Ein Urlaub daheim stellt für mich eine große Herausforderung dar, weil ich ja dem All-täglichen entfliehen möchte und es dennoch Tag für Tag vor der Nase habe. Zudem bedingt der mir selbst gestellte Auftrag für diese Zeit der „holy days/holidays“ eine Absenz von genau jenem, das ich zumindest beim Aufwachen und beim Zubettgehen vor Augen habe – meinem Zuhause. Die Quadratur des Kreises müsse dennoch gelingen, sagte ich mir. Und fand in diesen ersten sieben Tagen kein wirkliches Rezept dafür. Ich schwamm in der eigenen Suppe und fand keine Postion über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Das machte mich unwirsch – mir selbst und auch meinen Nächsten gegenüber, die das zu spüren bekamen und diesem Zustand mit wenig Gelassenheit begegneten. Es regnete also Konflikte, mit meinen Jungs, mit meiner Liebsten und mit den Kollegen aus dem Fußballklub.
Wobei die letzteren auch ohne meine aktuelle Stimmung ihr Fett abbekommen hätten, denn dieser Zwist zieht sich nun schon ein gutes halbes Jahr dahin, ich glaube, ich habe schon früher mal darüber berichtet. Dennoch möchte ich die Geschichte noch einmal replizieren: Vor einem Jahr wurde ich zum Trainer einer Kinderfußballmannschaft befördert, ich machte dann im September des Vorjahres dann auch die nötige einwöchige Ausbildung im Sportzentrum Lindabrunn, absolvierte die praktische und theoretische Prüfung und legte fristgerecht meine Trainingsdokumentation vor, so dass ich im April dieses Jahres meine Trainercard in Händen hielt. Mein Co-Trainer, im Alter meiner jüngeren Tochter, hatte von Anfang an ein Problem mit seiner Rolle. Dazu noch Folgendes: Wir waren bis zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahr lang ein Gespann gewesen, er Haupt- und ich Co-Trainer einer altersmäßig bunt gemischten Gruppe aus 5-8-jährigen. Aufgrund der Fülle an Kids (nämlich 22) wurde beschlossen, dass wir die Teams in zwei Altersgruppen teilen, nämlich die 8-Jährigen und alle Jüngeren. Ich sollte die Älteren übernehmen und er mich als Co unterstützen, und bei den Jüngeren hatten wir die Rollen genau gegenverkehrt angelegt. Flexibel wie ich bin hatte ich kein Problem, seinem Trainingsweg in seiner Gruppe zu folgen. Umgekehrt aber verlief es vom ersten Tag an schief, denn meines Co‘s Plan war es – das hatte ich schon vergessen -, in beiden Teams den Haupttrainer zu geben, obwohl das de iure nicht möglich ist. Dennoch war es offensichtlich sein Ansinnen, denn seine Unterstützung endete innerhalb kürzester Zeit in Opposition zu meinen Trainingsplänen und -methoden. Die Situation gipfelte darin, dass er im Großvater eines Jungen, der in meiner Mannschaft spielte (und den ich unvorsichtiger Weise und ohne seine fußballerische Vita zu kennen als Unterstützung für das Tormanntraining gewinnen hatte können), einen Unterstützer für seine Sichtweise auf mein Training fand. Eines Abends, als ich gerade einen Workshop für Elementarpädagog*innen in Wien leitete, rief mich mein Jüngster an, um mir mitzuteilen, dass jener Junge ihm beim Training zu verstehen gegeben habe, dass sein Großvater meine, ich wäre ein total schlechter Trainer. Von mir zur Rede gestellt, leugnete dieser Mann seine kolportierte Aussage und schob seinem Enkel die Verantwortung in die Schuhe (Sie hätten momentan eine schwierige Zeit und der Junge hätte ihm damit eins auswischen wollen). Möge sich jede*r einen Reim darauf machen. Und prompt ging es weiter: nach einer verpatzten Herbstsaison mit einigen haushohen Niederlagen gingen die Wogen hoch. Die Verantwortung dafür wurde mir alleine in die Schuhe geschoben, mein Co und jener Großvater, die Teil des Trainerteams waren, spannen eine Intrige, die darauf hinaus lief, dass mich der Jugendleiter im Beisein meins Co‘s darüber in einem Gespräch in der örtlichen Pizzeria informierte, dass vier Kinder vor dem Absprung stünden und meine Mannschaft daher vor dem Zerfallen wäre. Daher