"Wir verurteilen infolgedessen den Haller zur Strafe des ewigen Lebens und zum zwölfstündigen Entzug der Eintrittsbewilligung in unser Theater. Auch kann dem Angeklagten die Strafe des einmaligen Ausgelachtwerdens nicht erlassen werden." Als ich meine Frau vor 5 Jahren im Cafe Weidinger in Wien bei einem Zusammentreffen einer Initiativ-Gruppe für Arigona Zogaj kennenlernte, hatte ich gerade zum x-ten Mal Hesses Steppenwolf zu lesen begonnen. Bis dahin war es mir noch nie gelungen, das Buch zu Ende zu lesen. Das sollte diesmal anders sein.
Mein ganzes Leben stand damals kurz vor dem Umbruch, ich hatte drei Exit-Strategien entwickelt; eine neue Beziehung gehörte nicht dazu. Aber an jenem 18.1.2010 begann genau das, was ich - aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen - um jeden Preis zu vermeiden versuchte. Es dauerte zwar noch eine ganze weitere Nacht (im Cafe Carina) und einen Tag lang, aber dann wurde ich endgültig zum Leben verurteilt. Und der Steppenwolf wurde in den Wochen danach zur ersten Lektüre, die wir einander vorlasen, die wir besprachen und über die wir philosophierten. Viele weitere Bücher sollten folgen und das Lesen und (darüber) schreiben auch zur Grundlage unserer Berufe werden. Wer hätte das damals gedacht? Diese fünf Jahre seither waren so intensiv vom Leben in allen Dimensionen geprägt wie all die Jahre davor nicht. Ich habe vorher noch nie so gelebt, die Tiefen erfahren und die Höhen erklommen. Noch nie vorher habe ich erfahren, dass auch Glück ertragen werden kann. Hesse legt Mozart diese Worte in den Mund: "Sie sollen lachen lernen, das wird von Ihnen verlangt. Sie sollen den Humor des Lebens, den Galgenhumor dieses Lebens erfassen ...Als ob es nicht schon genug Unglück wäre, was Sie angerichtet haben! Aber mit der Pathetik und den Totschlägen soll es nun ein Ende haben. Nehmen Sie endlich Vernunft an! Sie aollen Leben und Sie sollen das Lachen lernen. Sie sollen die verfluchte Radiomusik des Lebens anhören lernen, sollen den Geist hinter ihr verehren, sollen über den Klimbim in ihr lachen lernen. Fertig, mehr wird von Ihnen nicht verlangt." Und weil Hesse den Steppenwolf Harry Haller alles sagen lässt, was dazu zu sagen ist, lasse ich ihn nochmal sprechen: "Oh, ich begriff alles, ... begriff Mozart, ... wußte alle hunderttausend Figuren des Lebensspieles in meiner Tasche, ahnte erschüttert den Sinn, war gewillt das Spiel nochmals zu beginnen, seine Qualen nochmals zu kosten, vor seinem Unsinn nochmals zu schaudern, die Hölle meines Inneren nochmals und noch oft zu durchwandern. Einmal würde ich das Figurenspiel besser spielen. Einmal würde ich das Lachen lernen. ... Mozart wartete auf mich." Spannend, dass die Aufschrift auf meiner Trainer-Mappe in der VHS Harald Karjalainen-Dräger lautet. Der Rest ist Schweigen ... Leben.
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Viel Gerede. Viele Theorien,die da derzeit durch die Welt geistern.
