I
Jahreswechsel sind künstlich erschaffene Situationen, die nichts mit dem individuellen Leben des Menschen zu tun haben. Sie sind der Geburtstag des neuen Jahres, mathematisch berechnet aus dem Sonnenzyklus und der durch unsere künstliche Lebensweise entstandenen Notwendigkeiten wie der Abschluss eines Wirtschaftszeitraumes. Die Natur kennt andere Gesetze. Aber sie wirtschaftet ja auch wesentlich besser als der Mensch. Auch Geburtstage haben selten etwas mit Entwicklungs- und noch seltener mit Entfaltungsschritten des Menschen zu tun. Ein Jahr älter zu werden ist kein Verdienst und auch kein Grund zum Feiern. Weisheit ist keine Frage des Alterns sondern eine Folge des sich Ins-Leben-Einlassens, der kritischen Reflexion alles Geschehenen und der richtigen Schritte auf dem Weg zur eigenen Individuation (C.G. Jung), also zur Entwicklung des jedem Menschen innenwohnenden vollen Lebenspotentials. Fülle. II Dennoch haben Jahreswechsel ihre Wirkung. Die einen feuern und ballern, was das Zeug hält, wieder andere tanzen sich für einige Stunden von der Lähmung ihres Alltags frei, die einen saufen sich das Vergangene schön, um das Neue mit einem Kater zu beginnen, wieder andere versinken in Melancholie und Depression. Für mich waren die letzten Tage vieler Jahre mit einer seltsamen Unruhe verbunden, an manchem Silvesterabend befielen mich Unwohlsein und Fieber – ohne erkennbaren Grund. Das waren jene Zeiten, in denen ich das Vertraute nicht loslassen wollte – war es auch noch so schrecklich – und das Neue und Unbekannte mir große Angst bereitete. Erst in den frühen Morgenstunden des Neujahrstages legte sich das Fegefeuer in meinem Inneren und ich schlief einer Genesung entgegen, die kaum jemals nachhaltig war. Die Wirkung des Wechsels vom Alten zum Neuen (Jahr) lässt sich aber auch bewusst gestalten: Reflexion des Vergangenen, Schlüsse ziehen und dem Zukünftigen durch ein bewusstes Gegenwärtigsein zur Geburt verhelfen. Leben findet immer bloß im flüchtigen Augenblick statt. Teuflisch, wenn man ihn festhalten will. Und: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ (H. Hesse), wenn man ihn recht zu begehen weiß. III 2018 nach Christi Geburt (was für ein Anachronismus) haben wir Menschen verloren, denen Großes und Gutes nachgesagt wird, wie Ute Bock, Stephen Hawking, Milos Forman, Tom Wolfe, Philip Roth, Stefan Weber, Thomas Christine Nöstlinger, Aretha Franklin, Kofi Anan, Ignaz Kirchner, Montserrat Caballe, Bernardi Bertolucci, Penny Marschall, Amoz Oz und Eva Twaroch. Es starben auch etliche Schurken, doch fanden sich hydragleich umgehend andere, die in ihre Fußstapfen traten. Und: es wurden auch jene geboren, die der Welt früher oder später durch ihre Gegenwart Zukunft geben werden. Im Kleinen und damit im Großen. Dazu gehören sicher jene, denen es gelingt mit Hilfe der sie begleitenden Erwachsenen ihren individuellen Bildungsweg zu gehen und nicht zu SchubladendenkerInnen und Ja-SagerInnen zu werden, zu denen das staatliche Bildungssystem sie für gewöhnlich zu machen pflegt. Unser Planet braucht gerade jene dringender denn je. Egal ob sie PolitikerInnen, KünstlerInnen oder sonstwelche in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommenen Lichtgestalten werden oder im Kleinen wirken, was sehr oft effizienter ist, wie werden das Angesicht der Welt prägen. IV Mein persönliches Jahr war von den vielen Höhen und Tiefen geprägt, die ein Menschenleben eben prägen. Ich darf mich insofern glücklich schätzen, als ich sicher nicht zu jenen zähle, die zwischen dem bösen Erwachen am Morgen und dem Einschlafen vor dem Fernseher von einem anderen Leben träumen, auf’s nächste Wochenende hoffen oder schon die Pension ersehnen, in denen dann endlich das eigene Programm läuft. Ich habe mich schon vor vielen Jahren entschieden, mein eigenes Ding zu leben, nicht immer zur Freude all jener, an deren Seite ich mein Leben verbrachte. Auch verbrachte ich mein Leben nicht immer an der Seite jener Menschen, an denen ich es idealerweise verbringen hätte sollen. Das liegt zwar schon Jahre zurück, wirkt aber das eine oder andere Mal immer