Alle Jahre wieder feiern die christlichen Kirchen am Wochenende nach dem ersten Frühlingsvollmond das auf elementaren Bräuchen aufgesetzte Osterfest. Seit tausenden von Jahren feiern Menschen die Tag- und Nachtgleiche als Wendepunkt; ein Wendepunkt, an dem das Licht die Dunkelheit endgültig besiegt hat und die Tage wieder länger als die Nächte sind. Die Christen haben dann Jesus als "sol invictus" und Sieger über Sünden und Tod drübergestülpt. Eine "famose" Missionsstrategie, vor allem wenn sie mit der Angst vor der ewigen Verdammnis gekoppelt wird. Niemals ging es diesen Daran-Gläubigen darum, Menschen zu sich selbst und in ihre Freiheit zu führen. Und: Mit dem "Erlöser" Jesus haben sich die Christenmenschen auch gleich von ihrer Wurzelreligion, dem Judentum, klar und deutlich abgegrenzt, in dem sie diese als Feind dargestellt haben. Mit all den Auswirkungen auf diese Menschengruppe, die ihren Höhepunkt im Genozid des Dritten Reiches erreicht haben. In den Evanglien ist von einem Judas die Rede, der Jesus an die Römer verraten hat. Diese Szene beschäftigte mich immer schon. Auch der israelische Schriftsteller Amos Oz hatte seine Probleme mit den Folgen dieser Darstellung, vor allem mit dem, was nicht gesagt wird und was daher interpretiert werden kann. So hat er in einem Interview mit der Kleinen Zeitung, das am vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde, folgende Spekulation angestellt: Judas glaube mehr an Jesus als dieser an sich selbst, so Oz. Daher wollte er zum jüdischen Pessachfest einen großen Showdown inszenieren, in dem Jesus sich endgültig als der Messias erweisen sollte. Jesus musste also sterben, um beweisen zu können, dass er der göttliche Auserwählte sei. Judas war wie viele Menschen seiner Zeit von der Naherwartung beseelt, die ein baldiges Anbrechen des Gottesreiches ersehnte. Jesus sollte also vom Kreuz herabsteigen, die Welt richten und die Himmel für immer auf die Erde bringen. Da dieser Plan scheiterte war Judas, so Amos Oz, einerseits völlig desillusioniert, andererseits voller Schuldgesfühle, weil er einen Menschen durch seinen Verrat zu Tode gebracht hatte. Daher setzte er seinem Leben ein Ende. Schriftreligionen immanent ist die Auslegung des Geschriebenen. Auf dieser Basis ist die phantasievolle Interpretation von Oz zulässig, wiewohl Deutungen anderer Art auch dafür gebraucht werden könne, Kriege zu legitimieren. Mich hat die Sichtweise des Schriftstellers deswegen bewegt, weil sie dem Mythos vom bösen Juden ein Ende setzt. Auch Jesus ist als Jude gestorben und nicht als Christ. Zu dem wurde er erst durch die Jahrzehnte später geschriebenen Evangelien, die aus dem Messias den Christos, den Gesalbten, machten und aus seinen AnhängerInnen die Christen. Amos Oz kennt die Rolle des Verräters sehr gut aus der eigenen Geschichte, wie er im Interview betonte. Er wurde aufgrund seiner Einstellung im ewigen Krieg zwischen Palästinensern und Juden als solcher gebrandmarkt. Diese Vorgangsweise funktioniert auch heute noch bestens, wenn man jemandem, der den eigenen Interessen widerspricht, ausschalten möchte. Vielleicht ist der Roman "Judas" ja auch der Versuch des Autors, Verrat als Mittel im Kampf für das Gute zu rechtfertigen. Wer weiß ...
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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