wurde mir ein Trainerwechsel vorgeschlagen, die beiden Teams sollten wieder zusammen geführt und mein Co als Haupttrainer und ich als Co installiert werden. Man wolle mir so den Rücken stärken und mich aus der Schusslinie nehmen. Auf meine Frage, wer denn hier Probleme hätte, wollte man mir keine Namen nennen. Ich akzeptierte nicht, vielmehr führte ich mit allen Eltern – außer jenem Großvater - Gespräche, in denen sich überraschenderweise alle zufrieden zeigten. Für die Frühjahrssaison im heurigen Jahr gelang es mir, einen erfahrenen Co-Trainer zu engagieren (der schon einmal ein Kinder- und Jugendteam von der U 9 bis zu U 17 gecoacht hatte) und mich von meinem Co zu trennen, was dieser nur unwillig zur Kenntnis nahm. Doch der Zwist ging weiter. Aufgrund der Regierungsauflagen für das Fußballtraining bezüglich der aktuell weltweit herrschenden Situation war kein normaler Betrieb möglich, es gab auch eine lange trainingsfreie Zeit. Zwei Jungs sprangen ab, weil sie lieber Tennis spielen wollten, einer hatte die Lust verloren (er hatte in diesen Wochen auch gewichtsmäßig deutlich zugelegt) und der Enkel jenes Großvaters sollte auf dessen Geheiß in das Team seines neuen Wohnortes übersiedeln. Es folgte eine weitere Krisensitzung in der örtlichen Pizzeria, ich bestand darauf, dass mein neuer Co anwesend wäre. So verschob sich der Termin um eine ganze Woche. Und dann wurden die alten Zöpfe wieder ausgepackt, wieder wurde mir mitgeteilt, dass ein Spieler nicht mehr käme, weil er mit mir nicht könne. Ich quittierte dieses Meldungen letztlich mit einem genervten „Es geht‘s ma am Oasch“ und unterbreitete einen Gegenvorschlag, der keine Zustimmung beim Jugendleiter und meinem Ex-Co, der in der Zwischenzeit zum stellvertretenden Jugendleiter befördert worden war. Einmal mehr blieb alles beim Alten, was dazu führte, dass ich vor kurzem vom Jugendleiter davon informiert wurde, dass nun neuerlich eine Beschwerde über mich gäbe: ich hätte jemanden aus der Whatsapp-Gruppe meiner Mannschaft gelöscht, so sei ihm von meinem Ex-Co zugetragen worden. Wie wär‘s mit direkter Kommunikation, Leute? Ich sprach meinen ehemaligen Co an, er wollte aber keine Namen nennen. Kindergarten. Führungsqualitäten sehen anders aus. Urlaub auch. Auch innerfamiliär kochten alte Konflikte wieder auf. Ich nahm mich - nachdem ich den Fehler gemacht hatte, meiner Liebsten bei einer Attacke ihres älteren Sohnes beizustehen und dabei jede Menge abzukriegen, so gut es ging aus dieser Sache raus. Allerdings verwickelte mich meine Empathie für die Sorgen meiner Frau wieder stärker als gewünscht in Vergangenes, das die Gegenwart und unsere Beziehung seit mehr als zehn Jahren belastet. Ich drohte an der Spannung zwischen meinem Wunsch zur Entspannung und jenem, sie nicht alleine zu lassen, zu zerreißen – und ich zerriss; besser gesagt meine Nerven. So floh ich nach lautstarken und tiefgreifenden Auseinandersetzungen in mich selbst, wo es aber auch kaum auszuhalten war. An einem Nachmittag nahm ich den nächsten Zug und fuhr ein paar Orte weiter, um mich zu regenerieren. Anderntags verschrieb ich mir ein homöopathisches Mittel, um meine Fassung wieder zu gewinnen. Um diese ringe ich zwar immer noch, aber immerhin auf anderem Niveau. Wir werden diesen Konflikt im Sinne unseres familiären Zusammenlebens lösen, es braucht aber sehr viel mehr Klarheit und Bewusstheit für unsere Situation, für das diesbezügliche Empfinden eines jeden und das, was daher erforderlich ist, um so heil wie möglich durch bzw. raus zu kommen. Mehr möchte ich an dieser Stelle dazu nicht sagen, obwohl es genau diese ungelöste Angelegenheit im Hinblick auf die Söhne meiner Frau (unsere Buben Nr. 1 und 2) ist, die auf unser Leben und meine holy days einen breiten Schatten wirft. Doch wo viel Schatten, da auch viel Licht. So mit Sohn Nr. 3, unserem Jüngsten, der die Ferienzeit mit vollen Zügen genießt, sich