Mit „Arbeit“ beschäftige ich mich seit ich denken kann. Er ist mir in so vielen Variationen untergekommen, dass ich mich wundere, dass es nur einen Begriff dafür gibt. Da war die Tätigkeit meines Vaters als Berufssoldsat, die Beschäftigung meiner Mutter mit ihrer Schneiderei, die sie als Meisterin ihres Faches bloß zuhause ausübte, die Nebenbeschäftigung meines Großvaters, der als pensionierter Geldbriefträger in der Postabteilung des KURIER seine Rente aufbesserte und schon bald meine Schularbeiten, eine nach der anderen, neun lange Jahre lang.
Als Betriebsrat, der ich in meiner ersten beruflichen Station, einer Bank, 4 Jahre lang war, kam ich mit den philosophischen und realpolitischen Ausführungen zum Thema Arbeit in Berührung. Da gab es den herben Witz über einen Personalchef, der neben seinem Namensschild am Schreibtisch ein weiteres Schild stehen hatte. Diese war vorne und hinten beschrieben. Sein Gäste lasen: „Der Mensch als Mittelpunkt“, er selbst sah die Aufschrift: „Der Mensch als Mittel.“ (Punkt!) Ich lernte die christliche Soziallehre und ihre Vorstellung von Arbeit kennen und auf zahlreichen Seminaren der Gewerkschaft kam ich mit der linken Interpretation des Begriffes in Berührung. Erhellend fand ich die Umkehrung der Begriffe Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Demnach sind jene, die einem Unternehmen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, die die ihre Arbeit geben, also die Arbeitgeber und die anderen, die deren Arbeitskraft nehmen die Arbeitnehmer. Dieses Spiel mit den Begriffen schafft es aus meiner Sicht immerhin die Gräben zwischen den beiden Seiten, die doch ein gemeinsames Interesse haben, zu schließen – oder reißt es möglicherweise neu auf? Die Reduktion von „Arbeit“ auf Erwerbsarbeit ist jedenfalls ein großes Problem für mich. Die Physik definiert den Begriff ja grundlegender – und diese Definition täte der Erweiterung der Perspektive auf Arbeit wahnsinnig gut; vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass nur Erwerbsarbeit eine Existenz sichern kann. Alle sozialen Maßnahmen wurden rund um sie herum geschaffen. Immer ist einer der seine Erwerbsarbeit los ist, auch in eklatanter Gefahr seine Existenzberechtigung zu verlieren. Diesem Unfug muss dringend ein Ende gesetzt werden. Wenn ich mein Leben betrachte, so ist es voll von sinnstiftender Arbeit. Dafür verdiene ich gerade mal so viel, dass ich meinen Beitrag zum Erhalt meiner Familie leisten kann. „Nie ist zu wenig, was genügt!“, lässt Heini Staudinger die Weisheit seiner Großeltern hoch leben, und recht hat er. Was mich allerdings betroffen macht ist die Tatsache, dass ich derzeit in diesem Leben einen Existenzkampf von Monat zu Monat ausführen muss. Das erinnert stark an die Steinzeit – und doch befinden wir uns im 21. Jahrhundert und im angeblich sozialsten aller Zeitalter. Irgendetwas aber stimmt dennoch nicht. Denn ich bin mit diesem Gefühl nicht allein. Eine wachsende Zahl von Menschen kämpft Tag für Tag um ihr Existieren-Dürfen (Stichworte: Prekariat, Mindestsicherung) – und das ist absolut nicht nur Frage der (Aus-)Bildung, wie man uns weis machen will. Im Hinblick auf die nächste „industrielle Revolution“, die innerhalb des nächsten Jahrzehnts durch Automation bis zur Hälfte der momentan verfügbaren Arbeitsplätze kosten könnte, sind Arbeit und Existenzberechtigung dringend zu entkoppeln. Das bedingungslose Grundeinkommen ist dafür aus meiner Sicht ein probates Mittel. Es würde außerdem dazu führen, dass niemand mehr unwürdige Arbeit oder Arbeit unter unwürdigen Bedingungen annehmen müsste. Auf die Worte, die dies verkünden, warte ich am 1. Mai Jahr für Jahr vergeblich. Stattdessen bekriegt man sich in der einstigen Arbeiter-Partei an dem einst so hohen Feiertag, ob man mit den Blauen koalieren sollte oder nicht. Ein Trauerspiel, dem die Katharsis hoffentlich bald folgt. Abschließend möchte ich – wie immer, wenn ich zu diesem Thema schreibe – auf Erich Fromms kluge Gedanken aus meinem Geburtsjahr 1966 hinweisen. Wir dürfen getrost davon ausgehen, dass alle psychisch und physisch gesunden Menschen – trotz Grundeinkommens – einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen werden und nicht bloß faul vor der Glotze sitzen werden. Im Hinblick auf die zunehmende Anzahl von Menschen, die – auch schon in jungen Jahren- nicht mehr gesund sind, halte ich in dieser Sache aber Eile für dringend geboten. Ein Hoch dem 1. Mai! Ein Hoch auf die Arbeit des 21. Jahrhunderts!
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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