Die Spannung ist weiterhin spürbar. Die Veränderungen auch. Auf Fußball müssen wir vorerst verzichten. Keine Matches im Fernsehen, keine Spiele in der Arena, keine Trainings mehr mit meinem Kinderteam. Tja, es gab auch ein Leben vor dem Fußball oder sagen wir besser zwischen Fußball und Fußball. In meiner Kindheit und Jugend war ich ein begeisterter Austria Wien-Fan. Ich gebe das ehrlich zu, obwohl ich befürchten muss, nun einige LeserInnen zu verlieren. Aber ich bin ein verträglicher Austrianer, kein Ultra, davon können zwei meiner Söhne ein Lied singen, sie sind Rapidler.
Nun ja, ich war also Austria-Fan und das, weil mein Opa (der Vater meiner Mutter) auch einer war. Mit ihm spielte ich nicht nur Fußball, sondern ging auch jeden zweiten Samstag ins Wiener Stadion, um meine Lieblingsmannschaft in der Bundesliga spielen zu sehen. Es gab gute und schlechte Phasen und der Austria gelang es mehr als genug, „in Schönheit zu sterben.“ Die Derbys gegen die Rapidler waren auch damals schon ziemlich hardcore. Es gab Knaller, es gab Randale – und mein Opa und ich kamen immer wohlbehalten heim. Der Höhepunkt war die Saison 1977/78. Im Frühjahr spielte sich die Austria ins Finale des Europacups der Meister. Bei den Heimspielen im Viertel- und Halbfinale gegen Spartak Moskau und Hajduk Split war ich mit den 75.000 anderen Zusehern samt Vater und Großvater live dabei. Stehplatz selbstverständlich. Da passte kaum ein Blatt Papier zwischen die Fans. Beide Partien gingen ins Elfmeterschießen. Beide Partien gewannen die Wiener. Das Finale, dass ich im Fernsehen verfolgte verlor mein Lieblingsteam dann aber glatt mit 0:4 gegen die damals übermächtige Mannschaft des RSC Anderlecht. Da war ich am Boden zerstört. Besonders habe ich auch die Stadthallenturniere in Erinnerung, die meine Weihnachtsferien versüßten. Und die Wiener Austria war damals sehr zu meiner Freude Seriensieger. Mein Opa kam samt Oma jeden Donnerstag zu Besuch. Am Vormittag wanderte er, der früher Brief- und dann Geldbrief-Träger war, von seinem Zuhause in Penzing zu uns nach Margareten. Am Weg erledigte er Einkäufe am Schwendermarkt und in der Marihailferstraße, danach ging er zum PAM-PAM, einem Großmarkt ganz in unserer Nähe. Manchmal durfte ich ihn begleiten. Und nach dem Einkauf nahm er beim nahen Wirten noch ein Achtel weiß – und ich bekam einen Apfelsaft. Mein Opa rauchte – um Vieles weniger als mein Vater, der es oft auf 3 Packungen pro Tag brachte – mit Genuss. Falk. Und er spielte an den Donnerstagnachmittagen Tipp Kick mit mir. Wir spielten alles Weltmeisterschaften, die es je gab, nach. Und ich gestaltete aus Jogurtbechern und Gläsern Pokale. Er spielte immer Österreich, so die Österreicher bei der WM vertreten waren. Es war eine große Freude für mich. Und in den Sommermonaten, wenn wir die Tage im Städtischen Strandbad an der Alten Donau verbrachten, spielten wir im Fußballkäfig mit echtem Rasen und bloßfüßig! Er spielte bis ins hohe Alter. Als ich mich mit 16 dann erstmals verliebte und auch andere Interessen hatte, wurde unsere gemeinsame Zeit weniger und mein Opa zunehmend trübsinning. „Der Krieg“, sagte meine Oma nur. Es gab die Geschichte, dass er sich einst mit eigener Waffe in den Arm geschossen hat, um nicht mehr an diesem Wahnsinn teilnehmen zu müssen. Dafür zahlte er auch einen hohen Preis, denn er verlor durch diese Aktion seine Fähigkeit, Geige und Schlagzeug zu spielen. Aber er rettete damit sein Leben und in der offiziellen Darstellung hatte sich ein Schuss aus der Waffe gelöst und ihn schwer verletzt. Die Wahrheit hätte ihm schon damals das Leben gekostet. Wie gut, dass ich ihn hatte, er war wirklich mein großer Vater. So schaute er auch zu, als ich in der Klassenmannschaft im Gymnasium spielte. Ich war rechter Verteidiger, Robert Sara von der Wiener Austria mein großes Vorbild. Ich war hart und kompromisslos, technisch weniger versiert, aber ein absoluter Kämpfer. Das musste ich, Leichtgewicht, das ich schon damals war, oft mit einem „Flug“ durch die Luft bezahlen. Einmal landete ich nach einem Pressball mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt (unser Sportplatz wurde gerade von Sand auf Kunststoffbelag umgestellt), meinem Turnlehrer (nicht jenem, den ich zuletzt im Hinblick auf den Schikurs beschrieben habe) stand der Schreck noch ins Gesicht geschrieben, als er meinen Kopf untersuchte. Ich war auch damals schon ein Dickschädel und so hatte ich glücklicherweise nicht einmal eine leichte Gehirnerschütterung. Meine Sternstunde hatte ich im Halbfinale des Schulturnier, als es nach einem torlosen Remis ins Elfmeterschießen ging. Vom Kapitän meiner Mannschaft wurde ich als einer der 3 Schützen auserkoren – und ich war der einzige der traf. Mit einem satten, scharfen Schuss in halber Torhöhe nach rechts ließ ich dem Schlussmann unseres Gegners keine Chance und brachte unser Team ins Finale, wo wir gegen die Mannschaft der Parallelklasse dann aber glatt mit 0:4 verloren. Mein Opa war dennoch stolz auf mich – und ich werde diesen Elfer nie vergessen. Da bin ich doch glatt über mich hinausgewachsen. Als Vater von zwei Töchtern war Fußball dann jahrelang kein Thema, so richtig in mein Leben kam er dann erst wieder vor 10 Jahren, als meine Liebste und ich WM guckten. Ich war ganz angetan von meiner Finnin, die sich mit mir samt Bier vor den Fernseher setzte, um dem runden Leder zu folgen. Und nach der WM flachte die Fußballeuphorie wieder ab. Mit unseren Jungs aber und diversen nationalen und internationalen Übertragungen im ORF stieg der Fußballkonsum an, um nach unserer Übersiedlung in unsere neue Heimat vor mehr als zwei Jahren durch den örtlichen Fußballklub und seine tolle Arena seinen Höhepunkt zu finden. Tja, und nun Fußballpause – auf unbestimmte Zeit. Ein bisschen kriselt es schon bei mir und meinem Jüngsten, aber wir haben ja einen Garten und einen Ball, wir haben Tipp-Kick und Tischfußball und wir haben Alternativen, die wir schon lange nicht mehr ausprobiert haben, etwa Tischtennis oder Softtennis oder Boccia oder … Es wird uns nicht langweilig – und da das Wetter in den nächsten Tagen herrlich frühlingshaft werden soll, gehe ich davon aus, dass uns ein Lagerkoller erspart bleibt.
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Als empathisches Wesen, der schnell mit einem Gegenüber oder einer Stimmung in Resonanz geht ist die Heimfahrt in den ersten Stunden meines neuen Lebenstag eine Hochschaubahn der Gefühle. Daher habe ich in den letzten Tagen auch das Radiohören und Nachrichtenstreams-Schauen auf das Notwendigste reduziert, denn Sorgen und Ängste schwächen ja bekanntlich nicht nur die Psyche, sondern auch das Immunsystem. Es liegt etwas in der Luft, es ähnelt ein wenig der Gefühlslage knapp vor Weihnachten, einer Zeit, in der sich auch eine Menge Emotion zusammenballt und manchem das Leben schwer macht. Das frühlingshafte Wetter und die Corona-Lage – ein Paradoxon, das den Fühlenden zu schaffen macht.
