Der Heringschmaus. Ein Aschermittwoch. Gebranntes Kind. Wollte ich nicht? Oder sollte ich nicht? Meine Träume von der Enge bis heute. Enge Höhlen, Enge Gassen. Enge Flugzeuge. Enge Zeiten. Meine Reaktionen, wenn ich mich in die Enge getrieben fühle: totstellen oder davonlaufen oder die Panikattacken.
Durchgehen scheint immer noch vermeidbar. Unmöglich. Ich musste doch. Aber es war keineswegs ein Highlight, das Licht der Welt zu erblicken. Ich legte mir gleich die Schlinge um den Hals. Exit schon vor dem Ankommen. Das Paradies nicht verlieren wollen, es dennoch verlieren müssen. Scheinbar. Denn was war da vor meinem In-Coming? Die Depression meiner Mutter. Der beginnende Alkoholismus meines Vaters. Unberechenbar. Kein gemachtes Nest. Überleben. Und der Heringschmaus, den ich meiner Mutter versaut habe. Und der Aschermittwoch, mit dem ich mich beladen habe. Beladen wurde? Eine lebenslange Last. Buße tun, die Schuld der Welt auf mich nehmen, Zum Sündenbock werden. Nicht nur einmal im Jahr in die Wüste geschickt werden, sondern immer und immer wieder. Verantwortlich gemacht werden, weil ich mich für alles und jedes verantwortlich fühle. In jeder Begegnung erzählen mir die Menschen ihr Leben, laden es mir auf. Der Obdachlose am Bahnhof, die Kollegin im Betrieb, der junge Mann bei meiner Lesung. Überladen. Überladung. Ich bin auf 180 – seit meiner Geburt. Der Druck enorm, Die Gegenwehr enormer. Die Chance, nicht geboren zu werden, zwar da, der Versuch gescheitert. Ich bin da. Physisch gesund. Die Seele aber leidet seither. Ich werde zum Menschenversteher, zum Seelsorger. Wer Seelsorger ist, sollte nicht unbesorgt sein über die eigene Seele. Wie aber geht das? Ich kämpfe mich von Geburt zu Geburt. Erlebe diesen Moment immer und immer wieder. Fluch oder Segen? Mal Fluch und mal Segen. Und ich lerne mein Geburtsmal zu tragen. Und ich lerne zu leben. Leben! Erstveröffentlichung am 30.10.2018 in WEGE - Das Magazin zum Leben, https://www.wege.at/wp-content/uploads/Menschenwege-3.18.pdf
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