Von meinem norwegischen Fahrrad, das mich alljährlich auf Halme erwartet und das ich ob seiner Verdienste zum Finnen erklärt habe, habe ich hier anderntags schon berichtet. Was ich noch nicht dazu gesagt habe, war, dass der Drahtesel unserer finnischen Nachbarin Niina gehört und dort - bis auf wenige Ausnahmen - den Rest des Jahres vor deren Haus in Sonnenschein, Regen, aber auch Schnee ausharrt bis es wieder Halme-Time ist.
Dieses Rad leistet mir also seit 3 Jahren treue Dienste, es ist ein mächtig schwerfälliges Gefährt, aber wenn es einmal in Schwung ist, kann es kaum gebremst werden. Das linke Pedal ist schon außer Form geraten und sowohl Vorder- als auch Hinterrad nennen einen Achter ihr eigen. Eigentlich ist seine Zeit längst vorbei und eine Erneuerung des Drahtesels ist aus meiner Sicht nicht nur hoffnungs- sondern auch sinnlos. Die Investition lohnte nicht - und nacher stünde bis auf den Rahmen wohl ein anderes Gefährt im Schuppen. Meine Bein- und Armmuskeln aber freuen sich auf dieses Training und nehmen in diesen Wochen, da ich das Gefährt das meine nennen darf, einiges an Masse zu. Daher hatte ich nicht wirklich Eile, mich nach Ersatz umzusehen, obwohl ich es regelmäßig tat. Nun bin ich aber derjenige, der nach unserem Einkäufen im Dorf die rund 30 Kilogramm schwere Last auf dem Gepäckträger nach Hause bringen darf. Das zehrt. Also intensivierte ich heuer die Suche nach einem würdigen und leichtläufigeren Ersatz. Es gab die eine oder andere Möglichkeit, die einen zu teuer, die anderen zu weit weg, keine wirklich passend. Nun waren wir gestern wieder in Yläne, um unsere Lebensmittelvorräte für diese Woche aufzufüllen, als Reetta beiläufig erwähnte, dass sie gerade auf einem der Kärtchen auf der Pinnewand im Windfang des Supermarktes davon gelesen hätte, dass es ein Tunturi 26-Zoll Männerfahhrad zu verschenken gäbe, und das noch dazu im Ort. Tunturi ist neben Helkama (von der das Kultrad Jopo stammt) der zweite große Fahrradhersteller Finnlands, mittlerweile zu einem niederländischen Konzern gehörig. Der Begriff, im deutschen besser als Fjell bekannt und etymologisch mit "Tundra" verwandt, bezeichnet Berge und Hochflächen oberhalb der Nadelwaldgrenze. Die im finnischen Lappland zwischen 400 und 800 Meter hohen Berge werden als tunturit bezeichnet. Sie sind runde Inselberge, die sich aus der ansonsten flachen Umgebung erheben. Diese Berge sind durch die Gletschermassen der Eiszeitalter abgeschliffen worden. Ein sprechender Name für ein qulitätsvolles Gefährt, das zu einem guten Gefährten werden kann. Also reichte ich meiner Liebsten das Handy und bat sie anzurufen. Fünfzehn Minuten später trafen wir am Treffpunkt vor dem Heimatmuseum ein. Der Verschenker, der das Rad als "schiach aber fahrtauglich" beschrieben hatte, hatte seine Frau geschickt, um das Rad zu übergeben. Da stand also jetzt ein Tunturi mit der sprechenden Bezeichnung "country-side" vor mir, der Sattel ein wenig hoch für meine Verhältnisse, der Lenker zu niedrig, aber sehr ansehnlich und von "schiach" keine Spur. Mir fiel nur auf, dass der Mantel des Hinterrades schon rissig war, aber auch das hatte der Verschenker angekündigt. Die Reifen waren aufgepumpt, die kurze Probefahrt überzeugte und so sattelte ich die Packtaschen auf's neue Pferdchen um. Nun stellte sich nur noch die Frage, wie mit dem geborgten Drahtesel umzugehen sei. Die mittels SMS befragte Nachbarin gab innerhalb der von uns gesetzten Frist von 15 Minuten keine Antwort, ob es für sie passe, das Rad im Ort stehenzulassen, wo sie es mit dem Auto abholen könne. Im Supermarkt hatten wir deren Sohn getroffen, der aber jetzt auch mit seinen Freunden irgendwo untergetaucht war. Wir entschieden intuitiv, diesen Schritt dennoch und unabgesprochen zu setzen. So stellten wir das Rad vor dem zweiten Supermarkt des Dorfes ab und fuhren heim. Mich erwartete ein völlig anderes Fahrgefühl, ein schnelles, unruhiges Eselchen, das mit 21 Gängen protzt, die ich in dieser Fülle wohl niemals nützen werde. Das Holpern über