Bei meiner Heimreise hatte ich im Personentunnel meines Umsteigebahnhofs in der Landeshauptstadt eine plötzliche Geruchsassoziation. Gerüche sind ja generell etwas sehr eindrückliches, ich erlebe das jedenfalls immer wieder sehr intensiv. Darum hatte ich in meinem Jahrzehnt als Lehrer in öffentlichen Pflichtschulen in Wien häufig mit dem klassischen Schulgeruch bzw. verschiedenen Schulgerüchen zu kämpfen, eine äußerst unangenehme Assoziation. In jenem Personentunnel flashte ich zu folgendem Erlebnis zurück. Schikurs in der Oberstufe, eine übermäßig besorgte Mutter daheim, die mich nicht mitfahren lassen wollte, ein Turnlehrer, der mich deswegen vor der ganzen Klasse zur Sau machte – und eine Entscheidung meinerseits mit schlechtem Gewissen, weil ich dennoch mitgefahren war. Ich wurde am 2. Tag krank, musste mich den Ängsten meiner Mutter beugen und die von ihr mitgegebenen Grippepulver schlucken (ohne dass die Lehrer etwas mitbekamen). Mein Turnlehrer hatte – als ich drei Tage später wieder einigermaßen gesund war und abschließenden „Bunten Abend“ teilnehmen konnte – auch so seine Probleme. Als er sich auf seinen Sessel setzte, sprang er sofort wieder auf und überprüfte daraufhin mit den Händen seinen Hosenboden und die Sitzfläche, so als ob er etwas Nasses wahrgenommen hätte. Armer Mensch. Wozu Schule in ihrer systemischen Gewalt in der Lage ist, zu annähernd gleichen Teilen bei Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern. Daher habe ich ja vor knapp fünf Jahren Bildung zu meinem Leib- und Magenthema gemacht, in dem ich unter anderem eine Sendereihe im freien Wiener Radio Orange 94.0 mit dem Titel „Nie mehr Schule – das Magazin für alle, die Bildung verändern wollen“ ins Leben gerufen habe. Dazu ein anderes Mal mehr. Nun aber zurück zur Geruchsassoziation im Bahnhofstunnel: Ich wurde also am Tag vor unserer Rückreise gesund und hatte Lust nach draußen zu gehen. Es war März, es war sonnig, der Schnee im Tal schmolz und es roch – nach Frühling, aber in einer besonderen Weise, die ich gut in Erinnerung behielt und die ich bislang nur dieses eine Mal wahrgenommen hatte – bis auf gerade eben. Dieses Gefühl mischte sich damals mit der Freude über das Genesen und mit einer durchaus fremdbestimmten Sehnen nach der Rückkehr ins Zuhause, ein ambivalentes Gefühl. Dennoch war es in jener Zeit für mich angenehmer, den Willen meiner Mutter zu befolgen als mich auf mein Wollen zu konzentrieren, die Enge der Wiener Wohnung hatte trotz meines pubertären Alters diesen Vorteil gegenüber der Freiheit der großen, weiten Welt. Und in jener Unterführung kam nicht nur der Geruch zurück, sondern auch jene Zweischneidigkeit meiner damaligen Gefühlslage, allerdings mit einer wesentlich anderen Einfärbung, nämlich frei sein zu wollen und das durch die geplanten Maßnahmen der Regierung mögliche „Eingesperrt-Sein“ im eigenen – diesmal ja wunderbaren Zuhause – als unzumutbare Zumutung zu empfinden. Endlich im Haus wurde ich von Kater Dario empfangen. Kuschelzeit extra intensiv. Ich wachte noch bis gegen 2 Uhr – und rollte mich schon vier Stunden später wieder aus den Federn. Catmania – und die Sorge eines der jungen Familienmitglieder könnte die Terrassen oder Haustüre offen lassen und dem Kater zu früh den Weg in seine Freiheit als potentielle Freilaufkatze ermöglichen. Ich frühstückte und setzte mich an den Schreibtisch, unterbrach meine Arbeit nur, um den neuen Mitbewohner zu beobachten bzw. seine Bedürfnisse kennenzulernen. Um neun legte ich mich noch für eine Stunde hin, um elf fuhren mein Jüngster und ich in die Stadtbücherei, um uns für die „Quarantäne“ der nächsten Tage literarisch aufzumunitionieren. Dieser Begriff drückt auch eine meiner extremen Gefühle aus: Wir sind im Krieg. Zwei Beiträge, die ich online fand, besänftigten meine übertriebenen Wahrnehmungen: Im Magazin Geo wurde beschrieben, warum bei Corona funktioniert, was bei der Klimakrise versagt und Zukunftsforscher Mathias Horx lehrte mich das Virus und seine Auswirkungen als Resizlienz-Übung mit positivem Effekt zu verstehen. Bevor wir in die Bibliothek kamen, wollte mein Sohn noch zum Friseur am Bahnhofsplatz, was eine gute Idee war, denn seine Kurzhaarfrisur war schon vor Tagen außer Form geraten. Während er wartete, holte ich noch eine 6kg-Dose mit Bio-Olivenöl von einem Bekannten ab, dessen Tauschkreiskollegin es schon vor Wochen aus ihrem Griechenlandaufenthalt mitgebracht hatte. Eine Ration, die wohl wie die vorjährige ein Jahr halten sollte. Zurück im Friseurladen mussten wir doch noch eine halbe Stunde warten und so geriet unser Zeitplan letztlich mit einer Stunde ins Hintertreffen – und unser Mittagessen fand erst gegen zwei statt. Die Mittagspause dauerte dann länger als gedacht, beschloss Dario doch, sich auf meine Oberschenkel zu legen und dort für knapp zwei Stunden tief und fest einzupennen. Ich genoss die erzwungene Pause und regenerierte mich auf diese Weise von den beiden vorhergehenden und zu kurz geratenen Nächten. Und so ging der nächste Lebenstag mit einem gemeinsamen Familienabendessen zu Ende, das gleichzeitig ein Auftakt in eine auf unbestimmte Zeit angelegte Phase des gemeinsamen Alltags in unserem Haus und Garten bildete. In dem Moment wurde mir bewusst, was es bedeuten würde, wenn ein atomarer Unfall uns auch das Nach-Draußen-Gehen verunmöglichen würde. Im Relativieren liegt manchmal ein Segen, obwohl ich es mir als Lebensphilosophie nicht aneignen möchte, hat es doch meine Kindheit und Jugend extrem geprägt. Dario hat die Herzen der Familie Dosenöffner (so heißen wir im Katzenjargon) im Sturm erobert und auch uns gelang es, ihn umgehend für uns einzunehmen. Als ich nachts heimkam, hatte er sich gerade irgendwohin zurück gezogen. Zuvor war er laut Auskunft meiner Frau hinter meinem Sofa und in der Holzlade unseres Küchenherdes gewesen. Als er unsere Stimmen hörte, stand er plötzlich neugierig in der Küche. Ich ließ ihn meine Hand beschnuppern, was er sehr vorsichtig und zurückhaltend machte, um nur wenige Sekunden später zum ersten Mal Köpfchen zu geben. Ich setzte mich zu ihm auf den Boden und dann begannen die Annäherungen heftiger zu werden. Er erwies sich zuerst als echter Schmusekater und wenig später waren wir schon in unser erstes Spiel an Wohnzimmerteppich vertieft. Die Tierärztin, die ihn gegen 18 Uhr zu uns nachhause gebracht hatte, schätzte ihn auf rund 2 Monate. Er ist ein zierliches, sehr schlankes Tier mit einer kleinen weißen Blesse auf der Brust, ansonsten durchgehend schwarz mit grünen Augen. Das eine erkrankte Sehorgan wirkt derzeit aufgrund der Hornhautverletzung durch einen Herpesvirus oder einen Kratzer seiner Katzenschwester etwas trüber, es macht aber nicht den Eindruck als ob dadurch seine Sehkraft eingeschränkt wäre. Meine Frau bestand darauf, dass wir ihm die verordneten Augentropfen möglichst bald verabreichten. Dazu nahm ich den leichten Jungen mit meinen Händen und setzte mich mit ihm aufs Sofa, wo er seine Kuschelattacken fortsetzte. Ich hielt seinen Kopf fest und zog seine Augenlider auseinander, so dass meine Liebste ihm je einen Tropfen der Flüssigkeit einträufeln konnte. Er ließ die Prozedur willig über sich ergehen und legte sich, nach einer weiteren Schmusezeit auf meinen Schoß, um eine Runde zu schlafen. Ich blieb mit ihm noch rund eineinhalb Stunden wach, gegen ein Uhr brachte ich Dario zu meiner Frau ins Bett und folgte nach ihm nach meiner abendlichen Dusche. Er lag zu ihren Füßen, als ich ins Bett kam.
Am darauffolgenden Morgen war ich schon gegen halb sechs wach. Ich stand kurze Zeit später auf, machte Kaffee für meine Frau und mich und aß mein Morgenmüsli. Natürlich machte ich mich auch gleich auf die Suche nach unserem Neuankömmling, fand ihn aber in der Morgendämmerung und ohne Licht zu machen nicht. Ich schaute in die Ofenlade und hinter bzw. unter mein Sofa: nichts. Dann wartete ich auf eben jenem Sofa mit einer Tasse Kaffee. Er kam nicht zum Vorschein. Als unsere Großen sich gegen halb sieben für ihren Aufbruch in die Schule vorbereiteten, machte ich noch einen Rundgang und fand den jungen Mann auf dem Esstischstuhl meiner Frau, dort wo auch einer der Lieblingsplätze unserer Mizzi-Katze war. So schwarz wie er ist, hob er sich kaum vom schwarzen Polster auf der Sitzfläche ab. Ich nahm zu mir aufs Sofa mit und die Kuschelei nahm ihre Fortsetzung, während das Haus gelüftet wurde. Danach bekam Dario sein Frühstück, das er im Lauf des Vormittags in drei Rationen verzehrte. Obwohl ich eigentlich hundemüde war, machte ich mich sofort an meine Arbeit. Zuerst schrieb ich an meinem Blog, dann erledigte ich einige E-Mails, um schließlich gemeinsam mit meiner Liebsten an meiner Steuererklärung zu arbeiten. Während des Vormittags tourte der Kater durch das Wohnzimmer und die Küche und entdeckte so manches, was sich zum Klettern eignete. Als ich ein schnelles Mittagessen zubereitete, bevor ich mich auf den Weg in die Hauptstadt machte, um meinen ältesten Freund zu treffen, sah er mit Interesse vom Esstischstuhl zu, auf dem er auch morgens gelegen war. Die Bahnfahrt nutzte ich zu einem Nickerchen, aus dem ich wenig erholt knapp vor dem Umsteigebahnhof in der Landeshauptstadt erwachte. Es war extrem mild für die Jahreszeit bei rund 20 Grad Celsius, was der Beseitigung meiner Müdigkeit nicht förderlich war. Im zweiten Zug machte ich mich an die Vorbereitung für die abendlichen Einheiten in meiner Vorbereitungsgruppe auf die Berufsreifeprüfung Deutsch. Neben der richtigen s-Schreibung und einer Wiederholung zum Thema Zusammenfassung nahm ich mir Argumentationstraining vor – und zwar, wie sollte es auch anders sein in Zeiten wie diesen – zum derzeit grassierenden Corona-Virus. Unter dem Titel „Corona - tödliche Gefahr oder Panikmache“ sollten die Teilnehmenden mit Hilfe eines Videos des Internisten Dr. Franz Wiesinger und einem Gastkommentar von Dr. Günther Loewit in einer großen Tageszeitung ihre Position darstellen und durch Argumente untermauern. Dabei kam ich selbst zum ersten Mal seit ihrem Ausbruch mit der Corona-Epedemie, die mittlerweile lt. WHO zur Pandemie geworden war, sowie den nun einsetzenden strengen Maßnahmen unserer Bundesregierung intensiver in Kontakt. Hygienemaßnahmen sind mir grundsätzlich nicht fremd, da ich berufsbedingt oft mit den Öffis unterwegs bin und viel mit Menschen zu tun habe.Dennoch wirkte ihre Drastik auf mich erstmals beängstigend. Auch über die whatsapp-Gruppe des Fußballvereins