Textauszug aus meinem Plädoyer für das Leben ... Der Morgen dämmert. Und auch ich dämmere seit Stunden vor mich hin. Mich schmerzen alle Glieder. Die Lider sind bleischwer. Ich will meine Augen nicht mehr öffnen und diese sterbende Welt um mich herum betrachten. Genug gesehen. Schon lange, lange her, dass ich mit der angeborenen Neugier dieses Kindes, das ich einmal war, durch dieses Leben gerannt bin, jeden Tag voll neuer Ideen und mit dem Enthusiasmus des Weltmeerseglers begonnen habe und mich Wind und Wetter trotzend auf das Sein eingelassen habe. Nun besteht mein Leben aus dem Bedauern des Vergangenen und aus der Furcht vor der Zukunft. Ich habe es verloren, ich habe mich verloren, gefangen in den Bildern meiner Seele und der von ihnen in diese Welt projizierten Kopien. Irgendwie habe ich es in dieser letzten Stunde dann doch geschafft, mich hier in dieses Cafe zu retten. Bewegung statt Stillstand, Lachen, Leben … das Paradoxon eines Alltags in dieser Welt der sich selbst Entfremdeten, der Untertanen, der Bedrohten, der Entmutigten und Entsolidarisierten. Die Zigarette schmeckt nicht und schon gar nicht der Kaffee. Auf mein Frühstückskipferl verzichte ich heroisch und begebe mich zurück in das Gefängnis meiner Gedanken. Da steht plötzlich sie vor mir, den „Augustin“ in der Hand. …oh du lieber Augustin, alles ist hin … Wie recht er doch hatte. Und doch: die Legende sagt etwas anderes. Da fällt einer in die Pestgrube und geht unbeschadet daraus hervor. Unbelieveable. „Darf ich mich setzen, Meister?“ Ich mache eine undeutliche Handbewegung, die sie als Einladung versteht. „Na, lange Nacht gehabt?“ Was soll denn das jetzt werden? Nach Reden ist mir jetzt aber wirklich nicht zu Mute. Diesen Mut habe ich längst verloren, Redenschwingender, der ich in meiner Jugend war. Da war ich überall zu finden, wo es sich politisch zu engagieren gab. Damals träumte ich von weißen Pferden …wilden weißen Pferden an einem Strand, mein Lehrer war ein Vogel und brachte mir das Fliegen bei … aber sag mir woran, woran meine Liebe glauben wir noch … Ja woran, woran glaube ich heute noch? Ich nestle eine nächste Zigarette aus der vor mir liegenden Packung. „Darf ich?“ Automatisch strecke ich ihr die Zigarettenpackung hin, sie greift sich gleich drei. „Feuer?“ Ich zünde automatisch zuerst ihre, dann meine an. Sie facht nach dem ersten Zug mit dem Ausatmen die Glut ihrer Zigarettenspitze an. Dann lehnt sie ihr Kinn auf den Ballen der Hand, in der sie die Zigarette hält und stützt den Ellbogen auf den Tisch. Sie schaut mich an. Ich lehne mich zurück. Die Rückenlehne der gepolsterten Bank, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat, knarrt gefährlich. Ich blicke den Rauchschwaden nach, ziehe an der Kippe und blicke wieder den Rauchschwaden nach. „Darf ich?“ Ohne meine Antwort abzuwarten hat sie sich das unberührte Kipferl gegriffen und teilt es in der Mitte. Die Zigaretten hat sie dabei nicht aus den Fingern gelassen. Nun nimmt sie einen Bissen, dann einen Zug. So geht das einige Male bis das Kipferl weg ist und der Tschick ausgeraucht. „Magst was trinken?“ Das sind die ersten Worte, die ich an sie richte. Da sie zögert, ergänze ich: „Auf meine Kosten!“ Sie bestellt einen English Breakfast und einen doppelten Kognak. Sie greift nach meinem Zigarettenpackerl und dem Feuerzeug und raucht die nächste. Ich starre widerstandslos vor mich hin. „Augustin?“ Ich lege ihr wie ferngesteuert drei Euro hin. „Das Blatt’l kannst du dir behalten“ Sie schiebt die drei Euro zu mir zurück. „Osho?“ Verblüfft verschlägt es mir die letzten Worte, während sie ein abgegriffenes Taschenbuch aus der Jackentasche zieht. Ich muss es auch klar machen, dass die Politik nur die mittelmäßigsten Geister der Menschheit anzieht. Sie zieht nicht Menschen wie Albert Einstein, Jean Paul Sartre, Rabindranath Tagore an … Nein, sie zieht nur bestimmte Menschen an. Psychologen wissen, dass Menschen mit einem Minderwertigkeitskomplex sich zur Politik hingezogen fühlen, denn Politik kann ihnen Macht verleihen. Und mit dieser Macht können sie sich und andere davon überzeugen, dass sie nicht minderwertig sind, dass sie nicht mittelmäßig sind. Aber die Macht verändert ihre Intelligenz nicht. Die ganze Welt wird also von mittelmäßigen Geistern regiert, während wir doch viele intelligente Menschen haben – Wissenschaftler, Künstler, Musiker, Poeten, Tänzer, Maler – viele sensible, kreative Menschen, die Creme der Menschheit, aber sie haben keine Macht. Sie könnten den Lauf der menschlichen Geschichte ändern, sie könnten das Dunkel der Zukunft in einen wunderschönen Morgen verwandeln, in einen Sonnenaufgang. … Sonnenaufgang hallt es noch in ihr Schweigen hinein nach. … „Osho hat recht!