Die letzten Tage glichen einer Achterbahn – und das gleich auf mehreren Ebenen. Wenn ich in mein gelbes Notizbuch schaue, dann habe ich hier zahlreiche Ereignisse und Gefühlslagen notiert, wie etwa den neunten Geburtstag meines Jüngsten oder die eine oder andere Auseinandersetzung um mein Bedürfnis nach Raum und Ruhe oder auch die Gedanken, die ich beim Lesen der von mir in der Stadtbücherei entliehenen Bücher. Im Innen und im Außen war kaum Zeit zum Verschnaufen und ich bin heute, da ich diese Erlebnisse niederzuschreiben beginne, in einem Zustand geistiger, emotionaler und körperlicher Erschöpfung. Psyche und Physis schmerzen. Auch Kater Dario leidet in diesen Tagen am Zahnen, er maunzt auffällig oft, ist unwirsch und frisst nur sporadisch. Gerne kommt er auf eine Kuscheleinheit vorbei, um nach wenigen Minuten wieder im Garten zu verschwinden – und seine Ruhe zu haben.
Das wäre auch für mich eine adäquate Lösung, doch fordert mich Alltägliches auch noch in den nächsten sieben, acht Tagen. Und abends falle ich häufig erschöpft ins Bett ohne einen guten Schlaf zu finden. In vielen Träumen schreit meine Seele um Hilfe, ich höre zwar, sehe aber noch keine Möglichkeit, diesem eindringlichen Rufen gerecht zu werden. Um mich nun einmal von dem einen oder anderen Ereignis und Gefühl verabschieden zu können, meinen Lebensrucksack quasi zu leeren bzw. auszumisten, nehme ich mir in den Morgenstunden des heutigen Tages endlich Zeit, diese Lebensphase der letzten zehn Tage zu reflektieren und mir Wesentliches niederzuschreiben. Sohn Nr. 1 ist schon auf den Weg in einen weiteren Schnuppertag einer möglichen Ausbildung, die er im Herbst beginnen könnte (wenn er denn wollte). Sohn Nr. 2 und 3 schlafen noch, auch meine Liebste hat sich schon auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, um eine weitere Hürde in ihrem großteils kafkaesken Einbürgerungsverfahren zu nehmen. Kater Dario hat nach einem kurzen Morgenschmusen im Garten das Weite gesucht. Das herausfordernste an Lebensphasen wie diesen ist für mich die Häufung der Ängste und das schwindende Vertrauen in mich und mein Dasein. Selbstzweifel und Sinnleere bestimmen jene Stunden, in denen ich mich nicht mit äußeren Herausforderungen beschäftigen muss. Sie sind daher zum einen willkommene Ablenkung, um nicht in den Sümpfen der Traurigkeit (Michael Ende, Die unendliche Geschichte) zu versinken, zum anderen werden sie aber zum Hemmschuh, dem Leben neuen Schwung zu geben. Wo nun beginnen beim Sortieren und Ausmisten? Ich starte mal chronologisch. Das Geburtstagswochende für meinen Jüngsten hatte Licht und Schatten, es begann mit einer langen Diskussion mit meiner Liebsten zu mir notwendig erscheinenden Änderungen in unseren Alltagsstrukturen und im innerfamiliären Umgang, dessen positive Entwicklungen in den Wochen nach dem Shutdown wieder in alten Mustern zu versanden drohen und in mir wachsenden Unmut und wachsende Ungeduld hervorrufen. Muss man sich als Pubertierender tatsächlich wie ein Arschloch verhalten? Obwohl man (soziale) Eltern hat, die zu jeder Auseinandersetzung bereit und für jede gute Idee bzgl. Veränderung zu haben sind? Muss man sich ständig von einem nicht anwesenden leiblichen Vater telefonisch und per whatsapp das Leben diktieren lassen und nur auf Missstände und Fluchtwege schauen anstatt auf das, was da und möglich ist? Ich sage NEIN. Aber dieses Nein führt zu weiteren Spannungen, die von Zeit zu Zeit eskalieren. Wie schön wäre es, wenn sich Erwachsenwerden in unserem Kulturkreis nicht bloß durch Rebellieren, Saufen, Rauchen