Ich bin der Meister der Gefängnisse im Kopf und ich habe es mir in diesem goldenen Käfig sehr bequem gemacht. Wie die da in meinen Kopf hineingekommen sind, ist eine mir bewusste und bekannte Geschichte, daran habe ich viele Jahre gearbeitet - und dennoch: Ausbruchsversuche verlaufen früher oder später, aber regelmäßig im Sand. Vielleicht bin ich das eine oder andere Mal weiter gekommen als davor, aber dennoch immer wieder ins Vertraute zurückgekehrt. Ich fühle mich auch manchmal wie das Zirkuspferd, das plötzlich freigesetzt wird, spüre Zügel, wo keine mehr sind, höre das Knallen der Peitsche, wo keine mehr ist, sehne mich in der furchterregenden Freiheit nach der Klarheit und Struktur des Zirkusalltags und nach dem Direktor, der mir sagt, wo’s langgeht. Da kann man sich dann den einen oder anderen Ungehorsam leisten, nur um zu zeigen, dass man ein freier Mensch ist. Das tun wir ja alle ja mal, in dem wir einen über den Durst trinken, ein anderes Mal so richtig die Sau raus lassen oder von Zeit zu Zeit schwarzfahren, das Auto im Parkverbot abstellen oder uns scheiden lassen. Zu mehr Widerstand und Ungehorsam reicht es dann aber auch wieder nicht.
Mythologisch lässt es sich mit einer unserer Kultur zugrunde liegenden Bibelerzählung klarstellen: wie lange haben die Hebräer gebraucht, um sich aus den Fängen Ägyptens zu befreien? Und haben die, die sich in der Tradition dieser Bibel bewegen, wirklich verstanden, was der Dekalog bedeutet? Dieser wird ja gerne salopp mit “Die zehn Gebote” übersetzt, was völliger Humbug ist. Niemals ist in dieser Geschichte des mitlaufenden Anfangs (wie der deutsche Religionspädagoge Hubertus Halbfas Mythen gerne beschreibt, da sie Lebensgründe liefern, auf denen Menschen von Anfang an bis heute und auch in Zukunft ihre Existenz aufbau/t/en) namens Exodus (“Auszug”) von Geboten die Rede und immer wird der Prolog zum Dekalog vergessen ohne den das ganze nur missverständlich enden kann. Also mal im Klartext: Ich bin JHWH (das sind die vier hebräischen Buchstaben die für das Unaussprechliche, da tiefste Geheimnis des Lebens, stehen und die dann fälschlicherweise als Jahwe oder Jehova ausgesprochen werden), der dich/euch aus Ägypten (als Sinnbild für Knechtschaft, der Gefangenschaft, dem Gefängnis im Innen und Außen) herausgeführt hat, daher werdet ihr/wirst du … Und dann folgt das Zehnwort, der Dekalog. Und der klingt dann aus dieser Perspektive völlig schlüssig und logisch. Wer wird schon so „blöd“ sein und etwa morden, wenn er/sie doch nun befreit ist? Wer wird nochmals andere „Götter“ anbeten, als das Leben selbst, das Freiheit ist? Ich möchte mich hier nicht in alle Details vertiefen, aber auch zu den durchaus diskussionswürdigen „Geboten“ gibt es aus dem historischen aber auch aus dem tiefenpsychologischen Kontext nachvollziehbare Schlussfolgerung die alle dem „In-der-Freiheit-Bleiben“ dienen. Nun wir Menschen – ich als Meister darin weiß, wovon ich rede – lieben es offenbar in selbst geschmiedeten Gefängnissen zu leben, seien es Wirtschafts- oder Gesellschaftssysteme bzw. politische Systeme; alle die sind in ihrer Absolutheit als Gefängnisse gedacht über sie hinaus zu denken ist strikt verboten – bis auf ein paar wenige Spinner, meist Philosophen genannt – die man von Systemseite schon aushält. Notfalls machen wir sie auf die eine oder andere Weise mundtot. Dann herrscht wieder die gewohnte Ordnung. Und – was noch perfider ist – wir geben diese Sichtweise als einzig wahre an die nächste Generation weiter. Mittlerweile werden in unserem Land alle jungen Menschen von 4-18 Jahre durch verpflichtende Kindergartenjahre, Schul- und Ausbildungspflicht indoktriniert. Noch geht es uns gut genug, dass wir bereit sind, diesen goldenen Käfig zu akzeptieren. Was, wenn die Situation weiter kippt? Lassen wir uns dann in einen großen Krieg hineinhetzen, der die Ultima Ratio der Herrschenden ist oder bekämpfen wir im eigenen Land den Klassenfeind? So jedenfalls hat es bislang immer geendet, wenn dieser Plan von der Unterdrückung der Gesellschaft zu scheitern drohte. Nachher kann man ja wieder von neuem mit denselben oder bestenfalls leicht adaptierten Rezepten anfangen. Mann, es ist höchste Zeit, dass ich mal meine Gefängnisse dauerhaft verlasse, merke dass die Fesseln gar nicht versperrt sind und riskiere, dass Freiheit ihren Preis hat. Und damit meinen Jungs ein gutes Bespiel bin und hoffentlich auch vielen anderen Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung, Schneeballeffekt inklusive! Hie und da mache ich ja schon den einen oder anderen zaghaften Schritt, aber insgesamt gurke ich nach wie vor im Gefängnishof oder beim einen oder anderen Freigang herum ohne nachhaltigen Effekt. Das will geändert werden. Das will ich ändern. Ist nicht des Menschen Wille sein eigenes Himmelreich? Wer will nicht wie im Himmel leben …
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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