Die Tage bis zu meinem Fünfziger sind gezählt. Noch zwanzig.
Seit Weihnachten entfaltet sich in meinem Leben eine eigentümlich Dynamik, die mich hin und her reißt, die auf diese Weise nach Aufmerksamkeit heischt und die mir unmissverständlich zu verstehen geben will, dass es Zeit ist, höchste Zeit. Ich fühle mich aufgefordert, zu entscheiden, was und wen ich in die zweite Hälfte meines persönlichen Lebensjahrhunderts mitnehmen will, was ich tun und was ich lassen will. Das mit dem Tun ist nicht mein Problem, vielmehr das mit dem Lassen. Als Mensch, der immer schon mehr Möglichkeiten für sein Leben gesehen hat stehe ich vor der Herausforderung eine Aus-Wahl zu treffen. Zumindest gilt es eine Prioritätenreihung zu treffen, auch mit der "Tragik", dass die nachgereihten Aktivitäten möglicherweise in diesem Leben keinen Platz mehr haben. Und dann soll es ja auch Platz und Raum für das Spontane geben, das ich so oft in meinen selbstgeschmiedeten Ketten vermieden habe. So manches ist mir dieser Tage schon (ab-)genommen worden, also ist es gut, es auch dabei zu belassen. Ich möchte mein Steyr-Puch-Waffenrad nennen, dass vorgestern plötzlich nicht mehr an seinem Platz stand, überraschend und unverhofft, stand es doch dort täglich für fast drei Jahre ohne zu verschwinden. Ich erinnere mich an die letzte Ausfahrt mit ihm am vergangenen Samstag. Da machte ich eine kleine Runde, um spätnachmittags noch Vergessenes einzukaufen und genoss noch 20 Minuten in einem kleinen Cafe in der Nachbarschaft bei einem Verlängerten und der Lektüre der von mir geschätzten Wiener Zeitung. Danach stellte ich es auf unserem Parkplatz vor unserem Wohnhaus ab. Das war unsere letzte Begegnung. Und die erste? Ja, an die erinnere ich mich auch noch sehr genau. Es muss mehr als 10 Jahre her sein als ich in der aktuellen Tauschkreiszeitung die Anzeige mit Foto fand, besagtes Steyr-Waffenrad gegen Talente und ganz ohne Euro zu erwerben. Nach einem kurzen Anruf beim Noch-Besitzer machte ich mich mit den Öffis umgehend auf den Weg nach Krems-Stein, jenem Stadtteil in dem auch die berühmt-berüchtigte Strafanstalt steht. Dort lebte ein ehemaliger Wiener Gas-Kassier, der damals schon in Pension war und seinem Hobby, der Malerei frönte. Wir trafen uns bei ihm im Atelier und plauderten angeregt über das Leben, alles natürlich bei dem einen oder anderen Glaserl Wein. Später als geplant machte ich mich damals auf den Heimweg - und die erste Reise mit meinem Rad war der Weg zum Kremser Bahnhof. Unzählige Kilometer bin ich seither mit dem Radl, das nicht mehr bei Steyr-Daimler-Puch in Österreich sondern schon in den Fabriken des Nachfolgers Piaggio in Italien produziert wurde (wie die Aufschrift "Made in Italy" bekundete)und das mich wegen seines Namens immer ein bisserl erschreckt hat. Aber der stammt, wie ich herausgefunden habe, nicht daher, dass es ein Kriegsfahrzeug war, sondern dass es anfangs von der Österreichischen Waffenbabriks-Gesellschaft erzeugt wurde, um die Produktion auch in Nicht-Kriegsjahren auszulasten. Ein einschneidendes Ereignis hat auch mit diesem Fahrrad zu tun, ich hatte mit am 14.2.2011 ein schweren Unfall, als ich auf glitischiger abfallender Fahrbahn, da es gerade zu schneien begonnen hatte, zu heftig bremsend den Lenker verriss und abstürzte. Dabei stützte ich mich unglücklich mit meinem rechten Arm ab, um meinen behelmten Kopf zu schützen und zog mir einen Bruch des Kopfes des Oberarmknochens mit einer Absplitterung zu. Die OP verlief erfolgreich und becherte mir ein Implantat, das mit 11 Nägeln befestigt wurde und mich seither bei Sicherheitskontrollen am Flughafen immer wieder mal piepsen lässt. Daher führe ich auch einen "Implantatsausweis" mit mir. Ansonsten hatte das geliebte Rad so seine Wehwehchen, es rostete an allen möglichen Stellen schnell vor sich hin, hatte eine einzigartige Vorderbremse, sie einmal zu Bruch ging und nur mit Mühe und eigenen Anfertigung einer Schraueb wieder geflickt werden konnte und die Verkabelung zu den Lichtern war auch immer wieder mal defekt und ich musste sie regelmäßig austauschen. Auch den Unfall hat es mit einem verzogenen Rahmen bezahlt, der sich aber glücklicherweise nicht wesentlich auf seine Fahrtüchtigkeit ausgewirkt hat. Aber irgendwie hatte ich es doch ins Herz geschlossen, es ist halt ein Liebhaberstück. Diese Liebe teilte ich mit Thomas Bernhard, Alois Brandstetter und Alfred Komarek. Ersterer fuhr selber eines, die anderen beiden erwiesen dem Rad in ihren Romanen die ihm gebührende Ehre (Brandstetter in Zu Lasten des Briefträgers, Komarek in Polt). Nun ist es also gegangen mein Waffenrad - so wie's ausschaut für immer! Zuerst wollte ich noch eine Anzeige erstatten, hatte ich doch gute Fotos und Hinweise auf seine Einzigartigkeit, dann aber ließ ich im Gedenken an meine persönliche Zeitenwende davon ab. Möge es einen Besitzer, eine Besitzerin finden, die ebensolche Freude hat und die über die Kinderkrankheiten ob der Ehre EigentümerIn eines Waffenrades zu sein, erhobenen Hauptes hinwegsieht. Ich geb zu, ich halte bereits Ausschau nach dem Waffenrad, das mich in die zweite Hälfte meines Lebensjahrhunderts begleitet. Vielleicht dann eines, das noch in Österreich produziert wurde. Ich lass mich überraschen!
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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