Wir sind ein sehr dynamische Patchwork-Familie mit einer langen, sehr komplexen Vorgeschichte. Habe ich all das Unklare und in kurzen Worten Unerklärliche jetzt klar genug ausgedrückt? Wenn nicht, so muss es dennoch so bleiben - und ich verliere mich jetzt hier in hoffentlich anschaulich dargestellten Allgemeinplätzen, die dennoch Wirkung und Gültigkeit haben, da sie unsere Situation widerspiegeln und auch anderen Anknüpfungspunkt sein werden.
Vor 25 Tagen sind wir fünf in unsere zweite Heimat aufgebrochen, wo ein Mökki aus Reettas Familienbesitz auf uns wartet. Den Übergang von der Großstadt Wien haben wir auch in diesem Jahr durch einen dreitägigen Aufenthalt in Helsinki gestaltet, ehe wir dann in der Einschicht der finnischen Wälder angekommen sind. Unser Prepaid-WLAN-Anschluss, unsere Handys, die Fahrräder und das benachbarte Ehepaar Niina und Janne halten unsere Verbindung zur Außenwelt aufrecht, ansonsten geht es trotz reichlich Platzes (im Haus, den Nebengebäuden, dem großen Garten und den uns umgebenden Wäldern) recht eingeengt zu. So aufeinander angewiesen wie in diesen Wochen sind wir wohl selten innerhalb eines Lebensjahres. Das zeugt eine noch intensivere Dynamik als gewohnt, die uns ein Fülle von Erfahrungen und auch jede Menge Selbsterfahrung bringt. Die Reflexion des Ganzen ist ein unabdingbarer Bestandteil dieser Zeit, sie kommt im Alltag so lange zu kurz, bis es ordentlich kracht und meine Frau und ich aufgefordert sind, die entstandenen Verwicklungen, in denen wir uns meist auch noch selbst mitten drin befinden, zu entwickeln. Welch schöne doppelte Bedeutung hier auf Halme der Begriff "Entwicklung" bekommt. Dieses Viel-Stärker-Aufeinander-Angewiesenseins hat seine Wurzeln in den vielen Alltäglichkeiten, die hier ganz anders ablaufen als in unserem Zuhause in Wien. Da gilt es einmal damit zu leben, dass wir uns im Wohnhaus (mit Küche/Stube und zwei Zimmern) 50m² teilen, dort kein Fließwasser haben, sondern nur im über die Straße gelegenen Saunahaus. Der Weg dorthin findet mehrmals täglich ostatt, es gilt also beim Überqueren der Schotterfahrbahn, die zwar nur spärlich - aber wenn dann doch recht flott - befahren wird. Dort wird von Hand Geschirr gespült, die Waschmaschine gefüllt und wieder geleert und die täglich Körperpflege gepflegt. Das Wasser dafür aus dem eigenen Brunnen wird im Elektroboiler automatisch aufgewärmt, ein bisschen Luxus muss sein. Ebenso findet dort die allabendliche Familiensauna bei 70-80 Grad Celsius statt. Danach kann man sich sowohl mit Dusche oder im kleinen Teich vor dem Haus abkühlen. Trinkwasser holen wir in großen Wasserflaschen von unseren Nachbarn, da unsere Brunnen den Großteil des Jahres nicht benützt werden und ein Zeit brauchen, bis sie Wasser in Trinkqualität liefern. Noch dazu führt der mit der Elektropumpe ausgestattete das kühle Nass mit einem hohen Eisenanteil und rostiger Farbe. Der bessere Brunnen befindet sich im Grundstückteil jenseits der schon erwähnten Straße und gibt die lebensspendende Flüssigkeit nur mittels Handpumpe her. Ein Aufwand, den wir uns ob der Fülle der anderen Alltäglichkeiten gerne ersparen. Alle 3-4 Tage gilt es einen Einkauf im rund acht Kilometer entfernten Dorf zu absolvieren. Unsere Karavane aus 5 Rädern, wovon das unseres Jüngsten mit Tandemstange an das von Reetta "gebunden" ist, schafft diesen Weg - je nach Bodenzustand, der wiederum vom Wetter abhängt - in 30-40 Minuten. Einer der Großen jedenfalls hat immer die Möglichkeit zuhause zu bleiben, diese Möglichkeit nützt aber nie jemand. Der Einkauf selbst ist immer gut organisiert, er dauert meist eine halbe Stunde. Danach gönnen wir uns alle noch eine kleine Jause mit Pulla aus dem Suprmarkt und einen Coffee-to-go von der benachbarten "Kaffee-Oase". Heinwärts geht's trotz 30 Kilo mehr am Gepäckträger in ungefähr derselben Zeit. Auch das