und Sex ausdrücken würde, sondern (auch) durch Sich-Bewähren in herausfordernden Situationen, durch soziales Engagement beispielsweise. Tagträume, sonst nichts. Nun gut, meine Liebste und ich saßen bis drei Uhr morgens ohne einen gemeinsamen Weg zu finden. Neun Jahre früher waren wir abends noch essen gewesen und dann in den frühen Morgenstunden ins Spital aufgebrochen, um gemeinsam die Geburt unseres Jüngsten zu erleben. Diesmal schliefen wir länger – und dennoch weckte mich eine innere Uhr, galt es doch den Geburtstagsplatz an unserem Esstisch für das Geburtstagskind vorzubereiten, auch war noch der gewünschte „Kalte Hund“ herzustellen und der eine oder andere Einkauf zu machen. Ich war zwar zeitgerecht aber vollkommen gerädert aufgewacht, ein Traum beschäftigte mich auch nach dem Wachwerden, eine große Flutwelle, tsunami-ähnlich, war nachts über mich hereingebrochen. Mit diesem Schrecken in den Gliedern begann ich diesen Tag. Die Nachmittagsjause wurde feierlich gestaltet, es gab den Kalten Hund und die Geschenke und der Jubilar hatte auch noch eine Party für die Familie vorbereitet, die bis in die Nachtstunden dauerte. Auch diesen Wunsch erfüllten ihm meine Frau und ich. Diesem ersten heißen Sommertag folgte ein weiterer, um zehn Uhr vormittags Sommerzeit (also 9 Uhr Normalzeit) zeigte das Thermometer bereits 30 Grad Celsius im Schatten. Am Nachmittag dieses Sonntags hatte das Geburtstagskind zwei Gäste eingeladen, die auch pünktlich um 15.30 Uhr erschienen. Es gab kein festgelegtes Programm, aber es war ein gelungenes Feiern, das zum Ende hin zu einem Konflikt führte. Die eingeladene etwa gleichaltrige Freundin wurde pünktlich abgeholt und es entstand bei unserem Jüngsten der sehnliche Wunsch mit ihr noch weitere Zeit zu verbringen und zum Schwimmen bei deren Großmutter mitzukommen. Nun kann er noch nicht gut genug schwimmen und weder meine Frau noch ich wollten mitgehen. Es war ein harter Kampf, der letztlich durch die Großmutter der jungen Dame entschieden wurde, da sie den Kids via Handy mitteilte, dass es an diesem Abend keine Möglichkeit zum Schwimmen mehr gab. Unser Junior feierte dann mit seinem ältere Freund noch weitere eineinhalb Stunden und die Lage entspannte sich. Der Morgen nach diesem intensiven Geburtstagswochenende begann mit einem Trojanerangriff auf meinen Laptop, der damit endete, dass mein Virenschutzprogramm ausgeschaltet wurde. Ich war rund zwei Stunden damit beschäftigt, das Problem zu beheben und eine neue Virenschutzsoftware zu installieren, wobei ich die Seiten wechselte: Amerika raus, Russland rein. Auch geschrieben werden musste so manches, zum einen ein Beitrag für die Homepage bzw, den Newsletter des Fußballvereins, dann auch noch die Überarbeitung des politischen Blogs meiner Frau. In diesen Tagen spürte ich eine zunehmende Müdigkeit, die mich dazu veranlasste, mich lesend in meine Bücherwelt zurückzuziehen. Das Phantasien-Lexikon war eines der Werke, das ich zur Hand nahm, in dem ich schmökerte, weiters las ich zwei Bücher von Henning Mankell, nämlich „Der Sprengmeister“ und „Tiefe“, beide sehr berührend bzw. aufwühlend, dann blätterte ich im Kriegstagebuch („Das Blaue Buch“) von Erich Kästner. Und nach einem weiteren Besuch in der Stadtbücherei vertiefte ich mich in Karl-Heinz Ott‘s „Und jeden Morgen das Meer“ (das mit folgenden Worten am hinteren Buchdeckel beschrieben wird: „ Mit Karl-Heinz Ott zu verzweifeln ist besser als ohne ihn glücklich zu sein.