Tim nervt. Vielleicht, weil er ohne Struppi unterwegs ist. Vielleicht auch, weil er ständig „sozusagen“ sagt. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm.
Der blonde Haarschopf, okay. Aber dann: Nerd-Brille, schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schnürschuhe und kanariengelbe Socken. Und ein weißes Smartphone, das er in der linken Hand hält und auf dem er, auch während er redet, ständig mit dem rechten Zeigefinder tippt und mit dem linken Daumen wischt. Es stimmt mit ihm ne ganze Menge nicht. Und er heißt Niki. Die Sitzung zieht sich schon viel zu lange hin, ich denke an den bevorstehenden Saunaabend mit meiner Männerrunde. Niki ist kein Teil davon. Und das ist gut so. Grade eben hat er wieder „sozusagen“ gesagt. Ich find ihn sozusagen Scheiße. Irgendwie schleimt er. Aber wen will er damit beeindrucken? Die Hagere, deren linker Mundwinkel sich seit unserer letzten Begegnung vor einigen Woche noch tiefer nach unten gezogen hat - Richtung Schlaganfall sozusagen – und die grade irgendetwas von Bewerbungsfotos im Bikini faselt, mit denen sie überhaupt nicht einverstanden wäre. Ihr diesbezügliches Foto wäre jedenfalls nicht beeindruckend genug, denke ich. Ach, Katrin! Oder den Vertreter der Geschäftsleitung, Jean, Sakko, gestreiftes Hemd, einen dicken goldenen Ehering, ein großes schwarzes Smartphone, mit dem Nikis nicht mithalten kann, auf das er von Zeit zu Zeit dezent blickt und hie und da noch dezenter tippt. Auch sein Wischen ist nur ein ganz klein wenig in die eine oder andere Richtung verlängertes Tippen. Joe - wie er sich nennen lässt – hat kurze an den Spitzen schon ergraute Haare, die er Mitte rechts gescheitelt hat. Das erzeugt eine lustige Welle in seiner Frisur, da die Haare zuerst noch gegen den Scheitel wachsen und sich dann erst in einem hohen Bogen dem Diktat ihres Besitzers beugen. Tränensäcke unter seinen Augen komplettieren das Bild eines verbrauchten Mittvierzigers, der sich Hoffnung auf mehr macht – und das wahrscheinlich schon zu lange. Auch er kein Typ für meine Männerrunde. Niki, Katrin und Joe sowie eine Gruppe von grauen, namenlosen Frauen und ich. Eine bunte Truppe von Söldnern im Dienste der Unternehmung Mensch. So lautet einer der Slogans der Werbeschiene dieser Firma, die sich um die Weiterbildung von Menschen kümmert und dabei ihre Mitarbeiter nicht vergisst. Zumindest fast nicht. Und die öffentliche Hand zeigt sich sehr dankbar, offen und spendabel. Wir müssen darauf achten, dass alles korrekt abgerechnet wird und in die richtigen Kanäle fließt, sagt Joe. Wie recht er hat. Die Kanäle in der obersten Etage sind sozusagen etwas breiter als jene, in denen wir schwimmen dürfen. Aber man muss doch auch auf die Bedürfnisse der Zielgruppe Rücksicht nehmen, meint Tim, äh Niki und das diesmal ganz ohne „sozusagen“. Meint er das jetzt ernster als seine anderen Sprüche? Sympathischer macht es ihn mir nicht. Die Diskussion, die nun entsteht, beehre ich mit der Bemerkung, dass ich glaube, dass wir ohnehin an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbeiproduzieren, weil „die brauchen ganz was anderes“. Kurzes Schweigen. Ich bin erschrocken, weil ich hoffte, dass dieser Einwurf ohnehin nicht wahrgenommen würde. Die Pause im Gequassel dauert nur kurz, Joe schickt noch einen ernsten Blick in meine Richtung, Niki nickt. Wie hab ich das verdient? Er greift das Argument sogar auf und startet eine Grundsatzdiskussion, in der sich vor allem die Hagere als Rächerin der Enterbten entpuppt. Und als eine der Frauen, die bei den derzeit entwickelten Konzepten überhaupt zu wenig berücksichtigt würden. Ich freue mich, dass ich Niki ins Rennen für die gute Sache geschickt habe und denke an den Saunaabend. Da wird die gute Laune fließen wie Schweiß und Bier. Da wird das Leben gefeiert als gäbe es kein Morgen. Da werden Geschichten erzählt wie sie das Leben niemals schrieb. Da wird die Männerfreundschaft zelebriert als wären wir das wirklich starke Geschlecht, gegen das keiner ankommen kann. Da werden Siege vorgeführt, die niemand außer dem Erzähler mitgekriegt hat. Oh gute, starke Männerwelt. Was wäre Mutter Erde ohne dich? „…sind auch nicht ganz ohne!“ „Bikini?“, frage ich mich. Erst dann kriege ich mit, dass die Aufmerksamkeit der ganzen Truppe auf mich gerichtet ist. Ich bewege den Kopf langsam auf und ab, als wollte ich nicken, bin mir aber nicht ganz sicher, was man jetzt von mir erwartet. Da hilft nur ein Gegenangriff: „Und wie siehst du das, Tim … äh, Niki?“ Überraschung in der Runde. Niki rudert mit den Armen, rutscht unruhig am Sessel hin und her und pariert meinen Angriff mit den Worten: „Was konkret meinst du damit?“. Ich gebe mich noch nicht geschlagen und fordere ihn nach einer kurzen Pause mit den Worten „Na ja, das soeben Gesagte oder etwa nicht?“ heraus. Wie lange wollen wir jetzt noch Ping-Pong der Worte spielen, denke ich. Niki hat keinen Spaß mehr daran und zieht sich beleidigt in sein Schmollwinkerl zurück. „Ach, was weiß ich, sollen die anderen was sagen!“ Touché! Ich nippe an meinem Glas mit Juice und lehne mich mal entspannt zurück. In meinem Mund verwandelt sich die Flüssigkeit in herrlich kühles Bier und um mich herum mutieren die grauen Mäuschen zu einer illustren Damenschar im Saunabuffet. Ich bin verblüfft, da ich doch den Anspruch habe, ernsthafte Gedanken zu wälzen und mich nicht vom Treiben der Welt verführen zu lassen. Also konzentriere ich mich nochmals auf Niki, der jetzt sehr verkrampft und mit verschränkten Fingern in seinem Sessel lehnt. Woran er wohl gerade denkt? Wäre er tatsächlich Tim hätte er sicher eine andere Lösung für seine Situation. Er würde auf den Tisch hüpfen und den Überraschungseffekt zu einer spektakulären Flucht durch das Fenster und über die Fassade nützen. Unten würde schon Struppi auf ihn warten, um eventuelle Verfolger zu verbellen. Aber so bleibt er einfach sitzen und lässt sich das alles gefallen, der Niki. Niki ist eben doch nicht Tim.
