Durch unseren WLAN-Anschluss bin ich - wie schon geschrieben - hier in der Einschicht der finnischen Wälder weiterhin mit der ganzen Welt verbunden. Ich nutze diese Möglichkeit sehr eingeschränkt, aber so alle paar Tage werfe ich einen Blick auf orf.at und in die Online-Präsenz der Wiener Zeitung.
Da las ich vor ein paar Tagen von einer für die deutsche Bevölkerung ausgegebenen "Bevorratungsliste". Meinen Recherchen nach steckt da die schon seit einigen Jahren in Arveit befindliche Überarbeitung der Zivilschutzpläne in der Bundesrepublik dahinter, die aber noch keineswegs abgeschlossen ist. Warum gerade in Zeiten wie diesen genau jener Teil der Verordnung an die Öffentlichkeit getragen wird, hat sicher einen Grund. Da wurde dann auch gleich wild drauflos spekuliert, die Bandbreite der mir bekannten Diskussionen zum Thema reichte von "Es steht ein Atomkrieg zischen den USA und Russland am Rücken Deutschlands bevor" bis zu "Ein genialer Schachzug, um den Handel, der am Boden liegt, ein bisschen zu pushen." Was jedenfalls ausgelöst wird, sind Verunsicherung und Angst. Dieser Zustand kommt in der Regel immer den Herrschenden zu gute, die damit ihr Recht auf Gleichschaltung der Bevölkerung zum Wohle aller manifestieren können. In Zeiten wie diesen, in denen den scheinbar Mächtigen durch wachsende Kritik an den Verhältnissen und eine starke Individualisierung der Menschen, das Ruder aus der Hand zu gleiten droht, ist die Angst-und Schrecken-Variante ein probates Mittel. Ermutigung sieht jedenfalls anders aus. Und die täte dringend Not. Nun ist auch der ORF in Wien auf diesen Zug aufgesprungen, was ich als journalistischen Fauxpas, wenn nicht sogar No-Go erachte. Unter der Schlagzeile "Wiener Haushalte sollen Zwieback lagern" findet sich ein Artikel, der auf eine schon seit Jahren vorhandene "Checkliste für den sicheren Haushalt" verweist. Als Einleitung steht da zu lesen: "Die Helfer Wiens haben hier für Sie einen ausführlichen 'Sicherheits-Einkaufszettel' zusammengestellt. So sind Sie und Ihre Lieben im Fall der Fälle bestens vorbereitet. Checken Sie, was Sie zu Hause haben und was möglicherweise fehlt. Und machen Sie Ihren Haushalt bereits beim nächsten Einkauf viel sicherer." Diese Formulierungen sind das eine, die Schlagzeile dazu das andere. So sinnvoll es ist, im Notfall nicht "am Trockenen" zu sitzen, so unberechtigt ist aus meiner Sicht die mediale Aufmachung dazu. Sie führt zum oben angeführten und bringt keineswegs das, was es sinnvoller - und notwendigerweise tatsächlich braucht: Sicherheit, Mut und Zuversicht. Dazu anzuleiten halte ich einerseits für den Auftrag jeder Regierung, die ja die Interessen des Volkes zu wahren hat, als auch für jenen der Medien. Da geht es um genaue und kritische Analysen der Situation, um Deeskalation (aber bitte keineswegs um Schönfärberei) und um Stärkung des logischen und gemeinschaftlichen Denkens. Durch das Hinterfragen solcher Maßnahmen - wie eben jener in Deutschland - werden ganz andere Lösungsansätze zu Tage kommen, als die mit solchen Maßnahmen und Meldungen verursachten. Da werden sich die Menschen auf ihre Hinterbeine stellen und dafür eintreten, dass sich das, was die Welt durch des Menschen Handeln so gefährlich macht, endlich aufzulösen beginnt. Vor Naturkatastrophen sind wir ohnehin nicht gefeit (auch nicht vor jenen, die wir durch fehlerhaftes Handeln in der Vergangenheit in die Wege geleitet haben), aber immerhin den von uns verursachten Dramen können wir auf diese Weise in der Zukunft Einhalt gebieten, abseits von Verschwörungstheorien und Alarmismus. Zu idealistisch gedacht? Ja möglicherweise, aber ich habe mich dazu entschieden, zwar alle Hoffnung (die ja so oft eine falsche ist) fahren zu lassen, damit aber der Zuversicht ihren nötigen Raum zu geben. Let's do this together: Make confidence not panic!
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Von meinem norwegischen Fahrrad, das mich alljährlich auf Halme erwartet und das ich ob seiner Verdienste zum Finnen erklärt habe, habe ich hier anderntags schon berichtet. Was ich noch nicht dazu gesagt habe, war, dass der Drahtesel unserer finnischen Nachbarin Niina gehört und dort - bis auf wenige Ausnahmen - den Rest des Jahres vor deren Haus in Sonnenschein, Regen, aber auch Schnee ausharrt bis es wieder Halme-Time ist.