Fußball, Detektivspielen und kreativem Gestalten widmet oder mit unserem Kater Dario, der langsam aber sicher ein richtiger Kater mit Ambitionen auf Ausweitung seines Reviers wird (der Dachboden ist interessant und auch das, was hinter dem Gartenzaun ist – den ich nun mit einem Gitteraufsatz vor einem Überspringen gesichert habe), aber ansonsten verschmust wie eh und je ist, oder mit den raren Stunden, in denen meine Liebste und ich zueinander finden, weil es uns gelingt, den Alltag beiseite zu schieben und uns auf das zu konzentrieren, was uns vor mehr als zehn Jahren zusammen geführt hat. Meine Fluchten vor und zu mir selbst führten mich in dieser ersten Urlaubswoche zum Fußball auf der Mattscheibe meines Laptops, in die Hauptstadt zu einem wunderbaren Essen mit meinem ältesten Freund, bei dem wir über mehr als zwei Stunden über Gott und die Welt plauderten und die Kraft unserer Freundschaft feierten, sowie in meinen Garten, wo es wie immer jede Menge zu tun gibt, wofür im Normalbetrieb kaum oder nur gehetzte Zeit ist. Ebenso widme ich mich Filmen (Nachtzug nach Lissabon, Wim Wenders „Lisbon Story“, Halbblut) und Büchern (Nachtzug nach Lissabon, Education for future, Das Handwerk der Freiheit, Achtsames Wirtschaften) sowie dem Schreiben (zwei Texte sind im Entstehen: die Kurzgeschichte „Der Kugelschreiber“ und der Blogbeitrag für „Nie mehr Schule“ mit dem Titel „Verkehrte Welt“). Auch habe ich einen fair produzierten Fußball erworben und meine Idee, fair produzierte Fußball-Ausrüstung aufzutreiben, wieder aufgegriffen. Folgende Gedanken aus den von mir gelesenen Büchern wurden mir in dieser Woche wichtig: „Man kann nicht etwas ändern ohne alles zu ändern.“ (Martin Buber zitiert von Richard David Precht in „Hirten, Jäger, Kritiker“) „Vergeh dich ruhig, vergeh dich an dir selbst und tu dir Gewalt an, meine Seele; doch später wirst du nicht mehr Zeit haben, dich zu achten und zu respektieren. Denn ein Leben nur, ein einziges, hat jeder. Es aber ist für dich fast abgelaufen, und du hast in ihm keine Rücksicht auf dich selbst genommen, sondern hast getan, als ginge es bei deinem Glück um die anderen Seelen … Diejenigen aber, die die Regungen der eigenen Seele nicht aufmerksam verfolgen, sind zwangsläufig unglücklich.“ (Marc Aurel zitiert in „Nachtzug nach Lissabon“, S. 43) „Wenn die Diktatur eine Tatsache ist, ist die Revolution eine Pflicht.“ (ebd. S. 88) „Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist, was geschieht mit dem Rest?“ (ebd. S. 29) „ … weil wir, oft ohne es zu wissen, auf eine solche Ganzheit hin leben und weil jeder Augenblick, der uns als lebendiger gelingt, seine Lebendigkeit daraus bezieht, dass er ein Stück im Puzzle jener unerkannten Ganzheit darstellt.“ (ebd. S. 243) Zum letzten Zitat möchte ich bemerken, dass für mich das Bild des Lebens nicht das eines Puzzles ist, für das wir Tag für Tag einen Stein nach dem anderen suchen finden, einsetzen und im Idealfall letztlich das ganze Bild vor Augen haben, sondern eher das eines Mosaik, in das wir Stein um Stein einfügen und das immer auch ein Ganzes ist, egal wann und wie es endet.
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Am Beginn dieses neuen Lebenstages glitt ich von meinem letzten Auftrag mit Mitarbeiterinnen eines Kindergartens in Simmering direkt in meine Holidays, die ich in diesem Jahr tatsächlich als holy days gestalten will. Damit der Übergang gut gelingen mochte, hatte ich schon vor dem vierstündigen Werkshop mit den Kindergärtnerinnen eine Flasche feines Zwicklbier erworben und in meinen Koffer gepackt, jenem Papp-Ding, das ich im Carla-Shop in der Bezirkshauptstadt vor rund zwei Jahren erworben hatte, das ich auf der Vorderseite mit Bieretiketten verziert hatte und das innen drin jede Menge Raum bietet, um all meine Habseligkeiten auf meinen Touren zu meinen Kund*innen zu beherbergen. Für die stylische Flasche Bier war natürlich auch noch Platz.
