Diese Sommertage sind sehr, sehr sommerlich. Temperaturen jenseits der 30 Grad und das schon seit mehreren Wochen fördern nicht gerade das Denkvermögen. Dafür gibt es hier bei mir am Land wenigstens die Nächte, die nicht tropisch sind und daher ein sinnvolles Sinnieren zulassen. Am liebsten sind mir da die frühesten Morgenstunden, so vom Sonnenaufgang gegen vier Uhr bis zum Einsetzen der Tageserwärmung gegen spätestens sieben Uhr. Da kommt so manches ins Reine, ins Klare, was sich in heißer Nacht zu feuerspeienden Dämonen auszuwachsen drohte.
Von einem unbeschwerten Sommer kann nun – wie in meinem Beitrag vom 1. Juli „Der Sommer kann kommen“ erhofft, ja erwartet – keine Rede mehr sein, wie wohl die Be- bzw. Erschwernis nicht an den Ereignissen selbst liegt, sondern an meinem Umgang damit. Wenn sich Vergangenes meldet, dann ist dies immer auch eine Chance; denn dieses Hochkommen von Gewesenem zeigt auch seine Unabgeschlossenheit. Wichtig dabei ist, dass sich alle Beteiligten dem der Situation innewohnenden und notwendigen Aufarbeitungsprozess widmen. Alle. Will eine/r nicht mitspielen oder kocht sein/ihr eigenes Süppchen, bleiben letztendlich nur VerliererInnen über. Hier spreche ich mit dem Hintergrund meiner integrativen supervisorischen Ausbildung (auf Basis der humanistischen Weltsicht von Bühler, Rogers, Perls, Maslow, Moreno, Frankl und Längle), nicht als Poet. Denn aus Ereignissen wie diesen ließen sich die besten Dramen schmieden, schauen wir etwa auf Shakespeare, Grillparzer, Schiller oder den letzten Tatort aus der Schweiz vom vergangenen Sonntag. Mir ist aber gar nicht nach Drama zu Mute, so bin ich sehr an einer Deeskalation interessiert und an einer Lösung von der alle Beteiligten profitieren. Meine Außensicht auf die Ereignisse mag zwar durchaus hilfreich sein, wenn ich dann mitten drin bin und diese Perspektive aufgeben muss, um meine Position beziehen zu können, dann wird’s dennoch brenzlig. Da hilft nur, mich meiner „guten Manieren“ zu besinnen und mit Wertschätzung und Ich-Botschaften zu punkten. Herausfordernd wird es dann, wenn das Gegenüber mit Schweigen antwortet. Von meiner lieben Beraterin in Familienangelegenheiten habe ich unlängst erfahren, dass das Nichts-Sagen ein Akt von höchster Aggression ist. Das hätte ich nicht vermutet, ja, aber genauso fühlt es sich an. Dem ist kaum beizukommen, zumindest, was das Zum-Reden-Bringen betrifft. Der eigene Umgang damit sollte geprägt sein von Geduld, Gelassenheit und dem Mut auf Angriffe, die die Situation auf eine nicht adäquate Weise lösen wollen, mit entsprechender Konsequenz zu reagieren. Besser noch: nicht unverzüglich zu reagieren, sondern mit angemessenen Mitteln zu agieren. Es bedarf eines hinreichenden Innehaltens, um von der bloßen Reaktion zu einer gut gemachten (und nicht nur gut gemeinten) Aktion zu kommen. So bin ich also von Vergangenem geprüft, ohne aber auf die Gegenwart verzichten zu wollen. Muss ich ja nicht. Es braucht „nur“ das konsequente (Er)Leben im Augenblick. Und da gibt es so viel, was gelebt werden will. Die Texte, die in mir wachsen, um aufs Papier gebracht zu werden, die Stunden mit meiner Familie bei uns zu Hause oder auf einer unserer kleinen und größeren Reisen, die Momente mit meiner Frau, die nur wirklich werden, wenn sie auch tatsächlich und wahrhaftig da sein dürfen. So gesehen gestaltet nicht die Vergangenheit die Zukunft eines Menschen, sondern seine Gegenwart. Wenn die Gegenwart aber aus der bloßen Beschäftigung mit Vergangenem besteht, dann wird die Zukunft auch von diesem überschattet. Und ein solcher Schatten führt selbst in einem solchen Sommer nicht zur gewünschten Abkühlung. Im Gegenteil: Lasst uns wahrhaft leben! Epilog: Zwei wundervolle Lieder dazu – hörens- und nachahmenswert!
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Nun ist sie also geschlagen, die Fußballweltmeisterschaft und mein Jüngster und ich können uns wieder den Niederungen des Alltags in der 1. Niederösterreichischen Landesliga widmen, in der unser örtlicher Ballestererklub in der kommenden Saison hoffentlich nicht wieder bis zur letzten Runde gegen den Abstieg spielt.
