Wir warten. Seit 7.00 Uhr. Unsere Vermieterin hat für heute den Startschuss zur Dachrenovierung angekündigt. Sie und ihr Mann wollten zur angegebenen Stunde da sein und jene Vorarbeiten leisten, die den Beginn der Sanierung durch die Fachfirmen ab dem kommenden Tag ermöglichen. Der Himmel ist bewölkt. Die Dämmerung hält länger an und es wird Zeit für die „Normalzeit“, die am nächsten Sonntag wiederkehren wird. Das bringt dem Morgen eine Stunde früher Licht, der Abend allerdings wird länger. Die Geister scheiden sich, zweimal im Jahr. Dann aber ist die Sommerzeit für heuer tatsächlich zu Ende auch wenn uns die Wetterfrösche für die Wochenmitte mit föhnigem Südwind bis zu 24 Grad Tageshöchstwerte prophezeien. Morgendämmerung kommt in meinem Leben kaum noch vor, weil ich mich ja eher nachmittags und abends um den Broterwerb kümmere. So ist auch im Haus heute eine besondere Stimmung, die Großen sind schon an ihre Ausbildungsstätten abgedampft, meine Frau hat sie wie wochentags immer mit einem guten Frühstück in ihre Welt hinausgeschickt. Unser Jüngster sitzt auch schon beim Frühstückstisch, er wärmt sich mit einem guten Tee mit Honig und Zitrone. Und ich ordne die Gedanken, die mich in den letzten Tagen beschäftigt haben. Mittlerweile ist es 7.45 Uhr. Und wir warten immer noch.
Feuer. Fire walk with me. Feuerpferd. Der Erzengel mit dem Flammenschwert. Fegefeuer. Höllenfeuer. Freudenfeuer. Feuerwerk. Moloch. Die gleichnamige Serie auf ARTE hat das Thema „Feuer“ in mein Leben zurückgebracht. Fasziniert davon war ich – wie wahrscheinlich jeder (junge) Mensch - von jeher, wuchs ich doch einerseits mit Öfen (in meinem Zuhause der ersten 5 Lebensjahre, bei meinen Großeltern, in den Osterurlauben im Mariazellerland und den Pfadfinderlagern auf der gepachteten Holzfällerhütte) andererseits mit Lagerfeuern (bei den Pfadfindern) auf. Als die Funken stoben, als die Flammen züngelten - rot, orange, gelb und blau – war ich von Anfang an in meinem Element. Es ist 8.18 Uhr und gerade fährt ein Bagger an meinem Fenster zum Garten vorbei. Der Mann der Vermieterin sitzt am Steuer und kurvt gekonnt zwischen Apfel- und Kirschenbaum sowie unserer jungen knapp 25 Zentimeter großen Tanne quer durch unsere Bienenwiese durch, um zum Dach über unserer zukünftigen Terrasse zu kommen. Offenbar sollen in der Schaufel des Gefährts die alten Dachziegel Platz finden, die den neuen weichen müssen. Und dieser Vorgang des Vor- und Zurückschiebens wird wohl noch den Tag über anhalten. Auch die Fußballwiese unseres Jüngsten wird wohl darunter zu leiden haben, befindet sie sich doch genau vor jenem Überdach. Ich muss meine feurigen Gedankenflüge unterbrechen, bemerke auch, dass ich hungrig bin und noch kein Frühstück im Bauch habe. Aber irgendwie ist mir ein wenig flau zu Mute. Auch hier gilt das Sprichwort „Wo gehobelt wird, fliegen Späne!“ Ich hoffe, dass der Preis für das von uns ersehnte neue Dach nicht einen hohen Preis, nämlich einen verwüsteten Garten, hat. Ich muss etwas essen. * * * Vierundzwanzig Stunden später sitze ich wieder an meinem Schreibtisch mit Gartenblick. Ich bin um viele Erfahrungen reicher und unser Kater steht derzeit – mit noch offenem Ende – unter Hausarrest. Unsere Blumenwiese ist flachgedrückt, die Fußballwiese unseres Jüngsten besteht zur Hälfte nur noch aus schlammigen Baggerreifenspuren. Das Gefährt, das diese Übeltat verrichtet hat, steht in unserer Hofeinfahrt und wartet auf seinen nächsten Einsatz, der wohl heute erfolgen wird. Die Dächer sind abgedeckt, der Dachstuhl fast zur Gänze entfernt. Gestern Nacht war ich mit meinem Jüngsten noch auf unserer durch die Renovierung kurzzeitig verfügbaren „Dachterrasse“ Sternderlschauen. Ich versuche nun, meine feurigen Gedanken wieder aufzugreifen und niederzuschreiben. Meine Faszination für, aber ebenso die Furcht vor Feuer aller Arten wurde mir erst durch meine Liebste bewusst, die mir die chinesische Astrologie näher brachte. Ich erinnere mich noch an jenen Samstagvormittag, als wir gemeinsam in einer großen Wiener Buchhandlung ein Kompendium derselben erwarben und dann bei Kaffee und Kuchen in die beeindruckende Welt der