In meinem Tagebucheintrag #49/15 habe ich über Telefonnummern auf den Warnwesten einer Kindergartengruppe geschrieben, was Heinrich Waegner zu folgendem Kommentar veranlasst hat: "Nummer als das Gegenteil vom Selfie, aber genauso bedenklich... "
Ja, so ist das aus meiner Sicht in dieser Zeit in unserer Gesellschaft: da gibt es diese extremen Pole, die oft in einer Peron vereint sind, die einerseits nach totaler Sicherheit gieren (im Sinne von "Der Papa wird's schon richten) und andererseits die totale Selbstvermarktung bis hinein in die intimsten Räume der Persönlichkeit. Die Ich-AG, die Doku-Soaps und die Sozialen Netzwerke waren der Anfang dieser Entwicklung, die ihren Höhepunkt noch nicht erreicht zu haben scheint. Mir kommt da ein PädagogInnen-Spruch in den Sinn, der da so oder so ähnlich lautet: "Pubertät ist die Zeit, in der man tun will, was man will und trotzdem lieb gehabt werden will." Das denke ich mir schon länger, dass wir in einer auf Dauer pubertierenden Gesellschaft leben, in der auch 40-jährige noch auf der Suche nach ihrer Identität sind und trotzdem in materieller und persönlicher Sicherheit leben wollen. Das ist eine Ambivalenz, die sich auch am Arbeitsmarkt zeigt, der viele prekäre, geringfügige und Leiharbeits-Jobs zu bieten hat, für die, die mal dies und jenes ausprobieren wollen, um zu wissen, wer sie sind. Für die allerdings, die schon im "Ernst des Lebens" angekommen sind, also Familie gegründet haben und diese auch erhalten wollen, sind solche Jobs der helle Wahnsinn. Es spießt sich also etwas, und jene, denen wir es überlassen, die Regeln für uns zu machen (die "Papas" eben), nutzen diese kollektive Identitätssuche zu ihren Gunsten, um zu steuern und zu lenken und zwar in die Richtung, die ihnen für sie selbst vorteilhaft erscheint. Eine Buchempfehlung dazu ist Robert Bly's "The Sibling Society" (dt. "Die kindliche Gesellschaft" - ist zwar aus meiner Sicht nicht bis ins letzte gelungen, aber die Analyse ist sehr treffend), das Buch eines US-amerikanischen Schriftstellers, der sich schon 1996 mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Ihm folgten in den Jahren dann auch bekannte Kinderpsychologen, die die "Tyrranei" der Kinder auf eine Haltung von Eltern zurückführen, die sich als SpielgefährtInnen ihrer Kinder verstehen und nicht bereit sind, Verantwortung für diese zu übernehmen. Da hilft wohl nur eines: endlich erwachsen zu werden, die Dinge selber in die Hand nehmen und das Leben nach den eigenen Begabungen und Fähigkeiten gestalten und diese im Idealfall ohne großes Öffentlichkeits-Tamtam zu einem wirklichen Beruf zu machen. Wenn man das richtige Maß für sich und sein Leben gefunden hat - das ist zumindest meine Erfahrung -, dann wird es auch die richtige Ausgewogenheit zwischen Sicherheitsbedürfnis und persönlicher Freiheit geben ohne einerseits ständig die Verantwortung fürs eigene Leben abzugeben und sich zur Nummer machen zu lassen und andererseits laufend Möglichkeiten zur Selbstdarstellung zu suchen, die weit über die eigenen persönlichen Grenzen und jene der anderen hinausgehen.
0 Comments
Your comment will be posted after it is approved.
Leave a Reply. |
Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
Archiv
Juli 2019
|