Die letzten Wochen waren auch bei uns zuhause geprägt vom Event in Russland, wir sahen wie ein Star nach dem anderen ausschied und der Junior lernte mit den Niederlagen seiner Favoriten überraschend cool zu leben. Nun ist ja Fußball nicht mehr das, was er in meinen Kindertagen war. Irgendwann im Lauf meiner Jahre als Erwachsener verlor ich, der glühende Austria-Wien-Fan, die Lust am runden Leder. Zum einen war mir die zunehmende Kommerzialisierung dieser Sportart höchst suspekt, zum anderen hatte ich nach meiner Matura auch keine Gelegenheit mehr, die Wuchtel in einer Mannschaft selbst zu treten. In meiner Schulzeit war ich fixer Bestandteil unseres Klassenteams, ich durfte mich in der Außenverteidiger-Position bewähren. Berüchtigt war ich für meine kompromisslose Art, mich ins Zeug zu legen, dennoch spielte ich nie so, dass ich andere gefährdete, eher schon mich selbst. Ich erinnere mich an einen Pressball gegen einen doch um vieles massiveren Klassenkollegen in einer Turnstunde am schuleigenen Sportplatz. Ich erreichte den Ball in letzter Sekunde, da drückte jener auch schon volle Wäsche ab. Ob der Wucht dieser Ballbehandlung machte ich so eine Art Salto rückwärts und knallte mit dem Hinterkopf auf den damals gerade im Umbau befindlichen Platz (er wurde von einem Sandplatz, auf dem ich mir nicht nur einmal wegen meines vollen Einsatzes schmerzhaft die Knie aufgeschürft hatte, zu einem mit rotem Kunststoff belegten und allerlei Linien ausgestatteten Multifunktionsplatz und war zu diesem Zeitpunkt bloß asphaltiert). Überraschenderweise fühlte ich mich nicht benommen, aber mein Turnlehrer hatte eine weitere Schrecksekunde mit mir, unterbrach das Spiel sofort und testete mit geübtem Druck seiner Finger, ob mein Schädel noch heil war. Umgehend schickte er mich in die Kabine, wo ich dann viele Liter Wasser über meinen Kopf laufen ließ und schließlich zitternd bis zum Ende der Stunde ausharrte. Geschehen ist mir glücklicherweise dabei nichts. Die glorreichste Erinnerung aus meiner aktiven Fußballzeit ist jene an das Unterstufenturnier, bei dem wir als 4. Klasse teilnahmen. Im Semifinale, das auch mein Großvater mütterlicherseits (er war mit mir damals auch bei jedem Heimspiel der Austria im Stadion und spielte donnerstags, bei seinem wöchentlichen Besuch, immer einige Partien Tipp-Kick mit mir) besuchte, kam es nach einem Unentschieden zu einem Elfmeterschießen. Dabei wurde ich vom Kapitän unseres Teams damit überrumpelt, dass er mich zum Schießen einteilte. Ich hatte eine Sternstunde, nahm Anlauf und knallte den Ball halbhoch in die linke Torecke, womit ich unserer Klasse den Aufstieg ins Finale ermöglichte. Das war ein Jubel – und ich bin auch heute noch überrascht von dieser Leistung. Dort gingen wir dann allerdings gegen die Parallelklasse 0:4 unter (ebenso wie die Wr. Austria im Jahr 1978 im Finale des Europacups der Meister gegen RSC Anderlecht). Ein tödlicher Querpass meines Verteidiger-Kollegen vor dem Sechzehner, der zu schwach geschossen war und den ich nicht mehr erlaufen konnte, war der Anfang vom Ende. Mehr weiß ich nicht mehr. Unser Jüngster geht es jetzt noch „professioneller“ an. Er hat sich nach einigen Probetrainings entschieden bei den Juniors unseres Dorfklubs mitzumachen, im August startet die Herbstsaison mit einem dreitägigen Trainingscamp in unserem Schmuckkästchen-Stadion. Der Klub selbst wird von einer großen Firma, die in Haartransplantation und Schönheitschirurgie macht, finanziell bestens unterstützt, die Zwillingsbrüder sind ihrer Heimat, in der ihr Vater Weinbauer war, immer noch sehr verbunden. Kommen wir mit einem Satz noch einmal zurück zur eben vergangenen WM: Nicht wirklich überraschend und mich tatsächlich – neben der schon angesprochenen Kommerzialiiserung des Fußballs – total nervend ist der heftige Nationalismus, wenn nicht sogar Rassismus, der sich in dieser Sportart – trotz aller Fair-Football-Kampagnen – vor allem bei den Fans auftut. Möglicherweise ist er ja auch ein Ventil für die „Kriegslust“ des Zweibeiners, der Psychologe Friedrich Hacker sah meines Wissens genau diesen Aspekt im Sport als sehr positiv. Ich wünschte mir ein kultivierteres Vorgehen, aber womöglich überfordere ich damit die Spezies Mensch, in dem ich ihr weit mehr zutraue als sie durchschnittlich zu leisten im Stande ist. Abschließend bleibt noch der Aspekt, dass sich weder FIFA noch UEFA – wie eigentlich in Abgrenzung zum American Football logisch – als Soccer-Associations bezeichnen, sondern auf der Bezeichnung Football beharren. In einem jener gescheiten Bücher, die sich mein Jüngster aus der Bücherei holt, wurde diese Entwicklung erklärt. So gab es in den Anfangsjahren des Fußballs, wenn ich mich richtig erinnere, einen Konkurrenzkampf zwischen dem heutigen Rugby, das der Legende nach in der gleichnamigen englischen Stadt entstanden ist, und dem später als Soccer bezeichneten Spiel. Dieser Name stammt übrigens von der Kurzform des Wortes Association Football, während die andere Schule, bei der der Ball auch mit den Händen bewegt werden darf, als Rugby Football bezeichnet wird. Vor kurzem hörte ich von einem Teilnehmer in der Gruppe, die ich auf die Berufsreifeprüfung in Deutsch vorbereite, folgenden Ausspruch: „Fußball ist ein Sport von Gentlemen für Hooligans, Rugby hingegen einer von Hooligans für Gentlemen.“ Ganz kann ich dieser These nicht folgen, aber dazu kenne ich den Kampf mit dem Eierlaberl auch zu wenig. Na gut, heute Abend werden mein Jüngster und ich also beim ersten Vorbereitungsspiel unseres FCR wieder in der MM-Arena sein – und schauen, was die neu zusammengewürfelte Mannschaft und ihr alter Trainer so zusammenbringen. Wir müssen uns wohl auf kleinere Brötchen gefasst machen und auf die Fülle an Wiederholungen, die das TV uns bietet, verzichten – aber ein Live-Match im Stadion hat auch seine ganz besondere Atmosphäre und Qualität. Vor vielen Jahren hatte ich einen Traum. Ich lebte durchaus großzügig in einer Kleinstadt südlich von Wien und der Platz in meinem Teil der Wohnung wollte mit einem roten Ledersofa aus einem bekannten schwedischen Möbelhaus gefüllt werden. Ich spitzte auf die 2er-Variante des nach einem Ort in Schonen benannten Sitzmöbel, wollte mir das hochpreisige Ding aber dann doch nicht leisten. Mit meiner notwendigen Rückkehr nach Wien kurze Zeit später und den daraus resultierenden finanziellen Herausforderungen verflog dieser Traum allmählich. Auch die kommenden beiden Umzüge boten räumlich keine Möglichkeit, dieses Sofa zu erwerben.
