Wo anfangen, wenn ich seit Tag 153 und daher seit Samstag 25.7. - also fast zwei Monate lang – keinen Eintrag im Blog auf meiner Route 55 gemacht habe, nicht deswegen, weil nichts passiert wäre. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Zum einen habe ich drei Texte geschrieben, einen für meine erste und wahrscheinlich einzige Lesung dieses Jahres vor dem Weltladen in Tulln (Titel: Ihre Lust ist Leben), einen für meine Liebste anlässlich unseres 10. Hochzeitstages (Titel: Ten years ago – die Geschichte eines Kugelschreibers) und einen weiteren für den diesjährigen Schreibwettbewerb der Stadtbibliothek Krems unter dem Motto „Schreiben in Zeiten der Cholera“ (Titel: Was vom Hasen übrigblieb – noch nicht veröffentlicht), zum anderen mein Suhrkamp-Notizbüchlein in dieser Zeit ausgeschrieben, das nächste, nämlich ein Reclam Universalnotizbuch ist schon in Amt und Würden. Vorsorglich habe ich soeben ein neues Notizbuch von Suhrkamp mit dem Titel „Chronik der laufenden Ereignisse“ bestellt. Der Titel ist sehr ansprechend, er bezieht sich auf ein gleichnamiges Werk von Peter Handke, das Zitat auf der Rückseite des Covers zitiert den Nobelpreisträger so: »Schreiben, aufschreiben: Wirklich denken, wirklichdenken; was mir nur so durch den Kopf geht, denke ich nicht wirklich.« Nun ja, Handke eben. Aber wozu für eine Chronik notieren und aufzeichnen, wenn es kein anderer außer mir lesen kann? Daher ergibt sich die Notwendigkeit, diesem „Bloß-ins-Notizbuch-Schreiben“ zu begegnen und endlich auch wieder am Computer Worte für den Blog zu machen. Also: Ich befinde mich jetzt am 210. Tag meines Weges durch mein 55. Lebensjahr, mehr als die Hälfte der Distanz ist damit zurückgelegt, der Sommer trotz des heutigen Herbstbeginns zumindest tagsüber noch spürbar, die Abende, Nächte und Morgen aber bereits der Jahreszeit entsprechend kühl. Was hat mich in der 57 Tagen seit meinem letzten Eintrag bewegt? Es ist nur ein grober Überblick möglich, die Zeit fordert anderes von mir, als mich stunden-, vielleicht sogar einige Tage lang ausführlich mit all dem Geschehenen zu beschäftigen: Von den literarischen Ereignissen habe ich schon geschrieben, den Hochzeitstag mit meiner Liebsten am 18.8. haben wir in einer kleinen, feinen Freundesrunde beim Heurigen im Nachbarort gefeiert, wir wurden dabei reich beschenkt. Fußball ist schon im Juli wieder intensiv in mein Leben getreten, das Training mit meiner Kindermannschaft der 9-Jährigen konnte ich im August unter ziemlich „normalen“ Bedingungen wieder aufnehmen. Es waren vier Abgänge zu verzeichnen, aber im Lauf der letzten Wochen auch vier Neuzugänge, damit ist die Basis für diese Saison gelegt. Mein neuer Co-Trainer, den ich schon für die Frühjahrssaison engagiert hatte, die dann nicht stattgefunden hat, macht weiter, bislang haben wir uns schon erfolgreich für den Fortbestand der Mannschaft eingesetzt, uns mit der Kritik eines Vaters auseinandergesetzt, der ein klärendes Gespräch aber abgelehnt hat und lieber weiterhin vom Zuschauerrang seine Zwischenrufe und seine – wie er betont – freie Meinungsäußerung fortsetzen will (was das für seinen Sohn bedeutet – Stichwort: Loyalitätskonflikt) berührt uns mehr als ihn, wir haben einen Intensiv-Trainingstag, zahlreiche Trainingseinheiten sowie ein Test- und drei Meisterschaftsspiele