Heute morgen ist mir eine Gruppe von Kindergartenkindern mit 2 BetreuerInnen begegnet. Die jungen Menchen trugen alle eine gelbe Warnjacke mit roten Streifen und dem Logo der Betreuungseinrichtung. So weit, so sicher. Auf der Vorderseite der Jacken waren da noch zwei mit dickem Filzstift geschriebene Telefonnummer zu lesen, bei jedem Kind dieselben. Ich nehme an, dass es sich um die Rufnummern der Betreuungseinrichtung handelt und sie dazu dienen sollen, im Notfall - also vor allem wenn ein Kind verloren geht - dort anrufen zu können.
Auf meinem Weg zurück zu meinem Schreibtisch ließ mich ein befremdliches Gefühl nicht los. Ich wollte es mit Gedanken wie "Das ist ja nur zur Sicherheit" oder "Eigentlich keine schlechte Idee" oder "Was hast du denn schon wieder für komische Gefühle" wegrationalisieren. Bloß es gelang nicht und so spürte ich diesen Eindrücken nach, bis ich sie in Worte fassen konnte. Jede Maßnahme zur Vergrößerung der Sicherheit führt dazu, dass die Beteiligten glauben, dadurch weniger Verantwortung übernehmen zu müssen. Im Fall dieser Kindergruppe führt das meinem Gefühl nach dazu, dass beide Seiten nicht mehr so sehr aufeinander achten, weil sie sich sicherer fühlen. Kinder mit einer Telefonnummer auf der Warnjacke werden als "in größerer Sicherheit" empfunden. Womit wir bei der Achtsamkeit wären, die ja weit über das aufeinander achten und aufpassen hinausreicht. Sie ermöglicht ja dieses Leben im Augenblick, dieses sehr indivuelle Dasein im Rahmen einer Gemeinschaft, also in Verbindung mit allen und allem. Ja, das wäre die besser Lösung, finde ich: eine Schule der Achtsamkeit zu etablieren, in der alle Beteiligten den achtsamen Umgang miteinander lernten, um dann aus dieser Achtsamekeit in diesen Fällen aufeinander achten zu können und die jeweils erforderliche Verantwortung zu übernehmen, nicht mehr und nicht weniger. Und dann sind da noch die Nummern mit denen die Kinder versehen wurden. Nur Nummern. Ja eben. Zur besseren Organisation unserer Gesellschaft, zum besseren Überblick und auch zur größeren Sicherheit werden wir ja ständig mit Nummern versehen: Sozialversicherungsnummer, Kundennummer, Kindergartennummer, Schülernummer, Mitarbeiternummer, Matrikelnummer, etc. Obwohl es sich bei diesen Nummern bloß um Telefonnummern handelt, die gar nichts mit dem individuellen Kind zu tun haben, bekam ich den Eindruck, dass hier de-individualisierte Wesen unterwegs sind. Das mag generell in Kollektiven wie einer solchen Kinderbetreuungseinrichtung so sein, die Nummer auf der Jacke aber hat mir das nochmal ins Gedächtnis gebracht. Diese Nummerierung und ihre Deindividualisierung und Verkollektivierung spürt sich nicht gut an. JedeR von uns hat doch bitteschön einen ganz persönlichen Lebensweg mit ganz persönlichen Begabungen und Fähigkeiten und Talenten. Wo hat der denn noch Platz? Darunter leidet ja letztlich die ganze Gesellschaft obwohl doch die meisten von uns glauben, dass mit Individuation des Einzlnen dem Egoismus gehuldigt würde und die Gesellschaft zerbrechen würde. Wenn ich in diese Gesellschaft blicke, dann ist sie gerade am Zerbröseln und so führt diese von Kindheit aufgezwungene Sozialisation und Vergesellschaftung genau zu diesem Phänomen, das sie eigentlich zu bekämpfen gedenkt. Da sind mir Individuen, die wissen wer sie sind und die daher angstfrei auf die Welt und daher auch auf das Fremde zugehen lieber. Und die sind dann keine Nummern, sondern Menschen mit Herz und Verstand und die wären dann auch achtsam im tiefsten Sinn des Wortes. Also, was so eine Telefonnummer auf einer Warnjacke so alles zu bedeuten vermag ...
2 Comments
18/12/2015 12:28:52
Nummer als das Gegenteil vom Selfie, aber genauso bedenklich...
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Michael Karjalainen-Dräger
19/12/2015 09:42:21
Danke Herr Waegner für diesen inspirierenden Kommentar:
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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