Dieses Rad leistet mir also seit 3 Jahren treue Dienste, es ist ein mächtig schwerfälliges Gefährt, aber wenn es einmal in Schwung ist, kann es kaum gebremst werden. Das linke Pedal ist schon außer Form geraten und sowohl Vorder- als auch Hinterrad nennen einen Achter ihr eigen. Eigentlich ist seine Zeit längst vorbei und eine Erneuerung des Drahtesels ist aus meiner Sicht nicht nur hoffnungs- sondern auch sinnlos. Die Investition lohnte nicht - und nacher stünde bis auf den Rahmen wohl ein anderes Gefährt im Schuppen. Meine Bein- und Armmuskeln aber freuen sich auf dieses Training und nehmen in diesen Wochen, da ich das Gefährt das meine nennen darf, einiges an Masse zu. Daher hatte ich nicht wirklich Eile, mich nach Ersatz umzusehen, obwohl ich es regelmäßig tat. Nun bin ich aber derjenige, der nach unserem Einkäufen im Dorf die rund 30 Kilogramm schwere Last auf dem Gepäckträger nach Hause bringen darf. Das zehrt. Also intensivierte ich heuer die Suche nach einem würdigen und leichtläufigeren Ersatz. Es gab die eine oder andere Möglichkeit, die einen zu teuer, die anderen zu weit weg, keine wirklich passend. Nun waren wir gestern wieder in Yläne, um unsere Lebensmittelvorräte für diese Woche aufzufüllen, als Reetta beiläufig erwähnte, dass sie gerade auf einem der Kärtchen auf der Pinnewand im Windfang des Supermarktes davon gelesen hätte, dass es ein Tunturi 26-Zoll Männerfahhrad zu verschenken gäbe, und das noch dazu im Ort. Tunturi ist neben Helkama (von der das Kultrad Jopo stammt) der zweite große Fahrradhersteller Finnlands, mittlerweile zu einem niederländischen Konzern gehörig. Der Begriff, im deutschen besser als Fjell bekannt und etymologisch mit "Tundra" verwandt, bezeichnet Berge und Hochflächen oberhalb der Nadelwaldgrenze. Die im finnischen Lappland zwischen 400 und 800 Meter hohen Berge werden als tunturit bezeichnet. Sie sind runde Inselberge, die sich aus der ansonsten flachen Umgebung erheben. Diese Berge sind durch die Gletschermassen der Eiszeitalter abgeschliffen worden. Ein sprechender Name für ein qulitätsvolles Gefährt, das zu einem guten Gefährten werden kann. Also reichte ich meiner Liebsten das Handy und bat sie anzurufen. Fünfzehn Minuten später trafen wir am Treffpunkt vor dem Heimatmuseum ein. Der Verschenker, der das Rad als "schiach aber fahrtauglich" beschrieben hatte, hatte seine Frau geschickt, um das Rad zu übergeben. Da stand also jetzt ein Tunturi mit der sprechenden Bezeichnung "country-side" vor mir, der Sattel ein wenig hoch für meine Verhältnisse, der Lenker zu niedrig, aber sehr ansehnlich und von "schiach" keine Spur. Mir fiel nur auf, dass der Mantel des Hinterrades schon rissig war, aber auch das hatte der Verschenker angekündigt. Die Reifen waren aufgepumpt, die kurze Probefahrt überzeugte und so sattelte ich die Packtaschen auf's neue Pferdchen um. Nun stellte sich nur noch die Frage, wie mit dem geborgten Drahtesel umzugehen sei. Die mittels SMS befragte Nachbarin gab innerhalb der von uns gesetzten Frist von 15 Minuten keine Antwort, ob es für sie passe, das Rad im Ort stehenzulassen, wo sie es mit dem Auto abholen könne. Im Supermarkt hatten wir deren Sohn getroffen, der aber jetzt auch mit seinen Freunden irgendwo untergetaucht war. Wir entschieden intuitiv, diesen Schritt dennoch und unabgesprochen zu setzen. So stellten wir das Rad vor dem zweiten Supermarkt des Dorfes ab und fuhren heim. Mich erwartete ein völlig anderes Fahrgefühl, ein schnelles, unruhiges Eselchen, das mit 21 Gängen protzt, die ich in dieser Fülle wohl niemals nützen werde. Das Holpern über Stock und Stein erforderte durchwegs größere Aufmerksamkeit als bisher und die Lenkung reagierte auf jede Bodenunebenheit. Alles Gewöhnungssache, innerhalb der acht zurückgelegten Kilometer wurden wir jedenfalls beste Freunde. Schon während der Fahrt hatte ich in meiner Hosentasche die Vibration eines SMS bemerkt, das ich nach der Ankunft meiner Frau zum Lesen gab, da es von Niina stammte. Der Schreck stand ihr ins Gesicht geschrieben. Die Nachbarin stellte darin fest, dass ihr Rad nicht im Ort stehen bleiben solle. Nun waren Lösungen gefragt. Uns fielen zwei Möglichkeiten ein. Zum einen wurde der örtliche Supermarkt angerufen, ob das Rad möglicherweise bis zum Zeitpunkt einer Abholung dort untergestellt werden könnte. Antwort negativ. Zum anderen checkte ich die Busverbindungen in den Ort, um es schnellstmöglich heim zu holen. Eine knappe Stunde nach unserer Ankunft ging der letzte Autobus des Tages, der mich um € 6,90 an das Ziel meiner Wünsche bringen konnte. Auch für den Fall, dass das Rad nicht mehr an Ort und Stelle stünde, sorgte ich vor; es gab 45 Minuten nach meiner Ankunft einen Bus zurück. Mein Abendessen nahm ich im Gehen auf dem Weg zur Busstation ein, die rund 1,5 Kilometer entfernt von unserem Mökki an der Bundesstraße liegt. Während ich also ging und aß und aß und ging überlegte ich, wie ich des Finnischen kaum mächtig beim Busfahrer dennoch den Eindruck eines einheimischen Fahrgastes erwecken könnte. Schon der Einstiegssatz aber wurde zur unüberwindbaren Hürde, da ich die Endung suchte, die im Falle eines nach ... richtig wäre. Nach Yläne. Oder: Eine Karte nach Yläne. Oder: Wie spricht man in Finnland eigentlich, wenn man ein Busticket lösen will? Aus dem Finnisch-Unterricht wusste ich bloß, dass Yläne zu jenen Städten (wie etwa auch Tampere) gehörte, "in" die man nicht fuhr sondern "auf" die man fuhr. In diesem Moment verwickelten sich meine Überlegungen vollends. Dennoch führte ich dieses wunderbare Gedankenspiel fort, aus dem sich folgender Dialog entspinnen hätte können: Ich: Moi. Busfahrer: Hei, hei! Ich (wenn ich den Satz nicht erst durch spätere Befragung meiner Frau herausgefunden hätte): Lippu Yläneelle. Busfahrer: Kuusi yhdeksän kymmentä. Ich zahle. Und dann spricht mich der Busfahrer auf etwas an, was ich nicht verstehe, während ich hinter im Platz nehme und ich packe mein Sprachkurs-Finnisch aus. Ich: En puhun Suomea. Minun vaimoni on Suomalainen. Minä olen Itävaltalainen. Minä puhun Saksan, Englantia ja Ranska. Puhummeko Englantia? Und dann verstummt das Gespräch entweder oder wir reden auf Englisch weiter bis die acht Fahrminuten entfernte Station erreicht ist. Ich kam zehn Minuten vor der Abfahrt an der Bedarfshaltestelle an, was grundsätzlich gut ist, da diese vom Bus auch früher als erwartet angefahren werden könnte. Zwei Minuten vor der fahrplanmäßigen Abfahrtszeit klingelt mein Handy und Reetta fragt mich, ob ich schon im Bus wäre. Auf mein "Nein" antwortet sie, dass Niinas Fahrrad praktisch schon zu hause sei, weil es deren Sohn vor dem Supermarkt entdeckt und eine Rückführmöglichkeit gecheckt hatte. Die Buschtrommeln funktionieren hier ausgezeichnet. Während ich dann die 1500 Meter heimwärts schlenderte, kam Niinas Sohn nochmals auf Halme vorbei, um zu fragem, ob der den "Mike" (Mike heiße ich hier deswegen, weil das Finnische den "ch"-Laut nicht kennt und dieser für alle so unassprechlich ist wie für mich das Zungenspitzen-"R") aus Yläne abholen solle, da der ja nun ohne Fahrrad dastünde. Das ist schon mehr als nachbarschaftliche Aufmerksamkeit und es zeigt wie die Menschen hier in unserer Gegend ticken. Auf diese Weise kam ich sogar noch rechtzeitig zur allabendlichen Familiensauna. Einfach wunderbar! Meinen fiktiven Dialog übrigens halte ich für kommenden Freitag in petto, an dem ich einen Solo-Ausflug nach Turku plane. Mal schauen, ob die familiären Verpflichtungen diesen Ausreißer zulassen. Wir sind ein sehr dynamische Patchwork-Familie mit einer langen, sehr komplexen Vorgeschichte. Habe ich all das Unklare und in kurzen Worten Unerklärliche jetzt klar genug ausgedrückt? Wenn nicht, so muss es dennoch so bleiben - und ich verliere mich jetzt hier in hoffentlich anschaulich dargestellten Allgemeinplätzen, die dennoch Wirkung und Gültigkeit haben, da sie unsere Situation widerspiegeln und auch anderen Anknüpfungspunkt sein werden.