kamen den ganzen Tag über die neuesten Informationen zur weiteren Vorgangsweise im Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbereich. Letztendlich wurde die Entscheidung getroffen, den Trainings- und Spielbetrieb mit sofortiger Wirkung und bis auf Weiteres einzustellen. Das soziale Leben sei auf ein Minimum zu reduzieren. Im Treffen mit meinem Freund wurde der Virus zwar auch kurz zum Thema, ansonsten widmeten wir uns den Themen, die uns immer wieder bewegen: dem Fußball, der Persönlichkeitsentwicklung, der Spiritualität und der Philosophie sowie Politischem. Es war wie immer eine wundervolle Begegnung, bei der ich diesmal auch zum Essen eingeladen wurde. Ich genoss den Faschierten Braten mit Braterdäpfeln und gegrilltem Gemüse und einem Seitel Zwickel. Mit den besten Wünschen für den jeweils anderen gingen wir nach knapp zwei Stunden auseinander – in Ungewissheit, wann wir uns wieder sehen würden. Aber ist diese Unsicherheit nicht immer gegeben und wird uns nur durch die aktuelle Situation stärker bewusst? Auf der Fahrt in die VHS gönnte ich mir noch eine meiner Lieblingsmehlspeisen, nämlich einen Punschkrapfen. Ich kenne diese Leckerei mittlerweile in verschiedensten Varianten, schmeckt sie doch bei jedem Bäcker anders. Die heute gekaufte Sorte zählt absolut zu den Top 3. Als ich in der VHS ankam, erfuhr ich von den Teilnehmer*innen, dass der Unterricht ab nächster Woche auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden sollte, was sich durch ein E-Mail der Programmkoordinatorin auch bestätigte. Die Teilnehmenden und ich beschlossen, uns beim nächsten Mal virtuell zu treffen, um unsere Arbeit fortsetzen zu können. Über all meinen beruflichen Verpflichtungen im Trainingsbereich schwebt nun das Damoklesschwert der Absage und damit ein existenzieller Verdienstentgang. Bei meiner Liebsten dürfte es ähnlich sein, erwerbsarbeitet sie doch im gleichen Segment. Bei allen notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus sollten die Verantwortlichen aber auch dringend darauf achten, dass Menschen nicht durch solche Schritte in ihrer Existenz bedroht werden. Ein guter Zeitpunkt für die Einführung eines Grundeinkommens, finde ich, auf Basis einer Finanztransaktionssteuer. Diese könnte, laut Berechnung von Expert*innen, eine solche bedingungslose Grundsicherung finanzieren. Wobei ich in diesem Zusammenhang lieber von einem Auskommen spreche, beinhaltet Einkommen doch auch die Möglichkeit über Grundverhältnisse hinaus leben zu können. Das Auskommen aber ermöglicht es jedem individuell und an seine Lebenssituation angepasst und ohne Erwerbsdruck existieren zu können. Schöne neue Welt auf Basis eines „Nie ist zu wenig, was genügt“ (Heini Staudinger, GEA). Vielleicht ermöglichen die nun eingetretenen Ereignisse endlich jene Wendezeit, von der seit Jahrzehnten folgenlos geredet wird zum Segen für unseren Planeten und unsere Spezies, auf die die Erde auch liebend gerne verzichten könnte. Gleich am Morgen gilt es eine Entscheidung zu treffen. Sind wir bereit für eine neue Katze? Im Konkreten handelt es sich um einen jungen Kater, der mit seinen Geschwistern ausgesetzt, gefunden und bislang in der Obhut einer Tierärztin im Weinviertel war. In den letzten Tagen hatten meine Frau und sie schon intensiven whatsapp-Kontakt, es galt dieses und jenes abzuwägen und unsere Bereitschaft auszuloten. Ich war skeptisch. Unsere Mizzi-Katz war gerade mal vier Wochen verschwunden, wir haben ein sehr bewegtes Leben, es gibt die eine oder andere wesentliche Lebensfrage, die noch ungeklärt ist und …
Wir sagten zu. Die Tierärztin hatte sich bereit erklärt, den jungen Mann mit ihrem Auto gegen Ersatz des Benzingeldes gegen Abend bei uns vorbeizubringen. Der „Hornhautdefekt“, mutmaßlich hervorgerufen durch einen Herpes-Virus, hatte in den letzten Tagen gut auf die medizinische Behandlung angesprochen. Der kleine schwarze Kater war startbereit, um in sein neues Zuhause zu gelangen. Ausgegangen war die Initiative „Katze für Familie Dosenöffner“ von jener befreundeten Wein- und Obstbäuerin, die auch schon reichlich Erfahrung mit Katzen hat. Auch ihr war einer ihrer Lieblinge verschwunden und ein anderer wurde vor wenigen Monaten Opfer seines Jagdtriebes. Er und der von ihm gejagte Hase wurden von einem Auto überfahren. Sie wusste von unserer Situation und erfuhr von einer Freundin, die eine Freundin hat, die die ausgesetzten Katzen, darunter unseren zukünftigen Kater, gefunden hatte. Sie war davon ausgegangen, dass sich die Tiere in der benachbarten Bezirkshauptstadt befanden. Doch handelte es sich um einen in rund 100 km Entfernung liegenden Ort im Weinviertel. Im Zusammenspiel aller Kräfte gelang es letztlich doch, Dario zu uns zu lotsen. Als sie das erste Foto sahen, waren meiner Frau und unserem Jüngsten sofort klar, dass der schwarze Kater nur diesen Namen tragen konnte. Vor einigen Wochen hatten wir in der Stadtbücherei das Buch Donna und Dario von Barbara Frischmuth ausgeborgt, das eine Abenteuergeschichte im Tierreich am Wiener Donaukanal erzählt. Ein kleine schwarze Kater, einer der Protagonisten der Geschichte, trägt den Namen Dario. Hier meine Rezension, die ich daraufhin für den Blog des Wiener Bücherschmaus verfasst habe: Wenn die Mutter mit dem Sohne ... Die Abenteuer der Katzen Donna und Dario am Wiener Donaukanal Wie es Lew Leuwen, einem der wenigen menschlichen ProtagonistInnen von Barbara Frischmuths 1997 erschienenen Buch „Donna und Dario“ geht, kann ich momentan gut nachvollziehen, ist doch unsere Familienkatze seit einiger Zeit verschwunden. Ansonsten wimmelt es in der Geschichte von Tieren aller Art, neben der Katze Donna und ihrem Sohn Dario gibt es noch jede Mengen anderer Katzen, Mäuse, Ratten, Möwen, Hunde und Marder, aber auch eine Krähe namens Flitzschwinge spielt eine entscheidende Rolle. Wie bei den Menschen gibt es auf allen Seiten Gute und Böse. Zurück zu Flitzschwinge: sie ist es nämlich, die Dario, der ganz versessen auf Badewannenstöpsel ist, am Anfang des Buches das Leben rettet, in dem sie ihn, der in seinem Spiel- bzw. Jagdtrieb aus dem Fenster seiner Wohnung einem schwarzen Schatten nachspringt – jener Krähe nämlich – und mit ihr auf dem Sofa eines fahrenden Sperrmüllwagens landet. Von da an nimmt das Abenteuer seinen Lauf und Dario sucht von jener Mülldeponie aus, auf der ihn der LKW samt Sofa gebracht hat, seinen Weg zurück zu seinem Menschen Lew und seiner Mutter Donna. Dabei begegnet er dem weisen Kater Saroyan, der in einem Buchladen lebt, er lernt die Kanalufergesellschaft auf der einen Seite des Donaukanals kennen, die sich tierartenübergreifend so organisiert hat, dass immer genug Futter da ist, ohne einander töten zu müssen, muss sich vor der Verschleppung durch die zwei menschlichen Gauner Ras Kachl und Maritschek retten und kommt durch einen Zufall auf die andere Seite, in der wilde, räuberische Katzengangs das Sagen haben, während seine Mutter Donna einen Augenblick nutzt, um ihre Wohnung zu verlassen, um Dario zu suchen. Auch sie lernt die Kanalufergesellschaft, vor allem den findigen Kater Webster kennen, der sie bei ihrer Suche unterstützt. Und plötzlich bricht eine Bande mörderischer Marder in die bislang heile Katzenwelt am Donaukanal ein und bringt beide Seiten gehörig ins Schwitzen. Saroyan, Webster und Donna wechseln notgedrungen gemeinsam mit Hund Odo, dem Stinkenden, die Seite und schließen sich mit den wilden Katzen vom anderen Ufer zusammen, um es den Mardern zu zeigen. Dort trifft Donna endlich ihren Sohn Dario, der in der Zwischenzeit bei den Streunerkatzen Rang und Namen hat, also erwachsen geworden ist und ihres Schutzes gar nicht mehr bedarf. In einem alten Abbruchhaus kommt es dann zur entscheidenden Schlacht gegen die Marder. Für den Menschen Lew Leuwen gibt es schließlich nach dem wochenlangen Warten auf seine Katzen ein Happy End, das bei mir noch in den Sternen steht, womöglich sogar ausbleibt. Frischmuths Buch ist eine wunderbare Geschichte vom Erwachsenwerden, von einer Gesellschaft, die trotz der vielen Unterschiede ihrer Mitglieder einen gemeinsamen Weg findet und von den Vorzügen der Unabhängigkeit in einer Welt von menschengemachten Abhängigkeiten – nicht nur für Katzenfans - und mag auch für die „Warrior Cats“ von Erin Hunter, die derzeit en vogue sind, zumindest unbewusst Pate gestanden sein. Empfohlen für (junge) Menschen ab 8. Der Name kommt übrigens aus dem Spanischen, Italienischen und Kroatischen, hat aber einen altpersischen Ursprung und geht auf den Namen Darius zurück. Dario setzt sich aus den altpersischen Wörtern „daraya“, was „besitzen“ und „aufrechterhalten“ bedeutet und aus „vahu“, was „gut“ bedeutet, zusammen. Die beliebtesten Interpretationen von Dario sind daher „der Mächtige“, „der Bezwinger“ und „der das Gute Festhaltende“ sowie „Träger des Guten“. Letzeres finde ich wunderbar paradox, gilt doch ein schwarzer Kater bzw. eine Katze gemeinhin als Unglücksbringer. Die weibliche Form Daria ist auch in Finnland geläufig, dort wird sie Tarja genannt, eine prominente Vertreterin ist die ehemalige Staatspräsidentin Tarja Halonen, auch meine Frau hatte eine Schulfreundin gleichen Namens. Zudem galt es einen „Familiennamen“ für ihn zu finden, ich recherchierte im Kroatischen und Finnischen. Im ersteren heißt Kater mačak, in Finnland sind die Bezeichnungen uroskissa (männliche Katze) und kolli (Kater) üblich. Also wurde er spontan – und noch ehe er einen Fuß über unsere Schwelle gesetzt hatte – zu Dario Kolli. Bei der Übergabe am Ende des 17. Tages in meinem 55. Jahr konnte ich aus beruflichen Gründen nicht dabei sein, ich begleitete in Wien eine Gruppe elementarpädagogischer Fachkräfte zum Thema „sprachliche Bildung“, einem meiner Lieblingsthemen, da mir Sprache schon in meiner Jugend, da ich noch recht einsilbig unterwegs war und mich gerne in Geschichten und Gedichten ausdrückte, sehr wichtig geworden war. Ich freute mich schon auf die erste Begegnung mit Dario, die für nach meiner Rückkehr so gegen 23 Uhr angesetzt war. Ein All-Tag mit dem wöchentlichen Einkauf im Großmarkt, eine Radtour ohne den in unserer Gegend sehr üblichen (Gegen-)Wind.
Dabei viele Fußball-Gedanken, nicht über die „großen“ Spiele, die diese Woche in der Champions- und Europaleague anstehen, sonder über unseren Dorfklub. Dazu dann frühabends eine Besprechung im Vereinsvorstand. Es braucht Macher, Kritiker und Nörgler gibt es – wie wohl fast überall – genug. Noch einmal Unterleuten.