Doch mit unserer familiären Entscheidung - fast acht Jahre später am Ende des Vorjahres – die Stadt zu verlassen und auf’s Land zu ziehen, um uns im südlichen Waldviertel in einen ehemaligen Winzerhof zur Miete einzuquartieren (der Impuls dazu kam von unserem Jüngsten, der sich Haus und Garten wünschte und fiel aufgrund beengter Platzverhältnisse in Wohnung und Großstadt auf fruchtbaren Boden) veränderten sich die Platzverhältnisse diesbezüglich zum Positiven und der alte Traum lebte wieder auf. Wenig mehr als ein halbes Jahr später waren die größten Herausforderungen dieser Lebensveränderung und so manche neu hinzugekommene bewältigt und ich hatte wieder den Kopf, um mich auf einem großen Internet-Flohmarkt nach besagtem Sofa umzuschauen, zunächst allerdings erfolglos. Bei meiner weiteren Recherche über eine bekannte Suchmaschine entdeckte ich das eine oder andere Stück durchaus günstig, allerdings unerreichbar, da irgendwo in Deutschland. Ich passte also einmal mehr. Nur zwei Tage nach meiner ersten Recherche hatte ich das Gefühl, es nochmals versuchen zu sollen, Und siehe da, das Objekt meiner Begierde – die angebotene 3er-Variante ist den aktuellen Lebensverhältnissen durchaus angepasst - war in Wien zu ergattern, noch dazu zu einem Preis, der mir angemessen erschien. Ich schrieb den Verkäufer also an und bekam eine prompte Reaktion. Nun galt es noch den Transport zu organisieren, was sich als die größte Herausforderung an der ganzen Sache herausstellte. Selbst ohne Auto und sogar immer noch ohne Führerschein lebend, bin ich in diesen Situationen auf Freunde und Bekannte angewiesen. Wie sich herausstellte war das Sofa ganz in der Nähe meines letzten Wiener Wohnortes abzuholen, die im ehemaligen Wohnhaus lebenden Menschen, die uns bei unserem Umzug auf’s Land unterstützt hatten, allerdings kurzfristig nicht verfügbar. Dazu kam in diesen Tagen ein zu einer heftigen Entzündung des Unterschenkels führender Mückenstich, der es verhinderte, dass ich den für einen Abend vereinbarten Besichtigungstermin wahrnehmen konnte. Ich musste vielmehr mein Bein hochlagern und medizinisch versorgen. In der Zwischenzeit begann ich für den Transport des Sofas die eine oder andere Variante zu erwägen, ein Transport ganz ohne persönliche Beteiligung durch eine Transportfirma musste aber aus preislichen Gründen verworfen werden. Es gelang, den Termin für die Besichtigung des Sofas auf den Samstagnachmittag zu verschieben, zu dem ich wieder fit sein sollte. Ebenso gelang es im letzten Moment einen günstigen Leihtransporter aufzutreiben und einen alten Freund als Fahrer zu gewinnen. Ohne das Sofa zu kennen, wusste ich, dass es das richtige war und riskierte also die sofortige Überstellung. Als ich in die Wohnung des Verkäufers eingelassen wurde, fühlte ich mich gleich wie zuhause. Mein Freund und ich wurden von ihm und seiner Frau herzlich willkommen geheißen und direkt zum Sofa geführt. Da stand es also und sah genauso aus wie ich es mir in meinen Träumen immer vorgestellt hatte. Zur Verblüffung unserer Gastgeber beschäftigten sich mein Begleiter und ich sofort mit den technischen Details und wie denn das gute Stück am besten zum Auto zu schaffen sei. Als er den Wagen holen ging, um ihm direkt vor dem Gartentor in der Bushaltestelle zu parken, nahm ich das Angebot kurz Probe zu sitzen doch an. Das Sitzgefühl entsprach meiner Fantasie, das Leder fühlte sich wunderbar an und strahlte in einem herrlichen Dunkelrot, die Patina des jahrelangen Besitzens gab der Couch einen wundervollen Touch. Während mein Freund also das Auto holte, kamen wir drei ins Gespräch – und es stellte sich zweierlei heraus: zum einen stammte der Verkäufer aus der Landeshauptstadt des Bundeslandes, das meine neue Heimat geworden war und er kannte auch meinen aktuellen Wohnort; zum anderen gab es zum Sofaverkauf einen noch nicht ganz abgeklungenen Konflikt mit seiner Gefährtin, die sich damals – so wie ich – sofort in das Sofa, das von seinem Hersteller zu Deutsch Klippe oder Fels (in der Brandung) benannt wurde, verliebt hatte und es eigentlich nicht hergeben wollte. Dennoch entschied sie sich – bis zuletzt offenbar leicht zweifelnd - für die pragmatische Lösung, es abzugeben und durch ein neues, passenderes zu ersetzen. Durch unser Kennenlernen aber wurde auch dieser Zweifel beseitigt und sie war zufrieden, dass „ihr“ Sitzmöbel nun einen würdigen Nachfolger gefunden hatte. Für mich ist es immer wieder faszinierend, welche Begegnungen durch den Kauf bzw. Verkauf über diesen Internetflohmarkt möglich sind. So habe ich meinen aktuellen Laptop, auf dem ich auch diesen Text schreibe, vor knapp einem Jahr in Kirchberg am Wagram erworben und ein Hochbett für einen unserer Söhne holte ich von einem späteren Arbeitskollegen, dessen Frau mich bei einer Weihnachtsfeier wiedererkannte. Auch jener Mann, der dieser Tage den beschädigten finnischen Schaukelstuhl meiner Frau zur Reparatur abholte, ist der Vater eines Mannes, mit dem ich vor knapp zwei Jahren in Kontakt kam, da er eine Marathonlesung anlässlich des Literaturnobelpreises für Bob Dylan veranstaltete, an der ich mich beteiligte. Wie sagte schon meine Oma: Klein ist die Welt. Heute einen Falter aus dem Geräteschuppen des Nachbarn befreit und meinen ersten Regenwurm am neuen Wohnort gerettet.