noch nach. Auch mein durch meine Kindheit geprägter Hang für dieses oder jene Verantwortung zu übernehmen, wofür ich garantiert nicht verantwortlich bin, brachte mir mehr Hader als Segen. Im vergangenen Jahr musste ich mich mit einer solchen Situation beschäftigen – und als die Sache knapp vor dem Jahreswechsel kurz vor der Klärung stand, wurde der dementsprechende Termin um 2 Monate, also ins neue Jahr verschoben. Ärgerlich. Aber kein Grund zum Ärgern, vor allem weil dieses Gefühl mich weder in dieser Angelegenheit noch in allen anderen solche Emotionen erweckenden Situationen auch nur einen Millimeter voranbringt. So durfte ich 2018 auch an Gelassenheit und Zuversicht arbeiten, ich durfte mich vielmehr an ihnen abarbeiten ohne einen dauerhaften Erfolg zu verbuchen. Dennoch: Ich hatte auch im nunmehr in wenigen Stunden ablaufenden Jahr weniger mit Vergangenem zu tun als je zuvor, ich konnte mich also mehr denn je dem Gegenwärtigen widmen, das jede Menge Herausforderungen bot. Mein Vorhaben, dem Literarischen den nötigen Raum zu geben, ging trotz mehrmaliger Neustarts gründlich daneben, man könnte sogar von Rohrkrepierern sprechen, die nicht einmal das Licht der Welt erblickten, nachdem sie etwa auch hier in diesem Blog großspurig angekündigt wurden. Utopie also! Dennoch bin ich keineswegs bereit, mich diesbezüglich in Dystopischem zu ergehen und meine dichterischen Pläne auf die Pension zu verschieben oder gänzlich aufzugeben. Mir wurde aber sehr wohl bewusst gemacht, dass ein volles Leben eben keine Zeit lässt, das Erdachte auf’s Papier zu bringen. Also bewahre ich es in meinem Herzen – oder besser noch in meinem Notizbüchlein. Das Leben bot mir also wirklich viel, der Fußball kehrte nach etlichen Jahren wieder an meine Seite zurück, einerseits durch unseren Dorfklub, dessen Stadion in unmittelbarer Nähe zu unserem neuen Familiendomizil ist, andererseits durch den Mittleren und unseren Jüngsten, die beide ihr Können in den jeweiligen Kinder- bzw. Jugendmannschaften perfektionieren. Die Trainings, die Reise zu den Turnieren und zuletzt auch meine unterstützende Tätigkeit als Co-Trainer, die ich seit kurzem ausübe, beanspruchen die nötige Zeit, vor allem, weil ich letztere auch mit ganzem Herzen und Engagement angehen möchte. Die Tage seit Weihnachten haben auch die übliche jahresendzeitgemäße Katharsis über mich hereinbrechen lassen, was überhaut nicht angenehm ist, aber wann, wenn nicht jetzt, ist Raum dafür, Da ich mit Weihnachten schon abgeschlossen habe, sowohl mit dem religiösen als auch mit dem kommerziellen, bleibt ein feiner Abend im Kreis der Familie, in denen wir unserem in den Jahren entstandenen Ritual frönen, mit Weihnachtsfrieden, Weihnachtssauna, gutem, finnischen Essen und eine kleinen Bescherung für unsere Jungs durch den Weihnachtsmann bei einem kleinen Weihnachtsbaum, der heuer von unserem Mittleren bei den Waldspielen mit seiner Klasse gewonnen wurde. Der Setzling einer Nordmanntanne, der seit dem späten Frühjahr in einem Topf im Garten steht, hat ordentlich angetrieben und brachte es immerhin schon auf drei Kerzen, den üblichen, fast noch zu großen Strohstern an seiner Spitze und die eine oder andere kleine Holzfigur zur Verzierung. Von diesem Abend an brach die Weihnachtsruhe über mich herein, die mich mit mir selbst konfrontierte. In dieser vergangenen Woche durchlebte ich in meinen Träumen und auch tagsüber so Vieles aus den letzten 12 Monaten nochmals, wurde von mir und mir gegenüber zur Rechenschaft aufgefordert, verurteilte und begnadigte mich, haderte, verzweifelte und gab mir die Chance, nochmals von vorne zu beginnen. Eine anstrengende Zeit. Und eben mein mir innewohnendes Abschlussritual des Jahres, not-wendig und wertvoll, da es den Humus bildet, für das was kommen wird, 2019 und danach. V Zuletzt möchte ich noch dem von mir sehr geschätzten Erich Kästner das Wort erteilen: „Wird's besser? Wird's schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich!“ Und das ist gut so!
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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