Nun bin ich also wirklich zum Reisenden geworden. An zwei bis drei Tagen in der Woche sitze ich in den Zügen zwischen meinem neuen Domizil und Wien, mal über St. Pölten, mal über Hadersdorf am Kamp und immer wieder auch im Anschluss an eine kleine Radtour nach Krems.
Schienenbusse, Doppelstockzüge, aber auch Cityjets und Railjets sind meine Gefährten, die mich sicher und meistens auch pünktlich in die Hautstadt bringen, wo ich einigen existenziellen Beschäftigungen nachgehe. Damit lässt sich das neue Landleben finanzieren, das Haus zur Miete, das dies und jenes braucht, das tolle Obst und Gemüse sowie die Eier, der Honig und der Trauben-, der Apfelsaft und der Wein von unseren NachbarInnen – und natürlich alles, was einem das Leben in einer fünfköpfigen Familie noch so abverlangt. Die Zeit, die mir durch die eineinhalb- bis zweistündigen Fahrten geschenkt wird, nutze ich – wenn ich nicht gerade in Begleitung meiner Frau oder der Jungs unterwegs bin – für mich. Ich schreibe (so wie gerade eben), ich schaue (aus dem Fenster oder ins Narrenkastl), lausche dem einen oder anderen Gespräch bzw. Handytelefonat meiner Mitreisenden, ich träume oder gehe in mich. Was er eine oder die andere im Gespräch mit mir über mein Dasein am Land als Belastung sieht, ist für mich eine neue Qualität in meinem Leben, die ich sehr schätze. Ansichtssache eben. Das, was mich – wenn ich zu Stoßzeiten reisen will – stört, ist die Fülle an Menschen, die da in einen solchen Zug gepackt als soziales Aggregat von hier nach da reisen. Wobei reisen möchte ich diese Vorgang gar nicht nennen, ich denke, dieser Begriff fiele auch den anderen Fahrgästen zu dieser Form der meist erzwungenen Fortbewegung nicht ein. Für mich ist es dennoch in jedem Fall eine Reise voller Handlungen: zum einen, weil ich handle, mich als Handelnder erlebe, zum anderen, weil ich in die eine oder andere Handlung beobachte, mich in sie eingebunden fühle und manchmal sogar in sie eingebunden werde. Auf diese Weise bekommt für mich der Begriff des Handlungs-Reisenden eine zusätzliche, so ursprünglich nicht gemeinte Bedeutung. Und Arthur Miller’s Tod eines Handlungsreisenden möchte ich (m)ein Leben als Handlungs-Reisender entgegenhalten. Möge das Leben dem Tod auf diese Weise immer ein Stück voraus sein.
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Die Anmaßung könnte größer nicht sein. Die einen sprechen den anderen das Leben ab. Sie teilen ein, in jene, die es verdienen zu existieren und in jene, denen dieses Privileg nicht zusteht. Ich schreibe immer gerne im „WIR“, obwohl ich weiß, dass dies auch jene Minderheit von Menschen einbezieht, die mit einem anderen Blick an die Wirklichkeit herangeht. Die mögen sich nicht gemeint, dennoch vielleicht aufgefordert fühlen, ihre Bemühungen für eine bessere Welt weiterzuführen bzw. zu verstärken, Jede/r auf die je eigene Weise im direkten Umfeld. Denn nur im Kleinen mag sich das Große wirklich nachhaltig verändern.
Mich macht die oben beschriebene Ungerechtigkeit äußerst betroffen. Und da brauchen wir gar nicht über die Grenzen unseres Landes hinausschauen, wir müssen nur ernsthaft einen Blick vor die eigene Haustüre werfen. In meiner neuen Nachbarschaft ist kürzlich ein 52-Jähriger verstorben, Man erzählt, er wäre schon länger arbeitslos gewesen und habe zuletzt nicht nur dem Wein sondern auch dem Wodka zugesprochen. Und aus war’s. Ja, auch so kann’s gehen, wie wohl die Fama natürlich das Ihre zu solchen Schicksalen beiträgt. Wunderlich bloß, dass es entweder niemand in dieser dörflichen Gemeinschaft so genau gewusst hat oder so genau wissen wollte. Und hier sind wir bei einer aus meiner Sicht grundlegenden Herausforderung: Wer von uns möchte gerne bevormundet werden? Wer von uns möchte wirklich gerne „vergewohltätigt“ werden (Zitat Bertrand Stern), wer möchte gerne von Almosen leben, die ein existenzielles Menschenrecht im Mistloch der Gnade ersäufen (dieser Vergleich wird Pestalozzi zugeschrieben)? Niemand! Wie schon Erich Fromm in den 60ern des vorigen Jahrhunderts beschrieben hat, sucht jeder psychisch und physisch gesunde Mensch nach Beschäftigung. Diese Beschäftigung wird nicht nur dem eigenen Wohl dienen, sondern auch einen gesellschaftlich relevanten Beitrag