Nun ist sie also geschlagen, die Fußballweltmeisterschaft und mein Jüngster und ich können uns wieder den Niederungen des Alltags in der 1. Niederösterreichischen Landesliga widmen, in der unser örtlicher Ballestererklub in der kommenden Saison hoffentlich nicht wieder bis zur letzten Runde gegen den Abstieg spielt.
Die letzten Wochen waren auch bei uns zuhause geprägt vom Event in Russland, wir sahen wie ein Star nach dem anderen ausschied und der Junior lernte mit den Niederlagen seiner Favoriten überraschend cool zu leben. Nun ist ja Fußball nicht mehr das, was er in meinen Kindertagen war. Irgendwann im Lauf meiner Jahre als Erwachsener verlor ich, der glühende Austria-Wien-Fan, die Lust am runden Leder. Zum einen war mir die zunehmende Kommerzialisierung dieser Sportart höchst suspekt, zum anderen hatte ich nach meiner Matura auch keine Gelegenheit mehr, die Wuchtel in einer Mannschaft selbst zu treten. In meiner Schulzeit war ich fixer Bestandteil unseres Klassenteams, ich durfte mich in der Außenverteidiger-Position bewähren. Berüchtigt war ich für meine kompromisslose Art, mich ins Zeug zu legen, dennoch spielte ich nie so, dass ich andere gefährdete, eher schon mich selbst. Ich erinnere mich an einen Pressball gegen einen doch um vieles massiveren Klassenkollegen in einer Turnstunde am schuleigenen Sportplatz. Ich erreichte den Ball in letzter Sekunde, da drückte jener auch schon volle Wäsche ab. Ob der Wucht dieser Ballbehandlung machte ich so eine Art Salto rückwärts und knallte mit dem Hinterkopf auf den damals gerade im Umbau befindlichen Platz (er wurde von einem Sandplatz, auf dem ich mir nicht nur einmal wegen meines vollen Einsatzes schmerzhaft die Knie aufgeschürft hatte, zu einem mit rotem Kunststoff belegten und allerlei Linien ausgestatteten Multifunktionsplatz und war zu diesem Zeitpunkt bloß asphaltiert). Überraschenderweise fühlte ich mich nicht benommen, aber mein Turnlehrer hatte eine weitere Schrecksekunde mit mir, unterbrach das Spiel sofort und testete mit geübtem Druck seiner Finger, ob mein Schädel noch heil war. Umgehend schickte er mich in die Kabine, wo ich dann viele Liter Wasser über meinen Kopf laufen ließ und schließlich zitternd bis zum Ende der Stunde ausharrte. Geschehen ist mir glücklicherweise dabei nichts. Die glorreichste Erinnerung aus meiner aktiven Fußballzeit ist jene an das Unterstufenturnier, bei dem wir als 4. Klasse teilnahmen. Im Semifinale, das auch mein Großvater mütterlicherseits (er war mit mir damals auch bei jedem Heimspiel der Austria im Stadion und spielte donnerstags, bei seinem wöchentlichen Besuch, immer einige Partien Tipp-Kick mit mir) besuchte, kam es nach einem Unentschieden zu einem Elfmeterschießen. Dabei wurde ich vom Kapitän unseres Teams damit überrumpelt, dass er mich zum Schießen einteilte. Ich hatte eine Sternstunde, nahm Anlauf und knallte den Ball halbhoch in die linke Torecke, womit ich unserer Klasse den Aufstieg ins Finale ermöglichte. Das war ein Jubel – und ich bin auch heute noch überrascht von dieser Leistung. Dort gingen wir dann allerdings gegen die Parallelklasse 0:4 unter (ebenso wie die Wr. Austria im Jahr 1978 im Finale des Europacups der Meister gegen RSC Anderlecht). Ein tödlicher Querpass meines Verteidiger-Kollegen vor dem Sechzehner, der zu schwach geschossen war und den ich nicht mehr erlaufen konnte, war der Anfang vom Ende. Mehr weiß ich nicht mehr. Unser Jüngster geht es jetzt noch „professioneller“ an. Er hat sich nach einigen Probetrainings entschieden bei den Juniors unseres Dorfklubs mitzumachen, im August startet die Herbstsaison mit einem dreitägigen Trainingscamp in unserem Schmuckkästchen-Stadion. Der Klub selbst wird von einer großen Firma, die in Haartransplantation und Schönheitschirurgie macht, finanziell bestens unterstützt, die Zwillingsbrüder sind ihrer Heimat, in der ihr Vater Weinbauer war, immer noch sehr verbunden. Kommen wir mit einem Satz noch einmal zurück zur eben vergangenen WM: Nicht wirklich überraschend und mich tatsächlich – neben der schon angesprochenen Kommerzialiiserung des Fußballs – total nervend ist der heftige Nationalismus, wenn nicht sogar Rassismus, der sich in dieser Sportart – trotz aller Fair-Football-Kampagnen – vor allem bei den Fans auftut. Möglicherweise ist er ja auch ein Ventil für die „Kriegslust“ des Zweibeiners, der Psychologe Friedrich Hacker sah meines Wissens genau diesen Aspekt im Sport als sehr positiv. Ich wünschte mir ein kultivierteres Vorgehen, aber womöglich überfordere ich damit die Spezies Mensch, in dem ich ihr weit mehr zutraue als sie durchschnittlich zu leisten im Stande ist. Abschließend bleibt noch der Aspekt, dass sich weder FIFA noch UEFA – wie eigentlich in Abgrenzung zum American Football logisch – als Soccer-Associations bezeichnen, sondern auf der Bezeichnung Football beharren. In einem jener gescheiten Bücher, die sich mein Jüngster aus der Bücherei holt, wurde diese Entwicklung erklärt. So gab es in den Anfangsjahren des Fußballs, wenn ich mich richtig erinnere, einen Konkurrenzkampf zwischen dem heutigen Rugby, das der Legende nach in der gleichnamigen englischen Stadt entstanden ist, und dem später als Soccer bezeichneten Spiel. Dieser Name stammt übrigens von der Kurzform des Wortes Association Football, während die andere Schule, bei der der Ball auch mit den Händen bewegt werden darf, als Rugby Football bezeichnet wird. Vor kurzem hörte ich von einem Teilnehmer in der Gruppe, die ich auf die Berufsreifeprüfung in Deutsch vorbereite, folgenden Ausspruch: „Fußball ist ein Sport von Gentlemen für Hooligans, Rugby hingegen einer von Hooligans für Gentlemen.“ Ganz kann ich dieser These nicht folgen, aber dazu kenne ich den Kampf mit dem Eierlaberl auch zu wenig. Na gut, heute Abend werden mein Jüngster und ich also beim ersten Vorbereitungsspiel unseres FCR wieder in der MM-Arena sein – und schauen, was die neu zusammengewürfelte Mannschaft und ihr alter Trainer so zusammenbringen. Wir müssen uns wohl auf kleinere Brötchen gefasst machen und auf die Fülle an Wiederholungen, die das TV uns bietet, verzichten – aber ein Live-Match im Stadion hat auch seine ganz besondere Atmosphäre und Qualität.
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Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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