Am Morgen danach begann ein getakteter Tag. Zuerst Arena. Die Spuren eines Brunch, das von 9 bis 22 Uhr gedauert hatte, waren zu beseitigen, mein Jüngster und ich halfen unserem Obmann dabei. Knappe zwei Stunden später merkte man nur noch am Leerflaschen-Berg hinter der Theke, was sich da tags zuvor abgespielt hatte. Diese Ablenkung war für mich auch notwendig, musste meine Liebste sich in dieser Zeit einem weiteren Termin in einer seit Jahren schwelenden „Streiterei“ mit ihrem Ex aussetzen, der seit der Trennung vor mehr als 10 Jahren seine Söhne als Mittel zum Zweck benützt und aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur vor allem sich selbst sieht und allen anderen Beteiligten das Leben schwer macht. Dies ein Drama mit noch ungewissem Ausgang. Humor ist, wenn man trotzdem lacht bzw. das Lachen trotz allem nicht verlernt hat. Meine Frau ist über sich hinausgewachsen und hat trotz all der Unannehmlichkeiten einen wichtigen Erfolg im Sinne ihrer Söhne, unserer beiden Großen erzielt. In drei Wochen geht es weiter. Für sie stand an diesem Tag auch noch Politik am Programm. Für mich Fußballverein. Am Abend, also am Beginn folgte ihre Angelobung als Gemeinderätin, die konstituierende Sitzung der Gemeindevertretung wurde in den Veranstaltungssaal verlegt, als mein Sohn und ich knapp vor Beginn dazustießen war alles gerammelt voll. Wir fanden noch zwei Plätze nebeneinander und fielen durch unser „gestriegeltes und gesackeltes“ Äußeres sowie durch eine Strauß Tulpen – stilgerecht in grünes Seidenpapier gewickelt – auf. In der Sitzung selbst folgte eine Wahlgang auf den anderen, es waren Formalia zu erledigen, die aber unserer Demokratie die nötige Stabilität geben. Eine Überraschung gab es bei der Wahl des Bürgermeisters, der nur mit einer Stimme Vorsprung – und damit nur mit den 11 Stimmen seiner eigenen Fraktion – gewählt wurde. Die drei Oppositionsparteien hatten sich offenbar auf einen anderen Kandidaten, der aber aus der Bürgermeisterpartei stammte, geeinigt. Meine Liebste wurde danach zur geschäftsführenden Gemeinderätin und damit in den Gemeindevorstand gewählt. Die Schwierigkeiten mit der Aussprache des Namens „Karjalainen“ setzten sich hier fort. Bei der Verlesung der Wahlvorschläge stolperte der frischgebackene Bürgermeister dreimal und nannte meine Liebste „Karalaien“, wobei ich sogleich "Van der Leyen" assoziierte. Ehre, wem Ehre gebührt. Er befindet sich damit in guter Gesellschaft. Der Vizebürgermeister aus dem Lager des Bürgermeisters erhielt 20 von 21 Stimmen und damit quasi vollstes Vertrauen – auch der Opposition. Man merkte die zunehmende Verstimmung des Ortschefs, die sich dann, als das Formale vorbei war und zum Büffet geladen wurde, auch in der einen oder anderen „Kopfwäsche“ für die Oppositionsfraktionen äußerte. Zum Schluss machte ich ihn noch auf die richtige Aussprache unseres Familiennamens aufmerksam, er konnte oder wollte darauf aber nicht eingehen und verabschiedete sich mit einem Händedruck, einem Blick ins Off und einem „Ist schon gut.“ In diesem Augenblick lag sein ganzer Schmerz über die ihm bei der Wahl von der Opposition in aller Öffentlichkeit entzogene Anerkennung, deren Wiedererlangen er zuvor in einer kurzen Rede mit den Worten „Ich werde versuchen, auch das Vertrauen der anderen 10 Gemeinderäte zu gewinnen, die mich nicht gewählt haben“ angekündigt hatte. In seiner Selbstbezogenheit liegt meines Erachtens seine größte Schwäche – und die schwächt letztlich das Gemeinwesen zum Schaden der Vielen zugunsten einiger weniger Getreuer. Apropos Händedruck. Das die News der Welt beherrschende Virus zeitigte auch lokale Auswirkungen, es waren nicht alle in der Lage, diesen bislang üblichen Ausdruck zur Begrüßung und Verabschiedung anzuwenden. Dies gilt es selbstverständlich zu respektieren und neue Formen dieser Rituale zu entwickeln. Ideen kursieren bereits genug. Nun noch ein kleine Ergänzung zu den in grünes Seidenpapier gewickelten roten Tulpen für meine Frau: ich hatte das Papier mit sieben Zitaten zu den Themen Politik, Demokratie und Macht verziert. Mögen sie alle politisch Verantwortlichen zur Be-Sinnung einladen – und uns, das Volk, ermuntern, unsere Stimme nicht bei jeder Wahl tatsächlich abzugeben, sondern sie auch danach immer wieder kraftvoll einzusetzen. Immerhin besagt eine Systemtheorie, dass es „nur“ 3,5 % einer Gemeinschaft braucht, um bislang Geltendes umzustürzen. Bei 2000 Menschen in unserer Gemeinde wären das 70, auf das ganze Land hochgerechnet etwas mehr als 310.000. Eigentlich hat mit der konstituierenden Sitzung des Gemeinderates schon Tag 16 begonnen, ich nehme mir aber die Freiheit, hier ein wenig Unordnung in die Struktur meiner Route 55 zu bringen. Das Leben ist manchmal eben auch so. Unsere beiden Großen verbringen das Wochenende bei ihrem Vater, der so einmal im Monat aus der deutschen Hauptstadt, in der er seit rund 10 Jahren lebt, in seine alte Heimat kommt. Unser Jüngster und ich verbringen den Tag zu zweit, meine Frau arbeitet in der Hauptstadt. Gemütlicher Vormittag mit einem netten Frühstück, danach Einkauf im Supermarkt im örtlichen Gewerbepark, das Wetter anfangs noch recht sonnig und mild bei 12 Grad, je näher der Nachmittag und unser Einsatz bei den Matches unseres Dorf-Fußballklubs rückt, desto düsterer wird es, Regenwolken hängen sich rein und am frühen Nachmittag hat es 4 Grad weniger und es folgt ein Schauer auf den nächsten. Gut, dass wir heute noch keinen Großeinsatz haben, meine Aufgabe ist es, Matchberichte für die Vereinshomepage zu erstellen. Ein Linseneintopf gibt uns die nötige Unterlage.
Am Platz dann eine mäßige, dennoch erfolgreiche und eine sehenswerte und sehr erfolgreiche Begegnung. Die Berichte gehen leicht von der Hand. Mein Sohn trifft seine liebste Freudin, mit der er einmal eine Saison in der gleichen Kindermannschaft Fußball gespielt hat – und da geht dann bis um 19 h, lange nach Spielschluss, die Post ab und ich habe Schwierigkeiten ihn loszueisen. Ich bekomme die erfreuliche Nachricht, dass meine Bemühungen, einen neuen Co-Trainer für meine U9 zu finden, erfolgreich waren. Die Zeit nach den Matches nutze ich, um in der alten Kantine am alten Platz, in der ein Holzofen bollert und alles so schön nostalgisch wirkt, zu plaudern, zu fachsimpeln und mir ein Bild über Zukunftsperspektiven für unseren Dorfklub zu machen. Ein Samstag wie er mir gefällt. Unterleuten. Das zerrissene Dorf. Eine ZDF-Produktion nach dem Roman von Juli Zeh. Der neue Lebenstag beginnt heftig, weil großartige Schauspieler*innen eine Tragödie lebendig werden lassen, die einem Shakespeare um kaum etwas nachsteht. Die Idee Windräder zu errichten, um damit eine ehemalige DDR-LPG zu retten und damit auch den Ort vor dem Ruin, also dem Aussterben zu retten, entfaltet eine destruktive Dynamik, die am Ende fast nur Verlierer kennt – und alle Geheimnisse ans Licht bringt. Beklemmend, sehenswert, zum Schluss hin kaum noch zu ertragen. Ich kenne das Original nicht, in der Verfilmung wirkte der Ausgang auf mich übertrieben. Der Morgen begann zu früh. In unserer Fußballarena stand ein Brunch auf der Programm, ich hatte meine Mithilfe zugesagt, mein Jüngster begleitete mich begeistert. Schnell lief ich warm und als die ersten Gäste kamen, war ohnehin „Dauerlauf“ angesagt. Ich mache solche Sachen wirklich gerne, bin damit aufgewachsen, als Junge bei den Pfadfindern hatten wir immer wieder mal Veranstaltungen, die uns voll forderten aber auch Geld in die Kasse brachten. Ein volles Haus in der Kantine unseres Fußballstadions, gute Stimmung, ein hervorragendes Büffet mit allem Drum und Dran, das von der Gattin unseres Vereinsobmannes und ihrem Team mustergültig vorbereitet worden war. Meine Liebste kam gegen halb elf und dann genossen auch wir Lachs, Schinken, Ei, Aufstriche, frisches Gebäck und Kaffee. Als wir gehen wollten, wurden wir noch auf eine Runde Wein eingeladen und so blieben wir mehr als eine Stunde länger als geplant. Am Nachmittag dann: Fußballberichte (siehe oben), der Abend kam schnell. Die Perspektive auf den Beginn meines 12. Lebenstages im 55. Lebensjahr hat sich schnell in Luft aufgelöst, war ich doch diesmal – zum dritten Mal in 4 Wochen – wieder mit der Tatsache konfrontiert, dass der Nightjet aus Wien nicht pünktlich abfahren wollte. Diesmal war er trotz anderslautender Anzeige zur Abahrtszeit um 21.27 h nicht einmal noch aufs Gleis geschoben worden. Anschlusszüge waren alle pünktlich, also boten sie keinen Grund für die Verspätung, der Zugteil nach Venedig wurde diesmal gar nicht mehr geführt – und dennoch, kein Zug weit und breit. Um 21.28 h wurde dann mitgeteilt, dass der Zug mit 5-10 Minuten Verspätung abfahren solle, um 21.32 h wurde eine Verspätung von 10-15 Minuten bekannt gegeben, vom Zug allerdings noch immer keine Spur, obwohl er ja vom Hauptbahnhof starten sollte.
