Anfang Oktober des Vorjahres war es, da wiederholte die ARD anlässlich der Feierlichkeiten um den 25. Jahrestag des Mauerfalls die Verfilmung von Uwe Tellkamps knapp 1000-seitigem Roman "Der Turm". Der Zweiteiler veranlasste mich, mir das Buch in der Uni-Bibliothek auszuleihen. Ein Mammut-Projekt, das ich in zwei Teilen bewältigte. Zuerst einmal in täglichen Leseabenden im Zeitraum von mehreren Wochen, in denen ich rund 600 Seiten stemmte. In der Vorweihnachtszeit war dann Pause. In den Weihnachtsferien nahm ich das Lesen wieder auf und schaffte zufälligerweise die restlichen 400 Seiten gerade rechtzeitig zur Ausstrahlung des Filmes auf ARTE. Eine runde Sache. Faszinierend auch, mit welchem Blick man auf einen Film schaut, vor dem Lesen des Buches und danach.
Da gibt es ja ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Die einen meinen: Buch vor Film, da geht kein Weg dran vorbei. Andere wiederumsagen: nö, wenn du das Buch noch nicht kennst, dann schau dir zuerst den Film an, Das Buch kannste immer noch lesen. Ich bin Pragmatiker. Ich nehm's wie's kommt. Und es gibt unterschiedliche Motive, wann ich überhaupt ein Buch zum Film lese oder den Film zum Buch anschaue. Bei Tellkamps Turm waren es die oben beschriebenen. Das Buch galt als unverfilmbar - bevor eben im Jahr 2012 der 2008 erschienene Roman fürs Fernsehen adaptiert wurde. Für mich ist es weiterhin unverfilmbar, weil sich eben jene TV-Inszenierung naturgemäß auf die Handlungsaspekte konzentrieren, ja reduzieren muss. Sie kann sich nicht darum kümmern, was so zwischen den Handlungssträngen zu finden ist. Dennoch: wenn der Autor mit dem Film zufrieden ist, dann sollte man nicht "autorlicher" sein als er. Diese Konzentration bzw. Reduktion auf die Handlungsaspekte hat zur Folge, dass die Beziehungen einzelner ProtagonistInnen stärker gewichtet sind, ebenso fehlen einige sehr interessante Figuren. Was mir am meisten abgeht, ist die Szenerie des Tausendaugenhauses, in dem Meno Rohde wohnt, für mich die eigentliche Hauptfigur des Romans (von ihm werden immer wieder Tagebucheinträge dazwischen geschaltet, mit seinen Worten beginnt und endet der Roman). Dr, Hoffmann (Menos Schwager, der Mann seiner Schwester), in der Verfilmung ideal mit einem großartig agierenden Jan Josef Liefers besetzt, wird in eben diesem zur zentralen Figur der Handlung. Er selbst, nämlich Liefers, meint, dass es um den Versuch eines richtigen Lebens im falschen geht. Und bezogen auf den Film hat er recht, denn hier wird die bürgerliche Welt der Familien Hoffmann und Rohde inmitten der sozialistisch-kommunistischen Diktatur der DDR gezeigt. Das äußere Mitläufertum wird durch eine familien-innere Befreiung bei Hausmusik und DDR-Witzen kompensiert. Vater Hoffmann aber wird bald von seiner Stasi-Vergangenheit eingeholt, da er sich durch eine außereheliche Beziehung erpressbar gemacht hat; seine anfänglichen Wutausbrüche enden in einem Zusammenbruch, während dessen sich alles ändert, nämlich sein Leben (seine Frau wechselt in den Widerstand, seine Wohnung wird eine Art Zentrale desselben) und die DDR (Montagsdemonstrationen, verzweifelte Ohnmacht der Regierenden). Sohn Hoffmann begehrt immer wieder auf, während seiner Zeit in der Volksarmee fällt ihm das auf den Kopf, da er seinen Vorgesetzten anbrüllt und den Staat offen als "Scheißsystem" kritisiert. Dafür geht er in Lagerhaft. Die Zulasung zum Medizinstudium wird aberkannt, sein Militärdienst dauert dadurch statt der geplanten 3 nun 5 Jahre. Das führt dazu, dass er und seine Mutter am Ende einander vor dem Dresdener Bahnhof gegenüberstehen. Er als zur Verteidigung des Systems gezwungener Soldat und sie an vorderster Front der "Wir sind das Volk" skandierenden DemonstrantInnen. Meno Rohde wiederum wird auf seine Ambivalenz als Lektor reduziert, der die Wichtigkeit von systemkritischen Texten weiß, diese aber - meist gegen der Willen der AutorInnen - so abzumildern versucht, dass diese in der DDR veröffentlicht werden können und nicht im Westen, ein schier un-mögliches Unterfangen. Im Roman gibt es eine Ebene, die der Film zur Gänze auslassen muss, die aber ein wesentlicher Faktor des Textes ist: immer wieder ist von Uhren die Rede und damit von der Zeit. Die Zeit und die sie begleitenden laufenden Veränderungen sind der größte Feind des Systems, dessen Bestehen, gemäß Tellkamps Worten, ganz auf den Stillstand baut. Wofür der Turm steht, darüber wurde viel philosophiert. Im Buch ist von den Türmern die Rede, womit die BewohnerInnen des Dresdener Stadtteils gemeint sind, in dem die ProtagonistInnen zuhause sind. Manch einer meint, Tellkamp verwiese auf den sprichwörtlichen Elfenbeinturm, in dem jene leben, um überleben zu können. Hier möchte ich den LeserInnen ihre eigenen Assoziationen lassen. Ich gehe davon aus, dass die Verfilmung noch das eine oder andere Mal im TV zu sehen sein wird und auf DVD gibt's ihn ja auch schon. Das Buch findet man in jeder öffentlichen Bücherei und den Bibliotheken der Unis. Womit ich anregen möchte, sich beides einzuverleiben: das Buch und den Film, in welcher Reihenfolge auch immer. Beides weiß auf je eigene Art zu bewegen. Als Leser und Seher bleibt man nicht unberührt, ja, man wird, wenn man sich darauf einlässt, von der Dynamik der Ereignisse schier mitgerissen. Und das macht aus meiner Sicht die künstlerische Qualitä der beiden, durchaus eigenständigen Werke, aus.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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