Kochen auf den beiden elektrischen Kochplatten oder dem großen holzbeheizten Herd samt Backofen erfordert völlig neue Denk- und Handlungsweisen, womit unsere sehr tüchtigen Jungs zum Teil überfordert sind und unsere Mithilfe stärker als in Wien vonnöten ist. Dennoch gelingen uns die tollsten Kreationen, der absolute Hit sind Pizza und Pfannkuchen, die wegen ihres hohen Zeitaufwandes (dazu muss der Brotofen geheizt werden) nur hie und da auf dem Speiseplan stehen. Sonst gibt es großteils das, was auch in Wien mundet. Das Plumpsklo, eine tolle BIOLAN-Toilette, die alles innerhalb kürzester Zeit kompostiert, ist nur über den Garten zu erreichen - und das bei jedem Wetter. Nach anfänglichen Unsicherheiten haben aber nach 3 Wochen nun alle die Vorgänge selbst an Starkregentagen und bei kühler Witterung intus. Beheizt wird das Haus mit dem Herd in der Küche und den beiden Kachelöfen in den Zimmern. Ersteren zu heizen erfordert Geduld und Spucke, die vor allem dann, wenn man sich wieder einmal die Finger verbrannt hat. Geduld ist angesagt, wenn der Kamin keinen Zug kriegt, obwohl man schon alles Denkmögliche und -unmögliche versucht hat. Immer wenn man sich geschlagen geben will, flackert plötzlich Hoffnung auf, dass er nun doch brennen will. Diese erlischt wenige Minuten später, wenn zum wiederholten Mal dicke Rauchschwaden die Stube füllen. Dann, wenn ich mir die Finger genug verbrannt habe, lasse ich es sein, setz mich zum Tisch - wie gerade eben - und klopfe mein Leid in die Tasten. Und neben mir gluckert der Herd plötzlich friedlich und freudig vor sich hin, als hätte er sich nicht eine elendslande Stunde Zeit genommen, um seine Arbeit aufzunehmen, sondern wäre im Schnelldurchgang ins Brennen geraten; Selbsterfahrung der besonders heißen Art. Nicht zu unterschätzen ist die Tatsache, dass unsere Jungs hier die "absolute" Freiheit genießen. Also vielmehr gibt es neben den Tagesstrukturen und den diversen verpflichtenden Tätigkeiten für die Gemeinschaft - wie etwa Abwaschen, Tischdecken oder die Mithilfe beim Kochen und Einkaufen - jede Menge Zeit, sich großteils spielzeugfrei mit dem zu beschäftigen, was vorhanden ist. Das führt jeden der drei verstärkt zu sich selbst und mitunter auch in die Langeweile. Für uns als Eltern bedeutet das die zusätzliche Herausforderung, unseren Söhnen immer wieder - wenn wir gefragt werden oder eine konfliktträchtige Situation es fordert - mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Hier im Mökki sind wir alle also physisch und psychisch um vieles stärker gefordert als im normalen Familienalltag, der auch "Fluchtmöglichkeiten" zu FreundInnen und Bekannten bietet. Fernsehen gibt's hier via Internet zwar auch, aber das ist ja schon in Wien kein Thema, da wir eine eigene Film- und Fernsehkultur unser eigen nennen, die dem Medium seinen ihm gebührenden Platz einräumt. Daher reden wir bei unseren Finnlandaufenthalten nie von Urlaub, sondern immer von unserer Reise in den Norden. Die ist nicht nur eine Reise in mehr oder weniger bekannte Gefilde im Südwesten des Landes, sondern immer auch eine solche in die Landschaften der (Familien-)Seele. Und sie bietet alles, was das Leben zu bieten hat. Sie braucht das heiße Herz und den kühlen Kopf, damit die Dynamik nicht jene Wellen schlägt, die einem über den Kopf wachsen, sondern auch immer noch genug Platz und Luft zum Atmen sind. Eingebunden in die Natur um uns versuchen wir uns an ihr ein Beispiel zu nehmen. Sie ist die Meisterin des Werdens und Vergehens und hält uns vor Augen, dass der Wandel alltäglich ist und es dennoch gilt, sich selbst treu zu bleiben. Davor aber lehren sie und unser intensiviertes Famileinleben uns noch, dieses Selbst zu entdecken, dem es erst einmal treu zu werden gilt.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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