Krisenmanagement war angesagt. Ich nahm also wieder einmal die Franz Josefs-Bahn mit der Perspektive nicht mehr in mein Heimatdorf kommen zu können, sondern bloß bis zur 6 Kilometer entfernten Bezirkshauptstadt. Obwohl ich das Fahrrad unseres Ältesten ausgeborgt und für den nun eintretenden Fall dort bereit gestellt hatte, konnte ich überhaupt keine Lust auf eine nächtliche Radtour verspüren. Ich war verzweifelt, vor allem, da ja gerade solche Tage mein Leben bestimmten und ich an solchen Tagen schnell genervt war und mit meiner Laune an solchen Tagen alle mir nahestehenden Menschen zu nerven pflege. Meine mittels whatsapp-“Notruf“ diesbezüglich behelligte Liebste war gerade in wichtigen politischen Verhandlungen, stand doch die Konstituierung des Gemeinderats, in dem sie erstmals Mitglied werden sollte, am darauffolgenden Montag am Programm. Sie hatte dennoch zwei Lösungsvorschläge parat, die ich aber partout nicht annehmen wollte. Wieder rutschten Frankl und Sartre in meine Gedanken – und ich antwortete meinem Leben, das mir diese Herausforderung auferlegte mit der sinnlosen Gegenfage „Warum?“ bzw. mit mit einem kindischen „Nein!“, obwohl es ja gar keine Entscheidungsfrage, sondern vielmehr eine offene Frage gestellt hatte. Also nervte ich meine Liebste mit dieser Gegenwehr zu ihren Vorschlägen bis sie berechtigterweise aufgab und mich meinem Schicksal (Sartre!) überließ. Aber auch dies ist ja laut Frankl nicht Schicksal sondern meine (falsche) Antwort auf diese Lebens-Frage. Aber auch Frankl nervte mich in diesem Moment bloß. Es gelang mir durch meine innere Zerrissenheit einen solchen Eindruck im Außen zu erwecken, dass sich plötzlich ein junger Mann meiner erbarmte und mir seine Hilfe anbot. Schicksal? (Ruediger Dahlke, der Meister der Krankheitsbilddeutung bezeichnet Schicksal als das geschickte Wohl – vom lat. salus- das Wohl) Und er brachte mich mit seinem Auto zum Bahnhof meins Heimatdorfes, wo mein Fahrrad auf mich wartete. Um Mitternacht war ich zuhause. Oh Wunder! Ein Engel! Schicksal! Ich haderte dennoch, auch die traumreiche, aber nicht traumhafte Nacht lang. Was mich auch am Morgen nicht in besserer Stimmung erwachen ließ. Das Schöne an der Selbständigkeit ist die Selbständigkeit, eine gewisse Autonomie, eine Art Selbstbestimmung. Du hast halt keine/n Chef*in, aber du hast Kund*innen. Und du arbeitest selbst ständig. Und was mich am meisten nervt ist die einmal jährlich abzuliefernde Steuererklärung.Für Buchhaltung habe ich nicht den geringsten Nerv. Und derzeit ist grade wieder einmal Steuererklärungszeit. Auch das noch. Nun nervt also Vieles und ich nerve Viele. Der Tag diskussions-voll und diskussionswürdig. Am Nachmittag das Training mit meiner Kinderfußballelf, von der sieben anwesend waren. Mal andere Gedanken und seltsam – für Tage wie solche – ungenervt, im Gegenteil empowerend. Für den Übergang von Tag 12 auf Tag 13 eine Multimediashow in einem örtlichen Weingut über den hohen Norden (Finnland und Island), für finnophile wie mich ein Pflichttermin; die Großen haben Vaterwochenende, meine Frau, unser Jüngster und ich machen die Reisen mit. Macht Lust und Laune! Endlich wieder. Zur Entspannung an solchen Tagen hilft mir ein Fußballspiel. Glücklicherweise bin ich ja seit kurzem Probeabonnent eines Sport-Bezahlsenders, was mir an solchen Abenden sehr entgegenkommt – wie ich am Abend dieses Tages wohltuend bemerke. An meiner Seite mein Jüngster, wir schauen also gemeinsam Eintracht Frankfurt gegen Werder Bremen und da dieses Spiel (das übrigens im Free-TV auf ARD, allerdings nur mit VPN übertragen wird) nach 60 Minuten mit 2:0 für die „Würstchen“ zulasten der „Fischlaibchen“ (O-Ton meines Sohnes) entschieden ist, wechseln wir ins Bezahl-TV zu Norwich gegen Tottenham und erleben bis spät in die Nacht einen Krimi, der erst im Elferschießen und das zugunsten der Canaries entschieden wird. Da half den Londonern auch der Startrainer Jose Mourinho nicht, sie verspielten alles durch ihre Lässigkeit, ja meiner Ansicht nach durch ihre Überheblichkeit. Hier war deutlich zu sehen, was Kampfgeist und Einsatz bewirken können – und damit kam der Tabellenletzte der englischen Premier League zu einem verdienten Erfolg.
Der Morgen brachte Knatsch und führte mich über meine Grenzen – ich musste da raus. Die Zeit danach ließ mich mit dem Philosophieren über Frankl vs. Sartre zurück. An solchen Tagen werde ich zum Existenzialisten. Sartre ist beinhart aber ehrlich, während Frankl mir da angenehm aber unrealistisch erscheint. Das in die Existenz-Geworfen-Sein ohne den Sinn der Sache zu finden drückt mich nieder und macht mich wütend. Ist auch keine Lösung. Den Sinn der ganzen Kacke, in der ich von Zeit zu Zeit stecke, kann ich – das sagt mir die Erfahrung – ohnehin erst aus der Distanz erkennen. Da gilt es mal die entsprechenden Meter zu machen und auf Abstand zu gehen. Und bei diesem und jenem, das mich immer wieder heimsucht, ist die Distanzierung noch nicht wirklich gelungen. Sonst wäre ich nicht wieder so schnell im Sumpf, wenn es wieder einmal, wenn auch in neuem Gewand, auftaucht. Meiner Liebsten ist Frankl lieber, sagt sie. Und das kann ich auch verstehen. An solchen Tagen finde ich aber bei ihm keinen Trost, da suhle ich mich lieber in Schicksalsphantasien. Aber auch solche Tagen gehen vorbei, auch wenn sie gefühlt Wochen dauern. Das zumindest weiß ich, darauf zumindest baue ich. Und die Perspektive, Tag 12 meines neuen Lebensjahres mit dem Halbfinal-Match im Österreichischen Fußballcup LASK gegen Salzburg beginnen zu können, gibt Grund zur Hoffnung. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, auch wenn die Zuversicht sich längst verabschiedet hat. Es gibt bekanntlich solche und solche Tage, und mir – und ich glaube jeder/jedem – sind solche Tage lieber als solche. Ein wirklicher Neubeginn ist immer nur möglich, wenn alle Beteiligten mitspielen und wenn sie Vergangenes loslassen können. Leider gibt es in meinem Leben zwei Menschen, die mir seit mehr als 10 Jahren das Leben schwer machen – und trotz aller meiner Bemühungen tauchen sie plötzlich und unerwartet mit Forderungen auf, die ich nicht erfüllen mag, weil auch wenn ich sie erfüllte, wäre keine Ruhe. Sie haben eine – sagen wir es freundlich – komplexe Persönlichkeit und ich bin der einen seinerzeit auf meinem Selbstfindungstrip Ende zwanzig, Anfang dreißig auf den Leim gegangen, die andere hat meine Liebste vor zehn Jahren in unsere Beziehung mitgebracht. Wie sich unsere Leben in der Vergangenheit doch beziehungstechnisch glichen.
Nun kämpfen wir – um unser Leben. Es gibt auch diesbezüglich solche Tage und solche. An den einen ist die See ruhig, die Sonne scheint und es scheint alles klar und deutlich, es geht schnell voran und das eigene Leben hat die Oberhand; an den anderen bricht aus dem Nichts ein Sturm los, der dir den Atem raubt und das Meer aufbrausen lässt, als gäbe es kein Morgen. Es sind in der Regel die inneren Stürme, die durch Äußeres in Bewegung gebracht werden – und die rauben dir die Zuversicht. An solchen Tagen ist es nicht leicht ins Auge des Orkans zu gelangen, wo du in Stille und in deiner Kraft ausharren kannst, bis der Wahnsinn vorbei ist. Und es gibt solche Tage, wo beide komplexen Persönlichkeiten sich offenbar miteinander verschworen haben und meine Liebste und mich so beschäftigen, dass wir einander nicht wirklich beistehen können. Gerade also ist das doppelte Sturmtief KA mit seiner hypnotisierenden und unsere Leben paralysierenden Wirkung losgebrochen, es wird uns noch einige Tage beschäftigen. Die Chancen, dass es danach ein für alle Mal aus unseren und unserem Leben verschwunden ist, stehen schlecht. Und die Kräfte erlahmen zum Teil schneller als noch früher, zehn Jahre sind eine lange, auszehrende Zeit. Also gilt es wieder den Fokus auf die Gegenwart, die unsere Zukunft in sich trägt, zu lenken, Vergangenes als solches wahrzunehmen und auch dorthin zurückzuschicken, wenn es sich anlässt, Gegenwärtiges zu besetzen. Dieser Kampf ist ein inneres Geschehen mit Wirkung aus dem und ins Außen, das sich konkreter Worte entzieht. Daher lässt es sich momentan nicht besser beschreiben. Im Außen ganz normaler Alltag, die Kids, der Fußball und das Wachen und das Schlafen und das Träumen. Cesare Paveses letzter Tagebucheintrag endet mit den Worten „Ich werde nicht mehr schreiben“. Ich möchte den Eintrag zu diesen Tagen mit folgenden Worten enden lassen: „Ich werde wieder schreiben, immer wieder, bis alles beschrieben ist – und ich leer in die Fülle meines Lebens eintauche.“ Der Beginn des neuen Lebenstages, der Sonntagabend, brachte einen recht langweiligen „El Classico“ zwischen Real Madrid und Barcelona. Die Nacht danach voller Träume, der Morgen ein wenig zerknautscht und fast zu spät dran, um für ein Treffen mit einem lieben Freund nach Wien zu fahren, eine nachträgliche Geburtstagsbegegnung. Auf der Bahnfahrt viel Zeit zum Nachdenken, eine Menge Langeweile, die ja bekanntlich der Kreativität gut tut.