absolviert, dabei einmal gewonnen und dreimal verloren, jeweils nicht deswegen, weil die Gegner um so viel besser waren, sondern weil das Defensivverhalten zu löchrig war und die zahlreichen Abschlussmöglichkeiten nicht in Torerfolg umgemünzt werden konnten. Familiär steht in dieser Woche die Entscheidung über die nächsten Schritte im Hinblick auf die Wünsche unserer Älteren an, dauerhaft zu ihrem Vater nach Berlin zu übersiedeln. Das von diesem beantragte Gerichtsverfahren wird am Donnerstag mit einer Tagsatzung fortgesetzt. Auch die weiteren Schritte im Unterhaltsverfahren, das der von mir als Sohn angenommene Bub meiner Ex-Lebensgefährtin vor zwei Jahren angestrengt hat, werden zeitnah bekannt werden, die Begutachtung meiner finanziellen Situation sollte dem Gericht die Basis geliefert haben, was an Unterhalt möglich ist. Der dort zuständige Rechtspfleger erwägt jedenfalls ernsthaft eine solche Unterhaltsfestsetzung, obwohl dem Verfahren aus meiner Sicht die Grundlage fehlt, ist der junge Mann doch seit 2013 ausgebildeter Freizeitpädagoge und somit selbsterhaltungsfähig. Das 2016 von ihm begonnene Bachelorstudium zum Tanzpädagogen an einer teuren Privatuniversität wird weder seine berufliche noch finanzielle Entwicklung stärken. Zudem ist es mir an einer außergerichtlichen Lösung gelegen, da dieses Verfahren von seiner Seite auf einer falschen Grundannahme fußt, dass nämlich ich das „Arschloch“ bin, das sich nicht um ihn gekümmert hat. Sehr zahlte ich bis zu seiner Volljährigkeit seinen Unterhalt, auch habe nicht ich den Kontakt mit ihm abgebrochen sondern er – oder, meiner Vermutung nach, seine Mutter für ihn. In all den Jahren, den ich ihn begleiten durfte, habe ich viel zu seiner Weiterentwicklung beigetragen, ihn aus finanziell und auch erzieherisch prekären Verhältnissen „gerettet“. Nun ja, das Leben ist manchmal echt arg, aber es bietet einem dadurch auch jede Menge Entwicklungsmöglichkeiten. Mal sehen, wie meine angespannten Nerven diesen Dauerbrenner bewältigen. Beruflich hatte ich glücklicherweise ab Mitte August auch jede Menge Aufträge und konnte so die finanzielle Lücke, die sich durch den Lockdown im März und April aufgetan hat, nun endlich einigermaßen schließen. Herausfordernd bleiben die Zahlungen an die SVA, die ich stunden ließ und die nun nachzuzahlen sind. Unterstützung von der öffentlichen Hand habe ich – nach dem Tauziehen um meine Anspruchsberechtigung (ich habe davon berichtet) – keine mehr beantragt. In meinen Seminaren für die Freizeitpädagog*innen an Wiener Schulen durfte ich mich mit dem Thema Zivilcourage beschäftigen, in der Arbeit mit elemetarpädagogischen Fachkräften ging es um Spielen, Sprachentwicklung, Schulvorbereitung und zuletzt um mathematische Frühförderung. Um diesbezüglich flexibler zu sein und die Öffis in Wien zu vermeiden, habe ich mir zur Hälfte meines neuen Lebensjahres über einen bekannten Internetflohmarkt ein günstiges Klapprad organisiert. Dazu habe ich am 30.8. Folgendes notiert: Tag #187: Steyr – Klapprad Starkregen Fußmarsch Umwege dann kommt die Sonne 4 km zum Bahnhof mit dem neuen Drahtesel Pizza bei Denis auf Bahnsteig 1 des Bahnhofs St. Valentin Das ist die Kurzfassung. Hier nun die Langfassung: An jenem Sonntag machte ich mich frühmorgens auf den Weg, der Tag begann in meiner Heimat mit Regen. Für