Nun wanderte ich also knapp nach 21 Uhr ein Stück durch die gleichnamige Hauptstraße des nächtlichen Stadtteils zum lokalen Bahnhof, an dem auch mein Zug in den Westen der Bundeshauptstadt losfahren sollte, wo ich dann den ersten der beiden Züge , die mich nachhause bringen würden, besteigen konnte. Um mich in die Holidaystimmung zu versetzen, gab ich mir die extended version von Madonnas Holiday (… it‘s time for the good times … holiday … celebrate) und spazierte mit jedem Schritt fröhlicher werdend bis zum Bahnhstieg. Dort wurde ich positiv überrascht. Ich hatte damit gerechnet, rund eine halbe Stunde auf meine Fahrtgelegenheit warten zu müssen, doch auch um diese Zeit fuhren die Züge auf dieser Strecke noch halbstündlich. So hatte ich dann halt an meinem ersten Umsteigebahnhof eine längere Wartezeit, was mir aber sehr entgegen kam, da ich diesen Ort sympathischer finde als jenen Bahnsteig im Osten der Bundeshauptstadt. Der Biergenuss musste also noch ein wenig warten, aber zwanzig Minuten später war es dann endlich so weit. Und während Madonna mir zum vierten Mal ihre Zehn-Minuten-Fassung von Holiday in die Ohren trällern durfte, zwitscherte ich meinen ersten Urlaubsdrink Schluck für Schluck mit wachsender Entspannung und Freude. Als ich knapp vor Mitternacht in der Bezirkshauptstadt ankam, erwartete mich – wie schon bei der Hinfahrt – Regen. Er war zwar nicht mehr so intensiv, dennoch hielt sich meine Begeisterung auf eine nächtliche rund sieben Kilometer lange Radfahrt bei diesen Bedingungen in Grenzen. Ich sattelte meinen Drahtesel, packte mich in mein Regenzeug und den Papp-Koffer in seines und radelte mit gutem Tempo los, um diese unwillkommene Dauerdusche rasch hinter mich zu bringen. Wie sich herausstellte konnte auch dieses Wetter meine mittlerweile schon gute Stimmungslage nicht nachhaltig trüben und nach einer längeren heißen Dusche fiel ich zufrieden und müde ins Bett in einen traumlosen Schlaf. Am nächsten Morgen ging ich es langsam an, ich nahm mir Zeit für ein reichliches Frühstück, ich heizte den Küchenherd, auch um der regnerischen und kühlen Wetterlage, die sich schon am Tag zuvor eingestellt hatte und die über die nächsten Tage anhalten sollte, etwas Positives entgegen zu setzen. Knapp vor 11 brachen mein Jüngster und ich dann zur Bücherei auf, um DVDs zurückzubringen und uns mit neuen Medien für die nächsten beiden Wochen zu versorgen. Da ich noch genug Lesenswertes zuhause hatte (Salman Rushdies „Quichotte“ und Prechts „Jäger, Hirten, Kritiker“) entschied ich mich für 3 DVDs (Nachtzug nach Lissabon, Michael Kohlhaas, The Road), während Sohn Nr. 3 sich mit CDs, Büchern und DVDs eindeckte. Zuhause erwarteten uns schon die von meiner Liebsten zubereiteten Bärenbutternudeln á la Janosch, danach ging‘s in die Mittagspause, die ich mit Lesen von Precht und einem Powernap verbrachte. Sein Buch ist absolut lesenswert. Ausgehend von einer Utopie von Karl Marx, die dann im realen Kommunismus zu ihrem Gegenteil verkommen ist, in der es darum geht, dass niemand mehr als „Lohnsklave“ arbeiten muss, um die persönliche Existenz zu sichern, sondern jede*r zu jeder Zeit entscheiden kann, ob sie*er lieber Jäger, Hirte oder Kritiker ist, stellt der Autor dar, dass wir in einer Zeit angekommen sind, in der das Bestehende verwaltet wird – und zwar auf allen Ebenen, den persönlichen genauso wie den politischen -, um dann vehement zu fordern, dass es wieder Visionen und Utopien geben möge. Auch zitiert er eine Satz des jüdischen Philosophen Martin Buber, der folgendes meinte: „Man kann nicht etwas ändern ohne alles zu ändern!