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Mein Beitrag zum FM-Wortlaut 2015 die nacht. der schuss. das schreien. erst seins. dann ihrs. wild er. erschrocken sie. er fällt, bleibt liegen. sie rennt, fällt und rennt wieder. wund er. verwundert sie. sein atem schwer, der ihre schnell, begegnen sie einander, in ihren wäldern, wieder - nach drei tagen langer zeit.
warst wirklich du das nachts da draußen? du und nicht sie, die vorzugeben du mir schienst? Warst wirklich du des nachts da draußen in den wäldern hinter unserer hütte, in der wir uns zum ersten mal geliebt? konntest du mich tatsächlich so hinters licht führen wie damals auf die lichtung, auf der wir uns zum letzten mal geliebt? würdest du es wirklich wagen, das was uns einmal heilig war, auf diese weise zu entehren? wärst du jetzt noch an meiner seite und nicht dagegen, wenn wir drei tage vorher die auseinandersetzung nicht gehabt. nur wegen ihr, die vorzugeben grade eben die wälder du durchschlichen hast um mich endgültig zu beschämen? sein blick – die vielen fragen. und dann ihr blick - ein einzig fragen. und ihr entsetzen, welchen bock sie da erlegt. wie konntest du nur diese frage stellen, die eine, die nie zu stellen wir versprochen? wie nur, aus welcher kraft hast du dies „sie oder ich“ der dunklen lichtung mitten in das antlitz spucken können? in deins, in meins. wolltest du mit füßen treten, was uns verbunden hat, wolltest du bloß zerstören, auch mich, auch dich, uns - sie? wußtest du nicht, dass auch vergangenes niemals durch gegenwart vergeht? auch wenn sich seine lippen nur schwach bewegen lassen, bewegen sie ihr herz – und weh wird ihr um diese liebe, die sie mit einem schuss ins dunkelblaue für alle mal beendet hat. warst du bei dir in dieser nacht, ganz du, ganz selbst? scheinst du nur außer dir zu sein? wäre ich nicht hinters haus gelaufen, als ich die schritte hörte, ihre, deine, hättest du dann mut gehabt, mir drinnen zu begegnen im licht der kerzen, die ich für unser erstes treffen hier besorgt? besorgter ringt er um die worte, die gurgelnd nur aus seiner kehle flehen. sie legt den zeigefinger ihrer rechten auf seine lippen. und mit der linken streicht sie ihm durchs haar. wieso jagt eine da die andere, von der sie nichts zu fürchten hat? warum will mensch des andern wolf sein, was wolf dem wolf nie wagen würde? magst du da draußen im blute unseres lebens liegen, dicht neben ihr, nah neben mir? hast du den plan gehabt, mich zu bekriegen, in dem du mich auf diese weise kriegen wolltest, um auszuweiden bei lebend’gem leib mich, um ausbluten zu lassen mein herz, die leber unserer lieb’ zu rauben? wie konntest du gesetz und ordnung unserer verbindung so verletzen, die wir uns untertan gemacht auf dieser lichtung vor jahr und tag für immer? wolltest du fortan nur gesetzlos leben – den wäldern outlaw jane calamity? sein blick schweift ab. und Ihre hände nutzen den augenblick und fassen seine – mit einem ruck zerrt sie den überraschten die meter weiter bis zu einer kuhle, in der es sich beenden lässt. weidwund ist todgeweiht. erinnerst du nicht mehr die stunden, in denen blut floss, schnell, so schnell, dass dein, mein atem dem eines jagenden, gejagten tieres glich? denkst du nie mehr an die erschöpfung nachdem getan war, was getan sein musste, getan für mich, für dich, doch nicht vorbei? wagst du dich jemals noch an diese grenzen, die du mich überschreiten hast gelehrt, das eine um das andere mal, weit, tief ins unvertraute, unbekannte? kennst du den weg noch, den zurückzufinden wir nie und nimmer schaffen konnten trotz anderslautender versprechen? weißt du nicht mehr, als mein vertrauen brach zum ersten mal und ich mich des vertrauens nicht würdig fand obwohl du mein vertrauen hast missbraucht? bist du dir all der irrwege bewusst, die wir arterien gleich ins dickicht zogen? meinst du nicht auch, dass wir darin das herz verloren, du, ich, von nun an herzlos, blutleer, kalt und frierend bar jeder hoffnung auf unseren lebensstraßen zogen? Hattest du mein gefühl, dass wir der zukunft starben an dieser lichtung, so dunkel wie die nacht? er schließt die augen, erstmals seit jenem schmerz, der herzsüdwärts all seine glieder flammendrot durchzog. und sie bedeckt sehenden auges, so gut dies in der dunkelheit gelingt, den schmerz mit laub vom letzten herbst, der früher kam als ihre sommerlaune wollte. was willst du noch, bevor das auge bricht, mein dein? willst du es wissen, wieder, wieder, wieder? “ich oder sie”, “ich oder sie”, “ich oder sie”? wie oft noch? willst du die antwort auf die eine frage mir aus der kehle pressen, röchelnd in meinem letzten atemzug? weißt du, dass es auch dann niemals gewissheit geben wird, du dir nie mehr gewiss sein kannst? hast du nicht schon genug gelitten an ihr, mir und dir selbst? ist frieden möglich in diesem heißen krieg, ist es die ruhe nach dem sturm? kennst du die folgen von „ist blut in wallung“? folgt darauf nicht erst recht verfolgung? bist du dir deiner sache sicher, der sicherheit, der meinen und der deinen? kennst du das schicksal bergers noch, der heute noch mit leerem blick die welt bestaunt vom pflegeheim da oben, nachdem er alle mit sich sterben lassen wollte aus seines großen vaters büchse? willst du davor nicht meiner vielen fragen noch red’ und antwort stehen? er reißt die augen auf im stöhnen der sonne mondlicht glänzt in diesem blick, bevor er, es für alle mal erlischt. sie deckt die augen zu mit ihren händen und fragt sich wieder, wieder, wieder: „sie oder ich?“, „sie oder ich?“, „sie oder ich?“. und wenn schon sie mit ihm, die liebe ihres lebens, durch ihre hand in dieser dunkelheit verging, dann kann sie gleich ihr leben löschen und deren, die all das verdarb. die flinte ist noch heiß, zu schad’ fürs korn, die nacht noch jung, und einer wilderei kann eine andere folgen, weil sie sich letzlich durch sich selber sühnt. Mein Beitrag zum Walter-Serner-Preis 2014