Vor 25 Tagen sind wir fünf in unsere zweite Heimat aufgebrochen, wo ein Mökki aus Reettas Familienbesitz auf uns wartet. Den Übergang von der Großstadt Wien haben wir auch in diesem Jahr durch einen dreitägigen Aufenthalt in Helsinki gestaltet, ehe wir dann in der Einschicht der finnischen Wälder angekommen sind. Unser Prepaid-WLAN-Anschluss, unsere Handys, die Fahrräder und das benachbarte Ehepaar Niina und Janne halten unsere Verbindung zur Außenwelt aufrecht, ansonsten geht es trotz reichlich Platzes (im Haus, den Nebengebäuden, dem großen Garten und den uns umgebenden Wäldern) recht eingeengt zu. So aufeinander angewiesen wie in diesen Wochen sind wir wohl selten innerhalb eines Lebensjahres. Das zeugt eine noch intensivere Dynamik als gewohnt, die uns ein Fülle von Erfahrungen und auch jede Menge Selbsterfahrung bringt. Die Reflexion des Ganzen ist ein unabdingbarer Bestandteil dieser Zeit, sie kommt im Alltag so lange zu kurz, bis es ordentlich kracht und meine Frau und ich aufgefordert sind, die entstandenen Verwicklungen, in denen wir uns meist auch noch selbst mitten drin befinden, zu entwickeln. Welch schöne doppelte Bedeutung hier auf Halme der Begriff "Entwicklung" bekommt. Dieses Viel-Stärker-Aufeinander-Angewiesenseins hat seine Wurzeln in den vielen Alltäglichkeiten, die hier ganz anders ablaufen als in unserem Zuhause in Wien. Da gilt es einmal damit zu leben, dass wir uns im Wohnhaus (mit Küche/Stube und zwei Zimmern) 50m² teilen, dort kein Fließwasser haben, sondern nur im über die Straße gelegenen Saunahaus. Der Weg dorthin findet mehrmals täglich ostatt, es gilt also beim Überqueren der Schotterfahrbahn, die zwar nur spärlich - aber wenn dann doch recht flott - befahren wird. Dort wird von Hand Geschirr gespült, die Waschmaschine gefüllt und wieder geleert und die täglich Körperpflege gepflegt. Das Wasser dafür aus dem eigenen Brunnen wird im Elektroboiler automatisch aufgewärmt, ein bisschen Luxus muss sein. Ebenso findet dort die allabendliche Familiensauna bei 70-80 Grad Celsius statt. Danach kann man sich sowohl mit Dusche oder im kleinen Teich vor dem Haus abkühlen. Trinkwasser holen wir in großen Wasserflaschen von unseren Nachbarn, da unsere Brunnen den Großteil des Jahres nicht benützt werden und ein Zeit brauchen, bis sie Wasser in Trinkqualität liefern. Noch dazu führt der mit der Elektropumpe ausgestattete das kühle Nass mit einem hohen Eisenanteil und rostiger Farbe. Der bessere Brunnen befindet sich im Grundstückteil jenseits der schon erwähnten Straße und gibt die lebensspendende Flüssigkeit nur mittels Handpumpe her. Ein Aufwand, den wir uns ob der Fülle der anderen Alltäglichkeiten gerne ersparen. Alle 3-4 Tage gilt es einen Einkauf im rund acht Kilometer entfernten Dorf zu absolvieren. Unsere Karavane aus 5 Rädern, wovon das unseres Jüngsten mit Tandemstange an das von Reetta "gebunden" ist, schafft diesen Weg - je nach Bodenzustand, der wiederum vom Wetter abhängt - in 30-40 Minuten. Einer der Großen jedenfalls hat immer die Möglichkeit zuhause zu bleiben, diese Möglichkeit nützt aber nie jemand. Der Einkauf selbst ist immer gut organisiert, er dauert meist eine halbe Stunde. Danach gönnen wir uns alle noch eine kleine Jause mit Pulla aus dem Suprmarkt und einen Coffee-to-go von der benachbarten "Kaffee-Oase". Heinwärts geht's trotz 30 Kilo mehr am Gepäckträger in ungefähr derselben Zeit. Auch das Kochen auf den beiden elektrischen Kochplatten oder dem großen holzbeheizten Herd samt Backofen erfordert völlig neue Denk- und Handlungsweisen, womit unsere sehr tüchtigen Jungs zum Teil überfordert sind und unsere Mithilfe stärker als in Wien vonnöten ist. Dennoch gelingen uns die tollsten Kreationen, der absolute Hit sind Pizza und Pfannkuchen, die wegen ihres hohen Zeitaufwandes (dazu muss der Brotofen geheizt werden) nur hie und da auf dem Speiseplan stehen. Sonst gibt es großteils das, was auch in Wien mundet. Das Plumpsklo, eine tolle BIOLAN-Toilette, die alles innerhalb kürzester Zeit kompostiert, ist nur über den Garten zu erreichen - und das bei jedem Wetter. Nach anfänglichen Unsicherheiten haben aber nach 3 Wochen nun alle die Vorgänge selbst an Starkregentagen und bei kühler Witterung intus. Beheizt wird das Haus mit dem Herd in der Küche und den beiden Kachelöfen in den Zimmern. Ersteren zu heizen erfordert Geduld und Spucke, die vor allem dann, wenn man sich wieder einmal die Finger verbrannt hat. Geduld ist angesagt, wenn der Kamin keinen Zug kriegt, obwohl man schon alles Denkmögliche und -unmögliche versucht hat. Immer wenn man sich geschlagen geben will, flackert plötzlich Hoffnung auf, dass er nun doch brennen will. Diese erlischt wenige Minuten später, wenn zum wiederholten Mal dicke Rauchschwaden die Stube füllen. Dann, wenn ich mir die Finger genug verbrannt habe, lasse ich es sein, setz mich zum Tisch - wie gerade eben - und klopfe mein Leid in die Tasten. Und neben mir gluckert der Herd plötzlich friedlich und freudig vor sich hin, als hätte er sich nicht eine elendslande Stunde Zeit genommen, um seine Arbeit aufzunehmen, sondern wäre im Schnelldurchgang ins Brennen geraten; Selbsterfahrung der besonders heißen Art. Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass unsere Jungs hier die "absolute" Freiheit genießen. Also vielmehr gibt es neben den Tagesstrukturen und den diversen verpflichtenden Tätigkeiten für die Gemeinschaft - wie etwa Abwaschen, Tischdecken oder die Mithilfe beim Kochen und Einkaufen - jede Menge Zeit, sich großteils spielzeugfrei mit dem zu beschäftigen, was vorhanden ist. Das führt jeden der drei verstärkt zu sich selbst und mitunter auch in die Langeweile. Für uns als Eltern bedeutet das die zusätzliche Herausforderung, unseren Söhnen immer wieder - wenn wir gefragt werden oder eine konfliktträchtige Situation es fordert - mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Hier im Mökki sind wir alle also physisch und psychisch um vieles stärker gefordert als im normalen Familienalltag, der auch "Fluchtmöglichkeiten" zu FreundInnen und Bekannten bietet. Fernsehen gibt's hier via Internet zwar auch, aber das ist ja schon in Wien kein Thema, da wir eine eigene Film- und Fernsehkultur unser eigen nennen, die dem Medium seinen ihm gebührenden Platz einräumt. Daher reden wir bei unseren Finnlandaufenthalten nie von Urlaub, sondern immer von unserer Reise in den Norden. Die ist nicht nur eine Reise in mehr oder weniger bekannte Gefilde im Südwesten des Landes, sondern immer auch eine solche in die Landschaften der (Familien-)Seele. Und sie bietet alles, was das Leben zu bieten hat. Sie braucht das heiße Herz und den kühlen Kopf, damit die Dynamik nicht jene Wellen schlägt, die einem über den Kopf wachsen, sondern auch immer noch genug Platz und Luft zum Atmen sind. Eingebunden in die Natur um uns versuchen wir uns an ihr ein Beispiel zu nehmen. Sie ist die Meisterin des Werdens und Vergehens und hält uns vor Augen, dass der Wandel alltäglich ist und es dennoch gilt, sich selbst treu zu bleiben. Davor aber lehren sie und unser intensiviertes Famileinleben uns noch, dieses Selbst zu entdecken, dem es erst einmal treu zu werden gilt. Wir hatten hier auf Halme in den letzten acht Tagen eine bunte Gästeschar - und auch wir waren zu Gast.
Begonnen hat alles am Sonntag vor einer Woche mit einer Übersetzer-Kollegin meiner Frau, die samt Mann und 4 Kindern auf dem Weg von ihrem Heimtaort Stralsund zum Mökki ihrer Schwiegereltern hier Station machte. Aus diesem Grund warf ich den Backofen an und stellte eine Fülle an Korvapuustis her, die unseren Zimtschnecken nicht unähnlich sind. Sie mundeten allen, obwohl sie aus meiner Sicht ein wenig trocken und nicht flaumig wie von mir gewünscht geraten waren. Dazu beigetragen haben mag die wunderbare Atmosphöre unseres mummonmökki hier im Südwesten Finnlands und die angeregte Gesprächsatmosphäre, die uns vom Beruflichen zum Familiären und schließlich zu unseren Gasteseln Jessica und Rusina (dt. Rosine) führte, die von der Nachbarin geborgt hier auf Halme ihre Sommerfrische verbringen und gleichzeitig großartige Rasenmäher sind. Jessica nämlich hatte einige Tage vor dem Besuch plötzlich auf die I-A-Schreie des Eselmännchens Daniel, das auf heimatlicher Weide steht, heftig zu reagieren begonnen. Bei ihrem Antwort-I-A bewegte sie sich jeweils ein paar Schritte vorwärts, pumpte mit dem ganzen Körper ihre Schreie nach außen, die mit einem abschließenden einmaligen Husten endeten. Danach lief sie offensichtlich ganz aufgeregt umgehend zu ihrere Gefährtin um ihr mit ihren Nüstern einen "Nasenstüber" zu versetzen. Anschließend setzte sich der normale Eselalltag fort. Das geschah im Lauf der Woche immer häufiger, in den letzten Tagen auch nachts. Seit vorgestern aber ist plötzlich die Luft raus und die Ruhe im Gehege wieder eingekehrt. Am Dienstag dann war die Kusine Reettas aus Tampere mit ihrem Mann auf Besuch. Die beiden hatten sich zuletzt gesehen, als meine Frau zehn Jahre alt war, woran sie sich allerdings nicht mehr erinnert. Es war ein bewegender Nachmittag in unserem - für die Besuchszeit - zum Kaffeezimmer "umgebauten" Wohn-Schlafgemach. In meiner Anwesenheit wurde in Englisch über Familiäres geplaudert, als ich mich dann draußen im Garten mit den Jungs beschäftigte, wechselte der Austausch von Familienangelegenheiten ins Finnische. Zum Kaffee durften wir einen herrlichen Mürbteig-Himbeerkuchen genießen, den Reettas Verwandte mitgebracht hatte. Erst nach mehreren Stunden brauchen unsere Gäste wieder auf und betonten zum Abschied "the very welcoming atmosphere of our house". Dieser Nachmittag war für uns alle eine große Freude. Am Donnerstag fuhren wir gemeinsam nach Turku, auch um unseren 6. Hochzeitstag feierlich zu begehen. Dazu kam es dann erst abends nach unserer Rückkehr auf Halme bei einem Gläschen Sekt. Eine frühere Feier wurde durch die Umstände verhindert, die aber großteils doch erfreulich waren. Zuerst zum Negativen: Der für den Mittleren auszustellende Pass (ich berichtete in der Vorwoche) nahm mehr Zeit in Abspruch als in den schlimmsten Szenarien befürchtet. Dafür gingen fast drei Stunden unseres Aufenthaltes in der früheren finnischen Hauptstadt auf. Sogar die Passbilder, die wir aus Österreich mitgebracht hatten, wurden von der Turkuer Polizei nicht akzeptiert. Während also Reetta mit ihren beiden Söhnen die Tortur des bürokratischen Rituals auf sich nahm, verbrachte ich mit unserem Jüngsten die Zeit mit einem Stadtbummel. Beeindruckt hat mich vor allem die alte Markthalle, in der ich gerne auch noch mehr Zeit verbracht hätte (immerhin gab es an diesem Tag laufend heftige Regenschauer). Dort gab es auch das eine oder andere Lokal, dass mir für unser festliches Mittagessen sehr geeignet schien. Als sich die Zeit auszudehnen begann, streunten mein Sohn und ich durch verschiedene Läden der Stadt (immer um vor dem teils heftigen Regen geschützt zu sein) und beschlossen schließlich die anderen Mitglieder