Für die Schmetterlingsbefreiung musste ich diesmal nicht das Türschloss knacken, sondern eine der bloß mit Silikon an der Fensterverstrebung angeklebten Fensterscheiben sanft mit dem Schraubenzieher lösen, den Kohlweißling ziehen lassen und das Glas wieder mit starkem Druck an der Klebemasse festmachen. Es war schön, das Gefühl der Freiheit zu erleben, als das kleine Ding gen Himmel flog. Die Regenwurmrettung hingegen ist mir schon lange ein Anliegen, inspiriert wurde ich dazu sicher durch meine Beschäftigung mit dem Buddhismus, der es für möglich hält, dass Menschen in einem weiteren Leben als andere Wesen inkarnieren. Zusätzlich faszinierte mich Franz von Assisi und seine Bereitschaft auf Schuhe zu verzichten, um nur ja keinem Lebewesen unter seinen Füßen ein Leid zu tun. Letzteres habe ich nicht übernommen, wie wohl ich sehr achtsam unterwegs bin und auch beim Radfahren schon die eine oder andere Ausweichaktion durchgeführt habe, die die hinter mir fahrenden RadlerInnen durchaus überrascht haben könnte. Die Regenwürmer aber sind mir ein großes Anliegen geblieben, zuerst waren sie eher ungeliebt, da klibberig und unansehnlich. Irgendwann aber sind sie mir ans Herz gewachsen, auch mit ihrer Fähigkeit, nach einer Teilung weiter zu leben. Nun lebte ich viele Jahre in einer Kleinstadt südlich von Wien und hatte die Gelegenheit nach jedem Regen eine Fülle dieser kleinen Dinger auf dem Parkplatz der örtlichen Volksbank aufzufinden. Es mag für den einen oder die andere Beobachter/in sicher belustigend gewesen sein, mir bei dieser Aktion zuzusehen, ich versah meinen Rettungsdienst aber dennoch mit Akribie und Geduld. Auch in den letzten Jahren im Westen Wiens begegnete ich den zum Stamm der Ringelwürmer gehörenden Lebewesen durchaus häufig - und es ergaben sich auf diese Weise weitere Rettungseinsätze. Seit meinem Umzug auf's Land allerdings hatte ich zu meiner Überraschung kaum noch Begegnungen mit diesen Wenigborstern. Auch in unserem Garten kamen sie selten bis nie zum Vorschein, der Boden ist hier sehr verdichtet und lehmig. An seiner Verbesserung arbeiten wir gerade. Aber heute eben kam es zu einer ersten Möglichkeit, mich wieder als Regenwurmretter zu betätigen. Ich fuhr mit dem Fahrrad zum Bahnhof und an der Engstelle des kleinen Weges, der gepflastert zwischen zwei Gärten hindurchführt, lag ein verstümmeltes Subjekt. Zuerst kurvte ich mit meinem Fahrrad im letzten Moment vorbei, bremste kurz darauf, stellte das Rad ab und machte einige Schritte zurück. Der Wurm bewegte sich noch, obwohl ihm sicherlich die Hälfte fehlte. Es war gar nicht so leicht ihn in die Finger zu kriegen, nach mehreren Versuchen, denen er sich kräftog zu entwinden suchte, klappte es aber doch und ich legte ihn unter einem Zaun im Erdreich ab. Beglückt fuhr ich meines weiteren Weges und fühlte mich nun auch in meiner neuen Heimat noch ein Stück besser angekommen. In dieser Nacht wurde ich von einem Traum aus dem Schlaf gerissen und war plötzlich putzmunter. Der Wecker zeigte 03:33 Uhr und noch ehe ich mich an den Inhalt des Geträumten erinnern konnte, war es in den Tiefen meines Gehirns verschwunden. Um mich wieder zurück in Morpheus Arme zu begeben, lauschte ich in die Nacht hinein. Da hörte ich das mittlerweile vertraute Trillern des Hausrotschwanzes und war ob seiner Frühe überrascht. Also stand ich auf und machte einen Blick in den Garten. Am östlichen Himmel dämmerte schon der Morgen, hinter zahlreichen Wolken war der Horizont rötlich eingefärbt. Während der Rotschwanz seinen Gesang fortsetzte, begann einer der Hähne aus unserer Nachbarschaft bereits den neuen Tag einzukrähen. Das überraschte mich weniger, waren doch deren Schreie auch bislang an keine Zeit gebunden und ich hatte sie immer wieder mal auch nachts im Halbschlaf oder abends während meiner Zeit auf der Terrasse gehört.
