Es ist wieder eine Woche ins Land gezogen und unsere Welt gleitet meinem Empfinden nach durch die politische Krise des guten alten Europa zunemehmend in die längst vergangen geglaubten Zeiten der Barbarei. Diese gab es ja schon zuhauf, sie werden gerade reanimiert und Bruno Kreiskys Hinweis, man möge doch Geschichte lernen, verhallt einmal mehr ungehört im Orbit.
Dass der Wiener Erzbischof und Kardinal Schönborn - anders als einer seiner Vorgänger - nicht unbedingt ein Kreiskyfan ist, davon darf man ausgehen. Wenn er in der sonntäglichen ORF-Pressestunde dann auch Verständnis für die Österreichische Bundesregierung und die von ihr initiierte Schließung der Balkanroute hat, dann hat sich zu seinen tauben Ohren auch ein taubes Herz dazugesellt. Er sagte: "Dass Österreich dann mit den Balkanländern gesagt hat, machen wir einen Alleingang - schön ist das nicht, ich kann es aber bis zu einem gewissen Grad verstehen. Das darf aber sicher nicht das letzte Wort sein“. So schön windet sich sonst nur ein Regenwurm. Doch schön find ich die Windungen des Herrn Kardinal nicht. Vielleicht ist es ja nicht sein letztes Wort und irgendein Bild eines sterbenden Kindes in Idomeni kann auch sein verhärtetes, barbarisches Herz wieder öffnen. Möge Gott ihm klare Worte und starke Taten schenken. Oder ist auch er längst gottverlassen, so wie die Kirche in den Tagen des Nationalsozialismus? Die österreichische Bundesregierung will Österreich wieder einmal in den Mittelpunkt des Weltgeschehens stellen, zu lange schon mussten wir im Eckerl schmollen und den Deutschen den Vortritt lassen. Die Minister Mikl-Leitner und Kurz sowie ihr siamesischer Drilling Verteidigungsminister Doskozil treiben mit ihren Plänen - Schließung weiterer Grenzübergänge sowie der Italien-Mittelmeer-Route und Aufstockung des Bundesheeres zum Gernzschutz - selbst die SPÖ ins rechte Eck. Auf den Weg dorthin hat sie sich vor einiger Zeit allerdings schon freiwillig gemacht, die derzeitigen Maßnahmen beschleunigen diesen Weg allerdings. Welchem Verantwortungsträger können wir denn in Österreich eine menschliche Lösung zutrauen? Ich sehe keinen, der das Format hätte, leider auch keine, die ihre weiblichen Qualitäten dafür einsetzen würde. So kann in Wels der gestrige FPÖ-Bürgermeister - immerhin unter Protest - das Absingen eindeutiger Lieder im Kindergarten im Rahmen des von ihm präsentierten Wertekodex für Kindergartenkinder bzw. deren Eltern fordern, das Land Niederösterreich in Flüchtlingsfragen volle Härte zeigen, was sich nicht nur auf die finanzielle Situation der Asylwerber sondern zunehemend auch auf die freiwilligen HelferInnen auswirkt - wie mir unser Nachbar, der für den Flüchtlingsdienst der Diakonie arbeitet, bei einem Kaffeeplausch erzählte, sondern auch das Team Stronach eine Aktion vor dem Parlament durchführen, bei der die Sicherheit der Frauen durch Verteilung von Pfefferspray erhöht werden sollte. Der Andrang war offenbar über die Maßen groß - und Klubobmann Robert Lugar musste sich gegen aufgebrachte Damen wehren, weil er nicht genug von den Spraydosen in petto hatte. Lugar zog sich aus der Affäre, in dem die umgehende Zusendung der Waffen per Post ankündigte! Die EU-Verantwortlichen lässen sich indes weiterhin von der türkischen Regierung erpressen, da wird mit keiner Wimper gezuckt, wenn der türkische Präsident Erdogan offen die Legitimität des Verfassungsgerichtshofes in Frage stellt und ein ihm nicht genehmes Urteil als Gefährung der Staatsinteressen darstellt. Das Gericht ordnete nämlich die sofortige Freilassung zweier "regimekritischer" Journalistinnen an. Apropos JournalistInnen: Auf den Nachdenkseiten finde ich mich in meiner Wahrnehmung des Journalismus unserer Tage bestätigt. Die einen skandieren in althergebrachter Weise "Lügenpresse" und man scheut sich glücklicherweise, in ihre Propaganda einzustimmen, da sie aus eindeutiger Ecke kommt. Und dennoch hat man auch als völlig Andersdenkender zunehmend das Gefühl, dass da etwas im Argen liegt, nicht nur in der Journaille unserer Tage, sondern im Medienbereich insgesamt. Das auf der kritischen Website geführte Interview mit Uwe Krüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Journalistik an der Universität Leipzig, gibt einen Einblick in das Dilemma, dem sich Journalisten unserer Tage ausgesetzt sehen. Schade darum, dass eine Stimme gegen diese fortschreitende Erbarmungslosigkeit für immer verstummt ist. Nikolaus Harnoncourt, der sich im Dezember aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, ist am vergangenen Sonntag im Kreis seiner Familie verstorben. Er war nicht nur durch die von ihm geforderten originellen Original-Interpretationen der von ihm inszenierten und dirigierten Musikstücke und Opern, ein Leuchtturm im aufgewühlten Meer eines neuerlich sterbenden Kontinents. Er hat durch seine klaren und scharfen Worte der grassierenden und dabei wachsenden Barbarei Einhalt gebieten wollen. Auch sein Ruf blieb unerhört und ob er als sein Vermächtnis doch noch in die Herzen der Menschen dringt mehr als zweifelhaft. Oder wie sagte einer zum anderen auf einer Fahrt in der U-Bahn am vergangenen Mittwoch: "Ah, der Harnoncourt, ist der auch schon gestorben?" Dass Diego Costa von FC Chelsea im englischen FA-Cup-Viertelfinale zubeisst wie einst Luis Suarez zeigt, dass die Barbarei auch vor dem als völkerverbindend gepriesenen Fußball nicht Halt macht. Wen wundert's da, dass auch unser ganz persönliches Leben ins Schlingern gerät und die Psychopathen, denen meine Frau und ich in der Vergangenheit einen Teil unserer Lebens opferten wieder Oberwasser erhalten und mit ihren grinsenden Fratzen Schatten auf unsere Gegenwart zu werfen versuchen. Immerhin haben wir gelernt, sie zu erkennen. Ihnen die Macht zu nehmen, bräuchte laut ExpertInnen eine ähnliche Vorgangsweise wie sie selber wählen. Wir arbeiten dennoch an anderen Strategien, weil wir nämlich nicht zu den Barbaren gehören wollen, die zwar die Welt regieren sie aber damit gleichzeitig auch vernichten.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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