Es begann wie es beginnen musste im Zeitalter der visuellen Medien: das Video mit der Musik von Eno brachte es knackig auf den Punkt, was Democracy in Europe Movement, kurz DiEM 25, innerhalb der nächsten 10 Jahre stemmen will, nämlich nichts weniger als die Demokratisierung Europas. Dazu passend auch der Slogan der Bewegung: “The European Union will bei democratised. Or it will disintegrate.”
Anfangs hielt das Aushängeschild der Bewegung, der ehemalige griechische Finanzminister und “Wirtschafts-Rockstar” Yanis Varoufakis eine Grundsatzrede über Beweggründe, Ziele und erste Schritte der Initiative. DiEM 25 möchte der Vernetzung verschiedenster Graswurzelbewegungen, die nicht zwingenderweise aus der linken Ecke des politischen Spektrums stammen müssen, Struktur und Rahmen, vor allem aber Vernetzung bieten. Basierend auf dem auf der Homepage abrufbaren Manifest sollen all jene, die sich mit diesen Grundsätzen identifizieren können, an allen Ecken und Ende Europas am Aufbau einer paneuropäischen Vereinigung mittun. Dazu wird in Kürze auch eine eigens kreierte App zur Verfügung stehen, betonte Varoufakis. Das erste Ziel, das er ausgab, war: Ab heute, dem 10.2.16 das Livestreaming aller Sitzungen der europäischen Institutionen zu fordern und die Veröffentlichung der Protokolle dieser Sitzungen. Wenn dies nicht geschehe, so Varoufakis, dann müssten die, die wir bezahlen und die wir gewählt haben, erklären, warum sie dies nicht tun. Mehrmals betonte er wie wichtig ihm die Rückkehr des “Demos”, also des Volkes, in die Demokratie sei. Warum er sich das antue, beantwortete er so: damit er der nächsten und übernächsten Generation in die Augen schauen könne und ihnen sagen könne, er habe die Probleme erkannt und sein bestes getan, die Welt zu verändern. Er war bemüht, sich nicht in die Rolle des Messias oder Anführers zu begeben, denn das hätte das von ihm selbst ausgerufene “Bottom-up” konterkariert. Daher kamen dann in weiteren Reden über drei Stunden lang verschiedene Perspektiven der Demokratisierung Europas unter dem Motto “unity in diversity” zur Sprache. Starken Eindruck hinterließen bei mir Parlamentsabgeordnete Caroline Lucas von den britischen Grünen und der spanische Europaparlamentarier Miguel Urbán Crespo von Podemos. Sie hatten auch den Vorteil, dass sie in ihren Muttersprachen redeten und daher sehr authentisch rüberkamen. Dann kam auch noch Julian Assange zu Wort, der per Videostream aus der ecuadorianischen Botschaft live zugeschaltet wurde. Das und seine Worte führten zu großen Beifallskundgebungen im Publikum, wobei er inhaltlich nichts Neues sagte. Brilliant wie immer aber Slavoj Zizek, auch er mit einer Videobotschaft und den ihm eigenen stets interessanten philosophischen und grundlegenden Ausführungen. Abschließend lud Varoufakis noch zu Fragen ein, was dazu führte, dass er von einem Griechen gleich einmal massiv angegriffen wurde. Dieser machte ihn für die Zahlungsverkehrsbeschränkungen verantwortlich, womit er keine Bezüge mehr aus Griechenland bekäme. Varoufakis konterte, in dem er die Verantwortung dafür den europäischen Institutionen übertrug, womit er zwar zweifellos recht hatte, aber seinen Landsmann nicht wirklich beruhigen konnte. Das wird sicher noch eine der harmloseren Formen des Widerstandes gegen eine Bewegung sein, die keinen Stein auf dem anderen lassen will. Mit stärkerem Gegenwind jedenfalls ist zu rechnen. Und der kommt durchaus auch aus jenen Reihen, die DiEM 25 einen will. Gesine Schwan machte es als erste öffentlich, als sie zwar Varoufakis’ Analyse der Situation bestätigte, aber Gegenpositionen zur seinen Lösungsstrategien einnahm. Auch dauerte es lange, bis sich aus dem Publikum Menschen fanden, um den Weg zu den drei Mikrofonen auf sich zu nehmen, um Fragen ans Podium zu stellen. Das, was die meisten verunsicherte war wohl der Ansatz, dass sie aufgerufen sind, selbst aktiv zu werden, um das Manifest in die Welt zu bringen. Da steht keiner vorne, und sagt wo’s lang geht. Denn die Menschen wünschen sich in Zeiten wie diesen nichts sehnlicher als den Messias, den König, den Führer, der dem Volk die Verantwortung abnimmt und den Weg weist. Fällt er, muss man nicht über eigene Fehler nachdenken und kann locker kritisieren. Ist er erfolgreich rühmt man sich, Teil seines Reiches zu sein. Obwohl des öfteren die französische Revolution beschworen wurde, blieb fraglich, ob die Initiative dort ankommt, wo sie sich verorten möchte, nämlich in der breiten Masse. Der dafür notwendige Paradigmenwechsel ist im Bewusstsein dieser Menschen nämlich nicht einmal in Ansätzen vollzogen. Diese Art der Enttäuschung so mancher Menschen im Publikum nahm Varoufakis gelassen hin, denn er ist keiner, der jemanden anderen täuschen will. Daher ist es auch gut, dass das von Anfang an klar ist. Ob die Bewegung also dennoch in Schwung kommt, werden die nächsten Wochen zeigen. Zu wünschen wäre es allemal, dass viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, um das Angesicht der Welt nachhaltig zu verändern, wie es die Xhosa in diesem bekannten Sprichwort sagen. Hier die Aufzeichnung zum "Nachschauen" und -hören!
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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