Da die Nacht meine Lebenstage nicht voneinander trennt, sondern nur der Sekundenzeiger auf der Uhr, begann der 25. Lebenstag im 55. Lebensjahr in derselben Stimmung wie der vorige geendet hatte. Die Stunden bis zum Schlafengehen waren nicht mehr zu retten. Ich dachte am Sofa nach bis mein Kopf so schwer war, dass er mich in die Seitenlage zog. Als ich durch die Stimme meiner Liebsten geweckt wurde, lag der schwarze Kater dicht an meine Brust gekuschelt neben mir. Er wärmte meine von mir selbst gequälte Seele. Ich hielt es kaum noch aus mit mir. Ein Zustand, den ich ändern sollte, aber noch nicht wollte. Die Nacht unruhig, voller Träume, die nichts Neues brachten, keine Erlösung in Sicht.
So war ich auch in meinen wachen Stunden tagsüber nicht wirklich wach. Ich bewegte mich im Halbschlaf zwischen kurz aufblitzenden Hoffnungsschimmern, denen enorme Kraft innewohnte, und lang gedehnten Abgründen, die ich lustvoll durchwanderte. Meine arme Liebste, die diesen Anblick zu ertragen hatte. Sie nahm es – aus der Erfahrung, dass meine abgründigen Phasen nie länger als wenige Tage anhielten – mit der ihr angeborenen Gelassenheit, da auch diesmal sämtliche Versuche, mich aufzuheitern oder zu ermuntern, gnadenlos scheiterten. Ich mochte die Verlorenheit des Mit-mir-Alleinseins trotz der Tatsache, dass ich mich kaum aushielt. Was ich immer noch zu lernen habe, ist eine gesunde Pflege meiner selbst und meines Selbst. Der Anstoß, mich zum Leben aufzuraffen, kam niemals noch von außen, er folgte immer bloß dem Impuls aus meiner eigenen Mitte. Einen dieser Hoffnungsschimmer ergriff ich, um unserem Sozialminister und dem Vizekanzler ein E-Mail zu schreiben, in dem ich die Idee eines befristeten Grundauskommens ansprach und dieses für die nächsten Wochen bzw. Monate vorschlug, um eine einfache unbürokratische Überlebenshilfe für alle Bürger*innen unseres Landes zu ermöglichen. Die Antwort kam recht prompt. Man wolle keine Umwälzungen, man tue aber alle, um keine*n zurückzulassen. Ich solle noch bis Montag Geduld haben, da kämen dann auch Maßnahmen, die für meine Frau und mich eine Erleichterung bringen sollten. In Erwartung meines abendlichen Kurstermins für die Teilnehmenden meines Vorbereitungskurses auf die Deutschmatura wurde ich zusehends aus mir herausgelockt. Die Nervosität, ob die von mir mit den Teilnehmer*innen ausgemachte Online-Methode funktionieren würde, hielt mich in Atem und als um 18 Uhr bloß zwei eingeloggt waren, drohte ich auch hier die Hoffnung zu verlieren. Doch innerhalb der nächsten Minuten waren dann 7 von 9 da und es startete eine neue Erfahrung. Für so etwa bin ich, als Pioniergeist, jederzeit zu haben, es belebt mich, es beschwingt mich. Zu schaffen machen mir die Mühen der Ebene, des Alltags – dafür aber habe ich mir schon eine gute Stratege zurecht gelegt, finde ich doch auch in diesen alltäglichen Momenten mittlerweile allerlei Spannendes. So war der Übergang zum nächsten Lebenstag, der mitten in den Onlinekursus fiel, ein angenehmer.
1 Comment
Franz Raberger
20/3/2020 15:46:00
Bravo Michael ! kann Dir nachfühlen, wie gut Dir der Erfolg mit dem Fernunterricht tat ! Mehr davon ! LG Franz
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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