K.H. Gessler, eigentlich Konrad Heinrich Gessler, war das ganz große Los, das Donner vor kurzem gezogen hatte. Wie der auf ihn gekommen war, wusste er nicht so wirklich, es gab die Version des Betroffenen, dann jene seines Pressesprechers und schließlich die, die sich Peter zusammengereimt hatte.
Also, dieser Gessler war vor längerem, sprich etwa vor 6 Monaten zum neuen Innenminister der Republik angelobt worden. In seinem früheren Leben war er der Eigentümer einer Sicherheitsfirma, die im Auftrag der Regierung die Erneuerung und Verwaltung des einzigen Erstaufnahmezentrums für Flüchtlinge im Osten des Landes übernommen hatte. Dieses hatte er nach den gravierenden Mängeln, die in der Verwaltung des Bundes aufgetreten waren, um eine knappe Million Euro auf Vordermann gebracht. Aufgrund des sparsamsten Einsatzes von Mitteln für die Renovierung des Gebäudes und die Adaptierung der Unterkünfte, hatte er bei dieser Einmalinvestition rund die Hälfte des Betrages als Gewinn verbuchen können, was vertraglich auch so vereinbart war. Auch bei den laufenden Kosten für den Betrieb sowie der Bezahlung der Sicherheitskräfte konnte er regelmäßig Gewinne erzielen, so dass er sich ein schönes Sparkonto angehäuft hatte. Sowohl die Regierung als auch die unmittelbar betroffene Bevölkerung jenes kleinen Ortes knapp südlich der Hauptstadt waren darob äußerst zufrieden mit ihm. Deswegen und aufgrund seiner ausgezeichneten Kontakte zur Regierungsspitze empfahl er sich für die Übernahme des Innenressorts, das auch für die Flüchtlinge zuständig war. Seine Vorgängerin hatte aufgrund einer - wie man von Regierungsseite betonte - unglücklichen Aussage über die Asylwerber und unter dem daraufhin folgenden Druck der Medien, der Opposition und der verantwortlichen EU-Kommissarin zurücktreten müssen. Zudem wollte der Herr Vizekanzler, der aus patriachaler Familie stammte, endlich wieder einen Mann an dieser Stelle haben, womit er sich bei der letzten Regierungsbildung allerdings nicht durchgesetzt hatte, was er aber nun schließlich, nicht ohne ein süffisantes Lächeln zu zeigen, nachholte. Gessler war noch dazu kein parteigebundenes Urgestein, er galt als parteifrei, doch dem Recht und der Ordnung nahestehend, also doch quasi parteinah. Die Partei gleichen Namens war erst vor zwei Jahren Teil der aktuellen politischen Obrigkeit geworden, hatte sich als fast gleichstarke Gruppierung mit den nur knapp stärkeren Sozialen - dereinst links, dann links der Mitte und dann plötzlich über Nacht rechts davon, wiewohl per Eigendefiniton höchstens Mitte - ins Bett gelegt und wurde vom Boulevard gerne als Rechts-Soziale Bundesregierung bezeichnet. Manche meinten, sozial-rechts würde es deutlicher sagen, einige wenige gingen sogar soweit, den Regierenden das sozial überhaupt abzusprechen, außer wenn es um die eigenen Taschen ging. K.H. Gessler, kurz KHG genannt, war der charmanteste Innenminister, den die Republik je gesehen hatte. Zudem galt er in gewissen Frauenkreisen als Beau - andere Frauenkreise aber fanden ganz andere, ja gegenteilige Namen. Ebenso galt er als Liebling des Boulevard. Gleich nach seinem Amtsantritt war in mehreren Medien des bedeutendsten Medienkonzerns des Landes eine Homestory erschienen, in der auch seine Verlobte Farina, die Erbin eines großen Stahlprodukte-Herstellers, eine bedeutende Rolle spielte. Auch das Penthouse in bester Zentrumslage der Hauptstadt mit weitem Blick nach allen Himmelsrichtungen wurde ins beste Licht gerückt. Der Mann hatte also Weitblick und Überblick, was ihm als Sicherheitsminister des Landes jedenfalls entgegenkam. Kurz nach Veröffentlichung der Homestory tauchten in einem Internetblog der extremen Linken böse Gerüchte über die angebliche Bisexualität Gesslers auf, deren Verfasser sofort nach Veröffentlichung Besuch von der Exekutive erhalten hatte. Dabei wurden, was keiner wusste, sämtliche elektronische Geräte, unter anderem auch der Radiowecker und der Trockenrasierer des Betroffenen beschlagnahmt und zur kriminaltechnischen Untersuchung zur KTU gebracht. Der Verfasser wurde trotz Protesten seines Anwalts für 48 Stunden in Gewahrsam genommen, seither, obwohl das nun schon mehrere Wochen her war, wurde nichts mehr über ihn bekannt. Diese Gerüchte waren auch der Grund gewesen, warum KHG einen persönlichen Berater engagieren wollte. Sein Pressesprecher war anfangs schwer dagegen gewesen. Es war aus seiner Sicht viel zu auffällig gewesen, jemanden weiteren einzuweihen, wenn sich doch die Aussagen als bodenlos herausgestellt hatten und der Verursacher längst dingfest gemacht worden war. Gessler aber beharrte darauf, er wolle sich nicht ständig von irgendeinem Presse-Fuzzi PR-technisch