnliche Vorgangsweise wie sie selber wählen. Wir arbeiten dennoch an anderen Strategien, weil wir nämlich nicht zu den Barbaren gehören wollen, die zwar die Welt regieren sie aber damit gleichzeitig auch vernichten. Jetzt hab ich mal ein großes Wort gelassen ausgesprochen, eher ausgeschrieben, im Titel dieses Tagebucheintrags ...
Vor kurzem bin ich durch Zufall in der ARD-Mediathek auf einen wundervollen Film aus 2007 gestoßen mit dem großartigen Edgar Selge in der Hauptrolle, auch die Nebenrollen sind prominent besetzt. Zudem ist der Streifen noch bis 6.5.2016 verfügbar - ich lege ihn allen ans Herz, die Lebensangst verspüren. Reetta und ich haben ihn schon zweimal angesehen, er ist einer jener Filme, die ein Immer-Wieder-Sehen lohnen. "Angsthasen" erzählt die Story eines Versicherungsagenten, der unter einer Fülle von Ängsten leidet; auch geht er davon aus, unheilbar krank zu sein. Wie eine Erlösung ist es für ihn, zu erfahren, dass er an Leukämie leidet und nur noch 3 Monate zu leben hat. Dann - im Angesicht des nahenden Todes - ist er plötzlich in der Lage, sich voll auf das Leben einzulassen. Es ist herrlich Selge dabei zuzusehen, wie er den vom Angsthasen zum Lebemann Mutierten spielt. Niemals bleibt einem das Lachen im Hals stecken, obwohl das Thema hinter dem Plot todernst ist. Was mich am meisten angesprochen hat ist die Feststellung, dass jede Angst im Leben offenbar eine Angst vor dem Tod ist; das hieße also, dass wir uns mit unserer eigenen Endlichkeit arrangieren müssten, um wirklich leben zu können. Mann, so einfach ist das - und so schwer zu gleich. Das wäre aber auch das Geheimrezept gegen alle derzeit in der Welt marodierenden AngstmacherInnen, denn wer sich nicht an seine Todesangst klammert, dem kann keiner Angst machen. Welche Kraft hätten Menschen, die sich dieser Angst stellen, die diese Angst in ihrem Bewusstsein haben - denn Sterben-Müssen und Tod dürfen ja Angst machen - und daher nicht ins Unterbewusstsein abspalten? In der Regel wird diese Fähigkeit der Furchtlosigkeit eher Psychopathen zugeschrieben, die das ihre ohne Rücksicht auf Verluste - und sei es das eigene Leben - durchziehen. Es gibt aber aus meiner Sicht die gesunde Form einer Furchtlosigkeit, die sich aus dem tiefen Wissen speist, dass niemand in der Lage ist, den eigenen Tod aufzuhalten. Diese Furchtlosen würden tatsächlich die Welt verändern, ihre und damit auch die der anderen. Wer wünschte sich als solcher Mensch noch einen Diktator, der alles richtet und alle vor was weiß ich was "beschützt"? Jeder dieser Menschen wäre in der Lage, sein eigenes "Glück" zu schmieden und auch andere mitzuziehen. Abschließend wiederhole ich meine Empfehlung, diesen Film zu anzuschauen, ausdrücklich. Alle SeherInnen werden am Ende auf's Äußerste bewegt sein, mit dieser tiefen Heiterkeit im Herzen, die nur große Filme hinterlassen, die ein großes Thema hervorragend darzustellen verstehen. Dieser Streifen bringt einen nicht nur zum Nachdenken, sondern auch dazu, sich seiner (Todes-)Ängste zu stellen. Auf diese Weise kann man aus der diesen Ängsten geschuldeten Ohnmacht ins aktive Handeln und damit in seine Lebendigkeit kommen. Das wünsch ich mir, uns allen und dieser Welt. Die wäre dann nämlich von einem Tag auf den anderen eine andere, eine "brave new world". |
Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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