leisten. Wir dulden es aber, dass die Beschäftigung der Menschen eingeteilt wird nach existenzsichernden Tätigkeit (durch Erwerbsarbeit) und nach sogenannten ehrenamtlichen Arbeiten, die man zusätzlich zum Wohl der Gesellschaft tun kann. Ein für mich wesentliches Beispiel, um diesen Irrsinn zu zeigen, ist die Begleitung von jungen Menschen im und ins Leben. Wenn ich bereit bin, meinem Nachwuchs als Elternteil beim Heranwachsen selbst an der Seite zu stehen, dann ist finanziell bald Schluss mit lustig. Auch die nach dem Kindergeld gewährte Familienbeihilfe ist ja – trotz einiger minimaler Anpassungen in den letzten Jahren – niemals wirklich valorisiert worden. Viele andere Leistungen der öffentlichen Hand – wie etwa die PolitikerInnengehälter – jedoch schon. Wenn ich aber meine Kinder in die außerhäusliche Betreuung gebe, um einer Erwerbsarbeit nachkommen zu können, dann fließt plötzlich viel Geld in Infrastruktur und Personal. Nun möchte ich hier nicht über die sicherlich wichtige pädagogische Funktion von Menschen außerhalb der Familie diskutieren, sondern diese grundsätzliche Sichtweise in Frage stellen. Denn auch hier maßen WIR uns an, festzulegen, was gut und richtig ist – und wer daher be-lohn-t wird. Dieses himmelschreiende Unrecht ist also keineswegs gottgewollt oder naturgegeben, sondern menschengemacht. Um es kurz zu sagen: Die Not-wendigkeit eines „garantierten Einkommens für alle“ (Erich Fromm) zeigt sich immer deutlicher. Auf diese Weise käme allen Menschen, das ihnen aufgrund ihrer Geburt zustehende Recht zu, bedingungslos existieren zu dürfen. Alles andere aus meiner Sicht zutiefst unmenschlich. Das trifft auch auf die derzeit in unserem Land herrschenden Verhältnisse zu, die durch die neue Regierung nochmals verschärft werden sollen. Möglicherweise bewirken solche Maßnahmen aber genau das, was es schon längst dringend braucht: eine Initialzündung, um diesem Wahnsinn, sich seine Existenz nicht nur verdienen, sondern auch ständig um sie kämpfen zu müssen, endlich ein Ende zu setzen und mit zukunftsträchtigen Konzepten, Mut und Zuversicht das Neue, das wahrhaft Menschliche zu wagen. WIR könnten natürlich, wenn wir schon dabei sind, gleich auch über unser bestehendes Geld- und Wirtschaftssystem hinausdenken, aber das ist eine andere Geschichte … Mehr als jedes andere Jahr fordert mich das neue 2018 heraus, empfinde ich. Da ich das, was da auf mich zukommt nicht als Einzelsituation erlebe, sondern mich in bester Gesellschaft mit Gleichbetroffenen sehe, wünsche ich mir von all jenen, die zur Bewältigung des Ganzen notwendige Solidarität. Gemeinsam können WIR es schaffen – nur gemeinsam.
Das unsägliche Weihnachtsgeschenk einer neuen Bundesregierung haben wir noch vor dem Jahreswechsel erhalten; diese hat uns gleich ein paar schwerverdauliche Packerln unter den Baum gelegt, verwöhnt uns aber gleichzeitig mit ein paar Zuckerln, die uns all das versüßen sollen. Da ist zum einen die weitere Pflege des Feindbilds „MigrantInnen“. Zum anderen möchte man uns mit der Ermöglichung, unsere Freiheit durch den einen oder anderen Tschick zu gewinnen (Erinnern Sie sich noch an den Marlboro-Man oder den Memphis-Flieger?), unsere Gefangenschaft in Sicherheit und Kontrolle lieb zu gewinnen. Weiters sollen wir ja in Zukunft endlich nicht mehr an die öden 130 auf der Autobahn gebunden werden und bei Rot auch schon mal rechts abbiegen können. Schöne, neue Welt. Dem möchte ich so manches entgegenhalten, ohne bloß nur NEIN zu sagen. Denn ein Nein ist keine Perspektive, ihm fehlt jegliche Vision. Also bin ich schon mal gestiefelt und gespornt und mache mich auf die Reise durch das Jahr – mit der herzlichen Einladung an alle ReisegefährtInnen, die mich begleiten wollen:
Abschließend empfehle ich allen zur Immunisierung gegen die Versüßungen des Unerträglichen das wunderbare Buch „Der überaus starke Willibald“ von Willi Fährmann. Wenn der titelgebende Mäuserich am Ende ohne Schwanz dasteht, ist plötzlich alles aus und vorbei. Spät, aber nicht zu spät. Also gehen wir’s gemeinsam an und lassen es erst gar nicht so weit kommen! Es ist immer Zeit, den ersten Schritt zu tun! |
Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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