Zum Auftakt schenke ich meiner Liebsten einen Haarschnitt zu ihrem Geburtstag, ich bin dabei absolut kein Profi, aber ich gebe mir jedesmal Mühe, das beste zu machen. Meine Frau hat diesbezüglich ihren eigenen Kopf und kaum eine Friseurin hat es bislang geschafft, ihren Wünschen zu entsprechen. Ich da schon eher, oder schweigt sie dazu dezent? Ich glaube eher nicht, da sie sich auch anlässlich ihres bevorstehenden Geburtstages entschieden hat, mich zu „konsultieren“. Sie ist nach der gut 30-minütigen Prozedur zufrieden, ich auch, obwohl ich schon noch etliches Verbesserungspotential erkenne, weil mir einfach so manche technische Raffinesse fehlt.
Zum Ausklang des Abends folge ich einer Empfehlung meiner Liebsten und schaue mir eine Wohlfühlkomödie mit dem Titel „Ein Geschenk der Götter“ an (Achtung: nur mehr bis 1.5.20 verfügbar!). Ein feiner Plot in einer sehr guten Inszenierung mit ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen. Eine Gruppe Arbeitssuchender soll von einer ebenfalls arbeitssuchenden Schauspielerin in einem Kurs der Arbeitsagentur mittels Schauspielunterrichts zur erfolgreichen Jobsuche animiert werden. Es wird ein Kurs in Selbst- und Lebenserfahrung für alle Beteiligten und am Schluss wird das dazu herangezogene Stück „Antigone“ von Sophokles sogar im Stadttheater aufgeführt und zum großen Erfolg für alle Beteiligten. Da kamen bei mir auch Erinnerungen hoch an zwei Ereignisse: Zum einen hatte ich vor vielen Jahren einmal einen Auftrag in Krems, Mitarbeiter*innen einer soeben geschlossenen und nach Laos verlegten Spanplattenfirma im Rahmen einer Stiftungsmaßnahme des AMS Niederösterreich auf ihr „neues“ Leben vorzubereiten; da sich zu wenige aus der soeben verlegten Fabrik dazu anmeldeten, blieben mir statt der zuerst vereinbarten sechs nur vier Wochen Zeit. Ich lief trotz anfänglicher Unsicherheit zu Höchstform auf und alle Teilnehmer*innen konnte bei der abschließenden Präsentation der Berufsprojekte vor dem vom Land Niederösterreich entsandten Bürokraten überzeugend performen. Ich war stolz auf die Damen und Herren. Besondere Freude hatte ich mit zwei Männern und einer Frau. Der eine fand eine Anstellung als Staplerfahrer im Weingut der Firma Spar in Fels (und war richtig stolz), der andere konnte sich dem widmen, was er aus gesundheitlichen Gründen viele Jahre zuvor aufgeben hatte müssen. Da war er nämlich als Maurer für die Kirchensanierung in der Wachau zuständig gewesen, ein wahrer Ästhet. Und dann landete er wegen eines kaputten Rückens in der Spanplattenfabrik, um sein Dasein zu fristen und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und nun fand er eine Anstellung in einem Schloßgut an der Donau, wo er die Aufsicht über die Gebäudeerhaltung und -sanierung übernehmen sollte. Ein Traumjob. Keine körperliche Arbeit, aber er konnte seine ästhetische Ader wieder einsetzen. Die junge Dame, die in der Verwaltung der geschlossenen Firma gearbeitet hatte, schlug ihren Weg in Richtung Energiearbeit ein. Ich war zuerst skeptisch (nicht, was sie, sondern was die dazu benötigte Förderung durch das Land NÖ betraf), aber sie überzeugte die verantwortlichen Herren eindrucksvoll. Möglich gemacht hatte diese mutigen und beeindruckenden Auftritte eine wunder-volle Methode, nämlich eine Biographiearbeit: Es galt den eigenen Lebensweg zu veranschaulichen und die guten und die schlechten Ereignisse einzuzeichnen; weiters war es nötig, sich klar zu machen, welche Eigenschaften und Stärken und Talente zum Erfolg geführt hatten (natürlich nicht nur im Beruflichen) und welche in Krisen geholfen hatten bzw. welche Menschen als Unterstützung zur Verfügung gestanden sind. Zum anderen hatte ich vor einigen Jahren die Gelegenheit mit einer Gruppe von Schüler*innen zwischen 5 und 16 Jahren einen Theaterworkshop zu gestalten. Ich konnte also die von mir entwickelte Integrative Theaterarbeit, in der Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund stehen, erstmals so richtig ausprobieren. Und auch dieses Projekt war ein voller Erfolg, wie der kräftige Applaus bei der Abschlussaufführung und danach folgenden Gratulationen aus dem Publikum bezeugten. Ich erinnere mich noch an die vom Team entwickelten „Hamlet-Dialoge“, den „Erlkönig-Rap“ und ein selbstgestaltetes Minitheaterstück um einen Supermarkt-Überfall, dessen Titel mir schon entfallen ist. Auch hier war ich ganz in meinem Element, diesen jungen Menschen, die Möglichkeit zur Selbsterfahrung, -darstellung und -reflexion zu geben – und dabei selber noch eine Menge für und über mich zu lernen. Der Geburtstag meiner Liebsten dann von Anfang an logistisch sehr herausfordernd. Um halb acht weckte mich mein Jüngster, weil wir vereinbart hatte, frühmorgens zum Greißler zu fahren, um Mittagsgetränke und „süßen“ Tischschmuck zu kaufen. Bei uns ist es Tradition, dass das Geburtstagskind erstens den Platz am Kopfende des Esstischs bekommt und zweitens ein Tischset, das von Süßigkeiten „umrandet“ ist. Also ging es gleich mal ohne Frühstück an die Einkäufe. Danach dann kümmerte sich Sohn Nr. 3 um die Deko und ich machte meiner Liebsten den Frühkaffee und brachte ihn ihr ans Bett. Heute hatte sie sozusagen dienstfrei. Kurz danach schoss es mir plötzlich ein, dass es keinen Geburtstagskuchen und auch keine Blumen gab (da Sohn Nr. 2 seinen ursprünglichen Geschenkplan kurzfristig verändert hatte). Ich hatte keinen gebacken, also musst einer her – und natürlich auch ein schöner Blumenstrauß. Ich schwang mich nochmals aufs Rad und fuhr diesmal in den Supermarkt, um einen Kuchen zu besorgen, machte auch gleich einen Abstecher in den Drogeriemarkt, um Katzenstreu einzukaufen. Für Mittag waren Speisen aus der örtlichen Pizzeria geplant, diese galt es um 11 Uhr zu bestellen, damit wir rechtzeitig speisen konnten. Es war ein Balanceakt, da das Studium der Speisekarte für jedes Familienmitglied eine geraume Zeit in Anspruch nehmen würde, vor allem unserer Ältester und meine Liebste wollten sich ausreichend Zeit nehmen, um Neues zu entdecken und auszuprobieren. Sohn Nr. 2 war zudem noch mit Online-Schulstunden beschäftigt. Mein Jüngster richtete einstweilen Tisch und Kerzen für den Kuchen her, ich nahm äußerlich geduldig aber innerlich ungeduldig die Bestellungen aller entgegen. Für mich war klar, dass es die geklappte Calzone sein musste, sie hatte ich schon bei unserem ersten Besuch am Tag der Besichtigung unseres damals noch nicht gemieteten Hauses in unserem neuen Heimatdorf mit Genuss verspeist. Ein wichtiges Entscheidungskriterium im Hinblick auf unsere neue Bleibe war die Tatsache gewesen (zumindest für unseren Jüngsten – und daher natürlich auch für uns als liebevolle Eltern), dass jenes Lokal den Namen des Lieblingsstofftieres, eines Esels mit italienischen Wurzeln, trug. Was für ein Zufall. Ich konnte pünktlich bestellen, Ich konnte pünktlich abholen, zudem war ja noch ein Gutschrift für eine Pizza offen, weil uns bei der Hauszustellung zum Geburtstag unseres Ältesten vor knapp einem Monat zu viel verrechnet wurde. Auch das klappte, der Chef persönlich brachte die Speisen, kassierte und wünschte meiner Frau mit einer Flasche Rosé auf seine Weise alles Gute zu ihrem Ehrentag, alles ohne Maske natürlich, was mir an diesem Tag sehr sympathisch war, hatte ich doch bereits zwei Einkaufstouren mit Maske rauf – Maske runter Maske und Hände waschen – Maske rauf – Maske runter – Hände und Maske waschen hinter mir. Das Essen mundete, die Geschenke gefielen, ein Zwist unter den Brüdern diesbezüglich wurde auf den nächsten Tag verschoben. Ein Nachtrag zu einem der beiden Einkäufe: In jenem Supermarkt im Gewerbepark, in dem wir derzeit unseren großen Wocheneinkauf machen, wurde eine Mitarbeiterin abgestellt um den Kund*innen mit Desinfektionsmittel besprühte Küchentücher in die Hand zu drücken und sie darüber zu informieren, dass „Sie das Einkaufswagerl bitte selber desinfizieren“ (sic!). Im Eingangsbereich fiel mir dann ein Schild erstmals ins Auge, dass sicher schon länger dort angebracht ist. Es informierte mich, dass ich den Markt nur betreten dürfe, wenn ich Maske trage, den Abstand halte und keine CoVid 19-Symptome hätte. Letzteres irritierte mich, denn was sind das nun für Symptome, auf die ich zu achten hätte, bei einer Erkrankung, die so oft asymptomatisch verläuft? Ach ja: Am Vormittag brachte der Postler für Herrn Michael den nächsten blauen Brief aus Linz. Ich hatte intuitiv damit gerechnet, dass er just am Geburtstag