Steyr, den Geburtsort meines besten Freundes, war der erst für den Nachmittag vorausgesagt, also zu einer Zeit, in der ich meinen Zielort schon wieder verlassen haben wollte. Auf der Fahrt musste ich zweimal umsteigen, der Regen aber ließ nicht nach, er wurde sogar noch intensiver. Mit Hilfe meines Handy-Navis hatte ich den besten Weg vom Bahnhof zur rund vier Kilometer entfernten Tankstelle, an der die Übergabe stattfinden sollte, ausgekundschaftet. Aber es waren eben vier Kilometer – und das bei Starkregen. Aber, ich hatte es mir in den Kopf gesetzt, das Rad schaute auf den Fotos neuwertig oder zumindest sehr gut in Schuss aus und der Preis war dafür wohlfeil. Ich durchwanderte eine mit Wasserläufen gesegnete und an der einen oder anderen Stelle immer wieder mittelalterliche Stadt. Ich kam an einem Steyr-Werksgelände vorbei, an weiteren oftmals leerstehenden Fabrikshallen. Ich wanderte die Flüsse entlang, die alle knapp an der Hochwassergrenze waren, und hoffte, dass sie bis nach meinem Rückweg ihr Wasser halten konnten. Mit einem Mal stand ich vor einer unüberwindlichen Baustelle. Der Weg war einfach unterbrochen und es gab keine Seitengassen in der Nähe, die ein Umrunden zugelassen hätten. Ich befragte meine Navi, diesmal glücklicherweise, denn der von mir ins Auge gefasste Wege hätte in einer weiteren Sackgasse gemündet. So musste ich doch einige hundert Meter zurückgehen, ehe ich die Abzweigung fand, die mich leider im Großteil ihrer Strecke auf der stark befahrenen Bundesstraße – allerdings mit Fußweg – zum Ziel kommen ließ. Die letzten Meter vor der Tankstelle bescherten mir einen weiteren Umweg, da der Treffpunkt von der Straßenseite her nur mit dem Auto oder eben durch eine Gehen auf der Fahrbahn – was ob des Verkehrs wenig attraktiv war – zu erreichen war. Ich nahm also eine Seitenstraße zur Hinterseite der Tanke und hoffte, dass es auch einen Hintereingang gäbe. Und es gab ihn. Vor Ort schaute ich mich nach einem zum Klapprad passenden Menschen um, ich fand ihn in einem Kastenwagen. Herzliche Begrüßung, kurzer Austausch zu meinem Wohnort, meiner Reise und meinem Fußweg bei Regen. Dann Check des Fahrrads (wirklich perfekter Zustand), eine kurze Geschichte seines bisherigen Daseins, Geldübergabe, ein weiterer „Handschlag“ (also Faust gegen Faust) und ich verschwand mit dem Klapprad durch jene Hintertüre, durch die ich gekommen war. Das Wetter war mir auf dem Rückweg gnädig. Der Nass vom Himmel versiegte, die Sonne brach sich von Zeit zu Zeit dutrch die Wolken. Der Weg zum Bahnhof gelang – nach dem fast einstündigen Fußmarsch – mithilfe des Drahtesels in einer guten Viertelstunde. (Was ich noch nicht erwähnt habe: die Temperatur war trotz Regens angenehm, so um die 22 Grad Celsius, also musste ich während meiner Reise jedenfalls niemals frösteln.) Ich erreichte die Station so, dass ich wenige Minuten vor Abfahrt des nächsten Zuges in Richtung Heimat ankam. Ich hatte jetzt noch die Wahl, gleich diesen Anschluss zu nehmen und in St. Valentin Zwischenstopp zu machen, oder mich noch eine Stunde in Steyr aufzuhalten. Ich entschied mich für ersteres, vor allem auch deshalb, weil ich noch nie in St. Valentin war – und weil dieser Ort beim Zugspielen in meiner Kindheit eine Bedeutung gehabt hatte. Nach kurzer Fahrt dort angekommen, schaute ich mich nach einer