Vor kurzem saß ich mit einer Bekannten, die ich als weise Frau bezeichnen möchte, zusammen, um über ein uns beiden am Herzen liegendes Bildungsprojekt für junge Menschen abseits von Schule zu sprechen, das derzeit in der Krise steckt. Die Gründe mögen vielfältig sein, sie zeigen sich auch an allen Ecken und Enden. Das, was aber dem ganzen wirklich schwer zu schaffen macht, ist das fehlende Bewusstsein für das, was die jungen Damen und Herren tatsächlich brauchen: Entscheidungsfreiheit in klaren, haltgebenden Strukturen.
Genau das zeigt sich aber auch im Großen, nämlich unserer Gesellschaft. Da werden derzeit die Strukturen zulasten der (Entscheidungs-)Freiheit unter dem Deckmantel von Sicherheit auf ein unerträgliches Maß aufgebläht und so manch ein "Zauberer" treibt sein verführerisches Unwesen, in dem er nach längst vergangen Geglaubten stinkende Erlösung verspricht. Thomas Mann wusste von Zeiten wie diesen vor knapp hundert Jahren eine Novelle zu singen, die von Klaus Maria Brandauer kongenial verfilmt wurde - obwohl er in seiner Inszenierung von Mario und der Zauberer ein anderes Ende wählt, womöglich ein gegenwärtigeres. Das Dilemma vieler junger Menschen, die in dieser Gesellschaft aufwachsen, hat unser sehr sensibler und g'spüriger Ältester heute in einer "Perfomance" am Mittagstisch auf den Punkt gebracht. Da schwärmte er in höchsten Tönen davon, wie toll es wäre, ins Leben einzutauchen, nein sogar darin unterzutauchen, sich quasi rundum damit zu umgeben und es in sich eindringen zu lassen ... und dann fragte ihn unser Jüngster, frech und punktgenau: "Warum machst du das dann nicht?" Vorbei war's mit der Begeisterung und es legte sich eine unsägliche Schwere auf den vorhin noch so unbeschwerten Augenblick. Meine weise Bekannte hatte zum Ende unseres Gesprächs jenen Satz in den Raum gestellt, der meinem heutigen Tagebucheintrag den Titel gibt. Sie fügte noch hinzu: "I brauchat's ned, aber die anderen offenbar schon." Ich gebe ihr auch diesbezüglich recht. Was auch genau der "Schepperer" sein wird, ist für mich noch offen. Aus der Erfahrung mit Vergangenheit aber ist er wohl eine Not-wendigkeit. Zu hoffen bleibt, dass es ihm diesmal gelingt, das Bewusstsein der Menschheit nachhaltig zu verändern. Denn wenn wir dann bloß wieder einfach mit den gleichen Mitteln neu beginnen, dann haben wir den Abgesang auf unsere Spezies endgültig eingeläutet. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, die Zuversicht ist bei so vielen aber schon dahin ...
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Es mag populistische klingen, aber die EinwohnerInnen, besonders die sozialdemokratisch fühlenden Menschen unseres Landes, verlieren zusehends die Begeisterung am neuen SPÖ-Chef und Bundeskanzler Christian Kern. Totz alles Marketing-Schnikc-Schnacks, den er seit seinem Amtsantritt pflegt, folgt (auch marketingmäßig) ein Super-GAU auf den anderen. Zuletzt ließ er die SPÖ-Mitglieder zu CETA, dem Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, befragen (bei dem 85 % der abgegebenen Stimmen kontra des Abkommens ausfielen), dann stilisierte er sich zum CETA-Gegner hoch und hob das mögliche Veto Österreichs im EU-Rat hervor, um schließlich heute im SPÖ-Vorstand ein Ja zu siganlisieren, dass er - wie er seither unermüdlich betont - mit einem großen ABER versehen möchte.