“ Diese Weisheit bestätigt sich alltäglich, wie ich meine. Wenn ich an der einen oder anderen Schraube drehe, werden sich entweder andere Schrauben mitdrehen (Ich denke da gerade an Frederik Vesters kybernetisches Gesellschaftsspiel „Ökolopoly“, wo die Bewegung eines Zahnrades tatsächlich zur Folge hat, dass sich andere Räder auch bewegen und damit Veränderung passiert), oder aber es ist notwendig, dass ich tatsächlich an allen Ecken und Enden ändere, damit sich nachhaltige Veränderung, ja Wandel einstellt. Mit diesem einfachen, aber so weisen Satz Bubers, erklärt sich mir, warum sich so wenig ändert, sowohl bei mir persönlich als auch im Großen. Immer fehlt mir der Mut für den großen Wurf, immer denke ich kleinmütig und hoffe, dass die eine oder andere „Schraubendrehung“ genügt, um das große Ganze in Bewegung zu bringen. Nach fast fünfeinhalb Lebensjahrzehnten sollte ich endlich zu Erkenntnis gelangt sein, dass das nicht wirkt. So wächst in dem Moment, da ich ihn lese, aus diesem Satz ein unbändiges Sehnen nach einem Neubeginn. Ein guter Auftakt für eine Zeit, in der ich auftragslos ganz meinem Lebensauftrag auf den Grund kommen möchte – um als dadurch Geläuterter mir und meinem Leben neu zu begegnen. Ein großes Ziel, aber ein not-wendiges. Es gilt daher aber ganz konsequent diesen Fokus zu halten, was für mich sicher eine große Herausforderung darstellen wird, da ich es gewohnt bin, mich als „puppet-on-a-string“ bis aufs Äußerste flexibel zu geben und dabei dem Meinen zu entsagen. Auch an diesen Tagen ist jede Menge passiert auf dem Weg durch mein 55. Lebensjahr. Davon wird zu gegebener Zeit berichtet werden. Vorweg nur schon so viel:
Die letzten Tage glichen einer Achterbahn – und das gleich auf mehreren Ebenen. Wenn ich in mein gelbes Notizbuch schaue, dann habe ich hier zahlreiche Ereignisse und Gefühlslagen notiert, wie etwa den neunten Geburtstag meines Jüngsten oder die eine oder andere Auseinandersetzung um mein Bedürfnis nach Raum und Ruhe oder auch die Gedanken, die ich beim Lesen der von mir in der Stadtbücherei entliehenen Bücher. Im Innen und im Außen war kaum Zeit zum Verschnaufen und ich bin heute, da ich diese Erlebnisse niederzuschreiben beginne, in einem Zustand geistiger, emotionaler und körperlicher Erschöpfung. Psyche und Physis schmerzen. Auch Kater Dario leidet in diesen Tagen am Zahnen, er maunzt auffällig oft, ist unwirsch und frisst nur sporadisch. Gerne kommt er auf eine Kuscheleinheit vorbei, um nach wenigen Minuten wieder im Garten zu verschwinden – und seine Ruhe zu haben.
Das wäre auch für mich eine adäquate Lösung, doch fordert mich Alltägliches auch noch in den nächsten sieben, acht Tagen. Und abends falle ich häufig erschöpft ins Bett ohne einen guten Schlaf zu finden. In vielen Träumen schreit meine Seele um Hilfe, ich höre zwar, sehe aber noch keine Möglichkeit, diesem eindringlichen Rufen gerecht zu werden. Um mich nun einmal von dem einen oder anderen Ereignis und Gefühl verabschieden zu können, meinen Lebensrucksack quasi zu leeren bzw. auszumisten, nehme ich mir in den Morgenstunden des heutigen Tages endlich Zeit, diese Lebensphase der letzten zehn Tage zu reflektieren und mir Wesentliches niederzuschreiben. Sohn Nr. 1 ist schon auf den Weg in einen weiteren Schnuppertag einer möglichen Ausbildung, die er im Herbst beginnen könnte (wenn er denn wollte). Sohn Nr. 2 und 3 schlafen noch, auch meine Liebste hat sich schon auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, um eine weitere Hürde in ihrem großteils kafkaesken Einbürgerungsverfahren zu nehmen. Kater Dario hat nach einem kurzen Morgenschmusen im Garten das Weite gesucht. Das herausfordernste an Lebensphasen wie diesen ist für mich die Häufung der Ängste und das schwindende Vertrauen in mich und mein Dasein. Selbstzweifel und Sinnleere bestimmen jene Stunden, in denen ich mich nicht mit äußeren Herausforderungen beschäftigen muss. Sie sind daher zum einen willkommene Ablenkung, um nicht in den Sümpfen der Traurigkeit (Michael Ende, Die unendliche Geschichte) zu versinken, zum anderen werden sie aber zum Hemmschuh, dem Leben neuen Schwung zu geben. Wo nun beginnen beim Sortieren und Ausmisten? Ich