1. Wir saßen schon lange da, Fred und ich. Zu lange. Während die Bewegungen um uns herum immer hemmungsloser wurden, versanken wir mehr und mehr in Bewegungslosigkeit. Ich versuchte zu ergründen, warum das Blau immer häufiger Grün wurde und Gelb und Rot eigentlich nicht mehr vorkamen im Farbwechselspiel der an der Decke sich drehenden Kugel. Fred starrte anderswohin. Wie konnte es sein, dass sich heftige Bewegungen so langsam anfühlten? Wie konnte es ein, dass ich meinen Körper nur mehr mit den Augen wahrnahm? Wie konnte es sein, dass ich jemals anderswo gewesen war als hier in dieser nach Leben brüllenden Kloake der menschlichen Verzweiflung und Lebensangst? 2. „Lentokentälle, nopeasti“ Tuuli raffte all ihre Habseligkeiten – oder das, was sie dafür hielt – an sich. Sie schlug die Tür des silbergrauen Volvo zu und der Fahrer legte in einem Tempo los, das sie selbst überraschte. „Mikäs on kiireisen matkan määränpää?“ Ihr war überhaupt nicht nach Reden zu Mute. „Wien“, antwortete sie schnell und knapp. Um weitere Konversation zu vermeiden, suchte sie ihr Mobiltelefon. Ihre Finger kramten in den engen Außentaschen ihres Trolleys, berührten im Sekundentakt eine Pinzette, eine Packung Kaugummis, ein nicht mehr ganz frisches Blasenpflaster, einige Krümel eines oder mehrerer Man-Weiß-Nicht-Mehr-Was-Es-Gewesen-Ists, eine Puderdose, die sie schon ewig gesucht hatte und noch so manches, das im zu schnellen Befühlen undefinierbar blieb. Handy war da keines. Nun nahmen sie sich die Handtasche vor. Der Wagen kam gleichzeitig mit ihren Fingern zum Stillstand. Der Fahrer schenkte ihr via Rückspiegel ein breites Grinsen. Das rote Licht der Verkehrsampel brach sich in den ersten Tropfen des einsetzenden Regens, die sich auf der Windschutzscheibe abgesetzt hatten. Tuulis Gesicht war ebenfalls rot, dann gelb und plötzlich grün. Der Fahrer fuhr mit einem Ruck los und Tuuli glitt ihr gerade in ihrer Handtasche ergrapschtes Telefon gleich wieder aus den Fingern in den dunklen Fond des Taxis. 3. Der Bus war ihm auch diesmal knapp vor der Nase davongefahren. „Shit“, kotzte Kevin in den dunkelgrau-nebeligen Morgen. Die nächste Eintragung stand bevor und bald auch schon ein weiteres Gespräch mit seinen Eltern. Wohl eher seine Hinrichtung. Köpfe rollen schnell am Londoner Asphalt. „Yeahhhhhhh!“ Sein lautes Brüllen schreckte ein paar Stadtfräcke auf, die sich in ihre Times vertieft hatten, um dem Alltag zu entfliehen. Die Gleichaltrigen kicherten sich eins oder zwei in ihre Fäustchen. Sein Schulrucksack fiel vor die gestiefelten Beine einer Mittvierzigerin, deren Röckchen mit jedem weiteren Lebensjahr kürzer zu werden schien. Nächstes Jahr könne er dann schon ihren Slip sehen, dachte Kevin. Ob er das wirklich wollte? „No, not at all!“ brach es aus ihm heraus, was die Gleichaltrigen zu einem weiteren Kichern veranlasste und viele andere der Wartenden einen oder mehrere Schritte von ihm zurückweichen ließ. Die Pussi der kessen Blondine aus der Nebenklasse wäre ihm doch bedeutend lieber. Er hob seinen Rucksack auf, der in einer flachen nebelerzeugten Pfütze, an deren Oberfläche sich regenbogenfarben Öl oder etwas in der Art abgesetzt hatte, gelandet war. 4. Drei schreiende Rotzlöffel. Manno! Die KITA war zum Glück nicht mehr weit. Sollen sich doch die Fachkräfte mit denen auseinandersetzen, während Ute vorhatte, einen weiteren Tag auf der Suche nach ihrem Traumjob zu verbringen. „Ich hab auch ein Recht auf Freiheit!“ schrie es in ihr. „Vor allem nach dieser Kindheit, die mir meine ach-so-tollen Eltern da eingebrockt haben!“ Sie blickte kurz nach oben um das Freisignal abzuwarten. Im Auge der Ampel schimmerte ein Hauch ihres Lieblingsspielzeuges aus der Kindheit, eines Kaleidoskops, das der Welt die schönsten Farbtupfer verliehen hatte. Sie hatte eines, das leider nicht an dieses herankam, für ihre Jungs besorgt. Oder doch für sich selbst. Als es einer der drei oder vielleicht auch alle gemeinsam eines Nachmittags zerstört hatten, konnte sie nur noch die bunten Scherben zusammenkehren. Bevor sie sie in den Müll schmiss, hielt ihr Herz ihre Hand auf und ließ sie die Überbleibsel in einer Tupperware- Schüssel aufbewahren. Von da an strich sie von Zeit zu Zeit mit ihren Fingerspitzen über die in vielen Farben glitzernden Steinchen, um sich wieder ganz zu fühlen. Um sie herum kam Bewegung in die gerade noch regungslose Menschenmenge. Ute fasste sich. Ihre rechte Hand fasste ins Leere. Einer der drei Rotzlöffel war verschwunden. 5. Ute war zum Schreien zu Mute. Sie wollte einfach so wie ihr Kleinster losbrüllen, wenn er einfach keine Lust mehr auf das hatte, was gerade angesagt war. Und Ute hatte keine Lust mehr auf all das hier. Ihre Schreie hallten in ihrem Inneren wider, brachten ihr Herz zum Brennen und ihren Kopf zum Kochen. Sie packte die beiden verbliebenen Rotzlöffel und überquerte mit der nächsten Grünphase die Kreuzung. Der dritte blieb verschwunden. Sie hätte nach ihm rufen können, ja irgendwie wollte sie das auch, aber sie blieb seltsam stumm und nach außen auch vollends gefasst. Das hektische Rufen und die Aufregung übernahmen ihre Kinder. In ihr lief ein Film ab, der Film ihres Lebens. Der war eine einzige Tragikomödie mit einer zunehmenden Schieflage in Richtung Tragödie. War das nun das Ende? Sie hoffte und bangte zugleich. Erstmals in all den Jahren seit dieser Wahnsinn hier begonnen hatte war sie sich vollends darüber im Klaren, dass sie so nicht mehr weiterleben wollte. Sie ging weiter Richtung KITA, die an ihrer Stelle schreienden Jungs an ihren Händen. 6. Der Hydepark hatte in all seiner Weitläufigkeit auch versteckte Ecken und Enden. Eine solche Ecke wollte Kevin aufsuchen, um sich auf das bevorstehende Ende seines bisherigen Lebens einzustimmen. „There is nothing to lose anymore“, blitzte es in seinen Gedanken auf, „Let’s go through and get out of all this shit!“ Er begann Pläne für die Zukunft zu schmieden, die hatten weder mit Schule noch mit seinen Eltern zu tun. Er kramte in seinem Rucksack nach dem Geldbeutel und leerte dessen Inhalt auf den Boden vor sich aus. Ganze sieben Pfund zweiundachtzig kamen zum Vorschein. „Barely enough to keep body and soul together“, murmelte Kevin vor sich hin. Dennoch oder gerade deswegen hatte er einen entschlossenen Gesichtsausdruck. Er packte den Geldbeutel, kickte seinen Schulranzen in das nächstbeste Gebüsch und nahm den Weg Richtung Waterloo Station. 7. Tuuli saß tatsächlich im Airbus nach Wien. Knapp war es noch geworden und bis zum letzten Moment war es unsicher gewesen, ob sie diese Reise tatsächlich antreten würde. Der blöde Taxler hatte es ihr doch tatsächlich noch auszureden versucht. „Hei kaunotar, mitäs ulkomailta etsit, ja vielä Itävallassa?“ Das war vielleicht ein Typ. Was bildete der sich bloß ein. Machte ihr schöne Augen, obwohl sie gerade auf dem Weg vom Unglück ins Glück war. Machte ihr ihre Träume fast kaputt mit seinen blöden Sprüchen. Machte ihr das Leben, das gerade so leicht geworden war, noch einmal unnötig schwer. Holte sie auf den Boden, wo sie doch gerade am Abheben war. Was für ein dummer Schwätzer! Dennoch bohrte die Unsicherheit weiter ein Loch nach dem anderen in ihre Euphorie, die langsam aber sicher zu entweichen begann. Beim Check-in war sie sich wieder absolut sicher gewesen, als man ihr bei der Sicherheitskontrolle das silberne Zippo ihrer ersten Liebe abnahm, wollte sie umkehren, wusste sie doch, dass sie das Angebot, es innerhalb eines Monats wieder hier abzuholen, nicht annehmen würde. Hätte sie es doch bloß in den Koffer getan und nicht ins Handgepäck. Aber genau dieses Ereignis gab ihr auch wieder den Mut, alles, wirklich alles hinter sich zu lassen. Beim Boarding fühlte sie sich wieder top und freute sich auf den Flug in die Freiheit. Jetzt knapp vor dem