Warum "Ja, aber" und nicht gleich "Nein, bis ..."? Möglicherweise hat der schon etwas zerzauste Kanzler die neuesten Umfragen im Genick, die erstmals eine absolute Mehrheit für Schwarz-Blau ausweisen. Er wollte mit einem "Nein"scheinbar keine Koalitionskrise heraufbeschwören, die es der lopatka-gesteuerten ÖVP leicht gemacht hätte, sofortige Neuwahlen ausrufen zu lassen. Aber, was hat das für eine Wirkung auf seine potentiellen WählerInnen? Was hat das für Auswirkungen auf den hoffentlich bald zu Ende gehenden Präsidentschaftswahlkampf? Kern hat einmal mehr hoch gepokert - daher ist sein Fall umso tiefer. Um es mal nicht so einfach gestrickt und populistisch zu sehen, wie es jetzt so viele in den (sozialen) Medien tun: Was wäre dabei gewesen, die Bevölkerung einerseits mit der Sinnhaftigkeit von Freihandel vertraut zu machen und andererseits offen über die Fallstricke des derzeit vorliegenden Abkommens zu reden - und sich auf diese Weise als Fachmann und Hoffnungsträger zu etablieren? Kern hat seinen Zenit schon nach wenigen Monaten überschritten - und wenn mich nicht alles täuscht, könnte er sogar den Negativrekord von Alfred Gusenbauer einstellen, was die Dauer von Parteivorsitz und Kanzlerschaft angeht. What a day!
Zuerst stirbt in der Nacht auf heute der italienische Theater-Mann Dario Fo, der im Jahr 1997 mit dem Literaturnobelpreis bedacht wurde, dann feiert Christine Nöstlinger in der ihr bekannten Manier ihren 80er nicht und schließlich erhält Bob Dylan eben jenen Nobelpreis, der Fo 19 Jahre vor ihm zugestanden wurde. Die drei verbindet aus meiner Sicht ihr Widerstand gegen das Establishment, wobei sich alle drei nie politisch vereinnahmen lassen wollten und dennoch als Linke galten. Fo hat diese Distanz am wenigsten gehalten, bis zuletzt war er ja seit deren Gründung für die italienische Fünfsterne-Bewegung unterwegs, Dylan wohl am ehesten. Und Nöstlinger machte aus ihrer Gesinnung auch kein Hehl, hielt im Mai des Vorjahres eine vielbeachtete Rede im Nationalrat anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des KZ Mauthausen und ist durch ihre emanzipatorischen Kinderbücher, die anfangs zum Skandal gerieten, bestens bekannt. Fo und Dylan verbindet nun also auch der Literaturnobelpreis und ebenso die Reaktion der KritikerInnen, die in der Verleihung eine glatte Fehlentscheidung sahen. Fo ist ja vielmehr durch seine Theaterstücke, die er mit seiner Frau Franca Rame schrieb, ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, Dylan durch seine zugegebenermaßen poetischen Songs, die aber wie ich meine eher von der Musik-Text-Kombination leben, denn nur vom Text. Da gäbe es andere, deren Texte auch ohne Musik besser wirken. Aber natürlich ist Dylan ein Meister der Intertextualität, was ihn zu einem besonderen Sänger macht, da er in vielen seiner Songs die große Weltliteratur durchklingen lässt. Nun können wir uns hier noch das eine oder andere Duell liefern, ob Fo und Dylan würdige Preisträger sind und ob es nicht auch Nöstlinger als erste Kinderbuchautorin verdient hätte. (Astrid Lindgren hat es 1994 immerhin zum Alternativen Nobelpreis geschafft.) Ich denke, es gibt Wichtigeres zu tun. Stellen wir uns doch einfach in die ziemlich großen Fußstapfen der drei und machen wir in unserem Bereich auf unsere Weise mit den uns gegebenen Talenten und Fähigkeiten die Welt um das Quäntchen besser, das notwendig ist, dass sie nicht im nächsten Wahnsinn, der sich der Vergangenheit bedient, untergeht. Das wär doch was! Und auf diese Weise hätten Fo's Tod, Nöstlingers Nichtgeburtstag und Dylans Nobelpreis nicht nur ein gemeinsames Datum sondern auch einen gemeinsamen, einen tiefen Sinn. Vor einigen Jahren sprach mich eine Bekannte darauf an, ob ich die Fähigkeit der Bilokation beherrschte. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, worauf sie diese scherzhaft gemeinte Annahme begründete. Heute aber kam sie mir wieder in den Sinn, weil ich mich seit Wochen parallel in den verschiedensten Bereichen meines Seins bewege – ohne aber tatsächlich körperlich gleichzeitig sowohl da als auch dort zu sein.
