für meine Liebste, meine Frau Reetta zum 10. Hochzeitstag am 18.8.2020 Weißt du noch damals, als wir noch nicht verheiratet waren, unsere Hochzeit aber längst geplant war, weißt du noch damals, als du mir in dieser mehr als beschissenen Zeit diesen Kugelschreiber geschenkt hast, damals, als ich meinen Dienst angetreten habe, antreten musste, meine Existenz, unsere Existenz abzusichern, meinen Dienst angetreten habe in den Mühlen des Arbeitsmarktservices, in jenem von diesem beauftragten Unternehmen, das zwei Maturakollegen Jahre zuvor in die Welt gesetzt hatten, um damit öffentliches Geld zu machen, als ich mich erniedrigt erheben wollte, um ein neues Leben zu beginnen?
Dieser Kugelschreiber, der heute, zehn Jahre später aus meiner vor kurzem erworbenen Schaffnertasche ragt, die nun alles Wichtige beherbergt, was ich früher in den Hosentaschen getragen habe, die Schlüssel, den Identitätsnachweis, Bargeld und Karten, mein Ideenheft, mein Taschenmesser, mein Mobiltelefon, den Spanngummi zum Befestigen meines kleinen Koffers an einem meiner beiden Fahrräder, in dem mein Laptop, mein Mittagessen, meine kabellosen Kopfhörer, mein Kalender, meine Erwerbsarbeitsunterlagen und die zur Wasserflasche umfunktionierte Ex-Bügel-Bierflasche Platz finden, dieser Kugelschreiber, der mir mit seiner silbernen Hälfte immer wieder zublinzelt, Licht und Schatten der am Zugfester vorbeifliegenden Landschaft reflektierend, dessen dunkle Seite, die schwarze, verborgen ist in den Tiefen des Außenfachs jener Tasche, dieser Kugelschreiber, den du mir damals in deiner Liebe geschenkt hast, die Liebe, die heute noch bei jedem Strich, den er in meinem Auftrag schreibt, aus ihm herausfließt, zieht mich in seiner zeitlosen Schönheit immer noch in seinem Bann. Er ist mir so kostbar, weil er in all seiner ihm innewohnenden Liebe, deiner Liebe, alles erfahren, erlitten, erduldet, erfasst hat, was mich in all diesen Jahren ausgemacht hat, mein Beichtvater gleichsam, er schrieb es nieder und nieder, wieder und wieder, das Intime, das zu Veröffentlichende, das Leben und alle, die darin eine Rolle gespielt haben. Das neue Leben ist längst alt geworden, er aber strahlt immer noch. Unsere Liebe hat ihre Höhen und Tiefen erlebt, wir gingen durch alle sieben Himmel und die eine oder andere abgrundtiefe Hölle, er, der Zeuge aber strahlt immer noch. Unsere Leben haben uns da und dort herausgefordert, überfordert, an den Rand unserer Abgründe geführt, in denen wir zu Grunde gehen mussten, um auf unseren Grund zu kommen, unsere Gründe, auf denen wir unser Lebensfundament bauen konnten, eines, das wirklich trägt – und er strahlt immer noch. Und nur, wer sich wirklich Zeit für einen genauen Blick auf ihn nimmt, wird den einen oder anderen Kratzer erkennen, die eine oder andere matte Stelle wahrnehmen, Spuren, die sich bei uns in der einen oder anderen Falte oder diesem oder jenem Schatten unter den Augen zeigen – an Tagen, an denen die Erschöpfung sich breiter macht als sonst. Das neue Leben ist längst alt geworden, unsere Liebe nicht. Unter all dem Ballast eines Lebens, das keinesfalls alltäglich ist, sondern immer abenteuerlich und all unsere Kräfte fordernd, strahlt sie oft unbemerkt wie ein kostbares Schmuckstück, das auf den Meeresgrund gesunken ist – unbemerkt auch von uns . Doch es lohnt sich wirklich, sie immer wieder aufzuspüren, sich ihr zuzuwenden, ihr Glitzern, ihr Funkeln, ihr Strahlen in uns aufzunehmen und sie in uns und für uns zu beleben. Dein Kugelschreiber, der in all den Jahren mein Kugelschreiber geworden und dein Kugelschreiber geblieben ist, ist heute noch und wird immerdar das lebendige Zeichen deiner Liebe in meiner alltäglichen Gegenwart sein. Buchstäblich.