Dahinter: noch mehr Angst. Angst will Sicherheit, um Angst los zu werden. Angstlos. Sicherheit fordert ein Sich-Größer-Machen. Aufrüstung. So passiert in diesen Tagen. In Frankreich und Belgien wurde schon die Armee mobil gemacht, um sich sicherer zu fühlen, um die Angst zu bekämpfen, um dem Terror den Garaus zu machen. Terror gegen den Terror also. Terror für die Angstlosigkeit! Terror für den Frieden! Die Spirale des Terrors hat begonnen, sie führt zu mehr Angst. Die Antwort auf mehr Angst, die unsere Verantwortlichen gefunden haben, bedeutet noch mehr Terror. Einander ans Bein pinkeln, bis sich einer der beiden so in die Hosen pinkelt, dass er beschämt und gedemütigt aufgibt. Er. Nicht sie. Männlich ist dieses Rezept. Deren Weg. Ein Ausweg? Schön für die Angstmacher, dass alle mitmachen. Die einen verbreiten Angst und Schrecken. Die anderen antworten mit Angst und Schrecken. Alle leben in Angst und Schrecken. Die einen streben nach der Weltherrschaft, die anderen wollen sich ihre Weltherrschaft nicht nehmen lassen. Es geht beiden wohl nicht ums Regieren für diese Welt und die Menschen. Macht ist das Ziel. Macht über die Menschen. Die Mittel sind vielfältig: legal und illegal, legitim und illegitim. Angst ist immer im Spiel. Sie ist der wahre Weltenherrscher. So lange, bis ich meine individuelle Angst frage, was sie mir sagen will. Sie dankbar umarme, wenn ich ihre Antwort gehört habe. Wenn ich meine Angst, meine Ängste kenne und lieben lerne wie gute FreundInnen, hab ich eine Chacne aus dem Kreislauf des Terrors auszubrechen. Ich habe die Möglichkeit andereDie Angst als Vervündte Antworten zu finden. Stelle sich einer vor, alle Menschen wären dem Terror der Angst zum Opfer gefallen, wer hätte dann gewonnen? Die Angstmacher aller Seiten haben das Ziel, die Ängste der Menschen zu bedienen und nicht die ganze Welt zu beherrschen oder auszurotten. Angst gibt den Angstmachern unendlich viel Macht über die Ängstlichen. Die Angst als Verbündete und nicht als Gegner. Das Sicherheitsbedürfnis als Todfeind, weil es Leben erstarren lässt. Leben ist lebensgefährlich! Also leben wir einfach! Einfach? Ja, einfach! Ein Rezept? Eine Woche voller Leben; nicht mehr vom Gleichen, mehr vom Neuen.
DAS ist ein gutes Zeichen. Auch habe ich neue Erkenntnisse gewonnen. DAS ist ein noch besseres Zeichen. Auch habe ich bei so manchem Drahtseilakt immer das Gefühl gehabt, dass ich nur knapp über dem Boden durch's Leben balanciere. DAS ist das beste Zeichen. Weil wirkliches Leben immer Wagnis ist, lohnt es sich das Leben zu wagen und dadurch Stärke zu gewinnnen. Weil wirkliches Leben immer nur von dir gelebt werden kann, lohnt es sich, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Weil wirkliches Lebens immer auch mit Angst verbunden ist, lohnt es sich die Angst zu fragen, was sie zu sagen hat und sie dann dankbar zu umarmen. Weil wirkliches Leben immer glücken will, lohnt es sich das Glück zu ertragen das durch harte Arbeit und Vertrauen entsteht. Es gibt kein wirkliches Leben im virtuellen. Lebe wirklich, im HIER und JETZT. GANZ. Mit ihrem heutigen DenkMal hat mich Angelika Aliti nach-denk-lich gemacht. Angesichts ihrer Worte, dass "unsere Welt verliebt ist in den gewaltsamen Tod, der öffentlich zelebriert wird, während der natürliche am Ende eines gelebten Lebens, der alle hinüberträgt, versteckt wird, als sei er obszön" habe ich über meine Beziehung zum Tod sinniert.