Auslöser dieses Gedanken war folgendes: Während zwei meiner Jungs im Wohnzimmer auf meinem E-Board die erste Hälfte des Fußball-WM-Qualifikationspiels Serbien gegen Österreich verfolgten (wegendessen übrigens am Nachmittag noch am Jausentisch eine kurze Geschichtsstunde für die Jugend unserer Familie über die österreichisch-ungarische Monarchie, das Attentat in Sarajevo und den „Jugoslawienkrieg“ vor 20 Jahren stattfand), saß ich mit meiner Frau auf der Loggia um am Laptop die aktuelle Tatortfolge aus Dortmund zu sehen. Obwohl ich mich bewusst für den Fernsehabend mit meiner Frau entschieden hatte, war ich doch gleichzeitig mit oder bei unseren beiden Fußballfans. Das ganze verursachte eine komische Unruhe in mir, ich fühlte mich in einem seltsamen Stadium zwischen da und dort. Auch den heutigen Tag über war ich schon öfter in diesem Zustand: ich las Wolfgrubers Verlauf eines Sommers, den ich vor kurzem im Bücherschmaus antiquarisch erworben hatte, kam – während ich den heftigen Text setzen ließ – auf die Idee ein paar kleinere (Reparatur-) Arbeiten in der Wohnung zu machen, setzte mich zwischen diesen Arbeiten an den PC um die News auf orf.at zu lesen und stieß dabei unter „Science“ auf einen Beitrag über Altnazis im deutschen Justizministerium, den ich sogleich auf Facebook mit den Worten: „Eh klar - und in Österreich schaut's genauso aus!“ postete, fiel dann sogleich unter „Kultur“ über einen Gastbeitrag des Germanisten Rüdiger Campe mit dem Titel „Wie Institutionen den Bildungsroman ‚umgedreht’ haben“, was mich dazu führte in unserem Bücherregal Robert Walsers „Jakob von Gunten“, der dort dank meiner Frau steht und den ich noch nicht gelesen habe, herauszuholen und auf Wolfgruber zu legen. Die Gedanken, die mich in dieser Zeit bewegten war jene Spannung zwischen Bildung und Institution Schule, die mich ja seit mehr als einem Jahr so richtig umtreiben und die ein Teil meiner täglichen Aktivitäten geworden sind. Auch beeindruckte mich der Text am Buchrücken, in dem Martin Walser (der ja mit Robert nicht verwandt ist) schreibt: „Jakob von Gunten ist der Entwicklungsroman einer verhinderten Entwicklung. Das, was Jakob für das Leben ausrüsten soll, entzieht im das Leben. Das Prinzip Hoffnungslosigkeit ist das Prinzip dieses Erziehungsromans … Hier stimmt zum erstenmal einer der Gegenwart zu, wie sie ist: und wir erkennen so scharf wie noch nie, wie furchtbar sie ist.“ Und grade eben stolpere ich bei meiner Recherche über das Verhältnis von Martin und Robert Walser auf einen SPIEGEL-Artikel aus 2007 in dem Martin Roberts Buch als das Buch seines Lebens vorstellt. Vor kurzem habe ich nach knapp 2 Jahrzehnten nochmals Peter Hoegs Roman „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ gelesen, fasziniert, erschreckt und mit der Erkenntnis zurück gelassen, dass gut gemeint in der Regel in eine furchtbare Katastrophe führt, weil die Praxis die dahinter liegende Theorie pervertiert, vor allem in Erziehungsfragen, vor allem in der Schule … aber eben nicht nur dort. Auch im Tatort konnte ich einem solchen Phänomen folgen: die dort dargestellte Dortmunder Polizeiarbeit hat sich schon längst auf das gleiche Niveau begeben wie die Taten jener, die sie zu bekämpfen versucht. Das Team um den von Jörg Hartmann gespielten Kommissar Faber bekämpft nicht nur die Verbrecher mit menschenverachtenden Mitteln sondern sich mittlerweile auch noch gegenseitig. Für mich stellt sich die Frage, wer derjenige oder diejenige sein wird, der oder die den ersten Mord an ihrem Kollegen, an ihrer Kollegin begeht; wobei die Männer hier eindeutig zu den Favoriten zählen. So weit, so zynisch. Für mich stellt sich in diesem Zusammenhang auch noch eine zweite Frage: Wie lange will ich mir diese Art von Sonntagabend-Fernsehunterhaltung noch geben … oder lasse ich demnächst meine Liebste alleine mit dieser Tradition und geselle mich zu meinen Jungs, um Fußball zu schauen … was sich angesichts der aktuellen Talfahrt des österreichischen Nationalteams allerdings auch als Flop herausstellen könnte … Dann lieber Walser und Wolfgruber – im Wechsel, so dass die schöne Welt der Paralleluniversen mein Dasein weiterhin meisterhaft bereichert. |
Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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