Abflug, in der Enge des Flugzeugrumpfes, holte sie eine innige Sehnsucht nach ihrem kleinen Apartment ein, das bis vor knapp zwei Stunden noch ihr Zuhause gewesen war. 8. Ich wollte eine dieser mir verordneten Pillen mit dem letzten Rest meines x-ten Biers runterspülen. Aber dazu musste ich das Ding auf sicherem Weg mit der Hand aus dem Hosensack in den Mund befördern. Ich kriegte es zwischen Daumen und Zeigefinder meiner Rechten zu fassen, blieb aber mit irgendeinem anderen Finger am abgenähten Rand der Tasche hängen, worauf die Tablette wieder in deren Tiefen versank. Ich unternahm Versuch um Versuch. Es dauerte gefühlte Stunden bis ich die Pille endlich mit dem Mittelfinger auf die Handfläche presste und sie heil nach draußen brachte. Als ich die Finger löste fiel das verdammte Ding auf den Boden. Fred starrte immer noch regungslos ins Leere. Ich musste unter den Tisch, fragte sich bloß wie. Hinter mir drängten sich die Schnell-Bewegten, vor mir stand der Tisch, an dessen anderen Ende sich Fred festkrallte. Als ich mich gerade nach vorne neigte, vibrierte mein Handy in der linken Hosentasche. Einmal, dann war es wieder ruhig. Eine SMS. 9. Pille oder SMS, das ist die Frage. Da ich mein Nach-Vorne-Neigen nicht mehr stoppen konnte, wurde die Frage von den physikalischen Gesetzen des Lebens beantwortet. Ich landete etwas unsanft auf meinen Knien und da ich die Arme nicht rechtzeitig ausstrecken konnte, um mich auf den Händen abzustützen, fiel ich auch noch auf die Nase. Beingewirr. Das war das erste was ich da unten wahrnahm. Auch Stampfen erdröhnte. Rhythmisches Absatzgeklapper. Aussichtslos in dieser Situation jene Tablette zu finden, die mir entglitten war. Ich rappelte mich in Zeitlupe auf alle viere auf. Arschhöhe. Auch nicht besser. Wo war Fred? 10. Keine Nachricht aus Wien. Es war an der Zeit das kännykkä auszuschalten, der Steward warf ihr einen ernsten Blick zu, der sich durch ihr verunsichertes Hantieren an der OFF-Taste, in einem leichten Schmunzeln auflöste. Der Mann war hinter seiner dickrandigen Brille total bleich. Sie hatte das schon öfter beobachtet, dass das fliegende Personal zu einer unnatürlichen Hautfarbe neigte. Am schlimmsten hatte das einmal bei einer farbigen Stewardess der British Airways auf einem Flug nach London ausgesehen. Ein Traumberuf dürfte das dann doch keiner sein. Was ihre eigene Zukunft betraf, war ja auch alles offen. Sie hatte ihr Studium an der Universität Helsinki auf Eis gelegt, vor einem knappen Monat ihren Morgen- und Wochenendjob in einer Bäckerei am Mannerheimintie gekündigt und ihre Flucht vorbereitet. Was vor kurzem noch wie der Traum ihres Lebens ausgesehen hatte, fiel langsam auseinander. Sie war in eine doppelte Zwangslage geraten, indem sie einerseits versucht hatte, alle Brücken hinter sich abzubrechen, zugleich aber vor sich noch keine andere aufgebaut hatte. Der einzige Pfeiler dieser neuen Brücke hatte sich seit Tagen nicht mehr bei ihr gemeldet. Genaugenommen wusste sie nicht einmal, wo sie diese erste Nacht in Wien verbringen sollte. Sie löste ihren Gurt und sprang auf. Nach einer kurzen Phase der Orientierungslosigkeit beschloss sie nach hinten zu laufen. Plötzlich schaute sie in ein blass-graues Gesicht mit einer dickrandigen Brille. „Anteeksi rouva voinko auttaa?“ „Mun täytyy päästä täältä ulos!“, schrie Tuuli. Der Graugesichtige versuchte sie sanft aber bestimmt zu ihrem Platz zu begleiten. Da sie sich mit Händen und Füßen wehrte entstand für die interessierten Zuschauer so etwas wie eine Rangelei. Sie konnte nicht im Flieger bleiben, sie hatte keinen Cent für einen Retourflug. Panik überkam sie, aber gegen diesen Steward hatte sie nicht den Funken einer Chance. „Isäni kuoli“, brüllte sie und brach in Tränen aus. 11. Portsmouth war sicher nicht die Welt, aber möglicherweise das Tor zu ihr. Jedenfalls besser als alles andere hier in dieser verdammten Großstadt, von der er die Schnauze gestrichen voll hatte. Er konnte dort sicher Arbeit auf einem Schiff finden und so auf die eine oder andere Weise seinen Eroberungszug in der Welt beginnen. Also nichts wie auf zum nächsten Ticketautomaten. Abfahrt um 9 Uhr, Fahrzeit knapp eineinhalb Stunden. So schnell konnte das gehen. Sollen die alle mal sehen, was er, der Versager so alles drauf hatte. „Yeahhhhhhh!“ Kevin drehte einer seiner Pirouetten und setzte abschließend zu einem Sprung an, der ihn zur nächsten ticketmachine befördern sollte. Obwohl er alle möglichen Tasten gedrückt hatte, musste er feststellen, dass der billigste Trip erst ab 17,19 Pfund zu haben war, da fehlten ihm doch glatt noch 10. Das würde er auch noch hinkriegen. Wenn er sich an seinen Vater erinnerte, hatte der auch immer jede Menge Ideen, um schnell an Kohle zu kommen. Und ihm wollte er um nichts nachstehen. Läppische 10 Pfund konnten ihn keinesfalls von seinem Plan abbringen. Kevins Gehirn arbeitete und seine Augen funkelten. Mit einem weiteren „Yeahhhhhhh“ und einer neuerlichen Pirouette sprang er zum nächsten Zeitungskiosk. 12. Die beiden waren erstmal versorgt, der dritte hoffentlich auch. Ute schlenderte am Fluss entlang. Das hatte sie immer schon machen wollen, ganz alleine und ohne schreiendes Pack, das sich entweder an ihr festkrallte oder das so weit davonlief, dass sie Angst haben musste, dass eines von ihnen im nächstbesten Moment in den Fluss fiel und ertrank. Ihr fiel ein Erlebnis aus der Kindheit ein: Ihre Großmutter, die einen kleinen mittlerweile verkauften Bauernhof im Umland der Stadt besessen hatte, ertränkte gerade drei kleine Katzenbabys in der Regentonne als sie zufällig dazukam. Kein Wort fiel zu diesem Ereignis, weder in diesem Moment noch in den vielen Jahren danach, in denen sie ihre Oma immer wieder besucht hatte. Auch sie bewahrte dieses Erlebnis als Geheimnis auf. Das Bild der mit den schreienden Katzen ringenden Oma hatte sich jedoch tief in ihrer Seele eingebrannt. Dann war der Deckel drauf und die Großmutter hatte Ute an der Hand genommen und sie ins Haus geführt. Dort hatte sie eine Extraportion Kakao bekommen und die Oma hatte sie lange und intensiv angeschaut und ihr immer wieder den Kopf gestreichelt. Ute machte kehrt und schlug den Weg in Richtung KITA ein. 13. Wenn du eines Tages erwachen würdest und keinen Körper mehr hättest, dann müsstest du nur lernen deinen Geist so zu bewegen, dass dir die ganze Welt, nein der ganze Himmel, noch besser die ganze Milchstraße oder the whole outer space gehört. Ich saß plötzlich wieder an meinem Platz am Tisch. Fred rülpste. Beitrag für "Dichter-Promenaden" der Grazer AutorInnen-Versammlung am 6.6.15 Es war einmal eine Zeit, in der machte die Porzeallangasse ihrem Namen alle Ehre. Von 1718-1864 befand sich hier die Wiener Porzellanmanufaktur des Claudius du Paquier. Wie wir im Vorbeigehen gesehen haben ist die Fabrik heute weit profaneren Gebäuden gewichen.