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Mein Beitrag zum Welt-Sommer-Fest des Weltladens Tulln unter dem Motto "Lebensfreude/Lebenslust" am 6.8.20 I Als Marie in dieser Morgenstunde an jenem Sonntag Haus und Hof, die ihr bislang Heimat gewesen waren, verließ, dachte sie in keinem Augenblick an die, die damit zurückgelassen wurden. Hätte sie auch nur einen einzigen, winzigen Gedanken zu jenen gerichtet, die bislang ihr Lebensinhalt gewesen waren, die bislang ihr Leben bestimmt hatten, sie wäre wohl auf der Stelle umgekehrt und hätte alle ihre Pläne verworfen. So aber ging sie entschiedenen Schrittes und bloß mit einer Reisetasche bepackt in Richtung Bahnstation. Das Dorf schlief noch, war es doch erst kurz vor 4 Uhr. Sie wollte mit dem ersten Zug dorthin gelangen, wohin ihr Sehnen schon seit Jugend an gerichtet war, in die große Stadt, die Freiheit und Selbstbestimmung und noch dazu jede Menge Abenteuer verhieß. Mit jedem Schritt, den sie fest und bestimmt auf den Asphalt der Hauptstraße setzte, brach eine Spange um ihr Herz – und es waren deren viele, die es im Lauf der fast drei Jahrzehnte ihres bisherigen Seins umfangen hatten. Sie hatte zugelassen, dass es Vater und Mutter und ihre Geschwister, später dann ihre Freundinnen und noch später ihre Jugendliebe – wenn man ihren nunmehrigen Ehemann Markus so nennen konnte -, die Schwiegereltern und zuletzt die Zwillinge einschnüren hatten können. Ja und dann waren da natürlich auch noch der Hof, den sie von ihren Eltern übernommen hatte, die Verpflichtungen in der Pfarrgemeinde und im Kirchenchor sowie ihr Einsatz für den Klimaschutz, den ihr der Bürgermeister nachtrug und von Anbeginn megaschwer zu machen suchte. Nun also ging sie, in jener Morgenstunde, ohne auch nur den Funken eines Gedankens an das Vergangene und die mit ihrem Aufbruch Vergangenen zu richten, Schritt um Schritt den Weg, den vor vielen Jahren schon ihre beste Freundin Lea gegangen war, sie ging den Weg, den ihren. II Lea hatte die Schnauze voll. Gerade hatte sie wieder so ein Typ begrapscht – Gerd oder Fred oder wie auch immer sich die Vertreter dieser seltsamen Spezies namens Mann bezeichneten - es hatte sie also einmal mehr jemand begrapscht, weil er meinte, eine wie sie wäre Freiwild, wäre der nächste Fang auf der Jagd nach Samstag-Sonntag-One-Night-Stands. Obwohl sie schon – wie jedes Wochenende wieder - einiges intus hatte, setzte sie sicher und bestimmt ein Bein vor das andere, ließ jenen Club, in dem sie seit fast einem Jahrzehnt so ziemlich jede Samstagnacht verbracht hatte, hinter sich, verließ auch dieses Leben, das ihr zuletzt von Mal zu Mal enger und nunmehr zu eng geworden war, wand sich auf Schritt und Tritt aus dieser selbstgenähten Haut aus Freiheitsdrang, Abenteuerlust und Scheiß-auf-den-öden-Alltag und nahm Kurs auf den Hauptbahnhof. Ihre Sehnsucht lag in einer Heimat, in ihrer Heimat, jenem Dorf, das sie am Tag ihrer Volljährigkeit verlassen hatte; allen hatte sie damals alles hingeschmissen, keiner hatte sie verstanden, nicht einmal ihre beste Freundin Marie. Sie hatte allen Anfechtungen durch Hinz und Kunz widerstanden, hatte mit keiner Wimper gezuckt, hatte ihren Rucksack gepackt und war schließlich grußlos verschwunden. „Nie wieder“, hatte sie gedacht, „Nie wieder P-Dorf!