unserer Familie auf der Polizeiwache abzuholen. Bei unserem Treffen waren wir alle so erschöpft, dass wir das nächstbeste Café aufsuchten und das dort angebotene Lounas mit Lachssuppe konsumierten. Im Gegensatz zum Mittagsmenü vor einer Woche in Pyhäjoki fiel die Sache dünn un teuer aus, Großstadt eben. Für den frühen Nachmittag war ein Treffen mit Reettas Kusin geplant, der in Turku lebt. Diesen Besuch absolvierte meine Frau dann mit unserem Ältesten alleine, die beiden anderen Jungs und ich erledigten ein paar Einkäufe um dann pünktlich um 16 Uhr am Marktplatz einzutreffen, von wo uns Reettas Onkel in sein Häuschen in Lieto entführte. Während einer reichhaltigen Jause gab es jede Menge Gesprächsstoff und unsere Jungs genossen am nebenbei laufenden TV-Gerät die olympischen Spiele. Sie sahen in diesen zwei Stunden Hochsprung, Hürdenlauf, Staffellauf, Kugelstoßen und Diskuswerfen, was zu einer wesentlichen Erweiterung ihres Sport-Wissensbeitrug, der sich im wesentlichen auf Fußball beschränkt hatte. Auch dieses Treffen war eine gute Gelegenheit die familiären Wurzeln Reettas (wieder) zu entdecken und sie für die Zukunft zum Wachsen und Werden zu bringen. Am Samstag dann wurde Halme von SchülerInnen meiner Gattin beehrt. Das Ehepaar hatte sich in ihrer Begleitung ein Jahr lang intensiv auf ihre Auswanderung von Österreich nach Finnland vorbereitet. Nunmehr leben die beiden seit knapp einem Monat in Tampere, von wo sie einen Tagesausflug zu uns unternahmen. Wir hatten - diesmal in Deutsch - jede Menge Gesprächsstoff und fanden mehr Gemeinsamkeiten als ich angenommen hatte. Schule und Kindergarten spielten dabei eine große Rolle und natürlich ihre Erfahrungen mit der Auswanderung und den damit verbundenen Untiefen. Das von mir zubereitete stramm finnische Mittagsmenü (Erbsensuppe und Pfannkuchen mit Schlgobers, Erdbeermarmelade, Heidelbeeren und Zimtzucker) mundete ausgezeichnet, die Esel wurden bewundert, unsere Jungs bestens integriert, so dass für alle etwas dabei war. Nach 8 Stunden brachen unsere Gäste dann wieder in ihre neue Heimat auf. Während dieses Besuches keimte bei meiner Frau und mir die schon bekannte Sehnsucht nach einem stärkeren Bezug unseres Lebens zu Finnland wieder auf. Wir sprachen noch über die eine oder andere Möglichkeit, wie und wann dies bewerkstelligt werden könnte. Vorerst aber wird es am 31. August jedenfalls wieder in unsere Wiener Wohnung gehen, um das dort auf uns wartende (Berufs-)Leben wieder aufzunehmen. Vor dieser Rückreise aber stehen zumindest noch zwei Besuche hier auf Halme am Programm. Zunächst möchte uns unsere Nachbarin mit Mann beehren und dann ist noch der "Retour-Besuch" von Reettas Onkel geplant. Dennoch sollte die nächste Woche auch wieder den einen oder anderen Freiraum für anderes bieten. Unser Mökki fordert uns auf, noch jede Menge zu tun. Working statt talking sozusagen. Es gibt Momente wie diesen, die aufgrund eines kleinen Ereignisses ein Glück in den Alltag bringen, das man so nicht erwartet hätte. Als meine Frau Reetta heute routinemäßig unseren wunderbaren roten Postkasten kontrollierte, kam sie mit einem Brief an mich zurück. Mit dem hatte ich zwar gerechnet, aber nicht schon in dieser Woche.
Die Vorgeschichte: Vor unserer Abreise nach Finnland saß ich mit einem lieben Freund im Cafe. Wir besprachen Berufliches und Persönliches und kamen auch auf Komareks Polt-Romane zu sprechen. Da war der Weg zu den Salzkammergut-Büchern desselben Autors nicht weit. Ebenso waren die Verfilmungen der Werke durch Julian Pölsler ein Thema und die ärgerliche Tatsache, dass von den Salzkammergut-Geschichten nur die ersten beiden Bände auf Zelluloid gebannt worden waren. Und auch diese gabe es - im Gegensatz zu den Polt-Verfilmungen - nicht auf DVD. Meine Nachfrage beim ORF hatte ergeben, dass man mir gerne Abzüge zur Verfügung stellen wolle, das aber zum horrenden Preis von € 90.- pro Sendungskopie. Nun las ich zufällig von der Ausstrahlung der beiden Filme auf 3sat am 3.8.2016 anlässlich des 70. Geburtstages des Hauptdarstellers Peter Simonischek. Zu dieser Zeit aber sollten wir uns schon auf unserem Mökki befinden, ein Zugriff auf den Livestream bzw. die Mediathek via finnischer IP-Adresse schien unmöglich. Also starteten Reetta und ich einen Aufruf via Facebook und E-Mail, wer denn aus unserem Bekannten- und Freundeskreis die Möglichkeit besäße, diese beiden Kunstwerke für uns aufzuzeichnen. Reetta hatte Erfolg. Eine Bekannte aus Fachhochschulzeiten programmierte die Aufnahme der Streifen sogleich auf ihrem Festplattenrecorder. Gebongt. In Finnland trieb mich das Thema weiter um und meiner gewohnten Hartnäckigkeit, vor allem wenn es um das scheinbar Unmögliche geht, verdanke ich den Versuch, es dich mit der 3sat-Mediathek zu versuchen. Überrachenderweise gelang das bei allen Sendungen, bloß bei den Spielfilmen nicht. Ich ließ nicht locker und hatte Erfolg. Der von mir vor vielen Monaten installierte Firefox-Proxy-IP-Wechsler, den ich dazu benützen wollte, unter "Vortäuschung" einer deutschen IP-Adresse den ZDF- bzw. ARTE-Livestream zu sehen - was allerdings erfolglos blieb - konnte sich hier erstmals bewähren. Ich klickte auf das vorgesehene Symbol und schon war ich mitten im Salzkammergut. Auf diese Weise konnten Reetta und ich die beiden kongenialen Verfilfmungen sofort sehen und mussten nicht darauf warten, nach Wien zurückzukehren und an die Aufzeichnung ihrer Bekannten zu kommen. Die werden wir jedenfalls dennoch in