Aber damals vor knapp 300 Jahren da war was los in dieser Gassen, die bis 1778 noch Hauptgasse bzw. Landstraße geheißen hatte. Im Teil zwischen Berggasse und Bauernfeldplatz nannte man sie bis 1862 wegen der dort ansässigen Huf- und Wagenschmieden Schmiedgasse. Wie also konnte es soweit kommen, dass das Profane das Heilige dieser Gasse abgelöst hat? Das beruht auf einem großen Missverständnis, so wird erzählt: In den Aufstiegs- und Erfolgsjahren seiner Porzellanmanufaktur veranstaltete der Inhaber Claudius du Paquier alljährlich zur Sommersonnenwende ein großes Bahö. Er stellte die Ausschussware seiner Fabrik ab 15 Uhr mit der Auflage zur Verfügung, dass sie möglichst laut und ausdrucksstark zerschlagen würde. Jeder war eingeladen, sich an diesem Trara zu beteiligen. Es stand unter dem Motto: “Scherben bringen Glück”. Und so ließen es sich die Wienerinnen und Wiener nicht entgehen, einmal im Jahr dieses Glück durch die schallende Zerstörung des Porzellans des Herrn du Paquier zu beschwören. Das ging auch einige Jahre gut und alle hatten eine Riesen-Hetz. Aber die Zeiten ändern sich und mit ihr auch die Stimmung der Menschen, denen die Freude an der Volksbelustigung verging, spätestens als Napoleon kam und den Kaiser aus dem Schloss Schönbrunn jagte. Da machte sich erstmals die Kunde breit, dass der Spruch von den Scherben eigentlich anders gemeint war. Seine ursprüngliche Bedeutung habe darauf hinweisen wollen, dass die Scherben - wie gebrannte Tongefäße einst geheißen wurden -, wenn sie prall mit Lebensmitteln gefüllt waren, ein richtiger Segen waren. Die durfte man keineswegs zerstören, sonst war mit ihnen auch ihr Inhalt dahin, hin. Und es entstand das geflügelte Wort vom zerschlagenen Porzellan, dass wir auch heute noch verwenden, wenn jemand Unheil anrichtet. Es folgte eine Friedenszeit, in der die Manufactur das alte Brauchtum wider besseren Wissens neuerlich aufzunehmen pflegte. Als der Kaiser Franz Josef ahnte, dass diese lange Friedenszeit zu Ende gehen würde, soll er sich - so wird gemunkelt - , intensiv darum bemüht haben, in Böhmen billiger produzieren zu lassen, so dass die Porzellanmanufaktur 1864 endgültig geschlossen werden musste. Er wollte mit dieser Maßnahme verhinder, in ähnliche Schwierigkeiten wie sein Namensvetter zu kommen. Die Geschichte aber lehrt uns anderes. Es folgten unruhige Zeiten, die ein halbes Jahrhundert später im ersten großen Weltkrieg endeten. Der Kaiser überlebte nicht, aber dafür die Suche nach dem Glück, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Und so haben sich noch bis vor kurzem, hier im Cafe Porzellan, die alten Damen und Herren bei Kaffee oder Bier nicht nur den neuesten Tratsch und Klatsch gewidmet sondern auch das eine oder andere Spiel am Automaten gewagt. Aber auch damit ist es nun endgültig vorbei, selbst das kleine Glück ist hier in Wien mittlerweile verboten und da dasselbe bekanntlich a Vogerl is, hat es sich sicher anderswo niedergelassen. Vielleicht tät sich’s lohnen danach außerhalb Wiens zu suchen, wer weiß? Beitrag für "Dichter-Promenaden" der Grazer AutorInnen-Versammlung am 6.6.15 Der große Franz Josef war einmal der kleine Franzi und auch der uns bekannte alte Kaiser war einmal ein junger Bub. So wie dieses Gebäude da auch schon andere, ich sage, bessere Zeiten gesehn hat. Oder, was meinen Sie?