Meiner Wahrnehmung nach können wir in diesen öffentlich zelebrierten Tod (gewaltsam oder nicht, Udo Jürgens oder Paris-Attentat) unsere eigenen Todesängste hineinprojezieren, um uns genau damit nicht beschäftigen zu müssen. Es ist um sovieles einfacher, den anderen beim Leben oder eben beim Sterben zuzuschauen und zu denken: "Gut, dass ich es besser habe" oder "Gut, dass es mich noch nicht trifft". Dieses Verschieben auf einen späteren Zeitpunkt hat aber einen gehörigen Haken, weil es uns von dem entfremdet, was zum Leben dazugehört und damit vom Leben selbst. Wer den Tod nicht als unausweichlichen und notwendigen Bestandteil des Daseins begreift wird ein/e Fremde/r in der eigenen Existenz bleiben. Es ist doch das schöne in diesem Leben, dass es Anfänge gibt und Enden, ohne die diese Anfänge nicht möglich wären. "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", schreibt Hermann Hesse und wir denken wohl eher an den wunderbaren Beginn einer Beziehung, eines neuen Berufes oder was auch immer. Das mit dem Tod auch etwas Neues beginnen könnte, wagen wir zu bezweifeln, da wir sehr in unserer linearen Vorstellung von Zeit gefangen sind. Eine Vorstellung, die uns zwar Struktur und Halt gibt in einer sonst möglicherweise als konfus erlebten Realität. Aber nehmen wir uns damit nicht die Chance auf ein wirklich geglücktes Leben? Was, wenn das Tohuwabohu des Anfangs, von dem uns die Bibel erzählt, der kreative Urzustand also, die wirkliche Wirklichkeit wäre, in die wir (und die Mythen des Buches der Bücher) durch die "Bestellung" eines Gottes Ordnung zu bringen versuchen? Was wenn das Leben in Zyklen verläuft, die in Form immerwährender Bewegung weiterführen? Die Beschäftigung mit der von uns durch den Tod empfundenen eigenen Endlichkeit lohnt sich, denn nur so können wir unsere Angst davor überwinden und die Natürlichkeit dieses letzten Ereignisses unseres Lebens erkennen und anerkennen. Wirklich glücklich sind die, die frei sind von dieser Todesangst! All jene haben ein anderes Leben, weil Tod für sie dazugehört, ob als Ende oder als Durchgang zu etwas ganz Neuem. Die letzten beiden Abende haben meine Frau und ich uns dem Nahostkonflikt in der Darstellung von Peter Kosminsky gewidmet. ARTE wiederholte seinen Vierteiler "Gelobtes Land" am 31.12.2014, er ist daher gerade noch heute bis 0 Uhr in der Mediathek des Senders zu sehen. Ein Ansehen lohnt sich, auch wenn es schwerer Toback ist, der hier geboten wird.
In der Rezension (SZ, Der Standard, Jüdische Allgemeine) und auch in den Kommetaren zum Film auf der ARTE-Homepage wurden dem Film Israel-Bashing und Antisemitismus vorgeworfen. Andere wiederum waren voll des Lobes für die Darstellung und die Darsteller. Ich ringe mit den Worten, die ich über diesen Film und zu diesem Thema sagen will. Allein diese Tatsache beschreibt wie schwer es ist, der Wirklichkeit gerecht zu werden, da du mit jedem Wort eine Wunde aufreißen oder von einer Seite vereinnahmt werden kannst. So ergeht es ja auch den Hauptfiguren, dem Seargent Len Matthews in den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und seiner Enkeltochter Erin, die sich rund 60 Jahre später mit Hilfe eines Tagesbuches auf die Spuren ihres Großvaters begibt. Der Film findet keine Lösung, das ist nicht sein Anliegen. Aus meiner Wahrnehmung liegt der Schwerpunkt seiner Handlung auf dem Blick auf Israel und sein Handeln in der Vergangenheit und Gegenwart. Das mag auch der Blick des Regisseurs sein, der selbst jüdischer Herkunft ist und dem Tun Israels kritisch gegenübersteht. Jede Relativierung der Legitimation des israelischen Handelns den Palästinensern gegenüber ist aber eine höchst diffizile Angelegenheit. Hier verquicken sich religiöse und politische Dimensionen und das tut einer sachlichen Auseinandersetzung nicht gut, ja macht sie beinahe unmöglich. Ein Urteil möchte ich mir auch nach dem Film nicht anmessen, eine Parteinahme für die eine oder andere Seite auch nicht. Vielmehr stehe ich weiterhin auf der Seite all jener, die sich um einen wirklichen Frieden in der Region bemühen, die ihre Hoffnungen noch nicht aufgegeben haben und die immer noch an die Möglichkeit einer Lösung des Konfliktes im unsäglich gelobten Land glauben. Mit