Ehren halten und immer wieder anschauen - so wie die Polt-DVDs auch. Nun endet die Geschichte des Journalisten Daniel Käfer aufgrund des Abbruchs des Film-Projektes (die Hintergründe waren für mich bis heute nicht wirklich aufklärbar, das einzige, worauf ich immer wieder stieß, war die eher dubiose Ansage, dass der 3. Teil "Narrenwinter" nicht verfilmbar wäre) filmisch gesehen also zur Halbzeit. Dem wollte ich mich nicht beugen und so habe ich antiquarisch die beiden anderen Teile (obwohl sie zuhause im Bücherregal stehen) bestellt, um unsere Abende im Garten oder auf der Veranda mit dem schon lange nicht mehr ausgeübten Ritual des Einander-Vorlesens zu bereichern. Und die Erfüllung dieses Wunsches wurde mir nun gestern zu teil. Da fand also Reetta dieses liebevoll verzierte Kuvert aus Deutschland, in dem Mara Mond mir den bei ihr über booklooker.de zum Preis von 2 Euro bestellten Narenwinter nach Finnland geschickt hatte. Ich war in diesem Moment, da ich ja wie gesagt nicht so rasch mit der Zusendung gerechnet hatte, auf's Wunderbarste begeistert. Diese Begeisterung hält auch noch an, da uns dadurch zumindest 3 wundervolle Wochenend-Leseabende geschenkt wurden. Den ersten mit rund 90 Seiten haben wir gestern schon zelebriert. Meine Freude war sogar so groß, dass ich spontan einen Zweizeiler reimte, den ich an den Schluss meiner heutigen Tagebucheintragung stellen und Mara Mond sowie allen, die Menschen auf diese Weise überraschen, widmen will: "Es fällt mit einem Mal dies Glück mir zu und schenkt mir aufgeregt die nöt'ge Ruh!" Gestern war es endlich so weit.
Um 5.15 Uhr finnischer Zeit (4.15 Uhr in Österreich) wurde das Fahrrad für unseren Ältesten frei Haus geliefert. Einer jener fahrenden Händler, die auf den Marktplätzen der Region ihre Waren feilbieten, brachte auf Vermittlung unserer Nachbarin einen passenden Drahtesel mit seinem PKW im Anhänger, auf dem noch andere Räder befestigt waren, zu nachtschlafender aber hier schon tagheller Stunde vorbei. Die vierzig Euro waren schnell gegen das Gefährt der norwegischen Marke DBS (Den Beste Sykkel - dt. das beste Fahrrad) getauscht - und dann ging's nochmals ab ins Bett. Die Firma DBS produzierte über viele Jahrzehnte seit 1892 im Familienbetrieb ehe sie 1996 Teil des Konzerns Cycleurope wurde, unter dessen Dach auch die Räder der Marken Bianchi oder Peugeot produziert werden. Brave new world. Die Tatsache, dass wir nun also alle fünf mobil waren, wollte gebührend gefeiert werden. Trotz unsicherer Wetterprognose machten wir uns knapp nach elf in Kolonne auf den Weg von unserem Mökki in die Stadt Säkylä. Dort galt es bei der Polizeistation einen neuen Pass für unseren Mittleren zu beantragen (was hierzulande etwas mehr als ein Drittel von dem kostet, was für einen finnischer Pass in Österreich zu berappen ist), Kindergewand beim Flohmarkt zu erstehen, einen Großeinkauf fürs Wochenende zu erledigen und einen Laden für fast alles namens Metka hinta (dt. netter Preis) zu besuchen. Davor wollten wir im beschaulichen Dörfchen Pyhäjoki (dt. Heiliger Fluss) zu Mittag speisen. Reetta hatta am Vortag erfahren, dass es im dortigen Dorfladen ("kyläpuoti") zu "Lounas" (dt. Mittagsmenü) Erbsensuppe und Pfannkuchen gäbe, da mussten wir also zuschlagen. Pünktlich zu High Noon fuhren wir, bereits zehn Kilometer Straße in den Beinen, vor und betraten den kleinen Laden, der zwei Räume hatte. Einen Verkaufsraum mit einem Tischchen für kaffeetrinkende und plaudernde Herren, einen Speiseraum mit den Delikatessen des Mittagsbuffets und zwei Tischreihen, an denen wiederum ausschließlich Männer dinierten. Betrieben wird diese Oase der Gemütlich- und Köstlichkeit von Mutter und Tochter. Und sie tun das mit so viel Liebe, dass es offenbar zur Sperrstunde um achtzehn Uhr notwendig ist, dass die Juniorchefin - laut eigener Aussage- hart durchgreifen muss, damit wirklich alle sich hier labenden Männer auch pünktlich raus sind. Auch wir durften uns - wie schon im Vorjahr bei unserer Säkylä-Tour herausgefunden - an diesem Mittag daran erfreuen. Um zwanzig Euro schmausten wir uns zu fünft am reichhaltigen Lounas, das neben den besagten Speisen noch folgende Komponenenten, die im Preis inbegriffen sind, bietet: Brot, Butter, Schinken, Milch, Magermilch, Buttermilch und Wasser. Die traditionelle finnische Erbsensuppe (heinekeitto) war mit Faschiertem und Zwiebel verfeinert und wurde auf Geheiß meiner Frau mit Senf aufgepeppt, so dass sie zu einer nahrhaften Hauptspeise wurde. Die Pfannkuchen (pannukakku) waren dann bloß das Dessert, aber auch sie hatten es, mit Himbeermarmelade und Schlagobers bestrichen, in sich. Mehr als eine Stunde pausierten wir dort, ehe wir die noch ausstehenden 5,5 Kilometer an unser Ziel zurücklegten. Der Weg führte an Feldern und am einen oder anderen Mökki vorbei, wir überquerten den Pyhäjoki knapp vor dessen Mündung im Pyhäjärvi (dt. Heiliger See) und fuhren über die Hevoshaantie (dt. Pferdegehegestraße) und den Pioneeritie (Pionierweg) auf die Rantatie (Strandstraße). Zu unserer Überraschung fanden wir die im Internet verzeichnete Polizeistation nicht. Auf Nachfrage erfuhr meine Frau, dass die Station aufgelassen worden war. Im Gemeindeamt gab man ihr den Rat, den Pass in Turku zu beantragen, da die nächste Poliziestation in Kokemäki zwar nur rund dreißig Kilometer entfernt aber öffentlich nicht erreichbar wäre. Schön, wenn es in Finnland offenbar keine Polizei mehr braucht; für bürokratische Vorgänge aber wäre mehr Bürgernähe