meiner Frau kommen würde, ich vergrub ihn unter anderen Notizen an meinem Schreibtisch, um die Stimmung nicht zu zerstören, verlor meiner Liebsten gegenüber kein Wort und werde ihn dort liegen lassen, bis ich die Angst vor dem Öffnen verliere, denn Angst ist kein guter Ratgeber für jene Fälle, in denen ein klarer Verstand gefordert ist. Wahrscheinlich handelte es sich ohnehin nur um die Antragsformulare für die Verfahrenshilfe, die ich angefordert hatte und eventuell aktuelle Nachweise über den Studienfortschritt meines mich auf Unterhalt klagenden verlorenen Sohnes. Und noch ein Nachtrag zu diesem so ereignisreichen Vormittag: Auf meiner Fahrt in den Supermarkt fuhr ich an zwei Arbeiterinnen vorbei, die die Beete am Straßenrand pflegten, sie waren braungebrannt, und arbeiteten mit Freude, bedächtig und miteinander plaudernd. Bei meiner Rückfahrt saßen sie dann nebeneinander am Gehsteig (in gebührendem Abstand) und hielten ihre Gesichter in die Sonne. Ein wunderbarer, beruhigender Anblick in Zeiten wie diesen. Die Mittagspause cancelte ich, da ich keine Ruhe fand. Ich kümmerte mich um eine katersichere Umzäunung für unser Gemüsebeet, da unser jüngster Familienzuwachs die Sache für ein großes Katzenklo zu halten schien. Dann übersiedelte ich unser Insektenhotel, das hinter dem rasant wachsenden Hollerbusch verschwunden war an einen sonnigen, windgeschützten Platz. Zudem schmiedete ich mit meinem Jüngsten Pläne, sein Fußballspiel mit sich selbst attraktiver zu machen. Wir kamen zu dem Schluss, Holzmanderln mit zwei Beinen und einer Latte als Körper auf einem guten Sockel zu zimmern, die er dann auf seinem Xspielfeld aufstellen könnte. Knapp vor dem auf 17 Uhr vorverlegten Abendessen (an diesem Abend hatte auch meine Frau ihren ersten Online-Sprachkurs für die Volkshochschule und unsere Jungs mussten sich alleine beschäftigen, wir wollten aber noch gemeinsam essen), bekam ich eine E-Mail vom Niederösterreichischen Fußballverband, in dem mir die erfolgreiche Absolvierung meines Kindertrainer-Kurses bestätigt wurde. Ich wurde darin auch gebeten, ein Foto für die Trainercard hochzuladen. Da ich wusste, dass das derzeit hochgeladene Foto nicht den erforderlichen Kriterien entsprach, durfte mein Jüngster noch ein paar Schnappschüsse machen, ich warf mich dazu in mein Traineroutfit. Beim Hochladen brauchte ich drei Versuche, und eben soviele Bearbeitungen, bis alles passte. Und dann musste ich diese Neuigkeit natürlich umgehend meiner Facebook-Community zur Kenntnis bringen, was auch eine Fülle an positiven Reaktionen hervorrief, was mich wiederum sehr freute, war ich doch sowohl in der Ausbildungswoche im September des Vorjahres, als auch beim Erstellen der schriftlichen Trainingsdokumentation durch eine harte Schule gegangen. Dazwischen hatte es noch einen Putschversuch seitens eines Großvaters (und ehemaligen Kindertrainer und Jugendleiter, dem meine neuartigen Trainingsmethoden nicht schmeckten) gegeben, der meinen Co-Trainer und den Jugendleiter fast über den Tisch gezogen hätte. Ich hatte auch hier jede Menge Zeit und Energie verwendet, um diese Ungerechtigkeit erfolgreich abzuwenden, alle Eltern auf meine Seite gebracht, den Jugendleiter überzeugt, den Großvater ruhig gestellt und meinen Co-Trainer gewechselt. Ja, so war dieses Diplom also wirklich mehr als verdient und ich entsprechend stolz – obwohl es ja nach der erfolgreichen Prüfung am Ende des Lehrganges im Herbst eigentlich nur noch Formsache war. Ich war also um 17.59 startklar für meine Teilnehmer*innen im Vorbereitungskurs auf die Deutschmatura. Ach ja, noch eines: der Chef der Pizzeria, dessen Haus im Vorjahr bei einem Kellerbrand stark beschädigt wurde, fragte ich noch um einen Maurer, der ihm seine Fassade machen könnte. Auch das leitete ich noch in die Wege. Geht noch mehr an einem Lebenstag? Es geht immer noch ein bisschen mehr … aber ist das nicht die verquere Sicht eines Menschen, der trotz aller Erkenntnis vom kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem geprägt ist? Ein Dankanstoß für mich selbst also zum Abschluss von Tag Nr. 60 in meinem 55. Lebensjahr.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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