Ich begebe mich nach Oz. In einer unserer Erzählungen, in denen wir uns ausdachten, wohin unsere Glückskatze vor knapp sechs Wochen während des Sturmtiefs Sabine verschwunden sein könnte, ließ sie mit dem Orkan in jenes Land fliegen, das Frank L. Baum in seinem ersten Buch von einem schrecklichen Zauberer beherrschen ließ. Das Mädchen Dorothy rettete es mit Hilfe seiner Freunde, einer Vogelscheuche, einem Blechmann, einem Kürbiskopf und einem feigen Löwen. Vielleicht ist wieder Rettung angesagt und die Mizzi-Katz muss gute Taten tun, so wie sie sie eineinhalb Jahre für uns getan hat.
Ich begebe mich also nach Oz, finde die Verfilmung mit Judy Garland nicht als Stream, stöbere eine Stummfilmfassung des Buches auf und entdecke einen weiteren Oz-Film, der 1985 von Disney produziert wurde und vertiefe mich – mit Dario an meiner Seite am roten Sofa – in die neuerliche Reise von Dorothy in jenes Land, das nunmehr von einem Zwergenkönig regiert wird. Der Streifen mit dem Titel „Die fantastische Welt von Oz“ ist alles andere als ein Kinderfilm. Anfangs lässt er sich recht gut an, Dorothys Onkel baut in seiner Heimat Kansas gerade ein neues Haus, ihre Tante macht sich zunehmend Sorgen um den Gesundheitszustand ihrer Nichte und organisiert einen Psychiater, der das Mädchen mit Hilfe einer Stromtherapie (Elektrizität ist um 1900 gerade die neueste Errungenschaft der Menschheit und als Allheilmittel gepriesen) heilen soll. Und dann wird‘s nicht nur spannend, sondern durchaus „horrible“. Ich machte zwischendurch zwei Pausen, um ein wenig Luft zu schnappen, und hielt dann die knapp mehr als 100 Minuten bis zum Ende durch. Meinem Jüngsten werde ich das Werk nicht zeigen. Da lese ich ihm lieber – wie noch vor meinem Patschenkinoabend – Erich Kästner vor. Vor einer Woche haben wir uns am letztmöglichen Tag noch mit Büchern aus der Kremser Stadtbücherei eingedeckt, dazu gehören auch drei des deutschen Autors, der am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat, aber 67 Jahre früher geboren worden war. Gerade eben lese wir „Der 35. Mai“, eine kolossal fantastische Geschichte mit viel Humor und auch ein bisschen Science Fiction. Das 1932 veröffentlichte Wer bietet in einem Kapitel die Vision eines guten Lebens, in dem Menschen ohne Erwerbsdruck arbeiten, was ihnen Spaß macht und in dem für alles gesorgt ist, was für die Existenz notwendig ist. Wir hatten sehr viel Spaß mit dem sprechenden, rollschuhfahrenden Zirkuspferd Negro Kaballo, mit Konrad und seinem Onkel Ringelhuth. Ich schlafe trotz meines Aufenthalts in Oz recht gut. Am Programm des Samstagvormittags steht unser Familieneinkauf im Drogerie- und im Supermarkt im örtlichen Gewerbepark. Zuvor gibt noch das Handy meiner Frau zum zweiten Mal innerhalb eines Monats den Geist auf. Beim ersten Mal war es ein Softwarefehler, nun schaut es – aufgrund der Symptome – nach genau demselben Problem aus. Und das in diesen Zeiten. Unser Jüngster erklärt sich bereit, das alte Handy, das er durch den Neukauf eben jenes Montagsmodells zu seinem machen konnte, zur Verfügung zu stellen- mit der Bedingung, dass er seine täglich 20-Minuten-Handyzeit weiter nützen dürfe. Das OK dazu fällt uns nicht schwer. Während wir unterwegs sind, hütete Kater Dario das Haus, er hat es gut, drinnen bollert unser CELUS-Küchenherd und wärmt die Bude. Ich bin froh nach dem Wettersturz, der uns heute Früh und auch den ganzen Tag nur 8 Grad Celsius (nach 20 Grad am Vortag) beschert, wieder heimzukommen und mache mich gleich ans Mittagessenkochen: Linsen mit Knödel. Danach ein kurzes Mittagsschläfchen, es ist einfach herrlich. In der Zwischenzeit arbeitet meine jüngere Tochter aus der Ferne mit meinen Antworten auf ihre Fragen und liefert mir über whatsapp Ideen zur persönlichen Weiterentwicklung. Es ist so schön zu erleben, dass sie – wie auch ihre ältere Schwester – ihren Weg gemacht hat. Und gerade bei ihr ist es immer schon spürbar gewesen, dass wir eine besondere Verbindung haben, auch in all den Jahren in denen uns das Leben auseinander gebracht hatte. Dafür war das Wiedersehen vor wenigen Monaten nach so langer Zeit ein ganz besonderer Moment, ebenso