Mit ein bisschen Verspätung habe ich gestern abend mit meiner Frau den Tatort vom Montag angeschaut. Die Verzögerung erklärt sich auch mit meiner Skepsis der Hauptdarstellerin und dem Plot gegenüber. Zwei Rezensionen - eine von einer Facebook-Freundin und eine von einem deutschen TV-Kritiker - später habe ich mich dann doch für das Nachschauen entschieden. Ich habe es nicht bereut. Ich war sogar mehr als angetan und konnte sogar die von den Rezensenten vorgebrachten Kritikpunkte relativieren. Das, was diesbezüglich übrigblieb war bloß das Gefühl, dass die Geschichte zu groß für das Format "Tatort" war. Die vielen Handlungsstränge, die vielen Themen, die ganz entschiedene Sozialkritik sind normalerweise nichts für den Sonntag-Hauptabend, an dem man vor Wochenbeginn mit einer guten Portion Sex and Crime abgespeist werden will.
In der Handlung zeigten sich das Leben und eine verkehrte Welt. Das Leben ist nun mal nicht so glatt und strukturiert, wie wir es im Film gerne sehen. Es istr komplex. Das durfte die von Heike Makatsch - deren Spiel mir ausgesprochen gut gefiel - dargestellte Hauptkommisarin erleben: als Tochter, als Mutter und neuerlich werdende Mutter, als Ex-BKA-Mitarbeiterin, und als Frau, die ihre Empathie trotz dieser Welt noch nicht verloren hat. Diese Welt tickt nämlich völlig verkehrt rum, was allerdings nicht gottgegeben - wie uns so gerne weis gemacht wird - sondern vielmehr menschengemacht ist. Eine Welt, die sich so anfühlt, gibt keine Perspektiven und nährt aus der daraus resultierenden Hoffnungslosigkeit Aggression und Gewalt in all ihren Nuancen, sowohl gegen andere als auch gegen sich selbst. Auch IS-Kämpfer werden durch diese Tatsachen geformt. Der im Streifen pointiert präsentierte soziale Abstieg durch Lebensumstände und gesellschaftliche Zwangsmaßnahmen, der quer durch alle Schichten läuft, weil er systemimmanent ist, erzeugt ein Klima der dauerhaften Existenzangst. Was ist das für ein Leben, wenn die Furcht es Tag für Tag durchflutet? Was ist das für ein Leben, das man nur dann wirklich leben darf, wenn man mit Macht und Geld ausgestattet ist? Der Kapitalismus hat uns nach den Jahren des Aufstiegs und der Hochkonjunktur in einer noch größeren Misere zurückgelassen. Der Kampf der mutmaßlich Mächtigen um ihr weiteres Wohlergehen verheert alles, was sich einst Mittelschicht nannte. Es gibt nur noch die Ränder der Gesellschaft, einen kleinen oben und einen großen und immer noch wachsenden unten. Nichts fruchtete der Einsatz der Kommissarin für die Betroffenen, wie auch. Immerhin gelang es ihr, in ihrem eigenen Leben eine zukunftsträchtige Basis zu schaffen. Das ist - so auch meine Sichtweise - die einzige Chance, den eigenen Ängsten zu begegnen und dem Leben Sinn zu verleihen. Diese heutigen Veränderungen im Kleinen sind die morgigen Veränderungen im Großen. Das war schon immer so. Das wird immer so sein. Und das ist meine große Hoffnung.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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