das Hirn vollwichsen lassen – wie er wörtlich betont hatte - sondern mal mit jemandem reden, der vom richtigen Leben eine Ahnung hatte. Wie er dann gerade auf Peter Donner gekommen war, das war eine weitere jener verworrenen Geschichten, die Donners Leben so gerne schrieb. Also: Farina Maria Ceccarelli, KHGs Verlobte hatte eine Friseurin, der sie sich gerne anvertraute; so sparte sie Therapiekosten und zudem brachte das jedesmal was für die „Fassade“. So hatte ihr Papa, der in seinem Heimatland viel verehrte und gefürchtete Zampano Mario Ceccarelli, seines Zeichens CEO des von seinem Urgroßvater gegründeten Stahlproduzenten Ceccarelli und Söhne, immer zu ihr gesagt, wenn sie im elterlichen Badezimmer stundenlang an ihrem Makeup gefeilt hatte. Ihres Papas Firma war in Zeiten, da sich Europa gegen die Flüchtlingsströme abschirmen musste, um seine Identität nicht zu verlieren, wie der derzeitige EU-Vorsitzende Pitti, ein Landsmann der Ceccarellis, nicht müde wurde zu betonen, groß mit der Herstellung und dem Vertrieb von NATO-Draht für Grenzzäune im Geschäft. Farina also nahm die kostenlose Beratung ihrer Friseuse in Anspruch, zumal sie Seelenklemptner ums Verrecken nicht ausstehen konnte. Von Zeit zu Zeit musste sie einfach mal Dampf ablassen, manchmal einmal die Woche, manchmal, jedoch viel seltener, auch nur einmal im Monat. Diese Friseurin, die auf den Namen Monika getauft worden war aber nur auf dessen etwas kuriose Kurzform Ika hörte, erfuhr von Farina, die von ihren engsten Vertrauten Rinni gerufen wurde, was Ika nicht wusste und auch nicht wissen sollte, sie daher Signorina Ceccarelli nannte, sie erfuhr also, dass Rinnis Zukünftiger jetzt auf den Seelenhund gekommen war und dringend professionelle Beratung brauchte. Beim nächsten Besuch wusste mindestens die halbe Kundschaft davon, jene Hälfte zu der sich auch Susi Wolf zählen durfte. Und Susi hatte der umtriebigen Ika schon länger von ihrem „Therapeuten“ erzählt, der ja eigentlich nur Lebensberater war, ohne jedoch seinen Namen preiszugeben, das sie ihn nur ungern mit anderen Frauen teilen wollte, schon gar nicht mit ihrer attraktiven Friseurin. Von dieser bei ihrem letzten Besuch angesprochen, ob sie dem verzweifelten Verlobten einer guten Kundschaft nicht doch dessen Namen nennen wolle, überlegte Susi kurz. Schon bald wich ihre Sorge, wegen der sie die Geheimniskrämerei um Peter betrieb, den dieser Möglichkeit innewohnenden Chancen. Besonders attraktiv erschien ihr die Möglichkeit, ihrem Lebensberater ein lukrativ anmutendes Geschäft zukommen zu lassen und sich auf diese Weise einmal mehr als unentbehrlich darzustellen. Also gab sie Name und Telefonnummer weiter und schon zwei Tage später hatte Donner eine Nachricht von K.H. Gessler persönlich auf der Mailbox, worin er zuerst um größtmögliche Geheimhaltung und gleich danach um einen sofortigen Termin bat. Ebenso teilte er diesem mit, dass Donner ihm von berufener Stelle empfohlen worden war. Peter stutzte, nachdem er die Nachricht abgehört hatte, vor allem die berufene Stelle machte ihm zu schaffen, hatte er doch bislang weder Kontakt zu Sicherheitsfirmen, noch in die Politik und schon gar nicht zur Partei für Recht und Ordnung, kurz PRO genannt. Er grübelte also, konnte sich vorerst keinen Reim machen, wollte aber doch genaueres wissen, wer ihn da empfohlen habe. Also beschloss er sofort zurückzurufen, und auch dieser Frage auf den Grund zu gehen. Seine diesbezüglich Nachfrage scheiterte aber an der von KHG nochmals geltend gemachten Geheimhaltung, die er ihm mit „Sie wissen ja, die Politik, da ticken die Uhren anders“ zur Kenntnis brachte. So kamen sie zu ihrem ersten Termin und Peter schmiedete die These, er wäre offensichtlich schon in weiteren Kreisen bekannt geworden als er sich jemals erhofft hatte. KHGs Pressesprecher wiederum machte – so wie es seine Art war – aus dem für ihn schlechten wieder mal das Beste. Er machte die Politikern immer wieder angelastete Beratungsresistenz zum Thema, die für Gessler, als Politiker einer neuen Generation, nicht galt. Sollte das Geheimnis also eines Tages an die Öffentlichkeit gelangen, wären mit dieser Erklärung sicher Punkte zu machen, so Pressesprecher Dragomir, der den klingenden Nachnamen Enstein trug, was ihm oft die Ehre zu Teil werden ließ, als Herr Einstein begrüßt zu werden, wogegen er sich niemals wehrte. Nun also stand dieser KHG zu seiner zweiten Doppelstunde vor Donners Türe. Und Donner bereitete sich darauf vor, die ihm in seiner Intuition während der letzten Stunde mit Susi Wolf anheim gefallene Idee vom Coming-out vor laufender Kamera an den Mann zu bringen.
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