Die Spannung ist weiterhin spürbar. Die Veränderungen auch. Auf Fußball müssen wir vorerst verzichten. Keine Matches im Fernsehen, keine Spiele in der Arena, keine Trainings mehr mit meinem Kinderteam. Tja, es gab auch ein Leben vor dem Fußball oder sagen wir besser zwischen Fußball und Fußball. In meiner Kindheit und Jugend war ich ein begeisterter Austria Wien-Fan. Ich gebe das ehrlich zu, obwohl ich befürchten muss, nun einige LeserInnen zu verlieren. Aber ich bin ein verträglicher Austrianer, kein Ultra, davon können zwei meiner Söhne ein Lied singen, sie sind Rapidler.
Nun ja, ich war also Austria-Fan und das, weil mein Opa (der Vater meiner Mutter) auch einer war. Mit ihm spielte ich nicht nur Fußball, sondern ging auch jeden zweiten Samstag ins Wiener Stadion, um meine Lieblingsmannschaft in der Bundesliga spielen zu sehen. Es gab gute und schlechte Phasen und der Austria gelang es mehr als genug, „in Schönheit zu sterben.“ Die Derbys gegen die Rapidler waren auch damals schon ziemlich hardcore. Es gab Knaller, es gab Randale – und mein Opa und ich kamen immer wohlbehalten heim. Der Höhepunkt war die Saison 1977/78. Im Frühjahr spielte sich die Austria ins Finale des Europacups der Meister. Bei den Heimspielen im Viertel- und Halbfinale gegen Spartak Moskau und Hajduk Split war ich mit den 75.000 anderen Zusehern samt Vater und Großvater live dabei. Stehplatz selbstverständlich. Da passte kaum ein Blatt Papier zwischen die Fans. Beide Partien gingen ins Elfmeterschießen. Beide Partien gewannen die Wiener. Das Finale, dass ich im Fernsehen verfolgte verlor mein Lieblingsteam dann aber glatt mit 0:4 gegen die damals übermächtige Mannschaft des RSC Anderlecht. Da war ich am Boden zerstört. Besonders habe ich auch die Stadthallenturniere in Erinnerung, die meine Weihnachtsferien versüßten. Und die Wiener Austria war damals sehr zu meiner Freude Seriensieger. Mein Opa kam samt Oma jeden Donnerstag zu Besuch. Am Vormittag wanderte er, der früher Brief- und dann Geldbrief-Träger war, von seinem Zuhause in Penzing zu uns nach Margareten. Am Weg erledigte er Einkäufe am Schwendermarkt und in der Marihailferstraße, danach ging er zum PAM-PAM, einem Großmarkt ganz in unserer Nähe. Manchmal durfte ich ihn begleiten. Und nach dem Einkauf nahm er beim nahen Wirten noch ein Achtel weiß – und ich bekam einen Apfelsaft. Mein Opa rauchte – um Vieles weniger als mein Vater, der es oft auf 3 Packungen pro Tag brachte – mit Genuss. Falk. Und er spielte an den Donnerstagnachmittagen Tipp Kick mit mir. Wir spielten alles Weltmeisterschaften, die es je gab, nach. Und ich gestaltete aus Jogurtbechern und Gläsern Pokale. Er spielte immer Österreich, so die Österreicher bei der WM vertreten waren. Es war eine große Freude für mich. Und in den Sommermonaten, wenn wir die Tage im Städtischen Strandbad an der Alten Donau verbrachten, spielten wir im Fußballkäfig mit echtem Rasen und bloßfüßig! Er spielte bis ins hohe Alter. Als ich mich mit 16 dann erstmals verliebte und auch andere Interessen hatte, wurde unsere gemeinsame Zeit weniger und mein Opa zunehmend trübsinning. „Der Krieg“, sagte meine Oma nur. Es gab die Geschichte, dass er sich einst mit eigener Waffe in den Arm geschossen hat, um nicht mehr an diesem Wahnsinn teilnehmen zu müssen. Dafür zahlte er auch einen hohen Preis, denn er verlor durch diese Aktion seine Fähigkeit, Geige und Schlagzeug zu spielen. Aber er rettete damit sein Leben und in der offiziellen Darstellung hatte sich ein Schuss aus der Waffe gelöst und ihn schwer verletzt. Die Wahrheit hätte ihm schon damals das Leben gekostet. Wie gut, dass ich ihn hatte, er war wirklich mein großer Vater. So schaute er auch zu, als ich in der Klassenmannschaft im Gymnasium spielte. Ich war rechter Verteidiger, Robert Sara von der Wiener Austria mein großes Vorbild. Ich war hart und kompromisslos, technisch weniger versiert, aber ein absoluter Kämpfer. Das musste ich, Leichtgewicht, das ich schon damals war, oft mit einem „Flug“ durch die Luft bezahlen. Einmal landete ich nach einem Pressball mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt (unser Sportplatz wurde gerade von Sand auf Kunststoffbelag umgestellt), meinem Turnlehrer (nicht jenem, den ich zuletzt im Hinblick auf den Schikurs beschrieben habe) stand der Schreck noch ins Gesicht geschrieben, als er meinen Kopf untersuchte. Ich war auch damals schon ein Dickschädel und so hatte ich glücklicherweise nicht einmal eine leichte Gehirnerschütterung. Meine Sternstunde hatte ich im Halbfinale des Schulturnier, als es nach einem torlosen Remis ins Elfmeterschießen ging. Vom Kapitän meiner Mannschaft wurde ich als einer der 3 Schützen auserkoren – und ich war der einzige der traf. Mit einem satten, scharfen Schuss in halber Torhöhe nach rechts ließ ich dem Schlussmann unseres Gegners keine Chance und brachte unser Team ins Finale, wo wir gegen die Mannschaft der Parallelklasse dann aber glatt mit 0:4 verloren. Mein Opa war dennoch stolz auf mich – und ich werde diesen Elfer nie vergessen. Da bin ich doch glatt über mich hinausgewachsen. Als Vater von zwei Töchtern war Fußball dann jahrelang kein Thema, so richtig in mein Leben kam er dann erst wieder vor 10 Jahren, als meine Liebste und ich WM guckten. Ich war ganz angetan von meiner Finnin, die sich mit mir samt Bier vor den Fernseher setzte, um dem runden Leder zu folgen. Und nach der WM flachte die Fußballeuphorie wieder ab. Mit unseren Jungs aber und diversen nationalen und internationalen Übertragungen im ORF stieg der Fußballkonsum an, um nach unserer Übersiedlung in unsere neue Heimat vor mehr als zwei Jahren durch den örtlichen Fußballklub und seine tolle Arena seinen Höhepunkt zu finden. Tja, und nun Fußballpause – auf unbestimmte Zeit. Ein bisschen kriselt es schon bei mir und meinem Jüngsten, aber wir haben ja einen Garten und einen Ball, wir haben Tipp-Kick und Tischfußball und wir haben Alternativen, die wir schon lange nicht mehr ausprobiert haben, etwa Tischtennis oder Softtennis oder Boccia oder … Es wird uns nicht langweilig – und da das Wetter in den nächsten Tagen herrlich frühlingshaft werden soll, gehe ich davon aus, dass uns ein Lagerkoller erspart bleibt.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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