In diesem Moment wurde mir neuerlich bewusst, dass ich seit mehr als einem halben Jahr mein Stadt- gegen das Landleben getauscht hatte. In dieser waren es nicht nur die Tiere, die meine Aufmerksamkeit fesselten, sondern einfach die Natur, die bei meinem Einzug im Winterschlaf gelegen hatte und schon vor Frühlingsbeginn heftige und deutliche Lebenszeichen von sich gab. Faszinierend der üppige Bewuchs der Wiesen, die winters braun und tot dagelegen hatten und die dann in allen Farben zu blühen begannen. Löwenzahn, Mohnblumen und Co. sowie die Vielfalt der Gräser dufteten herrlich vor sich hin und machten mir bei jeder Heimkehr aus der Hauptstadt mein Glück am Land klar. Gerne starrte ich nach einem langen Tag in den Häuserschluchten und unter den Menschenmassen der Großstadt einfach nur auf den Sternenhimmel, geborgen im Innengarten des ehemaligen Winzerhofes, der die Wohnstatt für meine Familie und mich geworden war. In den letzten Nächten sah ich dort in der Abenddämmerung auch ein Fledermauspaar, das minutenlang seine Runden zog, um die Stechmücken und andere Insekten zu schmausen. Seit die beiden da sind, habe ich den Eindruck, dass die Gelsen verschwunden sind, die mein Leben in der Dämmerung mit ihren Stichen wenig gemütlich gemacht hatten. Im ausklingenden Frühjahr hatten wir auch Nachwuchs zu bestaunen, den ein Hausrotschwanzpärchen in einem alten Nest unter den Dachbalken der Hauseinfahrt in die Welt gesetzt hatten. Waren es zuerst vier Jungvögel, die ihre Schnäbel aufrissen, um Nahrung zu bekommen und dabei jedesmal einen Heidenlärm veranstalteten, waren es letztlich noch zwei, die wir bei den ersten Flugübungen beobachten konnten. Möglicherweise sind die anderen den Elstern zum Opfer gefallen, die in dieser Zeit verstärkt ihre Runden über dem Anwesen und in unserem Innenhof drehten. Vor kurzem – wir vermuten ein zweites Gelege in der Scheune – gab es einen heroischen Kampf zwischen den Elstern und einem Rotschwanz, der von einer Türkentaube bei der Abwehr unterstützt wurde. Das war ein Lärmen und Kreischen, dass ich nach draußen lief, um den offenbar siegreichen Kampf zu erleben. Ebenso wimmelt es von Schmetterlingen, allen voran den Kohlweißlingen, die ja auch als Schädlinge gelten, weil ihre Raupen sehr gefräßig sind. Dazu kamen aber auch Großer Fuchs, Admiral und Tagpfauenauge. Auch die Mauersegler warfen anfangs ein Auge auf die vielen Brutmöglichkeiten im Dachgebälk, entschieden sich aber meiner Erachtens wegen unserer drei Jungs und ihren von Zeit zu Zeit auch lauten Gartenaktivitäten anderswo Wohnung zu nehmen. Selbstverständlich gibt es auch jede Menge Spatzen, die die Weinlaube mit ihrem Spatzengeschrei beleben. Eines Tages gab es Aufregung um eine Amsel, die der Nachbar im Geräteschuppen eingesperrt hatte und die fortan immer mit einem lauten Warnruf gegen die Fenster flog, glücklicherweise ohne sich zu verletzen. Da dieser Stadel auch eine Tür zu unserem Grundstück hat und der Nachbar nicht erreichbar war, starteten meine Frau und ich frühmorgens eine Rettungsaktion. Mit Hilfe eines Schraubenziehers knackte ich die Türe, um dann festzustellen, dass ich einiges beiseite schaffen musste, um diese so weit zu öffnen, das der Amselmann seinen Weg finden konnte. Nach einigen Versuchen gelang die Befreiung des Vogels und er flog laut keckernd davon. Ich denke, dass er der ist, der allabendlich nach dem Gartengießen und bei Einbruch der Dämmerung mit seiner Partnerin unsere Wiese nach Würmern absucht. Nicht zu retten waren der eine oder andere Igel, den ich auf meinen Radfahrten vom Bahnhof nach Hause zerquetscht auf der Fahrbahn gefunden hatte. Dafür konnte ich dem einen oder anderen Reh ausweichen, das sich entschieden hatte, auf Höhe des Sportplatzes die Fahrbahn zu überqueren. Beim ersten Mal erschreckten wir uns beide, weil ich an diesem Ort nicht mit einem Wildwechsel gerechnet hatte, bei den anderen Malen war ich schon gut auf diese Begegnung vorbereitet. Auch einen Hasen traf ich am Parkplatz des Einkaufszentrums, allerdings schon zu einer Zeit, da die Geschäfte längst geschlossen hatten. Zu hören sind natürlich auch die Kröten und Frösche, die in den Lacken und Teichen der Umgebung regelmäßig ihr Abendkonzert geben. Was ich demnächst noch bewundern möchte, sind die Glühwürmchen, die mich sehr faszinieren. Dazu werde ich mich in der Dämmerung an den Rand des benachbarten Auwaldes begeben und hoffen, dass ich für dieses Jahr nicht schon zu spät dran bin. Ach übrigens: Um 04:44 Uhr lag ich in dieser Nacht wieder im Bett, um weiter zu träumen. Die erste Ferienwoche begann mit einer Öffi-Tour nach Hollabrunn und wieder retour. Und weil’s so schön war, wiederholten wir den Ausflug am nächsten Tag gleich noch einmal.
Am Montag fuhren mein Jüngster und ich über Absdorf-Hippersdorf und Stockerau in die Bezirkshauptstadt im westlichen Weinviertel, um einen Großteil seines Geburtstagsgeldes auf den Kopf zu hauen. Tags zuvor hatte ich im bekanntesten Internetflohmarkt des Landes ein Tipp-Kick-Stadion mit Netztoren, 4 Top-Spielern und 2 ebensolchen Tormännern entdeckt, die sich nicht nur zur Seite, sondern auch nach vorne schmeißen können, zugegebenermaßen der Traum meiner Kindheit. Da das ebensolche Tischfußballspiel aus meinen Kindertagen nach mehr als 40 Jahren und einem sehr intensiven Benutzen durch die jüngste Generation langsam den Geist aufgibt und auch der vor knapp 20 Jahren getätigte Nachkauf nicht mehr recht mitmacht, war die Gelegenheit günstig, meinem Sohn dieses Angebot schmackhaft zu machen – und er biss an. Zu meiner Zeit spielte ich wöchentlich mit meinem Opa - meine Großeltern mütterlicherseits