starte mal chronologisch. Das Geburtstagswochende für meinen Jüngsten hatte Licht und Schatten, es begann mit einer langen Diskussion mit meiner Liebsten zu mir notwendig erscheinenden Änderungen in unseren Alltagsstrukturen und im innerfamiliären Umgang, dessen positive Entwicklungen in den Wochen nach dem Shutdown wieder in alten Mustern zu versanden drohen und in mir wachsenden Unmut und wachsende Ungeduld hervorrufen. Muss man sich als Pubertierender tatsächlich wie ein Arschloch verhalten? Obwohl man (soziale) Eltern hat, die zu jeder Auseinandersetzung bereit und für jede gute Idee bzgl. Veränderung zu haben sind? Muss man sich ständig von einem nicht anwesenden leiblichen Vater telefonisch und per whatsapp das Leben diktieren lassen und nur auf Missstände und Fluchtwege schauen anstatt auf das, was da und möglich ist? Ich sage NEIN. Aber dieses Nein führt zu weiteren Spannungen, die von Zeit zu Zeit eskalieren. Wie schön wäre es, wenn sich Erwachsenwerden in unserem Kulturkreis nicht bloß durch Rebellieren, Saufen, Rauchen und Sex ausdrücken würde, sondern (auch) durch Sich-Bewähren in herausfordernden Situationen, durch soziales Engagement beispielsweise. Tagträume, sonst nichts. Nun gut, meine Liebste und ich saßen bis drei Uhr morgens ohne einen gemeinsamen Weg zu finden. Neun Jahre früher waren wir abends noch essen gewesen und dann in den frühen Morgenstunden ins Spital aufgebrochen, um gemeinsam die Geburt unseres Jüngsten zu erleben. Diesmal schliefen wir länger – und dennoch weckte mich eine innere Uhr, galt es doch den Geburtstagsplatz an unserem Esstisch für das Geburtstagskind vorzubereiten, auch war noch der gewünschte „Kalte Hund“ herzustellen und der eine oder andere Einkauf zu machen. Ich war zwar zeitgerecht aber vollkommen gerädert aufgewacht, ein Traum beschäftigte mich auch nach dem Wachwerden, eine große Flutwelle, tsunami-ähnlich, war nachts über mich hereingebrochen. Mit diesem Schrecken in den Gliedern begann ich diesen Tag. Die Nachmittagsjause wurde feierlich gestaltet, es gab den Kalten Hund und die Geschenke und der Jubilar hatte auch noch eine Party für die Familie vorbereitet, die bis in die Nachtstunden dauerte. Auch diesen Wunsch erfüllten ihm meine Frau und ich. Diesem ersten heißen Sommertag folgte ein weiterer, um zehn Uhr vormittags Sommerzeit (also 9 Uhr Normalzeit) zeigte das Thermometer bereits 30 Grad Celsius im Schatten. Am Nachmittag dieses Sonntags hatte das Geburtstagskind zwei Gäste eingeladen, die auch pünktlich um 15.30 Uhr erschienen. Es gab kein festgelegtes Programm, aber es war ein gelungenes Feiern, das zum Ende hin zu einem Konflikt führte. Die eingeladene etwa gleichaltrige Freundin wurde pünktlich abgeholt und es entstand bei unserem Jüngsten der sehnliche Wunsch mit ihr noch weitere Zeit zu verbringen und zum Schwimmen bei deren Großmutter mitzukommen. Nun kann er noch nicht gut genug schwimmen und weder meine Frau noch ich wollten mitgehen. Es war ein harter Kampf, der letztlich durch die Großmutter der jungen Dame entschieden wurde, da sie den Kids via Handy mitteilte, dass es an diesem Abend keine Möglichkeit zum Schwimmen mehr gab. Unser Junior feierte dann mit seinem ältere Freund noch weitere eineinhalb Stunden und die Lage entspannte sich. Der Morgen nach diesem intensiven Geburtstagswochenende begann mit einem Trojanerangriff auf meinen Laptop, der damit endete, dass mein Virenschutzprogramm ausgeschaltet wurde. Ich war rund zwei Stunden damit beschäftigt, das Problem zu beheben und eine neue Virenschutzsoftware zu installieren, wobei ich die Seiten wechselte: Amerika raus, Russland rein. Auch geschrieben werden musste so manches, zum einen ein Beitrag für die Homepage bzw, den Newsletter des Fußballvereins, dann auch noch die Überarbeitung des politischen Blogs meiner Frau. In diesen Tagen spürte ich eine zunehmende Müdigkeit, die mich dazu veranlasste, mich