“) sowie in die Biografie von Michael Ende und Salman Rushdies „Quixotte“ (im englischen Original). Diese literarischen Fluchten brachten mich zwar ein wenig aus dem Alltag, dennoch stießen sie mich auch von Zeit zu Zeit auf genau jene Schmerzpunkte, denen ich zu entkommen gedachte. Weiter brachte sie mich allerdings nicht. Für den ersten Tag des neuen Monats war abends die nächste Gemeinderatssitzung angesetzt, ich hatte den Wunsch, diesmal wieder unter den Zuschauer*innen zu sein. Nach einer weiteren in meinen Augen sinn-losen Auseinandersetzung mit Sohn Nr. 1 und seiner Mutter, meiner Liebsten, verging mir aber die Lust auf weitere solcher Konflikte, die ja auch die Arbeit des örtlichen Gemeinderats prägen. Unser Alleinherrscher Bürgermeister und seine 16 Getreuen aus 2 Fraktionen gegen 4 Oppositionspolitiker*innen, darunter meine Frau. Nö, dazu fehlte mir eindeutig die Lust und meine masochistische Phase hatte ich schon viele Jahre hinter mir gelassen. Was in diesen Tagen auch zu meiner Fluchtstrategie gehörte, waren die Fußballspiele auf DAZN. Mein Jüngster hatte vor kurzem, inspiriert von diesem Namen, den man ja mit „Dasoun“ ausspricht, und seiner Nähe zu Katzen den Sender TAZN gegründet (den man so ausspricht, wie er geschrieben wird), was ich als geniale Idee einstufte. In DAZN gibt es nach den Spielen der deutschen Bundesliga eine Post-Match-Show, auf TAZN eine „Nußball-Show“ (weil Kater Dario, der zum TAZN-Chef auserkoren wurde) gerne mit Nüssen spielt. Dazu brauchte es eben auch die Videokamera, die der Jüngste zum Geburtstag bekommen hat. Die Spiele auf DAZN, die ich sah, waren besser oder schlechter, sie brachten mich für 90 oder mehr Minuten zumindest phasenweise aus meinen Gedanken. Auch der Putztag, der in dieser Woche auch wieder donnerstags stattfand (weil die großen Jungs zum ersten Mal seit März für das kommende Wochenende den Besuch ihres Vaters erwarteten), nutzte ich zu einer kleinen Alltagsflucht, ebenso den beruflich bedingten Ausflug in die Hauptstadt., zu dem ich mit dem Cowboyhut meiner Liebsten und meinem „Cowboy-Halstüchel“ als Mund-Nasenschutz aufbrach. Auf der Fahrt recherchierte ich erstmals zum Namen des Sportsenders, dessen Abo ich mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Er sei ein Anklang an den englischen Begriff „The Zone“, stand da zu lesen, der soviel heißt wie „volle Konzentration auf das Spiel“. Die deutsche Übertragung mit „Tunnelblick“ überzeugte mich weniger, ich machte daher einen eigenen Versuch, in dem ich den Begriff mit „Fokussierung“ übersetzte, was für mich eindeutig positiver rüberkommt. Am Freitag hatte ich eine schöne Zeit mit meinem Jüngsten, wir fuhren mit dem Rad in die Bezirkshauptstadt, erledigten Einkäufe und versorgten uns (wie schon weiter oben ausführlicher beschrieben) mit geistiger Nahrung in Form von Büchern, CDs und DVDs. Die Großen hatten sich für die nächsten Tage zu ihrem Vater verabschiedet und in mir machte sich mit einem Mal ein wunderbares Gefühl der Entspannung breit. Diese Leichtigkeit, die mich auch wieder zurück zu meinem Humor brachte, was meiner Liebsten und meinem Sohn angenehm auffiel währte allerdings nur bis Sonntag Mittag. Wir hatten uns entschieden den Sonntagvormittag im Kampbad in Langenlois zu verbringen, die dortigen Grünen luden zum Frühstück. In der Hoffnung, dass wir an diesem heißen Tag auch ein Hüpfer in den Fluss machen könnten, verließen wir unsere Heimat, mussten aber feststellen, dass die Wassertiefe vor Ort rund 2,20 m betrug und daher für Schwimmenlernde wie unseren Jüngsten nicht geeignet war. Auch hatten wir keinen Ball dabei, denn dann hätten wir