kamen zu dieser Zeit an jedem Donnerstag zu uns nachhause – nach Absolvierung der Hausübungen und vor der Jause eine WM-Partie nach der anderen nach, von 1930 bis in die damalige Gegenwart. Er spielte rot, ich gelb. Und wenn Österreich dabei war, dann übernahm er diese Mannschaft. Damals waren ja die Hochzeiten des österreichischen Nationalteams und das legendäre Cordoba wirkte vehement nach. Das waren wunderbare Nachmittage in einer äußerst belasteten und belastenden Zeit, letzteres wurde mir erst viele Jahre später bewusst, da Kinder ja das eigene Umfeld immer als selbstverständlich erleben und selten hinterfragen. Nun reiste ich also mit meinem Jüngsten in Sachen Tipp-Kick-Stadion und Top-Kickern (die jeweils anders angeschliffene Schussbeine haben, um gefühlvolle Heber bzw. Innenrüstschüsse zu produzieren) ins benachbarte Weinviertel. Unsere Bahnverbindung brachte uns eine gute Stunde vor dem Übergabetermin am Hollabrunner Hauptplatz ans Ziel. Wir tourten noch eine kleine Runde durch die Stadt, fanden im Zentrum eine Hüpfburg und ein kleines Public-Viewing, das wir uns für später aufhoben, weil ich noch einen Abstecher zum örtlichen Optiker machen wollte, um mir ein Sonnenclip für meine Gleitsichtbrille zu kaufen. Mein Sohn war wenig begeistert, fand aber im Lehrling des Ladens einen begeisterten Fußballanhänger, mit dem er fachsimpeln konnte. Zu dieser Zeit lief gerade das Match Brasilien gegen Mexiko und mein Handy musste zur regelmäßigen Ergebnisprüfung herhalten, während der Optikermeister mir – nachdem ich sein Angebot einer „g‘scheiten“ optischen Sonnenbrille ung’schaut ausgeschlagen hatte – die „pensionistigen“ (O-Ton des Meisters) Clips zuschnitt. Wenig später waren wir dann doch am Hauptplatz, das Match war zum Leidwesen des Juniors schon zu Ende (Brasilien hatte Mexiko mit 2:0 besiegt), er machte sich aber durchaus freudig an die Hüpfburg ran, während ich mir am lokalen Getränkestand einen Radler besorgte, um die mitgebrachten Brote für’s Abendessen runterzuspülen. Kurze Zeit später stand er neben mir, forderte seine Brote, jammerte ein wenig, dass ich Bier tränke und er nur seine Wasserflasche habe (ein Fauxpas, den ich später im Supermarkt mit einer süßen Nachspeise wiedergutmachte) und erzählte, dass man von ihm 20 Cent für die Benützung der Hüpfburg gefordert habe. Ein solcher Preis aber war nicht ausgeschildert und es stellte sich heraus, dass die anwesenden Kinder durchaus geschäftstüchtig agierten. Die von mir angebotene Unterstützung schlug er jedoch aus, kaute etwas beleidigt an seinem Brot und erwartete die Tipp-Kick-Übergabe, die auch 15 Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt erfolgte. Und dann machten wir uns auch schon auf den knapp zweistündigen Heimweg, um frühnachts noch vor dem Schlafengehen eine erste Partie im neuen Stadion zu spielen. Es ging bis ins Elfmeterschießen (eine Lieblingsbeschäftigung meines Sohnes), das ich wie so oft knapp verlor. Der nächste Tag war dann in größerer Besetzung (meine Frau kam mit) dem Besuch eines Freundes, der in der Nähe Hollabrunns wohnt und in der Bezirkshauptstadt die örtliche Lerntafel betreibt, gewidmet. Wir waren wieder zwei Stunden unterwegs und hörten wieder viele Geschichten, jene der Menschen, die beim Lernen von Deutsch, Mathematik und Englisch Unterstützung suchen, aber auch solche von deren Eltern, die mit Hilfe der zahlreichen LernbegleiterInnen ihre ersten Schritte im Deutschen unternehmen, wir durften einen wunderbaren Garten besuchen und den Schwimmteich der Nachbarn benutzen, ebenso deren Geschichte erfahren, wir aßen köstlich Vegetarisch, jausneten Königlich mit Kaffee, Kuchen und Schlagobers (wie an den Großeltern-Donnerstagen meiner Kindheit) und führten eindrückliche Gespräche über Gott und die Welt. Auch an diesem Tag kehrten wir erst frühnachts nachhause zurück – und auch an diesem Abend musste ich mich zum Abschluss noch einer Tipp-Kick-Partie stellen, die ich – wie sonst – im Elferschießen verlor. Der Sommer ist also wirklich gekommen! Immer noch bin ich - was den Sommer betrifft - feriengepolt. Nun hat mir mein Leben gleich ein Superfreispiel für den Juli beschert, die geplanten erwerbseinkommenbescherenden Aktivitäten wurden seitens meiner Auftraggeberin gecancelt und ich stehe vor vielen freien Stunden.
Ein Traum wird wahr. So war es immer mit den Ferien. Mit Ausnahme von 1985-1992 hatte ich in der Jahresmitte immer frei. In jenen Jahren verdingte ich mich für den Broterwerb bei einer Bank und als Geschäftsführer einer Familienorganisation. Alles nicht der wahre Weg, alles eine Nummer zu groß wie sich herausstellte, als mich mein Körper und meine Psyche zu einer Pause und zu einem Neustart unter anderen Bedingungen zwangen. Von da an waren mir fortan wieder die Sommerferien vergönnt, nicht immer neun Wochen aber doch eine ausreichende Zeit für das, was notwendig war: Regeneration, Selbstbesinnung und ein Leben ohne den alltäglichen Takt. Dieser Sommer ist allerdings insofern ein ganz besonderer, als er mir bis zum 19. August jede Menge Freiheit zum Schreiben ermöglicht. Da steht so vieles an, was liegen bleiben musste, weil mich das Leben in diesem ersten Jahres-Halbjahr besonders herausgefordert hat. Mein Kinderbuch Olli wartet auf seine längst verdiente Fortsetzung, ich habe eine Novelle mit dem Titel "Kontrollverlust" wiederentdeckt, die ich bereits im September 2016 zu schreiben begonnen habe und die mich beim Wiederlesen fasziniert hat. Auch gibt es da Aufzeichnungen eines Finnlandaufenthaltes vor mehreren Jahren, die eine Überarbeitung und Veröffentlichung verdienen. Und dann warten da noch