Am Beginn dieses neuen Lebenstages glitt ich von meinem letzten Auftrag mit Mitarbeiterinnen eines Kindergartens in Simmering direkt in meine Holidays, die ich in diesem Jahr tatsächlich als holy days gestalten will. Damit der Übergang gut gelingen mochte, hatte ich schon vor dem vierstündigen Werkshop mit den Kindergärtnerinnen eine Flasche feines Zwicklbier erworben und in meinen Koffer gepackt, jenem Papp-Ding, das ich im Carla-Shop in der Bezirkshauptstadt vor rund zwei Jahren erworben hatte, das ich auf der Vorderseite mit Bieretiketten verziert hatte und das innen drin jede Menge Raum bietet, um all meine Habseligkeiten auf meinen Touren zu meinen Kund*innen zu beherbergen. Für die stylische Flasche Bier war natürlich auch noch Platz.
Nun wanderte ich also knapp nach 21 Uhr ein Stück durch die gleichnamige Hauptstraße des nächtlichen Stadtteils zum lokalen Bahnhof, an dem auch mein Zug in den Westen der Bundeshauptstadt losfahren sollte, wo ich dann den ersten der beiden Züge , die mich nachhause bringen würden, besteigen konnte. Um mich in die Holidaystimmung zu versetzen, gab ich mir die extended version von Madonnas Holiday (… it‘s time for the good times … holiday … celebrate) und spazierte mit jedem Schritt fröhlicher werdend bis zum Bahnhstieg. Dort wurde ich positiv überrascht. Ich hatte damit gerechnet, rund eine halbe Stunde auf meine Fahrtgelegenheit warten zu müssen, doch auch um diese Zeit fuhren die Züge auf dieser Strecke noch halbstündlich. So hatte ich dann halt an meinem ersten Umsteigebahnhof eine längere Wartezeit, was mir aber sehr entgegen kam, da ich diesen Ort sympathischer finde als jenen Bahnsteig im Osten der Bundeshauptstadt. Der Biergenuss musste also noch ein wenig warten, aber zwanzig Minuten später war es dann endlich so weit. Und während Madonna mir zum vierten Mal ihre Zehn-Minuten-Fassung von Holiday in die Ohren trällern durfte, zwitscherte ich meinen ersten Urlaubsdrink Schluck für Schluck mit wachsender Entspannung und Freude. Als ich knapp vor Mitternacht in der Bezirkshauptstadt ankam, erwartete mich – wie schon bei der Hinfahrt – Regen. Er war zwar nicht mehr so intensiv, dennoch hielt sich meine Begeisterung auf eine nächtliche rund sieben Kilometer lange Radfahrt bei diesen Bedingungen in Grenzen. Ich sattelte meinen Drahtesel, packte mich in mein Regenzeug und den Papp-Koffer in seines und radelte mit gutem Tempo los, um diese unwillkommene Dauerdusche rasch hinter mich zu bringen. Wie sich herausstellte konnte auch dieses Wetter meine mittlerweile schon gute Stimmungslage nicht nachhaltig trüben und nach einer längeren heißen Dusche fiel ich zufrieden und müde ins Bett in einen traumlosen Schlaf. Am nächsten Morgen ging ich es langsam an, ich nahm mir Zeit für ein reichliches Frühstück, ich heizte den Küchenherd, auch um der regnerischen und kühlen Wetterlage, die sich schon am Tag zuvor eingestellt hatte und die über die nächsten Tage anhalten sollte, etwas Positives entgegen zu setzen. Knapp vor 11 brachen mein Jüngster und ich dann zur Bücherei auf, um DVDs zurückzubringen und uns mit neuen Medien für die nächsten beiden Wochen zu versorgen. Da ich noch genug Lesenswertes zuhause hatte (Salman Rushdies „Quichotte“ und Prechts „Jäger, Hirten, Kritiker“) entschied ich mich für 3 DVDs (Nachtzug nach Lissabon, Michael Kohlhaas, The Road), während Sohn Nr. 3 sich mit CDs, Büchern und DVDs eindeckte. Zuhause erwarteten uns schon die von meiner Liebsten zubereiteten Bärenbutternudeln á la Janosch, danach ging‘s in die Mittagspause, die ich mit Lesen von Precht und einem Powernap verbrachte. Sein Buch ist absolut lesenswert. Ausgehend von einer Utopie von Karl Marx, die dann im realen Kommunismus zu ihrem Gegenteil verkommen ist, in der es darum geht, dass niemand mehr als „Lohnsklave“ arbeiten muss, um die persönliche Existenz zu sichern, sondern jede*r zu jeder Zeit entscheiden kann, ob sie*er lieber Jäger, Hirte oder Kritiker ist, stellt der Autor dar, dass wir in einer Zeit angekommen sind, in der das Bestehende verwaltet wird – und zwar auf allen Ebenen, den persönlichen genauso wie den politischen -, um dann vehement zu fordern, dass es wieder Visionen und Utopien geben möge. Auch zitiert er eine Satz des jüdischen Philosophen Martin Buber, der folgendes meinte: „Man kann nicht etwas ändern ohne alles zu ändern!“ Diese Weisheit bestätigt sich alltäglich, wie ich meine. Wenn ich an der einen oder anderen Schraube drehe, werden sich entweder andere Schrauben mitdrehen (Ich denke da gerade an Frederik Vesters kybernetisches Gesellschaftsspiel „Ökolopoly“, wo die Bewegung eines Zahnrades tatsächlich zur Folge hat, dass sich andere Räder auch bewegen und damit Veränderung passiert), oder aber es ist notwendig, dass ich tatsächlich an allen Ecken und Enden ändere, damit sich nachhaltige Veränderung, ja Wandel einstellt. Mit diesem einfachen, aber so weisen Satz Bubers, erklärt sich mir, warum sich so wenig ändert, sowohl bei mir persönlich als auch im Großen. Immer fehlt mir der Mut für den großen Wurf, immer denke ich kleinmütig und hoffe, dass die eine oder andere „Schraubendrehung“ genügt, um das große Ganze in Bewegung zu bringen. Nach fast fünfeinhalb Lebensjahrzehnten sollte ich endlich zu Erkenntnis gelangt sein, dass das nicht wirkt. So wächst in dem Moment, da ich ihn lese, aus diesem Satz ein unbändiges Sehnen nach einem Neubeginn. Ein guter Auftakt für eine Zeit, in der ich auftragslos ganz meinem Lebensauftrag auf den Grund kommen möchte – um als dadurch Geläuterter mir und meinem Leben neu zu begegnen. Ein großes Ziel, aber ein not-wendiges. Es gilt daher aber ganz konsequent diesen Fokus zu halten, was für mich sicher eine große Herausforderung darstellen wird, da ich es gewohnt bin, mich als „puppet-on-a-string“ bis aufs Äußerste flexibel zu geben und dabei dem Meinen zu entsagen.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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