Radikalismen, egal von welcher Seite, wird weder im Kleinen (in der Familie, in der Partnerschaft, im Geschäftsleben) noch im Großen (im Konflikt zwischen Volksgruppen, Ländern, etc.) ein brauchbares Ergebnis für einen dauerhaften Frieden herauskommen. Das ist das Paradoxon des Ganzen und gleichzeitig seine Tragik: das jede beteiligte Gruppe den Anspruch auf das gleiche Land legitimieren kann, was die Situation noch zusätzlich verschärft. Eine Win-Win-Situation herbeizuführen, wie es in der Meditation heißt, ist nur bei Bereitschaft aller Beteiligten zur Konfliktlösung möglich. Gleichzeitig gibt es eine Eskalationsstufe von Auseinandersetzungen, ab der eine Bereinigung nicht mehr möglich ist. Zudem handelt es sich aus meiner Sicht um zwei höchst traumatisierte Streitparteien, die, wenn sie Einzelne wären, dringend eine Therapie in Anspruch nehmen müssten, um zu sich selbst zu kommen. Auf dieser Basis könnten dann neuerliche Konfliktbearbeitungsbemühungen einsetzen. Für mich jedenfalls ist der Film ein Auftrag, in meinem eigenen kleinen Leben drauf zu achten, dass ich psychisch gesund werde und bleibe und somit Konflikte ihre konstruktiven Kräfte entfalten können, bevor sie in eine Destruktivität münden, die alle Beteiligten restlos zerstört. Warum haben mich manche Sätze aus dem Roman "Der Turm" so eigenartig berührt? Warum hat mich so manche Szenerie in das Innerste meines Lebens katapultiert?
Nachdenklich haben mich die Darstellungen von Uwe Tellkamp zurückgelassen - und da ich das Buch in die Uni-Bibliothek zurückbringen musste, stehe ich in so mancher Minute ein wenig verlassen da. Ich kann nicht nachlesen, ich kann nicht nachsinnen. Ich verwickle mich höchstens in das eine oder andere Netz, das der Autor ausgespannt hat - oder besser gesagt das System, das er in seinem Roman beschreibt. Tatsache ist, dass ich im Spiegel der Ereignisse meiner inneren DDR begegnet bin, den Zwängen, denen ich ausgesetzt war und bin und eben jenen, denen ich mich selbst ausgesetzt habe, die ich immer noch zulasse. Jan Josef Liefers hat in einem Interview zur Verfilmung des Romans vom "Versuch des richtigen Lebens im falschen" gesprochen, das letztlich scheitern muss. Ja, auch da finde ich mich wieder. Es geht wohl darum, die eigene, authentische und damit richtige Existenz zu finden - und dies auch mit aller Konsequenz zu leben Im Herzen weiß ich darum, doch persönliche Geschichte und Verstand wollen mich eines beseren belehren, be-zwei-feln diesen Lebensentwurf und lassen mich von Zeit zu Zeit tief ver-zwei-feln. Im Schicksal der anderen begegne ich mir selbst, dort wo es mich mitreißt, habe ich ein Stück meines verborgenen oder verdrängten Charakters entdeckt. Diesen Spuren möchte ich folgen, in der Hoffnung, dass mich meine inneren Dämonen nicht davon abhalten und ich mich ihnen nicht auf Dauer beuge, dass ich mein "Wir sind das Volk" bald finde, mein Mauerfall ein dauerhafter und die Wiedervereinigung mit meiner Bestimmung eine erfolgreiche sein möge. Viel Pathos. Ja. Aber so sind auch Tellkamps Worte, wie eben jener Schlusssatz, der mich tief bewegt hat: "... aber dann auf einmal ... schlugen die Uhren, schlugen den 9. November, ‚Deutschland einig Vaterland‘, schlugen ans Brandenburger Tor:" Dieser endet mit einem Doppelpunkt, was laut Rezension in der FAZ darauf hinweist, dass die LeserInnen nunmehr ihre Geschichte selbst weitererzählen sollen. Ich fühle mich dazu aufgefordert und ermutigt. Anfang Oktober des Vorjahres war es, da wiederholte die ARD anlässlich der Feierlichkeiten um den 25. Jahrestag des Mauerfalls die Verfilmung von Uwe Tellkamps knapp 1000-seitigem Roman "Der Turm". Der Zweiteiler veranlasste mich, mir das Buch in der Uni-Bibliothek auszuleihen. Ein Mammut-Projekt, das ich in zwei Teilen bewältigte. Zuerst einmal in täglichen Leseabenden im Zeitraum von mehreren Wochen, in denen ich rund 600 Seiten stemmte. In der Vorweihnachtszeit war dann Pause. In den Weihnachtsferien nahm ich das Lesen wieder auf und schaffte zufälligerweise die restlichen 400 Seiten gerade rechtzeitig zur Ausstrahlung des Filmes auf ARTE. Eine runde Sache. Faszinierend auch, mit welchem Blick man auf einen Film schaut, vor dem Lesen des Buches und danach.