sinnvoll. Nun, die Lösung dieses Problems verschoben wir auf später und kehrten in der Welt der netten Preise ein. Dort fanden wir dies und das, was uns den Aufenthalt im nun schon herbstlichen Norden angehmer machen sollte, u.a. norwegische Schafswollsocken. Vor dem Kaufhaus beobachteten wir vor der Weiterfahrt eine Bachstelze, die ihr Nachmittagsbad in einer Wasserlacke zelebrierte, die sich vom letzten Regenschauer in einem der dort zum Verkauf stehenden Ruderboote gebildet hatte. Währenddessen fand unsere in Helsinki second-hand erworbene Tandemstange, die das Jopo-Fahrrad meiner Frau mit dem Tunturi-Drahtesel unseres Jüngsten verbindet, die nächsten Bewunderer. Nachdem um sechzehn Uhr ein Treffen mit der "Flohmarkt-Dame" wegen des Kindergewandes anstand, sputeten wir uns zum Supermarkt. Dort verloren wir uns in den vielen Gängen, fanden aber innerhalb einer knappen Stunde alles, was wir suchten. In der Zwischenzeit hatte sich der Himmel vollends verdunkelt und bei unserem Aufbruch gegen 17 Uhr fuhren wir dem Regen direkt entgegen. Dennoch wollten die Munkkis (Krapfen) bzw. die Korvapuustis (Zimtschnecken) dringend verzehrt werden und so machten wir beim Dorfladen in Pyhäjoki eine Kaffeepause. Gut, dass wir uns noch gestärkt hatten, denn kutrze Zeit später frischte heftiger Wind auf, gefolgt von ebensolchem Regen, die uns auf den letzten zehn Fahrkilometern heim zu unserem Mökki nicht mehr von der Pelle rückten. Alle gaben ihre letzten Kräfte und ihr bestes. Was für ein Segen, wenn man an solchen Tagen eine Sauna wie unsere besitzt. Eine knappe Stunde nach der Ankunft wärmte sie, von Reetta auf optimale 80 Grad Betriebtemperatur gebracht, unsere erschöpften und durchnässten Knochen, während in der Stube der von mir entfachte Herd das seine tat, um unsere trotze Regenschutzes nassen Schuhe und Gewänder zu trocknen. Nach einem von mir vorbereiteten ausgezeichneten Abendessen - der Regen war in der Zwischenzeit strahlendem Sonnenschein gewichen - fielen alle müde ins Bett. Die Lesezeit unserer jungen Leute fiel kürzer aus als üblich. Auch Reetta und ich suchten unsere Kissen bereits eine knappe Stunde früher als sonst auf. Diese 31 Kilometer hatten es in sich - wir werden sie spätestens an unserem 6. Hochzeitstag am kommenden Donnerstag wiederholen. Mit einem hervorragende Mittagsmahl im Kyläpuoti in Pyhäjoki. Bin schon gespannt, was uns die Damen beim nächsten Ma(h)l kredenzen! Dieses Zitat verdanke ich Ludwig Hirsch in seiner Rolle als wein-unglücklicher Lehrer Franz Fürst in der genialen Verfilmung des Alfred-Komarek-Romans "Himmel, Polt und Hölle" von Julian Pölsler, den ich knapp vor meiner Abreise wie jeden Sommer mit Reetta auf DVD guckte. Es ist so passend an einem Tag wie diesem, an dem nicht nur das Wetter hier in unserem Sommerhäuschen gekippt ist, sondern mich auch die eine oder andere "herbstliche" Botschaft aus der Heimat und meiner Wahlheimat erreicht haben.
Seit heute morgen herrscht steifer Nordwind, der die knapp 17 Grad Celsius um einiges kühler gestaltet als mir lieb ist. Gut gegen Nordwind ist zweierlei: den Herdofen in der Stube heizen und darauf auch gleich Gemüse-Risotto kochen und abends in die Sauna gehen. Was für ein Glück, dass ich nicht das umgekehrte Problem habe, nämlich vor tropischen Temperaturen fliehen zu müssen. Ja, wohin eigentlich? Ins Kühlhaus? Zu dieser Stunde, da ich diesen Tagebucheintrag verfasse, habe ich mich - nach einigen intensiven Saunagängen, bereits mit dem herrschenden Wetter, das von Dauer zu sein verspricht, arrangiert, also akklimatisiert. Viel mehr zu schaffen machen mir da das eine oder andere E-Mail, das den altbekannten Druck meines Wiener Daseins an mein Feriendomizil spült, womit sich die alte Wahrheit bestätigt, dass man vor nichts wirklich davon laufen kann, schon gar nicht vor sich selbst. Es gilt also die nächsten drei Wochen in der Ferne dazu zu nützen, den eigenen Blick auf's Leben zu verändern, womit sich Lösungen auftun und das Leben gelebt werden kann wie es will. Auch habe ich den Fehler gemacht, mir die Pressekonferenz nach der Generaldirektoren-Wahl des ORF im Livestream anzuschauen. Ich war entsetzt, aber das hätte ich ja eigentlich erwarten können. Wie schön, dass das Bundesverwaltungsgericht gerade in letzter Instanz entschieden hat, dass ich keine GIS-Gebühren zahlen muss - zumindest für's Fernsehen -, weil ich in unserem Haushalt nur über Livetsream via PC fernschaue. Was für ein Glück. Ich brauche aber gar nicht so fern zu schauen: die "Wahren Finnen", jene rechtspopulistische, nationalistische "Heimatpartei" des Landes im Norden, die derzeit nicht nur mitregiert sondern mit ihrem Vorsitzenden Timo Soini den Außenminister stellt, diskutiert derzeit über "Säuberungen" in der Beamtenschaft und in den Medien. Ein unsägliches Wort, das da neuerdings aus der Türkei über Europa schwappt und alles so grausam verharmlost, was nichts anderes als Massenvernichtung Andersdenkender mit dem Ziel der Gleichschaltung und Verabsolutierung der eigenen Macht hin zur Diktatur ist. Genug bedacht. Der kühle Abend will an der Seite meiner Liebsten und dem einen oder anderen Bier draußen im windigen Garten gelebt werden. Das Leben ist so und so. Und ich will ja meine Perspektive ändern, um diesen Herausforderungen im Kleinen wie im Großen gerecht zu werden. Da darf es schon mal Herbst sein mitten im Sommer. Es ist schließlich mein Leben - und wie ich es betrachte, kann mir keiner nehmen! Durchschnaufen.