“ Doch nun sah sie an genau jenem Ort ihre Zukunft, beschwor die duftenden Sommerwiesen, in denen sie sich so gerne gewälzt hatte, beschwor die eiskalten Winterstürme, die ihre Backen rot gefärbt hatten, beschwor die gute vom Küchenofen gewärmte Stube, in der sie lesend so manches Herbstwochenende verbracht hatte, beschwor auch die Freude an der überbordenden Kraft der Natur, die jeden Frühling beherrschte und versprach sich, nie wieder in die Großstadt zurückzukehren. III Der Zug war pünktlich. Marie sah die Landstriche, die ihr lange vorgegaukelt hatten, ihr Zuhause zu sein, an sich vorbeiziehen, ließ mit jedem Kilometer, den der Schienenbus sich fortbewegte, Tage, Stunden, Jahre ihres bisherigen Daseins hinter sich und dachte an das Kommende. Sie erinnerte sich in diesem Abschiednehmen an ein Gedicht aus ihrer Schulzeit, das sie damals ziemlich nachdenklich zurückgelassen hatte. Ein paar Verszeilen kamen ihr wieder in den Sinn, von Abschied war da die Rede, von Schmerz, aber auch von Lebenslust: „ … dass die Welt so schön ist, tut mir bitter weh, wenn ich schlafen geh … meine Lust ist Leben, doch sein Will gescheh‘, dass ich schlafen geh …“ Sie hatte keine Ahnung mehr, von wem der Text stammte, sie wusste nur noch um ihre Gefühle, die ihr Herz schnürten, als der Lehrer die Verse vorgetragen hatte. Darüber hatte sie sich aber mit niemanden aus ihrer Klasse, auch nicht mit Lea zu reden getraut. Und nun waren diese Zeilen plötzlich nicht mehr mit jenen Empfindungen verbunden sondern ermutigten sie, ja drängten sie förmlich, genau dem zu folgen, was der Dichter aus ihrer Sicht mit seinen Worten auszudrücken suchte: dem Leben lustvoll zu begegnen und es so zu leben, dass das Sterben seinen Sinn hatte. IV Der nächste Zug fuhr schon in zehn Minuten ab. Lea hatte also Glück mit ihrem Aufbruch, das Ticket hatte sie am Automaten in der Bahnhofshalle gelöst, dem Weggang stand nichts mehr im Wege. Während der Zugfahrt dauerte es eine ganze Weile bis sich die Häuserreihen der Großstadt lichteten, doch dann wurde der Blick zusehends freier, die ersten Felder säumten die Gleise, von Zeit zu Zeit tauchten auch Wälder auf, die in ihr Erinnerungen weckten an ein Gedicht, das sie beeindruckt hatte. Ihr Lehrer hatte es in einer Deutsch-Stunde vorgetragen, es galt den Text zu analysieren und zu interpretieren, eine öde Arbeit. Aber nicht deshalb hatte sie einzelne Verse im Gedächtnis behalten, sondern weil in ihnen von der Lebenslust die Rede war. Die folgenden Zeilen waren ihr zum Mantra bis zu ihrem Ausbruch aus den Zwängen ihrer Herkunft geworden: „...ach wie lebt ich gern, dass die Welt so schön ist, dankt ich Gott, dem Herrn … wie man Kinder abends ernst zu Bette ruft, führt der Herr mich schweigend in die dunkle Gruft … meine Lust ist Leben …“ Ja, sie wollte unbedingt Leben, bevor der Herr sie in die dunkle Gruft führen würde. Dieser „Herr“ wurde ihr zum Feindbild, seinem Willen wollte sie entkommen und die Stadt bot ihr dafür den besten Hintergrund, denn dort galt Gott als tot. Und so erlebte sie es dann auch. Jetzt aber hatte sie genug von dieser Gottlosigkeit, sie wollte heimkehren, dorthin wo das Leben und mit ihm der Tod ihren wahren Sinn entfalten konnten. V Zug und Gegenzug begegnen einander fahrplanmäßig in H-Burg. Marie blickt gedankenverloren aus dem Fenster. Lea steht auf, um ihr Fenster zu öffnen. Marie richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Bewegung, die sie im gegenüberliegenden Schienenbus wahrnimmt. Lea schaut aus dem gerade von ihr geöffneten Fenster am Bahnsteig entlang, mehr unbewusst und in die Ferne. Da entdeckt Marie ein Gesicht, das ihr von Kindheit an bekannt ist, ihr Blick verweilt darauf. In dem Moment erkennt auch Lea die alte Freundin wieder. Noch ehe eine der beiden etwas sagen oder tun kann, setzen sich die Züge in Bewegung. Marie hebt ihre Hand hinter der Scheibe zu einem vorsichtigen Winken, Lea streckt ihren Arm aus dem Fenster, der anderen damit ein Zeichen gebend. Vorbei. Nur ein Moment. Doch in dem kurzen Blick, dem Augenblick, kommt eine Erinnerung hoch an einen längst vergangenen Moment, als beide Seite an Seite der Rezitation des Lehrers folgten: „ … meine Lust ist Leben ...“ Peter Rossegger |
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Februar 2021
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