fernöstlichen Charakterisierung von Menschen eintauchten. Dabei wurde ich als Feuerpferd „gebrandmarkt“, was mir so manche Erfahrung meines Lebens erklären half. Wie ich mittlerweile weiß befinde ich mich in bester Gesellschaft, so sind etwa der ORF-Anchorman Armin Wolf oder die beiden Fußballtrainer Peter Stöger und Franco Foda Leidensgenossen. Mein Spiel mit dem Feuer, das so manche Lebensphase prägte, ist ein sprechender Ausdruck meiner Feuerphilie. Nicht selten habe ich mir dabei mehr als die Finger verbrannt. Da ich auch gerne koche und backe, ziert so manche „Erinnerung“ an eine zu intensive Begegnung mit Hitzequellen aller Arten meine Hände und Unterarme. Ich bin durch so manche innere Hölle gegangen – und werde wohl auch noch zukünftig die eine oder andere durchschreiten, weil es Teil meines Wesens ist, dem Feuer zu nah zu kommen. Wie gut, dass mir mittlerweile auch ein Regenerationsmechanismus zu eigen ist, der mich nach diesen brennenden Erlebnissen wieder zurück in die Spur bringt und mir bewusst macht, dass auch ein Leben ohne Feuer seinen Reiz hat. Und auch der Name, den mir meine Eltern gegeben haben, zeigt einen Aspekt meines Charakters. Michael, der Erzengel mit dem Flammenschwert, dessen Name mit der Frage „Wer ist wie Gott?“ aus dem Hebräischen ins Deutsche übertragen wurde, und der der Mythologie nach Gut und Böse scheidet, hat seine Auswirkungen in meinem und auf mein Leben. Ich ging oft und gehe auch heute - zwar weniger – aber immer wieder sehr hart mit mir und anderen ins Gericht. Ich durfte aber im Lauf der Jahre lernen, dass die Welt nicht nur aus schwarz und weiß besteht, sondern regenbogenbunt ist. Was für eine Erleichterung - und paradox, dass Komplexität genau jenes Gefühl hervorruft. Gerade in Zeiten wie diesen, wo die Welt sich in Lagern zusammenfindet, die einander befeinden anstatt gemeinsam an guten Lösungen zu arbeiten, ist das aber enorm hilfreich. So kann ich der heutigen Schlagzeile der Ö3-Nachrichten „Corona spaltet Österreich“ nichts abgewinnen, weil es ja nicht der Virus ist, sondern der Umgang der Menschen damit und die gegenseitige Schuldzuweisung, die uns zunehmend in zwei Lager abdriften lässt. Und hier hätte Politiker*innen die Aufgabe zu einen und sich nicht auf die eine Seite zu schlagen. Das ist ein Grundfehler, der Gemeinschaften im Extremfall ins Verderben stürzen kann, wie auch die Geschichte beweist. Leider dient diese nichts als Lehrmeisterin, jede Generation will offenbar ihre eigenen Erfahrungen machen. Die ARTE-Serie Moloch, deren Titel sich auf die Bezeichnung biblischer Kinderbrandopfer bezieht, erzählte davon, dass Menschen sich scheinbar grundlos einfach selbst entzünden und verbrennen. Das ist der eine eher reißerische Aspekt der Filme, der mich nicht bewogen hätte, insgesamt sechs Stunden durchzuhalten. Der andere Gesichtspunkt war für mich wesentlich bewegender: es ging um Schuld und Sühne, um Vergehen, Reue und Vergebung. Alles Lebensthemen, die so meine ich, wohl jeden Menschen umtreiben, mich jedenfalls ganz intensiv. Neben all dem, was ich verbockt habe, wo ich mich schuldig gemacht und andere damit verletzt habe (bewusst und unbewusst), gibt es einen roten Faden, der mich – der ich nur allzu gerne und allzu schnell Verantwortung übernehme – immer wieder und nur allzu leicht zum Sündenbock und zur Projektionsfläche gemacht hat mit zum Teil extremen Auswirkungen auf meine Existenz und die Existenz jener, die mit mir zusammenleb(t)en. Aber bevor ich die für mich typischen Schuldgefühle pflege, um meine selbstzerstörerischen Phasen zu nähren, und damit auch jenen, die mich zu Unrecht zur Verantwortung ziehen wollen oder sogar beschuldigen, Zündstoff gebe – ein Teufelskreis –, setze ich hier einen Schlusspunkt, um mich auch den positiven Seiten meiner Feuer zuzuwenden: dem Feuer der Begeisterung beispielsweise, das mich immer wieder neu beginnen lässt, das mich die eine oder andere Initiative ergreifen lässt, über die andere nur reden ohne zu handeln oder meine feurigen Worte in Texten und Reden, die andere mitreißen und in Bewegung bringen. Tja, auch die „Feuer-Medaille“ hat zwei Seiten. Draußen