Und sie trug Früchte: Maria Mizzi-Kaze, wo immer sie nun auch seit drei Wochen sein mag, bekommt ein achtes Leben. Sie wird ihre Weisheiten weiter via meiner Website und auf ihrem Facebook-Profil von sich geben. Sie wird auch – in Zusammenarbeit mit meinem jüngsten Sohn – ein literarisches Andenken erhalten. In der Geschichte mit dem Titel „Glückskatze“ wird sie durch ihr Verschwinden dazu beitragen, dass eine gestresste und zerrissene Familie ihre Gemeinsamkeiten entdeckt und ein glückliches Leben findet. Zudem werden hier auch verschiedene Szenarien entwickelt, was aus der Mizzi-Katz geworden sein könnte. Für ihr achtes oder auch zehntes Leben auf Website und Facebook jedenfalls redet sie von Oz aus, jenem wunderbaren Land, das L. Frank Baum vor 120 Jahren in seinem Roman von Dorothy und ihrem Hund Toto beschrieben hat. Am Anfang stand ein Sturm, so wie bei Mizzis Verschwinden auch. Maria Mizzi-Kaze ist also in Oz gelandet – ob sie wie Dorothy und Toto jemals zurück finden wird bzw.will steht in den Sternen, aber immerhin wird sie uns mit ihren Weisheiten begleiten – und das ist gut so. Trauerbewältigung geht viele Wege. Und ihr Porträt ist mittlerweile in unserer Ahnengalerie im Eingangsbereich unseres Hauses gelandet. Der Tag brachte dann noch weitere Gesprächstermine in der Hautstadt und in meinem Heimatdorf, alle sehr bewegend, in die eine und andere Richtung. Froh war ich, noch vor Anbruch des neuen Lebenstages zuhause zu sein – und so startete ich diesen mit einem feinen Abendessen ganz mit mir allein. Die Sehnsucht nach Sauna siegte. Als seit knapp 10 Jahren angeheirateter Finne lernte ich die segnenden Wirkungen dieser finnischen Institution in der Osterwoche 2011 kennen, da ich das erste Mal gemeinsam mit meiner Liebsten das Land im hohen Norden zum ersten Mal bereiste, Seither wollte ich sie nicht mehr missen, musste es aber immer wieder über einen längeren Zeitraum. Unser Plan, einmal im Jahr für mehrere Wochen im Sommer in Finnland zu sein, wurde viel zu oft vom Leben durchkreuzt. Gerne erinnere ich mich daher an dieses Jahr elf nach der Jahrtausendwende, denn wir verbrachten im August noch mehrere Wochen zu fünft in Suomi – und bei dieser Gelegenheit lernte unser damals erst knapp 6 Wochen alter jüngster Sohn auch gleich kennen, was es zu saunieren heißt, nämlich auf original finnische Art. Da gibt‘s kein Pi-pa-po im Hinblick auf die Aufgüsse und das in unseren Breiten allseits beliebte Wacheln kennt in Finnland keiner. Ich fand das von Anfang an sehr sympathisch. Und auch im Hinblick auf das „heiße“ Thema gemischte Sauna gibt es klare Regeln. Familie geht gemeinsam, alle anderen Männer und Frauen getrennt. Und: es gibt „Vasta“, ein aus Birkenzweigen zusammengebundenes Büschel, mit dem man sich nach dem Aufguss den gesamten Körper abklopft: herrlich aromatisch und wunderbar belebend. Besonders liebe ich es, während eines Aufgusses mein Gesicht darin zu vergraben und den Duft der Birken einzusaugen.
Nun mussten wir aber eben viele Monate, manchmal sogar Jahre darben. Als wir noch in der Hauptstadt wohnten, fanden wir eine Gelegenheit regelmäßig eine Sauna zu besuchen, im Winter nutzen wir die Gelegenheit meist einmal wöchentlich. Aber die Hitze eines Elektroofens unterscheidet sich doch markant von der angenehmen Wärme eines Holzofens. Und als wir dann aufs Land zogen, war klar, dass wir so bald wie möglich eine Sauna haben wollten. Ein Jahr nach unserem Einzug fanden wir dann unsere Lösung: wir erwarben ein Saunazelt der Firm Savotta, das nun unseren Garten ziert und uns winters wie sommers in den Genuss des Gesundschwitzens bringt. Und da drinnen kommt man auch auf ganz normale Saunatemperaturen zwischen 80 und 100 Grad. Nur die Vasta fehlen noch, aber da arbeiten wir auch schon an einer Lösung. Und weil der Saunagang zu Beginn von Tag 7 so wundervoll war, nutzen wir die Sturmstille (in den letzten Wochen wurden unsere Saunabesuche viel zu oft durch die herrschende windige Wetterlage verunmöglicht) und begaben uns am Sonntagnachmittag nochmals in die wohltuende und heilsame Hitze. Dazwischen lag ein lazy Sunday, den ich zum Schreiben, zum Kochen und zum Plaudern sowie zum Fußballschauen nutzte. Eine fehlte – noch immer: Maria Mizzi-Kaze, unsere Glückskatze. Auch sie liebte die Sauna – und zwar zu jener Zeit, als der Ofen schon am Abkühlen und das Zelt menschenleer war. Da setze sie sich dann in eine Ecke und genoss Stille, Einsamkeit und Wärme. Der Zug war pünktlich, wohl auch, weil der Teil nach Venedig gähnend leer war – no one wants to go to Italy. Und den Karneval haben sie ja auch abgesagt, weil ein tödlicher Virus durch die Welt reist. Wie immer, wenn ein solches Ereignis über die Menschheit hereinbricht, sind viele überfordert, auch die politisch Verantwortlichen. Und wie Viren nun mal sind, ist es schwer, sie in den Griff zu kriegen – aber es geht. Wenn dann PolitikerInnen von „Nur keine Panik“ sprechen, werde ich allerdings leicht panisch. Meine Erfahrung ist nämlich, dass dann mehr oder anderes dahinter stecken, als sie öffentlich zugeben wollen.
Das ist so wie wenn ein*e Redner*in sagt, dass er*sie sich kurz halten werde oder „In aller Kürze“ oder „Nur kurz noch“. Auch dann folgt in 99% der Fälle ein für die ZuhörerInnen langer Vortrag; möglicherweise hat er oder sie sich ja doch wesentlich kürzer gefasst als geplant, aber … In eine solche Situation brachte mich meine Neugier am Vormittag meines neuen Lebenstages. Ich fuhr zu einer Versammlung der Fußballfunktionär*innen. (Hier noch ein kurzer Exkurs zum *, der Asterisk – nicht Asteriks – genannt wird. Kurz vor meiner Erzählperformance bei meinem Geburtstagsfest habe ich von der Volkshochschule, in der ich Deutsch unterrichte, ein Schreiben erhalten, in dem ich über die richtige Aussprache des Asterisks unterrichtet werde. Hier lautet es wörtlich: „Mündlich wird der Asterisk, also das Sternchen, durch eine Atempause gekennzeichnet.“ Und da ich bei meiner Performance eine Woche zuvor vollmundig versprochen habe, immer wenn es um den * geht, eine Atempause einzulegen, verwende ich den * nun auch in meinen schriftlichen Ausführungen – wo ich früher lieber mit „I“ oder „_“ gearbeitet habe – um auch hier nötige Atempausen einzulegen. Glaubt mir, dass tut auch beim Schreiben verdammt gut und bringt mich auf Gedanken, die ich ohne Pause nicht gehabt hätte. - Exkurs Ende) Ich fuhr also zu einer Versammlung von Fußballfunktionär*innen mit, der * ist berechtigt, denn unter den rund 150 Teilnehmenden befanden sich meiner Wahrnehmung nach auch 4 Frauen. Und eine davon ist sogar in leitender Funktion als Kassierin einer so genannten Jugendhauptgruppe tätig. Ich erlebte Realsatire pur. Und das lag zum einen daran, dass in den Gremien die hier zusammentrafen (es waren ja eigentlich drei alle vier Jahre stattfindenen Hauptversammlungen parallel, nämlich jene zweier Jugendhauptgruppen und einer Hauptgruppe), ein hoher Altersschnitt herrschte und ich mit meinen 54 Lenzen am Buckel zu den Jüngeren zählte. Nun ist Alter per se nix Böses, aber Alter macht per se auch nicht automatisch weise. Zum anderen musst du schon ein Mensch sein, dem Vereinsmeierei etwas Bedeutendes ist. Ich denke, dass es auch anders ginge, aber so weit ist es noch nicht – und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mich trotz aller Wahrnehmungen und Ideen zur Verbesserung nicht dazu berufen fühle, die Vereinswelt auf den Kopf zu stellen. Also setzte ich mich dieser aus – pur und nüchtern. Wobei ich gestehen muss, dass ich nach 30 Minuten die Sehnsucht auf ein kleines, lieber sogar großes Bier bekam, was ich allerdings auf Grund eines sehr, sehr kleinen Frühstücks, das dem Morgenstress geschuldet war (wann stehe ich denn am Samstag schon um 7 Uhr auf? - Na ja, wenn ich es bedenke, öfter als es mir lieb ist, dann, wenn ich meiner Trainertätigkeit in der Erwachsenenbildung oder im Fußball nachgehe), dann lieber bleiben ließ. Wer weiß, was mir in einem leicht berauschten Zustand dann so alles über die Lippen gekommen wäre. In aller Kürze (Achtung! Zu Kürze siehe oben!): zuerst streikte die Technik, die Powerpointpräsentationen sollten durch 3 Beamer übertragen werden, wobei zwei davon streikten; der Rechenschaftsbericht des Obmann-Stellvertreters der einen Jugendhauptgruppe wurde mit den Worten „Ich werde mich kurz fassen“ eingeleitet (obwohl es immerhin vier Jahre zu rechtfertigen gab); dann, nach einigen wirklich kurzen Berichten, kam der Frauenreferent der Hauptgruppe zu Wort, auch er „kurz“ in der Ankündigung und lang in den Ausführungen; anfangs wurde auch der Referent für Spitzenfußball vorgestellt, ein Mittsiebziger mit starkem Übergewicht – aber ich denke, die Qualifikation für die Aufgabe darf man nicht einseitig an Alter und Körpergewicht bzw. Körperformen festmachen; als endlich alle berichtet hatten und entlastet wurden, schritt man zu den Neuwahlen, die Verlesung der Kandidat*innen fiel dem Wahlleiter nicht immer leicht, er umschiffte so mache brenzlige Situation dann mit einem unverständlichen Gemurmel, was insofern nicht störend war, als die Namen der Betreffenden auch über die mittlerweile einwandfrei funktionierenden Beamer dreifach in den Saal gestrahlt wurden; die Wahlen, die offen und mit Stimmzettel (in drei Farben, da ja drei Hauptversammlungen gleichzeitig stattfanden und drei verschiedene Wahlbrechtigungen zu berücksichtigen waren) durchgeführt wurden, endeten jeweils mit einem „Danke“ des Wahlleiters, worauf fußballtechnisch der ganze Saal „Bitte“ zu schreien gehabt hätte, das unterblieb aber aus Gründen der Vernunft, war man ja nicht im Stadion sondern in der Kaiserrast in Stockerau. Nun, die Wahlen waren vorbei, der nächste Tagesordnungspunkte lautete „Reden der Ehrengäste“, glücklicherweise fand sich nur einer bereit, das Wort zu erheben, immerhin befand man sich bereits in Minute 120 der Versammlung(en). So kurbelte der Präsident des bundesländlichen Fußballverbandes eine seiner unambitionierten Reden herunter, die auch unterbleiben hätten können, aber Ehre, wem Ehre gebührt. Und außerdem ist der Mann ja immerhin Bürgermeister i.R. und daher durchaus schon etwas eingerostet. Seis‘s drum. Das unvermeidliche Allfällige aber brachte dann noch die Verlängerung der Verlängerung, waren doch noch einige Ehrungen durchzuführen. Schließlich folgte nach knapp 135 Minuten der Schlusspfiff, der Teil des Saales, in dem ich meinen Platz gefunden hatte, musste unverzüglich wegen einer nachfolgenden Veranstaltung geräumt werden und so hatte ich einen guten Grund sofort die Flucht zu ergreifen. Nach einem solchen Vormittag braucht es eigentlich keinen Nachmittag mehr, dennoch war er durchaus befüllt. Nach einem Mittagessen ereilte mich, da ich den Spielbericht vom Spiel unserer Kampfmannschaft online stellte, die Erkenntnis, dass unsere U 23 in der örtlichen Arena ein Testspiel absolvierte, dessen zweite Hälfte ich besuchte, um auch hier einen einigermaßen authentischen Bericht für die Homepage unseres Fußballklubs erstellen zu können (wir verloren verdient 1:6), und es waren die wöchentlichen Putzdienste im Haus zu absolvieren. So neigte sich dieser 6. Tag schnell seinem Ende zu, es blieb die Frage, ob ich Tag 7 mit Sauna oder Dancing im Eventstage beginnen sollte. Spät heimgekommen, aber immerhin mit dem Zug. Eine Woche vorher war es den ÖBB gelungen, den Nightjet vom Wiener Hauptbahnhof in die Landeshauptstadt aufgrund des Abwartens eines Anschlusszuges mit einer solchen Verspätung auf die Reise zu schicken, dass ich meinerseits meinen Anschlusszug in die Heimat versäumen musste. Und das war der letzte gewesen, der mich noch direkt in meinen Wohnort bringen konnte. Ich hatte also noch in Wien umdisponiert, fuhr an der Donau entlang und war immerhin eine halbe Stunde früher in der Bezirkshauptsatdt gewesen – allerdings ohne Möglichkeit zur Weiterfahrt nachhause. Da der Taxler meines Vertrauens nicht verfügbar gewesen war, hatte ich mich entschieden, die knapp 6 Kilometer zu Fuß in Angriff zu nehmen. Eine herausfordernde Erfahrung, die ich in einer knappen Stunde bewältigt hatte.
