Gestern war es endlich so weit.
Um 5.15 Uhr finnischer Zeit (4.15 Uhr in Österreich) wurde das Fahrrad für unseren Ältesten frei Haus geliefert. Einer jener fahrenden Händler, die auf den Marktplätzen der Region ihre Waren feilbieten, brachte auf Vermittlung unserer Nachbarin einen passenden Drahtesel mit seinem PKW im Anhänger, auf dem noch andere Räder befestigt waren, zu nachtschlafender aber hier schon tagheller Stunde vorbei. Die vierzig Euro waren schnell gegen das Gefährt der norwegischen Marke DBS (Den Beste Sykkel - dt. das beste Fahrrad) getauscht - und dann ging's nochmals ab ins Bett. Die Firma DBS produzierte über viele Jahrzehnte seit 1892 im Familienbetrieb ehe sie 1996 Teil des Konzerns Cycleurope wurde, unter dessen Dach auch die Räder der Marken Bianchi oder Peugeot produziert werden. Brave new world. Die Tatsache, dass wir nun also alle fünf mobil waren, wollte gebührend gefeiert werden. Trotz unsicherer Wetterprognose machten wir uns knapp nach elf in Kolonne auf den Weg von unserem Mökki in die Stadt Säkylä. Dort galt es bei der Polizeistation einen neuen Pass für unseren Mittleren zu beantragen (was hierzulande etwas mehr als ein Drittel von dem kostet, was für einen finnischer Pass in Österreich zu berappen ist), Kindergewand beim Flohmarkt zu erstehen, einen Großeinkauf fürs Wochenende zu erledigen und einen Laden für fast alles namens Metka hinta (dt. netter Preis) zu besuchen. Davor wollten wir im beschaulichen Dörfchen Pyhäjoki (dt. Heiliger Fluss) zu Mittag speisen. Reetta hatta am Vortag erfahren, dass es im dortigen Dorfladen ("kyläpuoti") zu "Lounas" (dt. Mittagsmenü) Erbsensuppe und Pfannkuchen gäbe, da mussten wir also zuschlagen. Pünktlich zu High Noon fuhren wir, bereits zehn Kilometer Straße in den Beinen, vor und betraten den kleinen Laden, der zwei Räume hatte. Einen Verkaufsraum mit einem Tischchen für kaffeetrinkende und plaudernde Herren, einen Speiseraum mit den Delikatessen des Mittagsbuffets und zwei Tischreihen, an denen wiederum ausschließlich Männer dinierten. Betrieben wird diese Oase der Gemütlich- und Köstlichkeit von Mutter und Tochter. Und sie tun das mit so viel Liebe, dass es offenbar zur Sperrstunde um achtzehn Uhr notwendig ist, dass die Juniorchefin - laut eigener Aussage- hart durchgreifen muss, damit wirklich alle sich hier labenden Männer auch pünktlich raus sind. Auch wir durften uns - wie schon im Vorjahr bei unserer Säkylä-Tour herausgefunden - an diesem Mittag daran erfreuen. Um zwanzig Euro schmausten wir uns zu fünft am reichhaltigen Lounas, das neben den besagten Speisen noch folgende Komponenenten, die im Preis inbegriffen sind, bietet: Brot, Butter, Schinken, Milch, Magermilch, Buttermilch und Wasser. Die traditionelle finnische Erbsensuppe (heinekeitto) war mit Faschiertem und Zwiebel verfeinert und wurde auf Geheiß meiner Frau mit Senf aufgepeppt, so dass sie zu einer nahrhaften Hauptspeise wurde. Die Pfannkuchen (pannukakku) waren dann bloß das Dessert, aber auch sie hatten es, mit Himbeermarmelade und Schlagobers bestrichen, in sich. Mehr als eine Stunde pausierten wir dort, ehe wir die noch ausstehenden 5,5 Kilometer an unser Ziel zurücklegten. Der Weg führte an Feldern und am einen oder anderen