lesend in meine Bücherwelt zurückzuziehen. Das Phantasien-Lexikon war eines der Werke, das ich zur Hand nahm, in dem ich schmökerte, weiters las ich zwei Bücher von Henning Mankell, nämlich „Der Sprengmeister“ und „Tiefe“, beide sehr berührend bzw. aufwühlend, dann blätterte ich im Kriegstagebuch („Das Blaue Buch“) von Erich Kästner. Und nach einem weiteren Besuch in der Stadtbücherei vertiefte ich mich in Karl-Heinz Ott‘s „Und jeden Morgen das Meer“ (das mit folgenden Worten am hinteren Buchdeckel beschrieben wird: „ Mit Karl-Heinz Ott zu verzweifeln ist besser als ohne ihn glücklich zu sein.“) sowie in die Biografie von Michael Ende und Salman Rushdies „Quixotte“ (im englischen Original). Diese literarischen Fluchten brachten mich zwar ein wenig aus dem Alltag, dennoch stießen sie mich auch von Zeit zu Zeit auf genau jene Schmerzpunkte, denen ich zu entkommen gedachte. Weiter brachte sie mich allerdings nicht. Für den ersten Tag des neuen Monats war abends die nächste Gemeinderatssitzung angesetzt, ich hatte den Wunsch, diesmal wieder unter den Zuschauer*innen zu sein. Nach einer weiteren in meinen Augen sinn-losen Auseinandersetzung mit Sohn Nr. 1 und seiner Mutter, meiner Liebsten, verging mir aber die Lust auf weitere solcher Konflikte, die ja auch die Arbeit des örtlichen Gemeinderats prägen. Unser Alleinherrscher Bürgermeister und seine 16 Getreuen aus 2 Fraktionen gegen 4 Oppositionspolitiker*innen, darunter meine Frau. Nö, dazu fehlte mir eindeutig die Lust und meine masochistische Phase hatte ich schon viele Jahre hinter mir gelassen. Was in diesen Tagen auch zu meiner Fluchtstrategie gehörte, waren die Fußballspiele auf DAZN. Mein Jüngster hatte vor kurzem, inspiriert von diesem Namen, den man ja mit „Dasoun“ ausspricht, und seiner Nähe zu Katzen den Sender TAZN gegründet (den man so ausspricht, wie er geschrieben wird), was ich als geniale Idee einstufte. In DAZN gibt es nach den Spielen der deutschen Bundesliga eine Post-Match-Show, auf TAZN eine „Nußball-Show“ (weil Kater Dario, der zum TAZN-Chef auserkoren wurde) gerne mit Nüssen spielt. Dazu brauchte es eben auch die Videokamera, die der Jüngste zum Geburtstag bekommen hat. Die Spiele auf DAZN, die ich sah, waren besser oder schlechter, sie brachten mich für 90 oder mehr Minuten zumindest phasenweise aus meinen Gedanken. Auch der Putztag, der in dieser Woche auch wieder donnerstags stattfand (weil die großen Jungs zum ersten Mal seit März für das kommende Wochenende den Besuch ihres Vaters erwarteten), nutzte ich zu einer kleinen Alltagsflucht, ebenso den beruflich bedingten Ausflug in die Hauptstadt., zu dem ich mit dem Cowboyhut meiner Liebsten und meinem „Cowboy-Halstüchel“ als Mund-Nasenschutz aufbrach. Auf der Fahrt recherchierte ich erstmals zum Namen des Sportsenders, dessen Abo ich mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Er sei ein Anklang an den englischen Begriff „The Zone“, stand da zu lesen, der soviel heißt wie „volle Konzentration auf das Spiel“. Die deutsche Übertragung mit „Tunnelblick“ überzeugte mich weniger, ich machte daher einen eigenen Versuch, in dem ich den Begriff mit „Fokussierung“ übersetzte, was für mich eindeutig positiver rüberkommt. Am Freitag hatte ich eine schöne Zeit mit meinem Jüngsten, wir fuhren mit dem Rad in die Bezirkshauptstadt, erledigten Einkäufe und versorgten uns (wie schon weiter oben ausführlicher beschrieben) mit geistiger Nahrung in Form von Büchern, CDs und DVDs. Die Großen hatten sich für die nächsten Tage zu ihrem Vater verabschiedet und in mir machte sich mit einem Mal ein wunderbares Gefühl der Entspannung breit. Diese Leichtigkeit, die mich auch wieder zurück zu meinem Humor brachte, was meiner Liebsten und meinem Sohn angenehm auffiel währte allerdings nur bis Sonntag Mittag. Wir hatten uns entschieden den Sonntagvormittag im Kampbad in Langenlois zu verbringen, die dortigen Grünen