Aber das war – wie gesagt – noch in meinem alten Lebensjahr gewesen. Diesmal klappte es ohne Probleme. Ansonsten bot mir der Tag eine Menge Zeit, um mich dem Schreiben zu widmen, am Nachmittag dann neuerlich Aufbruch in die große Stadt, wo ich abends KindergruppenbetreuerInnen mit dem Thema Pädagogik konfrontieren durfte. Es wurde trotz des trocken anmutenden Inhalts eine sehr lebendige Veranstaltung. Wir hatten auch einen interessanten Austausch über Werte und deren Vermittlung an die Kids. Und wieder machte ich mich zur selben Zeit wie am Vortag auf dem Weg zum Hauptbahnhof, um den Nightjet zu erreichen. Wieder wird es spät, später als ich wollte, nach Fußball noch ein Blick in die ZDFNeo-Serie Dunkelstadt, reißt mich nicht vom Hocker eher in den Schlaf. Aber wie gesagt, es war schon spät.
Am Morgen ist es nun schon deutlich heller und ein lautes Vogelkonzert geht los. Seit die Katze nicht mehr im Haus ist, haben auch die Vögel wieder Kirtag in unserem Garten. Das war im ersten halben Jahr so – dem ohne Maria Mizzi-Kaze, momentan schaut es ganz nach einem Revival aus. Trotz Katze haben aber etwa die Rotschwänzchen auch im letzten Sommer zwei Gelege in den Nischen unserer Einfahrt bzw. des Stadels angelegt. Und der Nachwuchs war – im Vergleich zur menschlichen Spezies, auch relativ gesehen – sehr schnell aus dem Nest. Trotz anderer Vereinbarung hat uns die Mizzi-Katz auch 3 Vögel vor die Tür gelegt, worauf sie sich was anhören musste. Seither lag zumindest kein Federvieh mehr da, dafür die eine oder andere Maus. Das sind für mich die schwer zu akzeptierenden Charakterzüge einer Katze: ihre Jagd und das lange „Spielen“ mit dem Gejagten und schließlich Erlegten und ihr Hang zum Töten der ohnehin schon stark bedrohten Singvögel. Nicht nur das Vogelgezwitscher lag heute morgen ganz besonders laut in der Luft, auch eine gelöste Stimmung erfüllte diese Morgenstunden – und so bekam ich Lust, den Wochenendeinkauf beim rund 5 Kilometer entfernten Großmarkt gleich anzugehen. Ich lud die leeren Bierkisten vom Fest in den Kinder- Radanhänger, der schon seit einigen Jahren nur noch als Gepäcktransporter dient – und auf ging‘s in Begleitung meiner Liebsten und unseres Jüngsten. Der extreme Gegenwind machte uns bei der Hinfahrt arg zu schaffen – wie so oft wenn der Wind aus dem Westen oder Nordwesten weht. Dafür ist die Rückfahrt dann ein Leichtes, mit eben diesem Wind im Rücken. Am Nachmittag brach ich dann in die Bundeshauptstadt auf, um einem meiner Brotberufe nachzugehen. Die TeilnehmerInnen des eben gestarteten Vorbereitungslehrganges für die Berufsreifeprüfung Deutsch an der VHS hatten heute die Freude, sich mit einem Essay des österreichischen Autors Ilija Trojanow über das Reisen mit dem Titel „Setzt euch der Fremde aus“ auseinanderzusetzen. Und sie waren nach anfänglicher Zurückhaltung dann letztlich doch eifrig dabei, den Text auf sich wirken zu lassen und ihn als Impuls für eine Auseinandersetzung mit ihrem Leben zu nehmen. Von meiner Seite kamen Viktor Frankl und C.G. Jung ins Spiel, von ihnen eine differenzierte Sichtweise auf das moderne Urlauben im Verhältnis zum wahren Reisen. Nun für mich ist das ganze Leben eine Reise, in dem ich offenbar kaum ein Abenteuer auslasse, was mich manchmal nach jener Ruhe sehnen lässt, die ein wohlbehütetes Zuhause bietet. Und diese Heimat finde ich mal hier, mal dort – im Eigenen und auch im zunächst Fremden, das ich mir zu eigen machen durfte. Und so begleiteten mich die TeilnehmerInnen meiner Gruppe mit ihren Perspektiven und Gedanken in den nächsten Tag meines neuen Lebensjahres. Wir sehen also wenig später in der Turnhalle der Volksschule, die auch als Veranstaltungshalle dient, ein ambitioniertes Programm, das allen Altersgruppen eine
gute Bühne zur Selbstdarstellung bietet, und das meine ich nicht negativ. Ich finde es wirklich fein, dass diese Möglichkeit besteht. So ziemlich alle werden durch den Kakao gezogen, Frauen und Männer, VertreterInnen der örtlichen Politik und des Fußballvereins bekommen ihr Fett ab und manchmal gibt es wenig zu lachen, ein anderes Mal bleibt das Lachen im Hals stecken und oft genug darf es ungehindert raus. Nach einem weiteren Fußballspiel, diesmal die Champions-League-Begegnung zwischen Napoli und Barcelona, ein Match, das es vorher noch nie als Bewerbsspiel gegeben hat, und das unentschieden endet, gehe ich viel zu spät ins Bett, steht doch am Morgen ein Zahnarztbesuch am Programm. Und an eben jenem Morgen wache ich mit dem Gefühl auf, nachts ein weiteres Leben gelebt zu haben. Es ist außerdem zu früh für mich, ich stehe gerne zwischen halb acht und acht auf, aber um sechs? Das tue ich nur bei besonderer Motivation – wie etwa einer Reise oder einem Auftrag, bei dem auch das Börsel stimmt. Nun ja aber heute ist Zahnarzt. Und dort werden dann gleich 3 alte Plomben repariert. Meine Zahnärztin ist die Ruhe selbst, sie ist jung, aber eine absolute Profi und sie hat am Zahnambulatorium der Gesundheitskasse einen absoluten Knochenjob, Ordinationsstart täglich um 7 Uhr. Ich bewundere sie dafür. Problem diesmal: Nach der Behandlung habe ich Zahnschmerzen, die ich vorher nicht hatte. Ich komme um 9 Uhr heim, auch dort ist die Stimmung nicht viel besser. Vergangenes hat sich schmerzlich über die Familie gelegt, es droht auch die Zukunft zu verändern, wesentlich und … Meine Horrorszenarien, für die ich dann gerne Escape-Strategien entwickle, obwohl ich mich ungern damit beschäftige, tragen auch nicht zur Erheiterung bei. Obwohl Zuversicht jetzt angebracht wäre. Aber die Schmerzen lassen mich ein wenig Drama spielen. Zudem ist der Kostenvoranschlag der Glaserei in meinem E-Mail-Postfach, er war notwendig geworden, da mein Jüngster beim Fußballspielen eine Scheibe der Doppelverglasung unserer Abstellraumtür eingeschossen hat. Ich grüble also – zum Leidwesen meiner Liebsten, die jetzt Aufmunterung bräuchte vor mich hin, fühle mich nicht nur von meiner Glückskatze sondern mit ihr gleich vom ganzen Glück verlassen und spüre die Schmerzen noch heftiger. Nachdem ich im Ambulatorium niemanden telefonisch erreiche, meine homöopathische Medizin nicht umgehend anschlägt (was sie ja nie tut, sie braucht Zeit, um zu wirken, nur die will ich mir in diesem Moment einfach nicht nehmen), packe ich mich zusammen und fahre zurück in die Stadt. Dort erfahre ich von der Assistentin, dass es nicht unüblich ist, dass Schmerzen auftreten und dass ich am Freitag wiederkommen mögen, falls diese anhielten. Ich fahre heim, schmeiße mir zwei leichte Schmerzpulver ein und mache mich ans Mittagessenkochen. Auf der Reise in die Stadt sind mir plötzlich positive und konstruktive Gedanken gekommen, um das sich – zumindest in meinen Gedanken – anbahnende Drama anzugehen und dem Leben trotz allem ein Ja entgegenzuschleudern (Viktor Frankl). Meine Liebste und ich nehmen uns nach einem herrlichen Mittagessen Zeit, um Pläne zu schmieden. „Schau nach vorn, nicht zurück“, singt schon Udo Jürgens in seinem in meinem Geburtsjahr beim Eurovision Songcontest preisgekrönten Hit „Merci Cherie“ und auch Orpheus musste schmerzlich erfahren, was es heißt, das Vertrauen zu verlieren und zurück zu schauen. No, merci, das brauche ich wirklich nicht. Der Tag nimmt eine Wendung. Es wird ein gemütlicher Nachmittag – und mein jüngster Sohn macht mit seinem Handy auf DJ und bietet mir eine gute, stimmungsvolle Performance, die mich zur Leichtigkeit animiert und mein mich und mein Leben zum Tanzen bringt. So kann Tag 3 mit einem feinen Abendessen zu Ende gehen und Tag 4 mit Fußball starten. Es ist Champions League, heute Lyon gegen Juventus. Life‘s going on. Das Aufstehen nach einem langen Fußballabend, dem ich noch einen emotional aufgeladenen, actionreichen Krimi folgen habe lassen (Über die Grenze: Rausch der Sterne), fällt mir schwer, es wird spät, zudem meine Liebste heute einen Morgentermin in der Stadt hat. Ich rapple mich dennoch auf, komme aber schwer in die Gänge, mache immerhin Mittagessen für die ganze Familie, immerhin wollen auch drei Jungs versorgt werden. Für den Nachmittag steht Faschingsausklang am Programm, wir fahren gemeinsam in die Stadt und geben uns 18 Wagen, die durch die Fußgängerzone zum Pfarrplatz kurven. Das Piratenschiff, das auf einem Anhänger von einem Traktor gezogen wird, spricht mich am meisten an, es sollte dann später auch als Sieger bei der Prämierung der besten Darbietungen hervorgehen. An meiner Seite zuerst nur mein Jüngster, meine Liebste hat noch wichtige politische Gespräche am Telefon zu führen, die konstituierende Sitzung des Gemeinderats steht an, der vor wenigen Wochen gewählt wurde. Dazu vielleicht ein anderes Mal mehr, mir ist heute nicht nach Politisieren.