Verdauen der Erlebnisse der vergangenen Wochen, vor allem der letzten. In Wien war ich vor unserer Abreise mit so vielem beschäftigt, hier in Finnland bin ich es auch, aber mit anderem. Schreiben passiert hier - noch hauptsächlich - im Kopf. Oder um es treffender auszudrücken: Aufzeichnen. Ich habe also viel aufgezeichnet - viel zu viel, um es in der mir möglichen Zeit zu Papier zu bringen. Heute verschaffe ich mir hier einen ersten Überblick: Am Vortag unserer Reise nach Halme war ich neben dem Packen mit diversen Buchungen beschäftigt: 1 Gepäckstück zum Flugticket zubuchen, Online-Check-in mit Boarding-Pass-Druck (was nicht ohne Chat mit Iiris abging, da es dabei andauernd hakte), die Onnibus-Fahrt (der - was für ein schönes Wortspiel - auf Deutsch "Glücksbus" heißt) von Helsinki nach Turku bestellen, die Bustickets mit Satakunnan Likenne von dort zu unserem Reiseziel. Letztere versuchen im Wettstreit mit den Billigbietern bei Fernbussen so mitzuhalten, dass sie ebenfalls Billigtickets anbieten, allerdings bloß 2 pro buchender Person. Für eine 5-Personen-Gruppe ist dies eindeutig nicht attraktiv. In unserem Fall aber gibt es auf dieser Strecke keine Alternative. Am nächsten Tag ging es also zu fünft mit drei Kinderrucksäcken, zwei Handgepäckstrolleys, einem Koffer und zwei Laptops in den entsprechenden Taschen Schritt für Schritt in das Land meiner Frau: mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, mit dem Railjet zum Flughafen (dafür buchte ich übrigens am Tag vorher auch noch die Tickets), dann zur Gepäckaufgabe, der Sicherheitskontrolle und zum Gate. Dort stand der Flieger bereit; überraschenderweise keiner von Finnair sondern einer von Air Berlin. Da ich als leidenschaftlicher Journalist das Recherchieren nicht lassen kann, suchte ich Spuren zu dieser Ungewöhnlichkeit, die ich sogar als österreichischer Wahl-Finne als Ungeheuerlichkeit empfand. Ich fand sie - ohne fragen zu müssen - auf unseren E-Tickets. "Finnair operated by Air Berlin" stand dort zu lesen. Was das bedeutete, enfaltete sich erst im verlauf des Fluges. Beim Einsteigen in das Flugzeug wurden wir jedenfalls von einer finnischen Stewardessenriege mit dem wohlbekannten "hei hei" bzw. "Moi" begrüßt. Beruhigt nahmen wir Platz. Die Frage, die für mich offen blieb, war: Fliegen nun Finnair-Piloten mit dem deutschen Flieger? Als wir über Krakau waren meldete sich der erste Offizier auf Englisch. Damit war klar: Dass ist eine deutsche Cockpit-Crew. Bei Finnair meldet sich in der Regel der Pilot und spricht zuerst auf Finnisch, dann auf Schwedisch und letztlich auf Englisch. Dieser vom Piloten beauftragte Offizier (Frage meines Sohnes: Ist das der Copilot?) stellte den Piloten und sich vor, dann wünschte er eine gute Reise. Das war's. Bis zum Ende keine Meldung mehr. Jetzt ahnte ich, was sich hinter dem etwas angespannten Gesichtsausdruck der finnischen Bord-Crew möglicherweise auch verbarg: ihre nicht freiwillig gewählte Diaspora in einem Air-Berlin-Airbus 320 auf einem Finnairflug. Spätestens bei der Landung in Helsinki hätte ich ohnehin gewusst, dass der Pilot anders gestrickt war als üblich. Eine derartige Vollbremsung auf dem Flugfeld der finnischen Hauptstadt habe ich noch nicht erlebt. In Helsinki durften wir die Wohnung von Freunden nutzen, die über's Wochenende auf ihrem Mökki waren. Das taten wir intensiv bis hin zum Brandalarm aufgrund eines rauchenden, weil verunreinigten Backofens. Eingeladen waren wir bei alten Freuden von Reettas Eltern, wir besuchten Suomenlinna und hatten tolles, echt finnisches Sommerwetter mit 23 Grad Celsius und Wolken, aus denen jederzeit ein Regenschauer niedergehen konnte. Welch Wohltat nach der Hitze Wiens und nach den letzten beiden Sommern hier in Finnland, die Indian Summers waren, in denen es auch am Land tropische Nächte und Tageshöchstwerte um die 30 und mehr gegeben hatte. Im Onnibus nach Turku regnete es dann. Es war eine angenehme Fahrt mit vielen Eindrücken der vorbeirauschenden Landschaft und WLAN sowie Steckdosen unter jedem Sitz. Nach einem kurzen Aufenthalt, den wir für Lebensmitteleinkäufe nutzten, ging es weiter ans Ziel. In diesem Bus fiel mir auf, dass er für jeden Platz einen USB-Anschluss bot, an denen die jugendlichen MitfahrerInnen sofort ihre Handys anschlossen. Sie hingen damit quasi am Tropf des World Wide Webs oder von was auch immer sonst. Das letzte Stück von der Busstation zum Mökki fuhr uns Nachbar Janne. Einem gemütlichen Ankommen stand nichts im Wege. Alles beim alten hier. Unser erster Radausflug führte uns dann am Dienstag nachmittags in das 7 Kilometer entfernte Städtchen, in dem der hiesige Supermarkt liegt. Am Vormittag hatten Reetta und ich im Schweiße unserer Angesichte ihr Jopo-Rad und das Tunturi-Fahrrad unseres Jüngsten mit einer in Helsinki via tori.fi (das finnische "Willhaben") erworbenen Tandemstange verbunden. Trotz einiger notwendiger kreativer Lösungen funktionierte das ganze einwandfrei und wir konnten unsere Bestzeit für die Strecke sogar halten. Auch die Sauna tat bisher schon zweimal ihr bestes - und ich mutiere zum Oberheizer, nicht nur dort, sondern auch im Haus, das mit Herd und zwei Öfen ausgestattet ist, die auch im Sommer ihrer Bestimmung nachkommen wollen, um die letzte Feuchtigkeit des Winters aus dem Mökki zu treiben. Wir sind also da - und jedeR von uns ist noch viel mehr auf sich selbst und den anderen angewiesen als in Wien. Das entfaltet kathartische Wirkung mit höchster Gruppendynamik. Die schon oben genannten Saunagänge tun ihr übriges. Fegefeuer light sozusagen - obwohl ich selbst das schon als ziemlich heavy empfinde. |
Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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