Noch einmal Unterleuten.
Am Morgen danach begann ein getakteter Tag. Zuerst Arena. Die Spuren eines Brunch, das von 9 bis 22 Uhr gedauert hatte, waren zu beseitigen, mein Jüngster und ich halfen unserem Obmann dabei. Knappe zwei Stunden später merkte man nur noch am Leerflaschen-Berg hinter der Theke, was sich da tags zuvor abgespielt hatte. Diese Ablenkung war für mich auch notwendig, musste meine Liebste sich in dieser Zeit einem weiteren Termin in einer seit Jahren schwelenden „Streiterei“ mit ihrem Ex aussetzen, der seit der Trennung vor mehr als 10 Jahren seine Söhne als Mittel zum Zweck benützt und aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur vor allem sich selbst sieht und allen anderen Beteiligten das Leben schwer macht. Dies ein Drama mit noch ungewissem Ausgang. Humor ist, wenn man trotzdem lacht bzw. das Lachen trotz allem nicht verlernt hat. Meine Frau ist über sich hinausgewachsen und hat trotz all der Unannehmlichkeiten einen wichtigen Erfolg im Sinne ihrer Söhne, unserer beiden Großen erzielt. In drei Wochen geht es weiter. Für sie stand an diesem Tag auch noch Politik am Programm. Für mich Fußballverein. Am Abend, also am Beginn folgte ihre Angelobung als Gemeinderätin, die konstituierende Sitzung der Gemeindevertretung wurde in den Veranstaltungssaal verlegt, als mein Sohn und ich knapp vor Beginn dazustießen war alles gerammelt voll. Wir fanden noch zwei Plätze nebeneinander und fielen durch unser „gestriegeltes und gesackeltes“ Äußeres sowie durch eine Strauß Tulpen – stilgerecht in grünes Seidenpapier gewickelt – auf. In der Sitzung selbst folgte eine Wahlgang auf den anderen, es waren Formalia zu erledigen, die aber unserer Demokratie die nötige Stabilität geben. Eine Überraschung gab es bei der Wahl des Bürgermeisters, der nur mit einer Stimme Vorsprung – und damit nur mit den 11 Stimmen seiner eigenen Fraktion – gewählt wurde. Die drei Oppositionsparteien hatten sich offenbar auf einen anderen Kandidaten, der aber aus der Bürgermeisterpartei stammte, geeinigt. Meine Liebste wurde danach zur geschäftsführenden Gemeinderätin und damit in den Gemeindevorstand gewählt. Die Schwierigkeiten mit der Aussprache des Namens „Karjalainen“ setzten sich hier fort. Bei der Verlesung der Wahlvorschläge stolperte der frischgebackene Bürgermeister dreimal und nannte meine Liebste „Karalaien“, wobei ich sogleich "Van der Leyen" assoziierte. Ehre, wem Ehre gebührt. Er befindet sich damit in guter Gesellschaft. Der Vizebürgermeister aus dem Lager des Bürgermeisters erhielt 20 von 21 Stimmen und damit quasi vollstes Vertrauen – auch der Opposition. Man merkte die zunehmende Verstimmung des Ortschefs, die sich dann, als das Formale vorbei war und zum Büffet geladen wurde, auch in der einen oder anderen „Kopfwäsche“ für die Oppositionsfraktionen äußerte. Zum Schluss machte ich ihn noch auf die richtige Aussprache unseres Familiennamens aufmerksam, er konnte oder wollte darauf aber nicht eingehen und verabschiedete sich mit einem Händedruck, einem Blick ins Off und einem „Ist schon gut.“ In diesem Augenblick lag sein ganzer Schmerz über die ihm bei der Wahl von der Opposition in aller Öffentlichkeit entzogene Anerkennung, deren Wiedererlangen er zuvor in einer kurzen Rede mit den Worten „Ich werde versuchen, auch das Vertrauen der anderen 10 Gemeinderäte zu gewinnen, die mich nicht gewählt haben“ angekündigt hatte. In seiner Selbstbezogenheit liegt meines Erachtens seine größte Schwäche – und die schwächt letztlich das Gemeinwesen zum Schaden der Vielen zugunsten einiger weniger Getreuer. Apropos Händedruck. Das die News der Welt beherrschende Virus zeitigte auch lokale Auswirkungen, es waren nicht alle in der Lage, diesen bislang üblichen Ausdruck zur Begrüßung und Verabschiedung anzuwenden. Dies gilt es selbstverständlich zu respektieren und neue Formen dieser Rituale zu entwickeln. Ideen kursieren bereits genug. Nun noch ein kleine Ergänzung zu den in grünes Seidenpapier gewickelten roten Tulpen für meine Frau: ich hatte das Papier mit sieben Zitaten zu den Themen Politik, Demokratie und Macht verziert. Mögen sie alle politisch Verantwortlichen zur Be-Sinnung einladen – und uns, das Volk, ermuntern, unsere Stimme nicht bei jeder Wahl tatsächlich abzugeben, sondern sie auch danach immer wieder kraftvoll einzusetzen. Immerhin besagt eine Systemtheorie, dass es „nur“ 3,5 % einer Gemeinschaft braucht, um bislang Geltendes umzustürzen. Bei 2000 Menschen in unserer Gemeinde wären das 70, auf das ganze Land hochgerechnet etwas mehr als 310.000. Eigentlich hat mit der konstituierenden Sitzung des Gemeinderates schon Tag 16 begonnen, ich nehme mir aber die Freiheit, hier ein wenig Unordnung in die Struktur meiner Route 55 zu bringen. Das Leben ist manchmal eben auch so.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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