Da gibt es ja ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Die einen meinen: Buch vor Film, da geht kein Weg dran vorbei. Andere wiederumsagen: nö, wenn du das Buch noch nicht kennst, dann schau dir zuerst den Film an, Das Buch kannste immer noch lesen. Ich bin Pragmatiker. Ich nehm's wie's kommt. Und es gibt unterschiedliche Motive, wann ich überhaupt ein Buch zum Film lese oder den Film zum Buch anschaue. Bei Tellkamps Turm waren es die oben beschriebenen. Das Buch galt als unverfilmbar - bevor eben im Jahr 2012 der 2008 erschienene Roman fürs Fernsehen adaptiert wurde. Für mich ist es weiterhin unverfilmbar, weil sich eben jene TV-Inszenierung naturgemäß auf die Handlungsaspekte konzentrieren, ja reduzieren muss. Sie kann sich nicht darum kümmern, was so zwischen den Handlungssträngen zu finden ist. Dennoch: wenn der Autor mit dem Film zufrieden ist, dann sollte man nicht "autorlicher" sein als er. Diese Konzentration bzw. Reduktion auf die Handlungsaspekte hat zur Folge, dass die Beziehungen einzelner ProtagonistInnen stärker gewichtet sind, ebenso fehlen einige sehr interessante Figuren. Was mir am meisten abgeht, ist die Szenerie des Tausendaugenhauses, in dem Meno Rohde wohnt, für mich die eigentliche Hauptfigur des Romans (von ihm werden immer wieder Tagebucheinträge dazwischen geschaltet, mit seinen Worten beginnt und endet der Roman). Dr, Hoffmann (Menos Schwager, der Mann seiner Schwester), in der Verfilmung ideal mit einem großartig agierenden Jan Josef Liefers besetzt, wird in eben diesem zur zentralen Figur der Handlung. Er selbst, nämlich Liefers, meint, dass es um den Versuch eines richtigen Lebens im falschen geht. Und bezogen auf den Film hat er recht, denn hier wird die bürgerliche Welt der Familien Hoffmann und Rohde inmitten der sozialistisch-kommunistischen Diktatur der DDR gezeigt. Das äußere Mitläufertum wird durch eine familien-innere Befreiung bei Hausmusik und DDR-Witzen kompensiert. Vater Hoffmann aber wird bald von seiner Stasi-Vergangenheit eingeholt, da er sich durch eine außereheliche Beziehung erpressbar gemacht hat; seine anfänglichen Wutausbrüche enden in einem Zusammenbruch, während dessen sich alles ändert, nämlich sein Leben (seine Frau wechselt in den Widerstand, seine Wohnung wird eine Art Zentrale desselben) und die DDR (Montagsdemonstrationen, verzweifelte Ohnmacht der Regierenden). Sohn Hoffmann begehrt immer wieder auf, während seiner Zeit in der Volksarmee fällt ihm das auf den Kopf, da er seinen Vorgesetzten anbrüllt und den Staat offen als "Scheißsystem" kritisiert. Dafür geht er in Lagerhaft. Die Zulasung zum Medizinstudium wird aberkannt, sein Militärdienst dauert dadurch statt der geplanten 3 nun 5 Jahre. Das führt dazu, dass er und seine Mutter am Ende einander vor dem Dresdener Bahnhof gegenüberstehen. Er als zur Verteidigung des Systems gezwungener Soldat und sie an vorderster Front der "Wir sind das Volk" skandierenden DemonstrantInnen. Meno Rohde wiederum wird auf seine Ambivalenz als Lektor reduziert, der die Wichtigkeit von systemkritischen Texten weiß, diese aber - meist gegen der Willen der AutorInnen - so abzumildern versucht, dass diese in der DDR veröffentlicht werden können und nicht im Westen, ein schier un-mögliches Unterfangen. Im Roman gibt es eine Ebene, die der Film zur Gänze auslassen