inspirierende Fotos, die ein Davor und Danach brauchen und ihrer Geschichten harren. Was als Hindernis spürbar wird ist zum einen die Fußball-WM, die mein Jüngster mit großem Interesse verfolgt und bei der er mich zum Begleiter erkoren hat, nicht nur technisch (in dem ich Laptop und Beamer verbinde und auf diese Weise eine Großleinwand an der Wohnzimmerwand kreiere, womit ich aber auch für diese Zeit mein Schreibgerät vorgeben muss) sondern auch zeitlich, zum anderen die unsäglichen Inszenierungen dieser Bundesregierung, zuletzt die gegründete Task-Force zur Überwachung der Fluchtruten sowie der Auftakt zur EU-Ratspräsidentschaft auf der Planai. Ich habe zwar beschlossen, mich diesbezüglich sehr zurückzuhalten, doch ist nicht Schweigen auch eine unausgesprochene Zustimmung? Zudem hat mich die Leselust gepackt und ich bin innerhalb von 24 Stunden in Othmar Eiterers Roman "Meilen gehen bevor ich schlafen kann" eingetaucht. Der Titel stammt aus einem meiner Lieblingsgedichte von Robert Frost: "Miles to go before I sleep", die Story erzählt von einem Sommer in der Toscana, der Fluchtpunkt wird für einen Schriftsteller, der mal Lehrer war, und eine Frau samt Sohn, die dem ehelichen Alltagseinerlei entgehen möchte. Dazu Vergil, Dante und Goethes Italienische Reise - einhunderzwanzig Seiten vollgepackt mit Vielem. Gleich im Anschluss habe ich einen seiner weiteren Romane begonnen: Der Tod des Lorenzo Milani. Im Zentrum ein konvertierter Jude, der katholischer Priester wurde, um mit der Kirche zu hadern und seiner eigentlichen Berufung zum Lehrer zu folgen. Wegen Ungehorsams aus Florenz in ein Bergdorf versetzt gründet er die Schülerschule von Barbiana, die viele PädagogInnen faszinierte und zeigte, dass junge Menschen miteinander und voneinander erfolgreich lernen können, auch wenn sie nicht dem BildungsbürgerInnentum angehören. Sein Leben endete allerdings schon mit 44, gezeichnet von Lymphdrüsenkrebs und Leukämie. Mit Eiterer erlebe ich gerade die letzte Nacht des Geistlichen, der ohne Rücksicht auf sein Leben und seine Karriere zu seinen Grundsätzen stand. Und: Auf dem Postweg zu mir ist schon ein Buch von Jörg Mauthe, seinerzeit unter Erhard Busek eine der bunten Vögel in der Österr. Volkspartei, mit der jener die Wiener Stadtpolitik beleben wollte. In "Die große Hitze" wird ein Beamter zum großen Retter Österreichs, weil er eben nicht nach Vorschrift handelt, sondern die vielzitierte österreichische Lösung anwendet - etwas das - wie Walter Hämmerle in der Wiener Zeitung vor kurzem schrieb (sein Artikel brachte mich auf die Spur dieses Romans) Österreich auch heute gut anstehen würde. Vor langer Zeit habe ich mir vorgenommen, täglich eine Stunde zu schreiben, nun gilt es täglich diesen Schweinehund zu besiegen, um dieses Projekt konsequent durchzuziehen. Zeit habe ich ja genug. Und dennoch ist der Auftakt etwas schräg geraten, startete ich doch erst um 23.23 h mit diesen Tagebucheintrag, der nunmehr um 0:07 Uhr beendet ist. Aber immerhin: Der Anfang ist gemacht, der Sommer kann kommen! Gerade sind meine Frau und ich eingetaucht in die Geschichten der Familien Kupfer und Hausmann, die in der Fernsehserie Weissensee als ProtagonistInnen für ein Leben in der DDR vor und nach dem Mauerfall stehen. Die einen, als erklärte AntifaschistInnen verbunden mit der sozialistischen Gründungsidee, die anderen als VertreterInnen eines immer totalitärer werdenden Systems, das seine eigene Philosophie zunehmend verrät. Da passiert neben all den politischen und kriminellen Handlungssträngen auch viel persönliches Drama, alles hervorragend dargestellt von einem grandiosen SchauspielerInnen-Ensemble, möchte ich an dieser Stelle nicht berichten. Es gilt sich selbst ein Bild zu machen.
Was mich aber zutiefst betroffen gemacht hat, ist die Tatsache, dass die im Film dargestellten Strukturen eines Staates jederzeit und überall vorkommen können, auch in den sogenannten Demokratien, die sowohl dem Faschismus als auch dem Kommunismus abgeschworen haben. Die DDR ist überall, vor allem in den Köpfen und Herzen der Menschen, die sich nach Recht und Ordnung sehnen.Immer geht das alles einher mit Kontrolle, dem Gefühl, alles im Griff haben zu müssen, der Feindschaft gegenüber allem, was kreativ und phantasievoll ist und daher nicht den Konventionen entspricht. Bertrand Stern, der freischaffende deutsche Philosoph und Sohn des pädagogischen Vordenkers Arno Stern, hat das Schulsystem (in Deutschland) mit dem politischen System in der DDR verglichen und die strukturelle Gewalt der „Beschulungsideologie“ kritisiert. Immerhin bereitet die Schule den Boden für die Gesellschaft der Zukunft und als solches ist es demnach – auch in Österreich - denkbar ungeeignet, Menschen hervorzubringen, die zu Großem fähig sind und die Herausforderungen der Zeit annehmen und bessere Lösungen entwickeln, als sie heute vorhanden sind. Dieser kleine Kontrolleur in den Köpfen so vieler Menschen, lässt deren Herzen schnell erkalten. Daher gilt es dem Wilden und Ungezähmten im Sein vor allem junger Menschen, einen guten Boden zu bereiten, denn dort liegt die Kraft der Veränderung der Welt fern von faschistischen oder kommunistischen Regimen. Die Anarchie, die darin steckt, wird viel zu oft gefürchtet, obwohl sie in ihrer Grundbedeutung vom griechischen an-archia, einer Verneinung von „archia“ (Herrschaft) stammt, was vielfach mit Herrschaftslosigkeit übersetzt wird. Ursprünglich wurden damit Menschen bezeichnet, die ohne Anführer lebten, Gruppen, in denen kein Alleinherrscher regierte sondern ein Miteinander herrschte. Mit Macchiavelli aber war – meiner Recherche nach - dann der