ihr Hiersein an meinem Geburtstag, an dem ich auf Route 55 aufgebrochen bin - und Schritt für Schritt finden wir nun auf ganz neue Weise zueinander. Apropos Geburtstag: Mein lieber, langjähriger Freund Franz, mit dem mich – wie meine Leser*innen noch in Erinnerung haben – zuletzt am Donnerstag der Vorwoche (Tag 18) getroffen hatte und von dem ich bei dieser Gelegenheit zum Essen eingeladen worden war, feiert heute seinen Siebziger. Ein SMS mit Wünschen ist das Mindeste, er antwortet via E-Mail. Wir haben Freude miteinander. Es gab so Vieles, was wir miteinander erleben durften, die Zeit bei den Pfadfindern, als er noch ein guter Kumpel meines Vaters war und wir noch keinen freundschaftlichen Kontakt pflegten und unser Zusammenwachsen, bei dem wir nach und nach unsere Seelenverwandtschaft entdeckten. Er ging mit mir durch dick und dünn, war auch in den Tiefpunkten meines Lebens stets an meiner Seite, erlebte mit mir auch mein Ankommen bei und mein Heimkommen zu meiner Aller-Liebsten vor zehn Jahren, nachdem ich durchaus ausdauernd in zwei vorgehenden Beziehungen trotz aller Wirr- und Widernisse, die mir schon früher zu denken geben hätten sollen, aus- und durchgehalten hatte, in der einen zehn und in der anderen gar sechzehn Jahre. Die erste hat mir zwei wunderbare Töchter beschert, wofür ich sehr, sehr dankbar bin. Die andere einen angenommenen Sohn, der mir - wie seine Mutter - auch heute noch mein Leben schwer zu machen versucht, allerdings mit schwindendem Erfolg, denn einmal muss Schluss sein. Auch mit dem schlechten Gewissen, dass - so sagen objektive Beobachter der Szenerie, wie eben mein guter Freund Franz - keinesfalls berechtigt ist, bei all dem, was ich für die beiden in meiner unermesslichen Fürsorge und Hilfsbereitschaft in all den vielen Jahren getan habe. Dazu vielleicht ein anderes Mal mehr. Gerne erinnere ich mich noch an meinen Besuch bei Franz in Zypern, und zwar im türkischen Teil in Famagusta. Franz war dort als UNO-Soldat stationiert und in den Osterferien des Jahres 2000 war ich bei ihm zu Gast und durfte dort seinen 50er mit ihm feiern. Er lud mich auf eine Zigarre, die ersten und bislang einzige meines Lebens ein. Dann chauffierte er uns (meine damalige Lebensgefährtin, ihren damals noch alleinigen Sohn und mich) durch die Städte, ich kam mit dem orthodoxen Christentum und dem Islam hautnah in Kontakt, badete am Strand von Varosha, der Hotel-Ruinen-Stadt, durchstreifte die geteilte Hauptstadt Nikosia und erlebte eine Osternachtfeier in der Pufferzone, ein sehr ambivalentes Erlebnis. Zum einen ringsum die Wachtürme der verfeindeten Armeen und die Gefahr von Minen, zum anderen eine wunderbare Naturkulisse, in der der Mensch kaum noch eine Rolle spielte. Nie zuvor waren Karfreitag und Ostersonntag für mich so nachvollziehbar. Der Tag klang mit jener Tätigkeit aus, die dieser Tage zu erledigen ist: Den vorletzten Arbeiten für die Einkommenssteuererklärung von 2018. Ich tat, was zu tun war. Und ich freue mich schon, wenn die Sache am Montag bei der Steuerberaterin landet. Und wie jedes Jahr so nehme ich mir auch heuer vor, damit nicht wie bisher bis zum letzten Moment zu warten. Ändern kann ich das Ergebnis eh nicht.
2 Comments
Sabine Fila
24/3/2020 08:37:10
Ich bekomme jedes Mal soooo ein schlechtes Gewissen, wenn du diesen blöden Sturm erwähnst😔😿
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M.A. Karjalainen
24/3/2020 09:43:22
Liebe Sabine, dafür, dass der Sturm deinen Namen trägt, kannst du ja nichts. Ich werde ihn ab nun nicht mehr namentlich erwähnen, so ich ihn überhaupt nochmal erwähnen werde. Und für das Verschwinden der Mizzi-Katz kannst du ebenso gar nix. Oder sieh's so: Auf diese Weise hast du meinen Jüngsten und mich inspiriert die Geschichte einer Glückskatze aufzuschreiben, die eines Tags während eines Sturms verschwindet und einer zerstrttenen Familie hilft, gemeinsame Sache zu machen. Und: Nun ist ja auch der schwarze Kater Dario bei uns gelandet. Danke für dein Mitfühlen, aber bitte keine Schuldgefühle mehr! Alles Liebe!
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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