muss, die aber ein wesentlicher Faktor des Textes ist: immer wieder ist von Uhren die Rede und damit von der Zeit. Die Zeit und die sie begleitenden laufenden Veränderungen sind der größte Feind des Systems, dessen Bestehen, gemäß Tellkamps Worten, ganz auf den Stillstand baut. Wofür der Turm steht, darüber wurde viel philosophiert. Im Buch ist von den Türmern die Rede, womit die BewohnerInnen des Dresdener Stadtteils gemeint sind, in dem die ProtagonistInnen zuhause sind. Manch einer meint, Tellkamp verwiese auf den sprichwörtlichen Elfenbeinturm, in dem jene leben, um überleben zu können. Hier möchte ich den LeserInnen ihre eigenen Assoziationen lassen. Ich gehe davon aus, dass die Verfilmung noch das eine oder andere Mal im TV zu sehen sein wird und auf DVD gibt's ihn ja auch schon. Das Buch findet man in jeder öffentlichen Bücherei und den Bibliotheken der Unis. Womit ich anregen möchte, sich beides einzuverleiben: das Buch und den Film, in welcher Reihenfolge auch immer. Beides weiß auf je eigene Art zu bewegen. Als Leser und Seher bleibt man nicht unberührt, ja, man wird, wenn man sich darauf einlässt, von der Dynamik der Ereignisse schier mitgerissen. Und das macht aus meiner Sicht die künstlerische Qualitä der beiden, durchaus eigenständigen Werke, aus. In unserer Bibliothek auf Halme, unserem finnsichen Ferienhaus, habe ich eine Taschenbuchausgabe von Erich Kästner's Konferenz der Tiere entdeckt. Sie ist - wie im Buch vermerkt ist - "vermehrt um einige Beiträge aus der Zeit der 'Kleinen Freiheit"! Und die haben es in sich. Zum Jahreswechsel gibt es da die "Kleine Neujahrsansprache vor jungen Leuten" unter dem Titel "Die vier archimedischen Punkte".
Für Kästner sind Gewissen, Vorbilder, Kindheit und Humor jene Kräfte, mit der die Welt in die Angeln zurückgehebelt werden kann. Dabei fordert Kästner die Eigenverantwortung jedes einzelnen Menschen ein. Sich diesbezüglich auf andere zu verlassen ist der Holzweg. Nun führt Kästner so manches nicht detailliert aus, er bleibt im Vagen, Ungenauen; aber seiner Richtung mag ich folgen, da sie mir stimmig erscheint. Hier noch ein paar Anfragen an den Text bzw. persönliche Ergänzungen: Ist das Gewissen wirklich eine objektive "Instanz" oder nicht (auch) etwas, das sich durch das Leben in jedem im Lauf seiner Entwicklung individuell herausbildet? Gibt es Gewissen-Losigkeit per se oder ist die eine Folge der Lebens-Erfahrungen? Kästner glaubt an ein solches objektives Gewissen, das stets richtig geht, wie ich seinen Worten entnehme, und bescheinigt uns Menschen manchmal verkehrt zu gehen. Recht gebe ich ihm, was er zu den Vorbildern denkt. Ja, es gibt sie tatsächlich. Wichtig aber erscheint mir hier, nicht als Kopie dieses Vorbildes zu enden, sondern zu erkennen: ein echtes Vorbild lebt das ihm geschenkte Leben authentisch und damit daüberzeugend. So gilt es, den eigenen Weg zu finden und diesem zu folgen. Das täte auch vielen ChristInnen gut, wenn sie die Nachfolge Jesu auf diese Weise verstünden: ganz zu werden, was sie sind! Die Verklärung der Kindheit mag eine Falle sein. Kinder sind recht ungehobelte Wesen, die eine Menge Entwicklungsschritte zu bewältigen haben. Dabei hilft ihnen aber nicht der grobe Hobel der Erziehenden sondern eine respektvolle, wertschätzende Begleitung ins je eigene Leben. Was Kästner aus meiner