“ „Osho hat doch immer recht, vor allem wenn man eine seiner verqueren Anhängerinnen ist!“ „Nö, immer hat er nicht recht. Mit seinem Lebensstil, seinem Rolls Royce, seinem Abhängigmachen anderer, mit seinem Tod … da hat er absolut nicht recht. Aber an dem, was ich dir vorgelesen habe, da stimmt so ziemlich alles.“ „Meinste …“ „Mein ich nicht nur, weiß ich!“ Die Kellnerin kommt mit der Rechnung. Ich bestelle noch ein kleines Bier und verschiebe das Zahlen auf später. „Und woher weißt du das jetzt so genau?“ „Ich war eine der seinen“ „Echt jetzt?“ „Ja, drei Jahre lang. Drei lange Jahre lang. Dann hatte ich endgültig alles verloren und mich immer noch nicht gefunden.“ Pause. Ich halte ihr meine Zigarettenpackung hin, sie bedient sich. Dann ich. Ich zünde zuerst ihre an, dann meine. „Seit wann lebst du jetzt schon auf der Straße? Wann ist der große Meister denn verblichen?“ „Ich lebe nicht mehr auf der Straße. Sonst hätte ich kein Bett, in dem ich aufwachen kann, keinen Spiegel in dem ich mir in die Augen schauen kann und keine drei Kleider aus denen ich wählen kann.“ „Wieso, ein Bahnhofsklo tut’s doch auch …“ „Du verstehst gar nichts. Klischees, alles Klischees, Stereotype …“ „Wo hast du denn diesen Wortschatz her?“ „Matura. Studium der Psychologie und Philosophie.“ „Echt jetzt?“ „Why not?“ „Na ja, wenn man so aufgeklärt ist, dann sollte man doch so einem wie Osho nicht in die Fänge geraten …“ „Why not?“ „ Was jetzt?“ „ Gerade dann ist die Gefahr groß, einem wie Osho auf den Leim zu gehen …“ … „Und du, wem bist du auf den Leim gegangen?“ „Den Linken … und ihrer Parole von der Gleichheit aller Menschen. But: … All animals are equal but some are more equal than others. “ “Was hast du gelernt?” “Publizistik und Politikwissenschaft” „Wow. Und trotzdem auch nicht g’scheiter g’scheitert?“ „Wieso gescheitert?“ „Oh, verzeih’, ich dachte du bist in einer Sinnkrise, so wie du dasitzt, nicht rasiert und in den Klamotten vom Vortag.“ „Also bitte …“ „Mir musst du nichts vormachen. Und schon gar nicht dir selbst.“ „Ich mach weder dir noch mir was vor …“ „Achso. Dann habe ich also Tomaten auf den Augen.“ … Sie springt auf, packt ihre Tasche und geht schnellen Schrittes Richtung Ausgang. Ich wiesle hinter ihr her, krieg sie noch vor der Tür zu fassen und bitte sie um Verzeihung. „Bestell dir noch was. Und lass uns einfach weiter reden.“ Ich kann sie umstimmen und gemeinsam kehren wir an unseren Platz zurück. Ein Platz an dem ein Hauch von Frühling spürbar wird, the wind of change die verrauchte Luft erfüllt. Sie braucht noch eine Weile bis sie mir wieder traut. Ich sage nichts. Ich rauche. Sie kippt ihren doppelten Kognak. Dann lacht sie. „Enttäuschte dieser Erde, vereinigt euch!“ Sie beginnt die Internationale vor sich hin zu summen und lächelt mich dabei weiter an. Ich stimme ein. Beim Refrain ist aus dem Summen ein lauter Gesang geworden. Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht. Die Wiederholung des Refrains geht dann schon in unserem schallenden Gelächter unter. Von einigen Tischen bekommen wir sogar Applaus. Kurze Zeit später läuft wieder alles wieder in seinen gewohnten Bahnen. Weder die Internationale noch unsere Interpretation konnten die Welt verändern. … Der ganze Text kann als E-Book (43 Seiten) um € 5,- oder in einer Druckversion um
€ 7,- erworben werden. Darüber hinausgehende Beträge gehen an den Wiener Bücherschmaus zur Leseförderung für Kinder und Jugendliche!
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Februar 2021
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