Mökki vorbei, wir überquerten den Pyhäjoki knapp vor dessen Mündung im Pyhäjärvi (dt. Heiliger See) und fuhren über die Hevoshaantie (dt. Pferdegehegestraße) und den Pioneeritie (Pionierweg) auf die Rantatie (Strandstraße). Zu unserer Überraschung fanden wir die im Internet verzeichnete Polizeistation nicht. Auf Nachfrage erfuhr meine Frau, dass die Station aufgelassen worden war. Im Gemeindeamt gab man ihr den Rat, den Pass in Turku zu beantragen, da die nächste Poliziestation in Kokemäki zwar nur rund dreißig Kilometer entfernt aber öffentlich nicht erreichbar wäre. Schön, wenn es in Finnland offenbar keine Polizei mehr braucht; für bürokratische Vorgänge aber wäre mehr Bürgernähe sinnvoll. Nun, die Lösung dieses Problems verschoben wir auf später und kehrten in der Welt der netten Preise ein. Dort fanden wir dies und das, was uns den Aufenthalt im nun schon herbstlichen Norden angehmer machen sollte, u.a. norwegische Schafswollsocken. Vor dem Kaufhaus beobachteten wir vor der Weiterfahrt eine Bachstelze, die ihr Nachmittagsbad in einer Wasserlacke zelebrierte, die sich vom letzten Regenschauer in einem der dort zum Verkauf stehenden Ruderboote gebildet hatte. Währenddessen fand unsere in Helsinki second-hand erworbene Tandemstange, die das Jopo-Fahrrad meiner Frau mit dem Tunturi-Drahtesel unseres Jüngsten verbindet, die nächsten Bewunderer. Nachdem um sechzehn Uhr ein Treffen mit der "Flohmarkt-Dame" wegen des Kindergewandes anstand, sputeten wir uns zum Supermarkt. Dort verloren wir uns in den vielen Gängen, fanden aber innerhalb einer knappen Stunde alles, was wir suchten. In der Zwischenzeit hatte sich der Himmel vollends verdunkelt und bei unserem Aufbruch gegen 17 Uhr fuhren wir dem Regen direkt entgegen. Dennoch wollten die Munkkis (Krapfen) bzw. die Korvapuustis (Zimtschnecken) dringend verzehrt werden und so machten wir beim Dorfladen in Pyhäjoki eine Kaffeepause. Gut, dass wir uns noch gestärkt hatten, denn kutrze Zeit später frischte heftiger Wind auf, gefolgt von ebensolchem Regen, die uns auf den letzten zehn Fahrkilometern heim zu unserem Mökki nicht mehr von der Pelle rückten. Alle gaben ihre letzten Kräfte und ihr bestes. Was für ein Segen, wenn man an solchen Tagen eine Sauna wie unsere besitzt. Eine knappe Stunde nach der Ankunft wärmte sie, von Reetta auf optimale 80 Grad Betriebtemperatur gebracht, unsere erschöpften und durchnässten Knochen, während in der Stube der von mir entfachte Herd das seine tat, um unsere trotze Regenschutzes nassen Schuhe und Gewänder zu trocknen. Nach einem von mir vorbereiteten ausgezeichneten Abendessen - der Regen war in der Zwischenzeit strahlendem Sonnenschein gewichen - fielen alle müde ins Bett. Die Lesezeit unserer jungen Leute fiel kürzer aus als üblich. Auch Reetta und ich suchten unsere Kissen bereits eine knappe Stunde früher als sonst auf. Diese 31 Kilometer hatten es in sich - wir werden sie spätestens an unserem 6. Hochzeitstag am kommenden Donnerstag wiederholen. Mit einem hervorragende Mittagsmahl im Kyläpuoti in Pyhäjoki. Bin schon gespannt, was uns die Damen beim nächsten Ma(h)l kredenzen!
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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