Sicht trifft , ist das Kinder eine andere Wahrnehmung der Wirklichkeit haben - und das Staunen und Neugierde für sie noch möglich sind. Diesbezüglich sollte sich jeder Mensch an diese Qualitäten seines Kindseins erinnern, ihnen nachspüren und sie (wieder)entdecken! Was den Humor betrifft, bin ich ganz auf Kästners Seite. Wenn er echt ist (und sich nicht etwa hinter Zynismus oder Verarschung versteckt), ist er ein herrliches Korrektiv der eigenen Wahrnehmung. Es stünde uns allen gut an, wenn wir mit Hilfe des Humors das relativieren, was wir zu ernst nehmen - ohne dabei uns selbst aufzugeben sondern uns dadurch vielmehr noch besser kennen zu lernen. Ein herzhaftes Gelächter über sich selbst ist ungemein befreiend! So wünsche ich uns allen, dass Kästner's Neujahrswünsche Wirlichkeit werden mögen! Der Jahreswechsel hat es für mich immer in sich. Obwohl ja willkürlich in die Zeit hinein gesetzt hat dieser Zeitpunkt Wirkung. Die Tage zwischen dem Weihnachtsfest und dem 1. Jänner sind für mich alljährlich von einer besonderen Dynamik gekennzeichnet. Es scheint, als kämen alle Lebensthemen komprimiert zum Vorschein. Es scheint als wiederholte sich in dieser Zeit der Geburtsvorgang von neuem. Ich wollte nicht - wollte ich? Mit einer Nabelschnur um den Hals lässt es sich nicht so leicht ins Leben gleiten. Ist es überhaupt leicht ins Leben zu gleiten? Ist es nicht vielmehr eine erste, harte, existenzielle Arbeit, die ein Mensch da leistet, unterstützt von seiner Mutter? Unterstützt von der Mutter - oder vom Leben - oder von beiden? Wie ist das beim Kaiserschnitt? Fehlt da eine wesentliche Erfahrung? Meinungen dazu gibt es viele ... ich weiß nur um meine Situation, die von dieser ersten irdischen Erfahrung geprägt scheint.
Tatsache ist auch: Wer die Jahre wechselt, wechselt nicht das Leben. Hoffnungen, Vorsätze, Pläne sind immer nur so gut wie der Realitätssinn dahinter. Träume entfalten ihre Kraft nur auf dem Boden der Realität, sonst bleiben nichts als Illusionen. Es ist eine Lebenskunst, Illusionen von Träumen zu unterscheiden, denn auch Träume werden auf dem harten Boden der Wirklichkeit geprüft und zerschellen oft zu schnell. Durchhaltevermögen ist damit auch eine wichtige Eigenschaft, wenn man etwas bewegen will in seinem Leben - und damit in der Welt. Der umgekehrte Weg führt oft zu Erschöpfung und Zynismus. Im Großen lässt sich nur etwas bewirken, wenn man im Kleinen, dem eigenen Leben, dem eigenen Umfeld beginnt. Hier gelten aus meiner Wahrnehmung die Wirkung von Wellen oder der Schneeballeffekt. So konnte ich zwar das eine oder andere vor dem Jahreswechsel abschließen, aber auch das wird Wirkung ins neue Jahr haben, da es ja zu meinem Leben gehört. Ich starte mit einem Bündel an Träumen und Vorhaben und setze jetzt mal einen Schritt nach dem anderen. Alles andere hat sich in meinem Leben nicht bewährt: weder das Durchstarten mit Überschallgeschwindigkeit noch das Abwarten des richtigen Zeitpunkts. Klar ist, was Sache ist. Und: jede große Reise beginnt mit dem ersten Schritt! Mal macht man mehr Kilometer, mal bleibt man länger an einem Ort, um die Seele nachkommen zu lassen. Mal wird man auch an der Weiterreise gehindert. In diesem Sinne: Bon voyage 2015! |
Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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