luden zum Frühstück. In der Hoffnung, dass wir an diesem heißen Tag auch ein Hüpfer in den Fluss machen könnten, verließen wir unsere Heimat, mussten aber feststellen, dass die Wassertiefe vor Ort rund 2,20 m betrug und daher für Schwimmenlernde wie unseren Jüngsten nicht geeignet war. Auch hatten wir keinen Ball dabei, denn dann hätten wir die weitläufige Sportanlage mit zwei Fußballfeldern nutzen können. Auch das Frühstück war sehr schmalspurig, es gab Kaffee und Kuchen. Die Stimmung kippte. Junior Nr. 3 kriegte die Krise und ich konnte ihn trotz aller Bemühungen nicht rausholen, sondern wurde mit hineingezogen. Zudem wurde ich Ohrenzeuge eines Smalltalks meiner Liebsten mit einer ihrer Bekannten, der sie von dem am vergangenen Freitag von ihr versuchten Erziehungsberatungsgespräch mit ihrem Ex berichtete. Was ich da hörte, machte mich aber so etwas von wütend. Ihren Worten nach war außer Vorwürfen und Drohungen nichts dabei, was konstruktiv und im Sinne unserer Großen gewesen wäre. Vielmehr hatte er sie aufgefordert, sich von ihren Jungs zu verabschieden, da er sie zeitnah aus diesen untragbaren Verhältnissen bei uns befreien würde. In diesem Moment meldete sich plötzlich mein Trigeminusnerv in der linken Gesichtshälfte. Diesen hatte ich schon lange nicht mehr gespürt. Ich konnte von da an meinen Kopf nicht mehr schmerzfrei bewegen und auch das Schlucken fiel mir schwer, da der Schmerz bis in den Hals ausstrahlte. Angesichts zweier schwerer und langer Arbeitstage, die mir zu Wochenbeginn bevorstanden, war das so etwas wie der Super-Gau. Der Rest des Tages war entsprechend eingefärbt, ich hatte Mühe meine Gedanken auf Vordermann zu bringen und mich über Wasser zu halten. Da ich am nächsten Morgen schon um 5 Uhr früh Tagwache hatte, um den Zug um sechs zu erreichen, damit ich um 8 Uhr meinen Job als Leiter der Zivilcourageworkshops für Freizeitpädagog*innen in der Hauptstadt antreten konnte, ging ich um neun zu Bett, konnte aber nur sehr schlecht ein- und durchschlafen. Der nächste Morgen war entsprechend mühsam, ich hatte mir die Suppe natürlich selbst eingebrockt, da ich auf die zurückliegenden Ereignisse so und nicht anders reagiert hatte. Dieses Mich-Hineinziehen-Lassen in die Ränke anderer ist eine der größten und gefährlichsten Schwächen meiner Persönlichkeit. Sie hemmt mich, sie kostet mich auch jene Kraft, die ich für meine Projekte bräuchte und sie stärkt bloß jene, die mir mein Leben schwer machen wollen, weil ich mir von ihnen mein Leben tatsächlich schwer machen lasse und ihnen somit die Macht über mich und mein Dasein übertrage. Arghhhh! Die wundervolle Erkenntnis aus dieser Reflexion allerdings ist es, dass ich es selber in der Hand habe. Frankl schau oba! Dennoch fällt es mir leichter, mich in den destruktiven Strudel dieser alten und unbrauchbaren Muster zu verstricken, als neue und Neues aufzubauen. Daran gilt es zu arbeiten, alltäglich, und vor allem in der von mir geplanten Sommer-Urlaubszeit zwischen Mitte Juli und Mitte August. Die beiden Tage an der Volkshochschule in Favoriten verliefen zufriedenstellend, ich machte in all meiner Zähigkeit und Ausdauer meinen Job und das – trotz der großteils eher unwilligen Beteiligten, die ihre heiß ersehnten Sommerferien mit einer Weiterbildung beginnen mussten – wie immer gut. Zwei Mal vier Stunden durfte ich die Teilnehmenden zu Zivilcourage bilden – und das an beiden Tagen, am zweiten kam auch noch eine dreistündige Abendeinheit mit meiner Maturagruppe dazu. Danach war ich platt. Die Schmerzen hatten zwar nachgelassen, die seelischen Qualen, die ich mir auferlegen hatte lassen, waren aber kaum gemildert. Auch die Nacht zwischen diesen Arbeitstagen bot keine Entspannung und so hoffte ich auf einen positiven Effekt in der diesen folgenden Nacht. Vergeblich. |
Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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