Es war ein langer Fußballabend, mein jüngster Sohn und ich hingen zuletzt schon ziemlich in den Seilen. Mich schwächte zusätzlich die Perspektive am nächsten Morgen neuerlich schon sehr früh, nämlich um 6 Uhr aufzustehen und danach eine knapp zweistündige Bahnfahrt nach Wien anzutreten. Das Match war durchaus spannend, obwohl nur ein Tor fiel und sich Leverkusen schließlich auswärts gegen Freiburg mit 1:0 durchsetzte. Die Post-Match-Show ist weiterhin nichts meins, diesmal meinte auch mein Jüngster, dass es ihm nicht so gut gefallen hätte. Trotzdem möchte er am Montagabend nach der Begegnung Köln gegen Leipzig wieder dabei sein.
Der Wecker läutete also um sechs, ich hatte schwere Beine und schwere Knochen. Die kilometerlangen Radfahrten der vergangenen beiden Tage, aber auch der völlig geänderte Lebensrhythmus hatten ihre Spuren hinterlassen. Ich war auch emotional leicht angeschlagen, frühstückte dennoch ausgiebig, versorgte mich auch mit Jause und kaltem Mittagsimbiss. Da ich schon einige Minuten vor der Abfahrt des Zuges am Bahnhof meines Heimatortes war, sah ich jenen Zug kommen, in den ich aufgrund einer etwas komischen Fahrplankonstellation erst in der Bezirkshauptstadt umsteigen konnte. Diesmal aber hielt er am Bahnsteig, ich dachte zuerst an einen Signalhalt, aber dann wurden laut zischend die Türen frei gegegeben und ich ich konnte einsteigen. Ein guter Beginn eines herausfordernden Kalendertages, ich richtete mir gleich meinen Platz ein, entschied mich diesmal nicht Plexiglasvisier sondern Mund-Nasenschutz zu tragen und döste vor mich hin. Nach dem notwendigen Zugwechsel in der Landeshauptstadt surfte ich ein wenig durch das Nachrichtenportal. Am Bahnhof in der Hauptstadt angekommen, empfing mich ein Cellist mit Leonard Cohens Hallelujah. Es war eine apokalyptisch anmutende Szene: Sich tummelnde Menschen mit Masken, verborgene Mimik, die Klänge des Cellos und ich mitten drin. Endzeit. Wendezeit? In der U-Bahn, die ich diesmal meinem Fahrrad vorzog, notierte ich jene Gedanken, die sich während des Cohen-Songs in mir gebildet hatten. Sie drehten sich um meine Zukunft, die meiner Familie und auch um nichts weniger als die der Menschheit: Selbstverwirklichung, Energieautonomie, Selbstversorgung, Grundauskommen, Förderung systemrelevanter Berufe, Kreativität und liebe-volle Begelitung von jungen Menschen auf ihrem Lebensweg zur Selbstentfaltung standen da am Papier, noch wenig konkret zwar aber mit viel Spirit. Letzteres passte gut zum gerade begonnenen Pfingstwochenende, den Tagen der Begeisterung und jenes Spirit, der die Welt verändern kann. Der Vormittag in der Akademie verlief bewegend. Drei von sechs Teilnehmerinnen aus der Elementarpädagogik waren anwesend, um mit mir zum Thema Diversität über Werte, Vorurteile und Stereotype zu reden und die gemeinsamkeiten trotz aller Verschiedenheit zu erkennen, sowie Wege zu entwickeln, wie eine solche respektvolle Haltung allen und allem gegenüber entwickelt werden kann, um damit Alice Miller folgend zum Vorbild für die begleiteten jungen Menschen zu werden. Am Heimweg gab ich dann noch die beiden Jahreskarten für die Öffis in der Hauptstadt zurück, wir hatten sie in den letzten Monaten nicht und werden sie wohl in der Zukunft kaum benutzen, da wir ja seit kurzem unser Zweitrad am Westbahhnhof zur Verfügung haben. Die knapp 65 Euro pro Monat, die wir uns damit ersparen, können andernorts sinnvoll eingesetzt werden. Da ich noch eine dreiviertel Stunde auf meinen Zug warten musste, gönnte ich mir im Bahnhofsupermarkt eine Flasche Zwickelbier und aß noch die Reste meines Reiseproviants. Währenddessen erhielt ich einen Anruf meines Jüngsten vom Handy meiner Frau aus. Es hatte Streit mit dem Mittleren gegeben, der ihn seinen Worten nach provoziert habe, worauf der die Rohrzange nach ihm geworfen habe. Daraufhin war er vom Mittagstisch verbannt worden. Wir fanden im gemeinsamen Gespräch eine Lösung, er machte sich einen kleinen Imbiss und wir vereinbarten nach meine Rückkunft gemeinsam die Hot Dogs zu essen, die schon vorbereitet waren. Nach diesem nachmittäglichen Mittagessen machten er und ich