Durchschnaufen.
Verdauen der Erlebnisse der vergangenen Wochen, vor allem der letzten. In Wien war ich vor unserer Abreise mit so vielem beschäftigt, hier in Finnland bin ich es auch, aber mit anderem. Schreiben passiert hier - noch hauptsächlich - im Kopf. Oder um es treffender auszudrücken: Aufzeichnen. Ich habe also viel aufgezeichnet - viel zu viel, um es in der mir möglichen Zeit zu Papier zu bringen. Heute verschaffe ich mir hier einen ersten Überblick: Am Vortag unserer Reise nach Halme war ich neben dem Packen mit diversen Buchungen beschäftigt: 1 Gepäckstück zum Flugticket zubuchen, Online-Check-in mit Boarding-Pass-Druck (was nicht ohne Chat mit Iiris abging, da es dabei andauernd hakte), die Onnibus-Fahrt (der - was für ein schönes Wortspiel - auf Deutsch "Glücksbus" heißt) von Helsinki nach Turku bestellen, die Bustickets mit Satakunnan Likenne von dort zu unserem Reiseziel. Letztere versuchen im Wettstreit mit den Billigbietern bei Fernbussen so mitzuhalten, dass sie ebenfalls Billigtickets anbieten, allerdings bloß 2 pro buchender Person. Für eine 5-Personen-Gruppe ist dies eindeutig nicht attraktiv. In unserem Fall aber gibt es auf dieser Strecke keine Alternative. Am nächsten Tag ging es also zu fünft mit drei Kinderrucksäcken, zwei Handgepäckstrolleys, einem Koffer und zwei Laptops in den entsprechenden Taschen Schritt für Schritt in das Land meiner Frau: mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof, mit dem Railjet zum Flughafen (dafür buchte ich übrigens am Tag vorher auch noch die Tickets), dann zur Gepäckaufgabe, der Sicherheitskontrolle und zum Gate. Dort stand der Flieger bereit; überraschenderweise keiner von Finnair sondern einer von Air Berlin. Da ich als leidenschaftlicher Journalist das Recherchieren nicht lassen kann, suchte ich Spuren zu dieser Ungewöhnlichkeit, die ich sogar als österreichischer Wahl-Finne als Ungeheuerlichkeit empfand. Ich fand sie - ohne fragen zu müssen - auf unseren E-Tickets. "Finnair operated by Air Berlin" stand dort zu lesen. Was das bedeutete, enfaltete sich erst im verlauf des Fluges. Beim Einsteigen in das Flugzeug wurden wir jedenfalls von einer finnischen Stewardessenriege mit dem wohlbekannten "hei hei" bzw. "Moi" begrüßt. Beruhigt nahmen wir Platz. Die Frage, die für mich offen blieb, war: Fliegen nun Finnair-Piloten mit dem deutschen Flieger? Als wir über Krakau waren meldete sich der erste Offizier auf Englisch. Damit war klar: Dass ist eine deutsche Cockpit-Crew. Bei Finnair meldet sich in der Regel der Pilot und spricht zuerst auf Finnisch, dann auf Schwedisch und letztlich auf Englisch. Dieser vom Piloten beauftragte Offizier (Frage meines Sohnes: Ist das der Copilot?) stellte den Piloten und sich vor, dann wünschte er eine gute Reise. Das war's. Bis zum Ende keine Meldung mehr. Jetzt ahnte ich, was sich hinter dem etwas angespannten Gesichtsausdruck der finnischen Bord-Crew möglicherweise auch verbarg: ihre nicht freiwillig gewählte Diaspora in einem Air-Berlin-Airbus 320 auf einem Finnairflug. Spätestens bei der Landung in Helsinki hätte ich ohnehin gewusst, dass der Pilot anders gestrickt war als üblich. Eine derartige Vollbremsung auf dem Flugfeld der finnischen Hauptstadt habe ich noch nicht erlebt. In Helsinki durften wir die Wohnung von Freunden nutzen, die über's Wochenende auf ihrem Mökki waren. Das taten wir intensiv bis hin zum Brandalarm aufgrund eines rauchenden, weil verunreinigten Backofens. Eingeladen waren wir bei alten Freuden von Reettas Eltern, wir besuchten Suomenlinna und hatten tolles, echt finnisches Sommerwetter mit 23 Grad Celsius und Wolken, aus denen jederzeit ein Regenschauer niedergehen konnte. Welch Wohltat nach der Hitze Wiens und nach den letzten beiden Sommern hier in Finnland, die Indian Summers waren, in denen es auch am Land tropische Nächte und Tageshöchstwerte um die 30 und mehr gegeben hatte. Im Onnibus nach Turku regnete es dann. Es war eine angenehme Fahrt mit vielen Eindrücken der vorbeirauschenden Landschaft und WLAN sowie Steckdosen unter jedem Sitz. Nach einem kurzen Aufenthalt, den wir für Lebensmitteleinkäufe nutzten, ging es weiter ans Ziel. In diesem Bus fiel mir auf, dass er für jeden Platz einen USB-Anschluss bot, an denen die jugendlichen MitfahrerInnen sofort ihre Handys anschlossen. Sie hingen damit quasi am Tropf des World Wide Webs oder von was auch immer sonst. Das letzte Stück von der Busstation zum Mökki fuhr uns Nachbar Janne. Einem gemütlichen Ankommen stand nichts im Wege. Alles beim alten hier. Unser erster Radausflug führte uns dann am Dienstag nachmittags in das 7 Kilometer entfernte Städtchen, in dem der hiesige Supermarkt liegt. Am Vormittag hatten Reetta und ich im Schweiße unserer Angesichte ihr Jopo-Rad und das Tunturi-Fahrrad unseres Jüngsten mit einer in Helsinki via tori.fi (das finnische "Willhaben") erworbenen Tandemstange verbunden. Trotz einiger notwendiger kreativer Lösungen funktionierte das ganze einwandfrei und wir konnten unsere Bestzeit für die Strecke sogar halten. Auch die Sauna tat bisher schon zweimal ihr bestes - und ich mutiere zum Oberheizer, nicht nur dort, sondern auch im Haus, das mit Herd und zwei Öfen ausgestattet ist, die auch im Sommer ihrer Bestimmung nachkommen wollen, um die letzte Feuchtigkeit des Winters aus dem Mökki zu treiben. Wir sind also da - und jedeR von uns ist noch viel mehr auf sich selbst und den anderen angewiesen als in Wien. Das entfaltet kathartische Wirkung mit höchster Gruppendynamik. Die schon oben genannten Saunagänge tun ihr übriges. Fegefeuer light sozusagen - obwohl ich selbst das schon als ziemlich heavy empfinde.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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