tobt weiterhin der Dachabriss-Sturm, Getrampel über meinem Kopf, Motorsägenkreischen und das Quietschen und Rumpeln der Dachbalken, die gerade entfernt werden. Einer der Balken hat beim Abwurf auf die Wiese unsere Tanne getroffen, wir werden sehen, wie überlebensfähig sie schon ist, ist sie doch seit zwei Jahren unser lebender Weihnachtsbaum und heuer erstmals nicht im Topf sondern auf ihrem Platz auf der Wiese. Die Zimmerer werden wohl erst morgen kommen und nicht schon – wie ursprünglich angekündigt – heute. Zum Abschluss dieses Eintrags möchte ich auch noch kurz auf die äußeren Ereignisse dieser Wochenend- und Wochenanfangstage eingehen. Am Freitag nahm ich mir die Freiheit, nach langer Zeit wieder einmal zum Großmarkt zu fahren, um Bio-Parmesan und Bio-Hühnerleber zu besorgen. Jener Parmesan ist laut Testberichten der einzige in Österreich im Handel befindliche, der die wenigste Schwerölbelastung aufweist (woher die kommt, konnte ich im Rahmen meiner Recherchen leider nicht klären) und der auch nach Grana Padano-Kriterien gereift ist, die Leber, die ich immer geröstet zubereite (so war sie schon in Kindertagen eine meiner Lieblingsspeisen), ist von Zeit zu Zeit nicht nur ein Leckerbissen für meine Liebste und mich, sondern natürlich auch unseren Kater Dario. Mittags klingelte dann der Postbote, um mir Neuigkeiten aus Linz zu bringen. Die werde ich demnächst an mich heranlassen, um die daraus resultierenden nächsten Schritte zu setzen. Dazu muss ich noch das dabei hochlodernde innere Feuer in konstruktive und nicht selbstzerstörerische umlenken, hat doch diese in diesem Verfahren aufgewärmte Vergangenheit nichts mehr mit meinem Leben zu tun – und dabei darf ich ein gutes Gewissen haben und muss meine Schuldgefühle, die der Realität nicht annährend entsprechen, in die Tonne werfen. Das Wochenende war dann von Fußball geprägt, am Samstagvormittag hatten mein Co und ich ein Training unserer U10-Mannschaft als Ersatz für die wetterbedingt abgesagten Mittwochseinheiten angesetzt, der Nachmittag war dann den Vorarbeiten für den am Montag beginnenden Dachumbau gewidmet. Sonntags spielten meine Fußballjungs dann in Kirchberg/Wagram, wir waren von 9 bis 13 Uhr unterwegs und konnten nach 1:5-Rückstand in Hälfte zwei ausgleichen und nach einem 5:6 drei Minuten vor Schluss in allerletzter Minute noch den neuerlichen und hochverdienten Ausgleich erzielen. Ab 14.30 hielten wir uns zur Fußballjause im Gasthaus unserer Fußballarena auf, mit dabei war auch meine Frau. Neben Debrezinern mit Gebäck gab es Kaffee und Kuchen und zwei Jugendspiele unseres Vereins. Abends dann ein sehenswerter Tatort „Züri brännt“ mit dem neuen Schweizer Team, der die Seher*innen in bewegte schweizerische Zeiten Anfang der 80er-Jahre mit Straßenschlachten und jeder Menge Gewalt führte, die mir bislang unbekannt waren. Die Spannung hielt bis zuletzt, die Thematik geprägt von Schuld und Sühne. Auch erfuhr ich, dass laut Schweizer Strafrecht Mord verjähren kann. Die Nacht auf Montag verlief traumreich, es waren nicht wirkliche Albträume, die mich heimsuchten, aber sehr stressige Ereignisse, die mich erschöpft erwachen ließen. Neben den schon beschriebenen Umbaumaßnahmen wurden am Montagvormittag auch jene Verschärfungen präsentiert, die die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Landehauptleuten im „Kampf gegen Covid 19“ beschlossen hatte. Verblüffend für mich die weitere Reduktion von Zuschauerzahlen bei Fußballspielen im Freien unabhängig von der Stadiongröße, das verpflichtende Tragen von „Masken“ auch bei diesen Outdoorveranstaltungen trotz der ohnehin schon geltenden Anstandsregelungen und das allgemeine Verbot des Ausgebens von Speisen und Getränken (auch bei Kultur- und Indoor-Events), womit die Wirtschaft wieder einmal runtergefahren wird, zu deren Förderung man ja diese Schritte ja angeblich setzt. Widersprüche über Widersprüche und mehr Fragen als Antworten, die zu einem Gutteil nicht evidenzbasiert und wissenschaftlich fundiert sind. Das Leben geht dennoch weiter ...
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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