passenden Möglichkeit für einen kleinen Mittagsimbiss um und wurde sogleich auf Bahnsteig 1 fündig. Dort konnte ich einen engagierten türkischen Pizzabäcker beobachten. Während ich meinen Snack zu mir nahm, sah ich ihn mit Hingabe eine Pizza Calzone zubereiten, und zwar auf eine solche Weise, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. In unserer örtlichen Pizzeria kommt sie mal ganz einfach zusammengeklatscht oder manchmal auch mit Einschnitten und einer Olive, die den Rücken und das Auge eines Fisches darstellen sollen, auf den Teller. Aber an jenem Ort wurden nach dem Belegen und Zusammenlegen mit Liebe und Geduld Flossen in den Teig geschnitten, das Schwanzende wurde durch eine kleine Flechtarbeit geformt und als Auge diente eine halbe Olive, in deren Einkerbung noch eine kleine Erbse Platz fand. Genial! Als die Pizza fertig gebacken war, erbat ich mir vom Bäcker die Erlaubnis, das Meisterwerk zu fotografieren. Und siehe da: Was möchte ich sonst noch erwähnen:
den einen oder anderen inneren Kampf mit dem Umstand, das wir auch heuer nicht nach Finnland fahren konnten und mein Wunsch, es doch für die eine oder andere Woche zu versuchen, was ich dann aber aufgrund der geltenden Quarantänebestimmungen nicht wahr machte; der Besuch bei meiner jüngeren Tochter anlässlich ihres Dreißigers mit Wirtshausbesuch in Leitzersdorf und anschließender Jause bei ihr zuhause, gleichzeitig das persönliche Kennenlernen ihre Verlobten, gutes Essen, gute Gespräche, eine wunderbare Atmosphäre und ein „Sprung“ ins Pool mit meinem Jüngsten; das eine oder andere Buch, das ich aus der Bibliothek geborgt und gelesen habe; der eine oder andere Film, den wir geliehen haben; ganz viele Fußballübertragungen aus den Finalphasen von Europa und Champions League, gemeinsam mit meinem Jüngsten; die Kastration von Dario, der uns durch sein Markieren im Haus, auf Teppichen und auf gewissen Schuhen eindrücklich auf diese Notwendigkeit aufmerksam gemacht hatte, dabei wurde vom behandelnden Tierarzt FORL diagnostiziert, eine Autoimmunerkrankung, die Kalziummangel und damit den Verfall der Zähne bewirkt und bei der zur Vermeidung von unnötigen Schmerzen beim Tier die Entfernung sämtlicher Zähne empfohlen wird, was nicht nur sauteuer ist sondern auch ziemlich barbarisch wirkt, womit wir dem Vorschlag vorerst – auch nach Befragung unseres Katers – nicht näher treten werden; der Umgang mit den Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der „Corona-Pandemie“, die meines Erachtens an der falschen Stelle ansetzt, wo es doch sinnvoller wäre, Immunsystem zu stärken und die Lebensbedingungen für die Menschen stressfrei und gesund zu gestalten, was natürlich wesentlich aufwendiger ist, als Mund-Nasenschutz zu verordnen und Verhaltensregeln zu erlassen. In Kürze werde ich eine weitere Reise nach Wien antreten, um mich mit meinem Supervisor zu treffen und den zweiten Teil meines Mathematik-Workshops an die elemetarpädagogischen Fachkräfte zu bringen. Da stehen mir wieder zwei etwa zweistündige Zugreisen bevor, bei denen mich mein Klapprad begleiten wird. Auf den Reisen selbst werde ich chillen und lesen und mich hinter meinem Cowboy-Tüchel so gut wie es geht vor dem Virus verstecken.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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