noch die restlichen Einkäufe im Gewerbepark, damit stand einem entspannten Pfingstwochenende mit einem zusätzlichen Feiertag am Montag nichts mehr im Wege Abends chillte ich zuerst und legte dann nach langer Zeit wieder einmal eine Dance-Night ein mit den von mir für meine Geburtstagsfest zusammengestellten Klängen. Erst nach Mitternacht ging es ins Bett, der nächste Tag forderte von mir wieder ein früheres Aufstehen, da ich zugesagt hatte, beim Hendlgrill unseres Dorf-Fußballklubs mitzuhelfen, Filius Nr. 3 begleitete mich. Wir hatten aufgrund der Vorbestellungen trotz Regens ein gutes Geschäft, es war fein, nach so langer Abstinenz vom Fußball wieder jene zu treffen, denen man sonst im Vierzehntagesrhythmus bei den Heimspielen unserer Mannschaft begegnet war. Um 13.30 Uhr was das letzte Hendl abgeholt, wir wurden noch auf eine Pizza eingeladen, was zu einiger Missstimmung bei meiner Frau führte, die für uns Hühner-Couscous gekocht hatte. Ich wusste nicht, dass sie damit auf uns wartete, ihre Antwort auf meine whatsapp-Nachricht an sie, dass wir später kämen, fiel dementsprechend verärgert aus. Um 15.30 Uhr waren mein Jüngster und ich wieder zuhause und legten eine verspätete Mittagspause ein. Damit wäre der Tag eigentlich auch schon gelaufen gewesen, hätte nicht Kater Dario auf seine Vernachlässigung durch mich aufmerksam gemacht, in dem er den Badezimmerteppich als Katzenklo benutzte. Ich widmete mich ihm nach der Reinigung des Teppichs intensiv – und wieder gut war‘s. Bei der Planung meines Abendprogramms stieß ich in der ORF TV-Thek auf die Wiederholung eines Fußballklassikers aus dem Jahr 1978. Damals war ich – als begeisterter Fan von Austria Wien - mit meinem Großvater regelmäßig bei den Heimspielen meines Lieblingsklubs. Ich hatte auch ein T-Shirt mit der Aufschrift „Austria Memphis“ (ja, das war damals noch möglich, dass eine Fußballmannschaft Werbung für eine Zigarettensorte machte, genauso wie es damals durchaus möglich war, dass Fußballer rauchten) und einen violetten Trainingsanzug einer No-Name-Marke, Aber zurück zu diesem Spiel: Im Halbfinale des Europacups der Cupsieger standen einander Dynamo Moskau und eben Austria Wien gegenüber, das Hinspiel in der russischen Hauptstadt war 2:1 für Moskau ausgegangen und die Austria brauchte ein 1:0 oder einen Sieg mit zwei Toren Unterschied. Ich erinnere mich heute noch an diese aufregenden Stunden in einem mit über siebzigtausend Besuchern ausverkauften Wiener Stadion. Ich stand eingequetscht zwischen meinem Vater (der meiner Erinnerung nach zum ersten und einzigen Mal bei einem Match mit dabei war) in eben jener Menschenmenge auf einem Stehplatz relativ weit oben hinter einem der beiden Tore. Nun sah ich dieses Spiel zum ersten Mal im TV und konnte meinem Jüngsten begeistert davon erzählen. Obwohl ich den Ausgang der Begegnung noch wusste, verriet ich ihm nichts. Die Partie ging in die Verlängerung, da die Russen in der allerletzten Minuten das 1:2 erzielten und die Erfüllung der Finalträume der Wiener nach hinten verschoben. Diese endete torlos, ein Elfmeterschießen musste her. Und dabei gewann mein Team, weil Tormann Hubert Baumgartner den fünften Elfer des Gegners abwehrte. Die Freude war grenzenlos! Im Finale im Pariser Prinzenparkstadion, dem ich via Fernseher beiwohnte, gingen die Wiener gegen Anderlecht aber sang- und klanglos mit 0:4 unter. Ein gelungener Abend, der auch meinem jüngsten Sohn Spaß machte. Der Pfingstmontag war dann zuerst dem wöchentlichen Putzen gewidmet, zu Mittag genossen wir wieder einmal Raclette, nach der Mittagspause mit Chillen am roten Gartensofa bereitete ich eine Sauna vor, die ich nach all den vielen Menschenbegegnungen der vergangenen Tage für psychisch und physisch wichtig hielt. Es war herrlich, die damit verbunden gewesenen Anstrengungen so richtig rauszuschwitzen, mit dem Gartenschlauch und kaltem Wasser abzuspritzen und danach ein kühles Bier zu genießen. Und das war‘s dann auch schon mit dem Fest der Begeisterung und mit meinem 99. Lebenstag.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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