Es ist erst knapp nach vier Uhr nachmittags, die Stimmung dennoch längst feucht-fröhlich, bei manchen zeigt sich der Kater des nächsten Tages bereits deutlich an ihrer mangelnden Körperbeherrschung. Neben uns taucht ein „Muskelkater“ auf, ein als Kater verkleideter Mann, der eine Hantel hebt und senkt. Um keine Unklarheiten über seine Verkleidung aufkommen zu lassen,trägt er auch noch ein Schild, das seine Kostümierung wie oben angeführt benennt. Nachdem alle Wagen durch sind, gehen mein Jüngster und ich zur Bühne, um dem DJ auf die Finger zu schauen, immerhin sind wir seit einiger Zeit auch als DJ-Duo unterwegs, er als Key, ich als Maka (genauer gesagt DJ m.a.ka). Er spielt volkstümliches und Schlager, das, was das Volk hören will und was die Stimmung anheizt – und das macht er gut. Allerdings ist er offenbar beauftragt – oder wurde genau deshalb beauftragt -, weil er immer wieder Sprüche klopft, vor allem über‘s weibliche Geschlecht. #metoo ist hier noch nicht angekommen, aber mit einer solchen Aussage wird man ja schnell zur Spaßbremse und so halte ich mich nobel zurück, denn auch die anwesenden Damen sind davon durchaus angetan – und ich muss ja – obwohl Frauen- und Katzenversteher – nicht die bessere Katz und Frau sein als ihre Art- und Geschlechtsgenossinnen. Nach der Prämierung, schon ein wenig fröstelnd, fahren wir zu dritt heim, meine Frau hat sich in der Zwischenzeit zu uns gesellt. Ein wenig Aufwärmen und ein wenig Essen, kann nicht schaden, steht doch bei uns im Dorf, also im Ort (warum ich unseren Wohnort nicht als Dorf sehe, obwohl er durchaus mal ein solches gewesen sein wird, werde ich ein anders Mal erläutern) noch das alle zwei Jahre stattfindenden und von der örtlichen Musikkapelle veranstalteten Faschingeingraben am Programm. Und damit beginnt der dritte Tag auf meiner Route 55. Mein Leben sagt mir: Tritt mich nicht mit Füßen. Ich bin das beste, das du hast. Du hast es in der Hand, etwas daraus zu machen. Stell nicht so oft die dumme und sinnlose Frage „Warum?“ Gib eine Antwort auf die Fragen, die ich dir stelle. Dann wirst du den Sinn der Herausforderung und des Augenblicks erkennen. Ich habe nicht angenommen, dass die Dynamik des Wieder-Geboren-Werdens, meinem Leben eine entscheidende Wende geben wird, zu dicht ist Vergangenes verwoben mit Gegenwärtigem und Zukünftigem. Und in so manchen Momenten überfällt mich hinterrücks die Panik, die dem Älterwerden und dem Tod, dem keiner lebend je entrinnen kann, geschuldet ist. Und dann: „Warum?“ statt „Ja, danke!“
Nächte auf Montag und die ihnen folgenden Montage haben oft diese Heftigkeit, ein „Nein, warum?“ zu provozieren. Ich gehe dann seelisch auf Tauchstation, im Luftanhalten, das kein Atemholen zulässt, verliere ich auch noch meine letzte Kraft. Da hilft kein Zureden, da fehlt einfach die Katze. Aber als sie da war, fehlte sie da nicht auch? Jedenfalls habe ich sie nicht als Hilfe wahrgenommen, jetzt wünschte ich mir ihre Anwesenheit. Wie singen schon Passenger in ihrem Hit „Let her go“: „But you only need the light, when it's burning low / Only miss the sun, when it starts to snow / Only know you love her, when you let her go … and you let her go.“ Ich mache mir ein verspätetes Geburtstagsgeschenk und erfreue damit nicht nur mich: Ein Gratismonat eines Sportbezahlsenders, aber nicht jenes des Marktführers, weil es mir zu kostspielig ist. Und so schaue ich gleich mal Damentennis – und Tag 2 meines neuen Lebensjahres darf mit der Montagsbegegnung der Deutschen Bundesliga zwischen Eintracht Frankfurt und Union Berlin beginnen. Mein Jüngster freut sich, ist er doch ein Sportfan, besonders der Fußball hat es ihm angetan. Und ich weiß, was mir an Tagen wie diesem noch gut tut: ausreichend und in Ruhe essen. Kann ich mir alle Mal, ja sollte ich mir sogar öfter leisten. Auf‘s Idealgewicht habe ich noch 10 Kilo Spielraum. In meinen Geburtstag hinein feierte ich also - 24 Stunden vor meiner Geburtsstunde beginnend - mit einer Schar liebenswerter Menschen, die mein Leben bereicherten und nach wie vor bereichern. Als ich nach einem herausfordernden Arbeitstag aus Wien in mein Zuhause heimkehrte, war die Bude schon voll. Auch Kinder waren da, meine, aber auch zwei Gäste. Es ist faszinierend, sie beim Leben zu betrachten, sie leben – im Idealfall – aus der Fülle, wenn sie noch jung genug sind, sie sind gerade dabei etwas aus ihrem Leben zu machen, wie meine schon lange erwachsenen Töchter. Meine Generation hat schon das eine oder andere, manchmal auch mehr als gewünscht oder auch das, was nie gewünscht war, erlebt. Und das drückt sich bei den einen in einem enormen Lebenstempo aus, in dem Entschleunigung und Stagnation verpönt sind, bei den anderen äußert es sich dadurch, dass sie in den absoluten Lebensstillstand eintauchen und ihr Leben fortan quasi nur beobachten, wenn überhaupt. Zugegeben, beides sind Lösungsmöglichkeiten, die mir nicht fremd sind, Erfolgsrezepte sind sie beide nicht. Um die richtige Balance zu finden braucht es Weisheit, nicht immer ist sie mir gegeben und, wenn sie einmal aufblitzt, dann ist sie nicht von Dauer.
Geburtstage werden gerne als Neubeginn gesehen, obwohl sie willkürlich gesetzte Lebensmarken sind. Dennoch können von ihnen Impulse ausgehen, möglicherweise sogar entscheidende. Dieser Dynamik wollte ich mich auch heuer nicht verschließen. So plante ich eine Erzählperformance unter dem Titel „Ich werd‘ dir was erzählen – Von Katzen und Kindern, Männern und Mäusen, Frauen und Fußball“ mit Lesung dreier Texte (All die Welt, wildERei und Big Bang), anschließendem Partydancing und, zum Auftakt meines kalendarischen Geburtstages um Mitternacht, ein Freudenfeuer im Feuerkorb sowie einen Umtrunk mit Cider. Da alle angesagten Gäste pünktlich da waren und aufmerksam meinem Erzählen folgten, verlegte ich den Umtrunk auf die finnische Mitternacht, die eine Stunde vor unserer Zeit liegt, das Freudenfeuer zu entzünden, vergaß ich vor lauter Freude über den Jubel meiner Gäste. Und: mir fehlte eine sehr, die noch im Vorjahr dabei gewesen war und trotz der auch damals vielen Gäste und dementsprechender Lautstärke alles mit der ihr eigenen Fassung ertragen hatte: Maria Mizzi-Kaze, geb. Zenzi, die bei uns seit August 2018 lebende Glückskatze, hat uns im Sturmtief Sabine am 10.2. mittags verlassen und ist nicht wieder gekehrt. Ihr habe ich einen Blog mit Weisheiten gewidmet, sie besitzt auch ein eigenes Facebook-Profil. Meine Familie und ich müssen davon ausgehen, dass sie nimmer wieder kommt. Nie hätte ich gedacht, dass eine Katze als Seelentrösterin geeignet ist – und doch war sie es trotz oder gerade wegen ihrer Eigenwilligkeit. Mit ihr kannte ich mich aus, sie gab immer klar zu erkennen, woran man bei ihr war. Es war gewöhnungsbedürftig, doch ich gewöhnte mich gerne daran. Wären doch Menschen auch so klar und deutlich, mir, ich denke, uns allen, wäre extrem geholfen. So ging also dieser Geburtstag mit diesem erheblichen Wermutstropfen über die Bühne, was nur mir zu schaffen machte, meinen Gästen nur in meinen Erzählungen auffiel, der allseits gelösten Stimmung aber keinen Abbruch tat. Die Nacht setzte sich, nachdem uns die Gäste verlassen hatten, noch bis 3 Uhr fort, meine Liebste und ich tanzten zu Discoklängen in den Morgen. Ich erwachte dann gegen 10 h und machte mich nach einem kleinen, feinen Frühstück an die Aufräumarbeiten. Meinem Schreibtisch hat dies ausgesprochen gut getan, strahlt er doch nun wieder vor jener gähnenden Leere, die mir ein er-füllendes Schreiben möglich macht. Der Tag ging dann ganz in meinem Sinn sehr chillig zu, nicht nur, weil es mittags noch die Reste des von mir für die Gäste bereiteten Chilis für die Familie gab. Pünktlich um 19.21 Uhr, exakt zu meiner Geburtsstunde eröffnete ich im Kreise meiner Familie mit Kindersekt und Cider mein neues Lebensjahr, das 55. |
Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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