Stock und Stein erforderte durchwegs größere Aufmerksamkeit als bisher und die Lenkung reagierte auf jede Bodenunebenheit. Alles Gewöhnungssache, innerhalb der acht zurückgelegten Kilometer wurden wir jedenfalls beste Freunde. Schon während der Fahrt hatte ich in meiner Hosentasche die Vibration eines SMS bemerkt, das ich nach der Ankunft meiner Frau zum Lesen gab, da es von Niina stammte. Der Schreck stand ihr ins Gesicht geschrieben. Die Nachbarin stellte darin fest, dass ihr Rad nicht im Ort stehen bleiben solle. Nun waren Lösungen gefragt. Uns fielen zwei Möglichkeiten ein. Zum einen wurde der örtliche Supermarkt angerufen, ob das Rad möglicherweise bis zum Zeitpunkt einer Abholung dort untergestellt werden könnte. Antwort negativ. Zum anderen checkte ich die Busverbindungen in den Ort, um es schnellstmöglich heim zu holen. Eine knappe Stunde nach unserer Ankunft ging der letzte Autobus des Tages, der mich um € 6,90 an das Ziel meiner Wünsche bringen konnte. Auch für den Fall, dass das Rad nicht mehr an Ort und Stelle stünde, sorgte ich vor; es gab 45 Minuten nach meiner Ankunft einen Bus zurück. Mein Abendessen nahm ich im Gehen auf dem Weg zur Busstation ein, die rund 1,5 Kilometer entfernt von unserem Mökki an der Bundesstraße liegt. Während ich also ging und aß und aß und ging überlegte ich, wie ich des Finnischen kaum mächtig beim Busfahrer dennoch den Eindruck eines einheimischen Fahrgastes erwecken könnte. Schon der Einstiegssatz aber wurde zur unüberwindbaren Hürde, da ich die Endung suchte, die im Falle eines nach ... richtig wäre. Nach Yläne. Oder: Eine Karte nach Yläne. Oder: Wie spricht man in Finnland eigentlich, wenn man ein Busticket lösen will? Aus dem Finnisch-Unterricht wusste ich bloß, dass Yläne zu jenen Städten (wie etwa auch Tampere) gehörte, "in" die man nicht fuhr sondern "auf" die man fuhr. In diesem Moment verwickelten sich meine Überlegungen vollends. Dennoch führte ich dieses wunderbare Gedankenspiel fort, aus dem sich folgender Dialog entspinnen hätte können: Ich: Moi. Busfahrer: Hei, hei! Ich (wenn ich den Satz nicht erst durch spätere Befragung meiner Frau herausgefunden hätte): Lippu Yläneelle. Busfahrer: Kuusi yhdeksän kymmentä. Ich zahle. Und dann spricht mich der Busfahrer auf etwas an, was ich nicht verstehe, während ich hinter im Platz nehme und ich packe mein Sprachkurs-Finnisch aus. Ich: En puhun Suomea. Minun vaimoni on Suomalainen. Minä olen Itävaltalainen. Minä puhun Saksan, Englantia ja Ranska. Puhummeko Englantia? Und dann verstummt das Gespräch entweder oder wir reden auf Englisch weiter bis die acht Fahrminuten entfernte Station erreicht ist. Ich kam zehn Minuten vor der Abfahrt an der Bedarfshaltestelle an, was grundsätzlich gut ist, da diese vom Bus auch früher als erwartet angefahren werden könnte. Zwei Minuten vor der fahrplanmäßigen Abfahrtszeit klingelt mein Handy und Reetta fragt mich, ob ich schon im Bus wäre. Auf mein "Nein" antwortet sie, dass Niinas Fahrrad praktisch schon zu hause sei, weil es deren Sohn vor dem Supermarkt entdeckt und eine Rückführmöglichkeit gecheckt hatte. Die Buschtrommeln funktionieren hier ausgezeichnet. Während ich dann die 1500 Meter heimwärts schlenderte, kam Niinas Sohn nochmals auf Halme vorbei, um zu fragem, ob der den "Mike" (Mike heiße ich hier deswegen, weil das Finnische den "ch"-Laut nicht kennt und dieser für alle so unassprechlich ist wie für mich das Zungenspitzen-"R") aus Yläne abholen solle, da der ja nun ohne Fahrrad dastünde. Das ist schon mehr als nachbarschaftliche Aufmerksamkeit und es zeigt wie die Menschen hier in unserer Gegend ticken. Auf diese Weise kam ich sogar noch rechtzeitig zur allabendlichen Familiensauna. Einfach wunderbar! Meinen fiktiven Dialog übrigens halte ich für kommenden Freitag in petto, an dem ich einen Solo-Ausflug nach Turku plane. Mal schauen, ob die familiären Verpflichtungen diesen Ausreißer zulassen.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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