Das Leben eines kleinen Jungen, der einmal Kaiser werden sollte, muss doch traumhaft sein, denken sich viele. Aber, wir Kenner der Welt, wir ahnen nicht nur, wir wissen, dass Träume auch Alpträume werden können. Auch wenn einem zuviel Aufmerksamkeit zu Teil wird, kann das auf eine solche Weise ausarten. So wurde der kleine Franz ob seiner besonderen Stellung schon bald von seiner nächsten Umgebung “Gottheiterl” gerufen. Und der Franzi zahlte mit gleicher Münze zurück und sagte seiner Kinderfrau, der Aja, eines Tages in seiner uendlichen Liebe: “Wenn du einmal stirbst, lass ich dich ausstopfen!” Schon bald war’s vorbei mit der liebevollen Fürsorge der Baronin Sturmfeder, die ihn im Auftrag seiner Mutter Sophie gehegt und gepflegt hatte. Dem Franzi wurde mit Heinrich Franz Graf Bombelles ein Ajo zur Seite gestellt. Nun standen die Vermittlung von Pflichtgefühl, Religiosität und dynastischem Bewusstsein am Tagesplan, den seine Mutter Sophie und Staatskanzler Metternich zusammengestellt hatten. Neben dem Erwerb aller Sprachen der Monarchie sowie des Lateinischen und des Altgriechischen lag der Schwerpunkt auf Schwimmen, Fechten, Reiten und Tanzen sowie dem Erlernen militärisch-strategischer Grundkenntnisse. Mit 7 war er dadurch bereits 32 Wochenstunden im Einsatz. Als er neun war, der kleine Franz, hatte er einmal so genug von den Anweisungen seines Ajo, dass er einfach davon lief. Da flogen die Türen im Schloß Schönbrunn und als der Ajo beichten musste, dass er zukünftige Kaiser von Österreich und König von Ungarn entlaufen war, flogen die Fetzen. Franz hatte seine höfische Kleidung abgelegt und rannte in Hemd und Hosen einfach den Fluss entlang. Als ihm die Schuhe zu eng wurden ließ er auch sie liegen und rannte in Strümpfen weiter, als diese löchrig wurden, setzte er seine Flucht barfuß fort. Alle, denen er begegnete, wunderten sich über den laufenden Jungen, keiner aber kam auf die Idee, dass sie den Kaiserspross vor sich hatten. Er lief und ging und lief wieder und ging wieder bis der Fluss in einen größeren mündete. Dort angekommen verschnaufte er ein wenig, sah dem regen Treiben der Schiffe und Boote zu und bekam unendliches Fernweh. Wenig später ging’s weiter, diesen großen Fluß entlang. Dann aber nach gut zwei Stunden Wegs wurde der Franzi erstmals müde. Irgendwie ging ihm die Kraft aus und er bekam schreckliches Heimweh. Seine Füße schmerzten, sie waren nicht nur schmutzig sondern bluteten auch an der einen und der anderen Stelle. In diesem Moment wollte er nichts lieber tun, als laut nach seiner Mama rufen. Aber er wusste einerseits sich zu benehmen - was ihm eingetrichtert worden war - und andererseits um die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens. Was er nicht wusste war, wo genau er sich nun befand. Er blickte also hilflos um sich. Und da tat sich ein wunderbarer Garten vor ihm auf, sehr viel kleiner zwar als der ihm gewohnte Schloßgarten, aber er erinnerte ihn an diesen. So rannte er obgleich ganz außer Atem drauflos und sank unter einem Baum im Garten nieder. Das Heimweh ließ nicht nach. Er weinte und schluchzte und dann betete zum Herrgott inständig um Rettung wie man es ihn gelehrt hatte. Er versprach dem Allmächtigen im Fall seines Entsatzes von nun an ein treuer, braver Diener seines Herren zu sein. Darüber fiel er in einen tiefen Schlaf, aus dem er unsanft mit Fußtritten geweckt wurde. Er hatte alle Hände und Füße voll zu tun, um dem Diener des Hauses Althan-Phouton seine Abstammung zu erklären. Aber erst als er in allen ihm bekannten Sprachen inklusive des Französichen zu schimpfen begann, schickte der Diener einen Boten ins Kaiserhaus. Und kurze Zeit später war Franzi wieder im Schloß zurück und in den Armen seiner strengen Mutter, die diesmal herzlich froh schien. Diese aber wusste zu verhindern, dass er in diesem Zustand dem Vater unter die Augen treten musste. So gingen die Jahre ins Land, aus dem Franzi wurde der Erzherzog Franz, aus dem 9-jährigen ein 13-jähriger der an seinem Geburtstag zum Obersten des Dragonerregiments Nr. 3 ernannt wurde. Er stellte sich fortan wie dem Herrgott versprochen treu seiner weiteren Dressur zum Herrscher und Diener seines Landes. Mit 18 wurde aus dem Erzherzog Franz der Kaiser Franz Joseph. Joseph deswegen weil man die Bevölkerung an den großen Kaiser Josef II. erinnern wollte. Erst 30 Jahre nach seinem Ausbruch aus den kaiserlichen Verhältnissen war er seines Lebens abermals überdrüssig. Ja, auch im 19. Jahrhundert gab es schon die Midlife-Crisis und auch kaiserliche Hoheiten waren davor nicht gefeit. Kaiser Franz Josef war inzwischen unglücklich verheiratet, Vater von 4 Kindern, hatte sich in den Schlachten von Solferino und Magenta und im Krieg gegen die Preußen als schlechter Feldherr erwiesen und war zum Apostolischen König von Ungarn gekrönt worden. Er hatte dieses Leben satt. Das Fernweh des Neunjährigen keimte auf. Sein Blick auf die Schiffe am Donaukanal, bei dem er es so starkes Sehnen empfunden hatte, hatte sich tief in sein Inneres eingebrannt. Das schlechte Gewissen plagte ihn zwar immer wieder ob dieser Gedanken, aber er fasste einen Entschluss. Er wollte fliehen. Das war aber nicht mehr ganz so einfach wie dreißig Jahre zuvor, als Türen und Fetzen flogen im Schloss Schönbrunn. So heckte er einen geheimne Plan aus. Er wollte ans Meer und dann weiter übers Meer, weit, weit fort nach Südamerika. Da die Bahnlinie, die ihm zu Ehren von Pilsen nach Budweis errichtet wurde, um Böhmen mit Triest zu verbinden vor kurzem bis nach Eggenberg im Waldviertel verlängert worden war, beauftragte er die Beschleunigung der Arbeiten für den Weiterbau nach Wien. Aber der Bahnhofsbau verzögerte sich durch einen Streit zwischen der Gemeinde Wien und der Betreibergesellschaft. Der Kaiser erinnerte sich seiner schlechten Behandlung im Palais Althan-Phouton und mischte sich in den Konflikt ein, in dem er den Streithanseln das Areal des Palais für den Bahnhofsbau anbot. Schon wenig später wurden die Besitzer enteignet und das Palais geschliffen. 3 Jahre später stand dort der Franz Josefsbahnhof, das Tor in die Freiheit für den Kaiser. Warum er dann doch nie geflohen ist und seiner Sehnsucht nachgegebne hat, wollen Sie wissen? Darüber ist nichts verzeichnet und somit Spekulationen Tür und Tor geöffnet. War’s sein einst dem Herrgott gegebenes Versprechen, das ihn davon abhielt, waren’s seine von seiner Gattin Sisi ob ihrer Befreiung eingefädelten Liebschaften, die ihn im Kaiserreich hielten oder bloß seine erlahmenden Kräfte und wachsenden Depressionen ... Wir werden es nie wissen, aber wir wissen ein’s: dass er noch viel zu ertragen hatte und viele mit ihm viel zu ertragen hatten, ehe er am 21. November 1916 im Schloß Schönbrunn das Zeitliche segnete. Wer ich bin