die weitläufige Sportanlage mit zwei Fußballfeldern nutzen können. Auch das Frühstück war sehr schmalspurig, es gab Kaffee und Kuchen. Die Stimmung kippte. Junior Nr. 3 kriegte die Krise und ich konnte ihn trotz aller Bemühungen nicht rausholen, sondern wurde mit hineingezogen. Zudem wurde ich Ohrenzeuge eines Smalltalks meiner Liebsten mit einer ihrer Bekannten, der sie von dem am vergangenen Freitag von ihr versuchten Erziehungsberatungsgespräch mit ihrem Ex berichtete. Was ich da hörte, machte mich aber so etwas von wütend. Ihren Worten nach war außer Vorwürfen und Drohungen nichts dabei, was konstruktiv und im Sinne unserer Großen gewesen wäre. Vielmehr hatte er sie aufgefordert, sich von ihren Jungs zu verabschieden, da er sie zeitnah aus diesen untragbaren Verhältnissen bei uns befreien würde. In diesem Moment meldete sich plötzlich mein Trigeminusnerv in der linken Gesichtshälfte. Diesen hatte ich schon lange nicht mehr gespürt. Ich konnte von da an meinen Kopf nicht mehr schmerzfrei bewegen und auch das Schlucken fiel mir schwer, da der Schmerz bis in den Hals ausstrahlte. Angesichts zweier schwerer und langer Arbeitstage, die mir zu Wochenbeginn bevorstanden, war das so etwas wie der Super-Gau. Der Rest des Tages war entsprechend eingefärbt, ich hatte Mühe meine Gedanken auf Vordermann zu bringen und mich über Wasser zu halten. Da ich am nächsten Morgen schon um 5 Uhr früh Tagwache hatte, um den Zug um sechs zu erreichen, damit ich um 8 Uhr meinen Job als Leiter der Zivilcourageworkshops für Freizeitpädagog*innen in der Hauptstadt antreten konnte, ging ich um neun zu Bett, konnte aber nur sehr schlecht ein- und durchschlafen. Der nächste Morgen war entsprechend mühsam, ich hatte mir die Suppe natürlich selbst eingebrockt, da ich auf die zurückliegenden Ereignisse so und nicht anders reagiert hatte. Dieses Mich-Hineinziehen-Lassen in die Ränke anderer ist eine der größten und gefährlichsten Schwächen meiner Persönlichkeit. Sie hemmt mich, sie kostet mich auch jene Kraft, die ich für meine Projekte bräuchte und sie stärkt bloß jene, die mir mein Leben schwer machen wollen, weil ich mir von ihnen mein Leben tatsächlich schwer machen lasse und ihnen somit die Macht über mich und mein Dasein übertrage. Arghhhh! Die wundervolle Erkenntnis aus dieser Reflexion allerdings ist es, dass ich es selber in der Hand habe. Frankl schau oba! Dennoch fällt es mir leichter, mich in den destruktiven Strudel dieser alten und unbrauchbaren Muster zu verstricken, als neue und Neues aufzubauen. Daran gilt es zu arbeiten, alltäglich, und vor allem in der von mir geplanten Sommer-Urlaubszeit zwischen Mitte Juli und Mitte August. Die beiden Tage an der Volkshochschule in Favoriten verliefen zufriedenstellend, ich machte in all meiner Zähigkeit und Ausdauer meinen Job und das – trotz der großteils eher unwilligen Beteiligten, die ihre heiß ersehnten Sommerferien mit einer Weiterbildung beginnen mussten – wie immer gut. Zwei Mal vier Stunden durfte ich die Teilnehmenden zu Zivilcourage bilden – und das an beiden Tagen, am zweiten kam auch noch eine dreistündige Abendeinheit mit meiner Maturagruppe dazu. Danach war ich platt. Die Schmerzen hatten zwar nachgelassen, die seelischen Qualen, die ich mir auferlegen hatte lassen, waren aber kaum gemildert. Auch die Nacht zwischen diesen Arbeitstagen bot keine Entspannung und so hoffte ich auf einen positiven Effekt in der diesen folgenden Nacht. Vergeblich.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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