Bedeutungswandel und die damit verbundene Abwertung des Begriffes eingeleitet. Auch jene, die aus der An-Archia einen neuen „Ismus“ kreierten, trugen einen großen Teil dazu bei, dass heute landläufig ein zu (be-)fürchtender Zustand damit verbunden wird, der die Gesellschaft, ja die ganze Welt ins Chaos stürzte. Die andere, lebensspendende Ordnung der An-Archia erkennt kaum eine/r. Nun, wenn ich entscheiden müsste und könnte, wo ich lieber leben würde, dann wählte ich freien Herzens die An-Archia in ihrer ursprünglichen Form. Ich traute Menschen auch diese positive Kraft zu, ich mutete ihnen dieses Miteinander ohne Führer zu, weil es zutiefst menschlich ist, verankert im Herzen und fähig den Kopf zu erreichen, um etwas Gutes daraus zu formen. Im Kleinen zuerst und dann im Großen. Nachsatz: Auch jene, die sich auf den Weg des Selbst-Sich-Bildens machen, tragen die An-Archia in ihren Herzen. Womit sich einmal mehr zeigt, wie wichtig die Ermöglichung individueller Bildungswege mit entsprechenden Beg-Leitung ist, um den zahlreichen „Ismen“ vorzubeugen. Die Ostertage sind mir die lieberen. Was zu Weihnachten – in der Dunkelheit der eben erst vergangenen längsten Nacht des Jahres - mit Ignoranz oder versuchter Vergebung errungen werden will, ist am Beginn des Frühjahres um vieles einfacher zu erfahren. Die Lebendigkeit der Welt kommt dir aus allen Ecken und Enden entgegen. Du kannst kaum vorbeileben an den frischen Trieben, den sprießenden Keimen, den sanft oder auch kräftig duftenden Blüten, dem Segen des lebensspendenden Regens oder der Erfrischung deines Herzens. Auch ist Ostern nicht beladen mit dem Titel „Familienfest“, etwas, das Weihnachten leisten muss, egal ob mit, ohne oder mit einer „Problem“-Familie. Wenn Menschen, die sich ein Jahr lang nicht um ihre Beziehung gekümmert haben, alljährlich in dieser (Un-)Heiligen Nacht zusammenkommen, kann selbst bei allerbesten Absichten nur jenes Schmutzwäschewaschen herauskommen – wie bei PartnerInnen, die im Urlaub plötzlich auf sich und einander alleine gestellt sind.
Ostern hingegen ist für mich ein Fest der Befreiung, ein Fest des Ablegens der Fesseln des allgegenwärtigen Todes, den ich mehr fürchte, als mir lieb ist, und der mich deshalb so zu lähmen vermag, dass ich mein Leben nicht mehr erfahren will. Auf diese Weise verhindere ich den mir – so wie allen Lebewesen – drohenden Exitus nicht, aber ich verhindere mein Leben. Da tut es doch gut, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass Leben eben ein ständiges Werden und Vergehen ist und dass ich, auch bei allergrößten Bemühungen, nicht gefeit vor dem Ende meiner Existenz bin. Also nehme ich Ostern zum Anlass, um alles los zu werden, was sich im Laufe des vergangenen Jahres angesammelt hat, um meine Lebendigkeit zu zähmen und mein wirkliches Leben zu verhindern. Heuer ist das angesichts einer Regierung, die auf Kontrolle, Sicherheit und Furchtmache setzt, besonders wichtig. Das Leben ist lebensgefährlich und führt unausweichlich zum Tod. Das aus Furcht heraus ungelebte Dasein aber lässt uns schon zu seiner Zeit weit vor der Zeit Verstorbene sein. Das jedenfalls kann nicht die Idee der Existenz sein. Der Frühling, der um Ostern herum ausbricht, ist beredtes Zeugnis für den tatsächlichen Lebenssinn. Mögen ihn alle erkennen und erleben – what a wonderful world this would be. Diese raren Frühlingstage, die uns dieses Jahr beschert, gilt es zu nutzen. So wanderte ich also heute gemeinsam mit meiner Frau erstmals seit ich hier lebe jenseits der Bahngleise, die den Ort zerteilen, hinauf in die Weinberge. Wir muteten uns nur die kleinste der möglichen Runden zu, jene, die nach der Riede Gebling benannt wird. Der Name der Lage wiederum leitet sich laut Wein-Glossar entweder vom höchst lösshaltigen Boden ab oder wie im französischen Bereich Cote d’Or vom gelben Herbstlaub. Sie ist laut Kennern der beste Ort für den Grünen Veltliner und wurde bereits 1284 erstmals urkundlich erwähnt. Das ist die eine Geschichte, der ich auf meinem Weg begegnete.
Und dann kamen wir an einem Haus vorbei, das mit österreichischer und deutscher Fahne beflaggt war, vor dessen Eingangstor ein rot-weiß gestreiftes Wächterhüttchen und in dessen Garten eine Fülle an Sammelobjekten stand. Ich dachte daran, was da wohl im Keller dieses passionierten Sammlers zu finden sein könnte. Am Weg hinauf, trafen wir die Jugend, zwei junge Herren ganz in Schwarz neben ihrem Mofa, und weiter oben dann andere, die sich neben den Schlitten ihrer Väter – zwei Mercedes und ein BMW – mit viel Schmäh und Gelächter von ihrer Spritztour erholten. Ich blickte erstmals über den Ort, der unsere Heimat geworden war, und sah noch viel weiter. Die Geschichten fielen mir in einer Tour zu, ich konnte sie nicht alle fassen, und würde ich heute zu schreiben beginnen, ich wäre wohl jahrelang beschäftigt. Das Richtungsschild wies uns schon bald wieder an, in die Ebene abzusteigen, doch war es wohl – von wem auch immer – verdreht worden. So kletterten wir abermals aufwärts. Ich versagte mir dann aber die Lust, den großen Weinbergweg zu erfahren oder gar in den Rosshimmel einzugehen, warteten doch zu Hause unsere Jungs. Artig folgte ich meiner Frau und einem weiteren Wegweiser, der uns dorthin zurückführte, woher wir gekommen waren. Nun sitze ich da, noch leicht benommen von meinem Weinhöhenrausch, und schreibe diese Zeilen, damit ich mich, wenn die Zeit gekommen ist, an all die Geschichten erinnere, um sie bei dem einen oder anderen Glas Grüner Veltliner zu Papier zu bringen. |
Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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