Wer ich war Wer ich geworden Werde ich wissen (wird man wissen) Wenn ich gewesen sein werde dem leben die asche
der liebe den phoenix mir eine chance durch deine kraft (für reetta, 18.8.14) Windstoß des Schicksals
- bloß Unaufmerksamkeit - zerstörte was ich in all den Jahren schuf und was mir unverwüstlich schien. Soll ich mit einem neuen Blatt noch einmal ganz von vorn beginnen? Ich könnte, wollte ich. Mein Beitrag für den FM4-Wortlaut 2014 dedicated to Michael Glawogger
Es begab sich in jenen Tagen da eine lachsrosa Tageszeitung, die deren sie verschlingende Bobos aufs Äußerste goutierten, in der Chronik „Haarige Schnitzel mit Schimmelpilzen“ titelte. Ein Aufschrei ging durch das Land, zumindest durch das Achtel im Osten und dort zumindest durch das Lager der fernreisedurstigen daheimgebliebenen Neubauer. Aber man glaubte es kaum, jener Artikel schlug so hohe Wellen wie sie die Malediven nur bei Tsunamis gesehen haben. Und schon bald erklang ein Ruf durchs ganze Land, in dessen Süden die Sonne schon vor geraumer Zeit vom Himmel gefallen war und dunkler Smog seither nicht nur dort den einst blauen und dann orangen Horizont schmierig überzog. Der Ruf gemahnte an andere, längst verflossene, aber nie vergessene und schon gar nicht vergangenheitsbewältige Zeiten: „Hol' uns hier raus!“ Ja, es gab viele, hatte viele gegeben, in dieser Insel von einem Land, die im Lauf einer mehr als tausendjährigen Geschichte diesem Ruf zu folgen vorgegeben hatten: wer erinnert sich nicht an die Großen aus Babenberg (die vielen namentlich nur mehr durch die samstagnächtlichen Tanz-Events in der gleichnamigen Passage am Ring bekannt waren); und jene von und zu Habsburg, die unsere Ahnen aus den engen, muffigen Stuben des Landes in die große weite Welt geführt hatten, bewaffnet und voller Zuversicht zum auserwählten Volk der künftigen Weltenherrscher zu gehören. Doch es bluteten nicht nur die Nasen, vielmehr floss das Blut aus allen Körperöffnungen und so mancher Skalp lag haarig im Staub. Aber nach dem furchtbaren Gemetzel bluteten auch jene, die besaßen. Sie, die Kriegsgewinnler, mussten sich von allem trennen und schworen Rache. Gemeinsam mit denen, die immer schon Dreck gefressen hatten, verschworen sie sich. Ja, sie schworen sich auf einen kleinen Braunen ein, einen Deutschen, der zufällig in Österreich geboren worden war und für den es vorerst hier zu nichts gereicht hatte. Aber das Schicksal war gnädig und so öffneten ihm die Verschworenen Tür und Tor. Er durfte ohne Widerstand passieren. Nach einer die massenhaft vereinfachten Gemüter des Volkes begeisternden Rede am Platz jener Helden, vornehmlich derer aus Habsburg, durfte er uns verteidigen und endlich zurückschießen. „Denn auf uns wurde mehr als genug geschissen in den Jahren davor.“ Er sollte der letzte gewesen sein für viele Jahrzehnte, ehe im Land ein neuer Stern, nein jene neue Sonne aufging, die nicht nur im Süden viel von sich reden machte, namentlich mit einer ordentlichen Beschäftigungspolitik für das Heer derer, die der Staat verwahrlosen hatte lassen. „Hol uns hier raus!“ „Lieb' Vaterland, magst ruhig sein, der Wächter steht am Inn!“ Oder doch bloß an jener Furt an der Glan?“ Er hörte den Ruf. Er kam. Niemand wusste woher. Er kam an jenem Tag, da der Tagesspiegel in Berlin von einem Ereignis berichtete, das sich kurz davor im Naturkundemuseum in Potsdam abgespielt hatte. Der Museumskäfer war aktiv geworden. Besser gesagt seine Larve, eine Raupe. „Haarig und hungrig“ fraß sie sich durch das gesamte Museum, köpfte Hornissen, fraß Eichhörnchenfelle und Flamingofüße. Er kam von Norden her, jedenfalls über Deutschland. Von noch weiter nördlich, meinten Experten. Wenn der Tod schon ein Meister aus Deutschland ist, kann denn von dort auch Gutes kommen? Was zu bezweifeln war … Anfangs war er nur wenigen bekannt und zwar jenen, die den Autostopper kurz nach der Grenze aufgabelten und nach Linz mitnahmen. In Linz beginnt‘s – eine gar nicht so alte Weisheit aus einem nun schon wieder vergangenen als tausendjährig geplanten Reich. Aber warum alle Hoffnung fahren lassen? Er ließ sich am Platz vor dem alten Dom absetzen. Das, was von ihm in Erinnerung blieb, waren seine gelockten tiefblonden Haare und sein klarer, blauer Blick. „Wär' ich von Haar ich würd' mich locken.“ Harry, seit seinem dritten Lebensjahr vollends erblondet, pflegte das, was ihn ausmachte. Und wie es ihn ausmachte. Er sprach nicht viel, doch kaum einer, geschweige denn eine, konnte an ihm vorbeigehen ohne stehen zu bleiben, meist mit offenem Mund oder hängenden Lippen, die schon lange nach etwas hungerten, vornehmlich nach einem wie ihm. Viele wollten Haar sein, er war es. Seine Präsenz hatte etwas Gegenwärtiges, ja auch etwas Heilsames. Jeder, der ihm begegnete, begann zu wünschen, auch die, die ihr Leben schon längst dem wunschlosen Unglück preisgegeben hatten. Es war fast wie zur Kinderzeit als man die Tage bis zur Weihnacht zählte und Wunder in der punschgeschwängerten Luft lagen. Kaum war er einem ein wenig vertraut, war er auch schon wieder verschwunden. Dennoch ereignete sich so manch Wundervolles. So löste er eine komplizierte Beziehung in Schärding am Inn in Wohlgefallen auf, beide gingen ihrer Wege ohne aneinander Rache zu nehmen. Oder er ließ in Bischofshofen einen Schüler so auf die Bahngleise laufen, dass er rechtzeitig stolperte und der Zug donnernd an ihm vorbeifuhr, während er so da lag, aber nicht über ihn drüber. Statt in Stücken geborgen werden zu müssen, lief der Schüler im Schock zum nächsten Arzt, wo eine Bänderzerrung im Knie diagnostiziert und entsprechend behandelt wurde. Von nun an hatte der Bursche die Einser auch ohne die Hiebe seines Vaters gepachtet. Ebenso blieb durch ihn unentdeckt, dass ein Krankenpfleger den Wunsch der todkranken Hermine aus Hainburg an der Donau erfüllte und sie in überdosiertem Morphiumrausch ein happy end finden konnte. Auch blühten im Dezember die Primeln auf der Wiese hinter dem Schloss von Totzenbach. Noch vieles nahm durch ihn, in und nach seinem Beisein, einen anderen Lauf, obwohl es zuerst prekär, heikel, fatal, beängstigend, beunruhigend, verfänglich oder brenzlig, also ganz einfach haarig schien. In den Medien fand vorerst nur eine seiner Taten Niederschlag, wiewohl sie dort nicht mit ihm in Verbindung gebracht wurde. Ein wenig strammer Max aus Tirol hatte Zweifel am Wehrdienst. Da sein aber sehr wohl strammer Vater, Unteroffizier im Heer, durch seine ebenso strammen Leistungen schon vor der Zeit den für ihn höchstmöglichen Dienstrang erklommen hatte und sich Seargent (zu deutsch: Vizeleutnant) rufen ließ, hatte Max noch größere Zweifel, ein Zivi zu werden. Er trat seinen Dienst an. Vor der ersten Waffenübung aber desertierte er. Desertion war auch in kriegslosen Zeiten wie diesen ein schwerwiegender Tatbestand nach dem Militärstrafgesetz. Es drohte Haft zwischen sechs und sechzig Monaten. Sein Vater tobte, was Max allerdings weniger betraf als die Mutter, die ihre Schläge für den durch ihre Erziehung Missratenen kassierte. Ferner setzte der Vater sich für eine ausgeprägte Suchaktion seitens der Militärpolizei ein und versuchte die Gerichtsbarkeit zu beeinflussen, keine Milde walten zu lassen. Max begegnete Harry auf der Flucht vom Inn zur Etsch. Harry riet Max sich zu stellen, denn der zweite Absatz des Paragraphen neun MilStG (sprich: Mil-Es-Te-Ge) stellte Gnade in Aussicht. Und so geschah es. Maxens strammer Vater erlitt eine empfindliche Niederlage. Der in diesem Fall um nichts weniger stramme Sohn, der sich erstmals für seine Rechte und seine Bedürfnisse, also für sich selbst einsetzte, wurde begnadigt, die Strafe wegen unerlaubter Abwesenheit nur bedingt ausgesprochen. Ferner wurde er – zwar unehrenhaft (aber was bedeutet schon Ehre in unseren treulosen Zeiten) – aus dem Militärdienst entlassen. Er trat seinen Wehrersatzdienst an einem Pflegeheim der Innsbrucker Caritas an. Harry und Max waren von nun an beste Freunde. Sie saßen oft zusammen in den Szenelokalen der Innsbrucker Innenstadt und brüteten über Plänen für eine sonnigere Zukunft. Nicht null-achtfünfzehn sollte die sein – wie ein drittes Reich sie propagiert hatte, nein, sie sollte das ganze Land erfassen und zu dem machen, was ihm schon lange zustand: ein unzählbares Reich einer niemals mehr untergehenden Sonne. Hairy and strong. “No more listening the new told lies.” “No more wearing smells from labaratories.” “No more facing a dying nation of moving paper fantasy.” Und schon gar nicht: “Walking proudly in our winter coats.” „No more …” Vielmehr: „Life is around and in you!“ Yes! Von da an kam Bewegung in die Lande. Einige wenige als zuerst noch Gutmenschen titulierte fanden sich. Sie trieben es bunt und fantasierten without drugs but in fever. Doch die Bewegten bewegten. Sie gewannen vor allem Künstler für Ihre Pläne, es bildeten sich Aktionskomitees und alles lief auf einen großen Marsch auf die Hauptstadt hinaus. Wien wollte erobert werden und damit das Zentrum des Landes. Dort musste der Umsturz seinen Anfang nehmen. Man plante ein großes Open Air Konzert am Heldenplatz mit Ansprachen der Protagonisten der Bewegung, ein Lichtermeer der Hoffenden und Glaubenden, ein Lichtermeer der Entnebler und Entkalker, ein Lichtermeer der Lichtbringer und Lichtblicker. Während der Vorarbeiten formierte sich an der einen oder anderen Stelle im Land die Opposition der Enthaarten. Gefunden hatten die sich über ein Online-Forum des deutschen Wochenblattes Spiegel unter dem Titel „Wir machen uns mal frei – Haarige Fragen.“ Dort hatten sie sich zuerst bloß über Intimrasur und die schmerzloseste Form der Enthaarung aller möglicher und unmöglicher Körperstellen ausgetauscht. Dann aber kam die Sprache zunehmend auf die schmerzvollen Ereignisse im Nachbarland, aus dem sich dann auch immer mehr Poster an der Diskussion beteiligten. Ihr Schlachtruf lautete bald wie der Titel des Forums. Den Untertitel allerdings veränderten sie in „- von diesen haarigen Affen“. Doch der Widerstand kam in der blond-geblendeten Öffentlichkeit nie richtig an. Selbst die Natürlichsten unter den politisch Bewegten wurden innert Wochen ein weiteres Mal unterwandert. Zuerst war es die vatikanische Kirche des Landes gewesen. Diese hatte mit ihrer Mordsmentalität bereits andere Kaliber dahingerafft. Zu Beginn den gekreuzigten Heiland, in der Mitte die Ungläubigen aus dem Morgenland und am Ende die reifende Persönlichkeit. Nun schafften Harry und die Haarigen dieses Kunststück mit ganz anderen Mitteln aber ebensolcher Wirkung. Obwohl die Natürlichen zuerst mit den Enthaarten sympathisiert hatten, liefen sie in Scharen zu Harry und den Seinen über. Da war es um die Gegenwehr endgültig geschehen. Die Vorbereitungen auf den größten Event des Jahres waren schnell weit gediehen. Die Bühne sollte unter jenem geschichtsträchtigen Balkon der Neuen Burg Platz greifen – und sie griff. Als der Abend des besagten Tages kam, waren Max und Harry voller Euphorie, sie hatten Menschen aller Schichten, Klassen und Rassen in Bewegung gesetzt, sie mussten damit rechnen, dass der Platz des Platzes niemals reichen würde – und sie hatten in ihrer bis dahin gewachsenen Allmächtigkeit schon mal vorweg den Durchbruch verkündet. Den Durchbruch der Sonne. Nachdem die Massen von den Rhythmen der Musik und der Reden richtig heiß und ergriffen worden waren – schon seit 75 Jahren hatte es hier keine solche Bombenstimmung mehr gegeben -, betrat Harry jenen Balkon den vor vielen Jahrzehnten ein noch größerer Führer kleiner als er erklommen hatte und öffnete seine Lippen, an denen alle schon minutenlang hingen. Er hob an zu sprechen und die Worte, die seinen Stimmbändern entsprangen, erfüllten die Herzen der Hörenden mit so viel Freude, mit Jauchzen und Jubilieren wie sie die Welt schon lange nicht mehr ergriffen hatten. Es tönte kräftig und unüberhörbar: „Let the sun shine in“. Es war kaum zu begreifen. Jene, die wirklich guten Willens waren, konnten den ersten, winzigen, vereinzelten Sonnenstrahl sich durch die durch Jahre verdichtete Smogschicht Bahn brechen sehen, ein wenig dergestalt wie eines dieser Haare auf Harrys Kopf. In einer Wohnung, die in einem Haus nahe des Platzes lag, sprach Frau Zittel, die Wirtschafterin des verstorbenen Professor Schuster, zu Herta, dem Hausmädchen: „Frau Zittel Frau Zittel schrie er und lief ans Fenster. Sehen Sie den Heldenplatz, den ganzen Tag hört sie das Schreien vom Heldenplatz, den ganzen Tag, fortwährend fortwährend fortwährend Frau Zittel, das ist zum Verrücktwerden zum Verrücktwerden ist das Frau Zittel ich werd noch verrückt davon verrückt davon.“ Und wenig später: „Ich kann doch die Wohnung nicht aufgeben nur weil du dieses Geschrei vom Heldenplatz hörst.“ Und noch ein wenig später: „Das hieße ja, dass mich dieser Hitler zum zweitenmal aus meiner Wohnung verjagt.“ In diesem Moment verklangen plötzlich die Freude, das Jauchzen und Jubilieren im erschrockenen Schweigen der Massen, denen soeben erneut die Erlösung vorenthalten worden war. Der Himmel blieb dunkel. Es folgten die nächsten dark ages. Und sie dauern noch an. Keiner weiß davon zu berichten. Mein Beitrag zur Übersetziade 2013
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