Viel diskutiert wird dieser Tage über die Abschaffung des Bargeldes. Ich veruche gerade diesem Hype - auch für einen Beitrag auf Radio Orange - nachzugehen. Was ist dran, was ist Panik oder gar Verschwörungstheorie?
In diesem Zusammenhang und im Zusammenhang mit einer sehr persönlichen Frage habe ich ein Buch von Eugen Drewermann wieder zur Hand genommen. In "Von der Macht des Geldes" erhellt der Autor anhand von drei Märchen (Rumpelstilzchen, Der gestifelte Kater und Die Bremer Stadtmusikanten) die Hintergründe eines zutiefst menschenfeindlichen Geldsystems, das wir uns selbst geschaffen haben - und das wir noch dazu mittlerweile für gottgegeben, also unveränderlich halten. Spannend für mich war, dass ich mich vor kurzem wieder mit dem Märchen von den Stadtmusikanten beschäftigte. Dieses - und vor allem einen Satz daraus - hat mir eine liebe WegbegleiterIn vor knapp zwei Jahren einmal in einer krisenhaften Zeit "geschenkt": "Was besseres als den Tod findest du allemal." Auch mein Jüngster fasste vor kurzem die Bremer Stadtmusikanten aus dem Bücherregal und ließ sie sich von mir vorlesen. Und als ich Drewermann aufschlug, war die Lasche des Schutzumschlages genau an dieser Stelle eingeschlagen ("etwas Besseres als den Tod findest du überall") Viel gäbe es zu berichten, das sprengte aber meinen Tagebucheintrag. So will ich es bei wenigen, aber für mich bedeutsamen Zitaten belassen, die Drewermann uns am Geldsystem hängenden und leidenden mitgibt: Bremer Stadtmusikanten: "...worum es geht, ist der 'Einbruch' einer neuen, revolutionären Weltbetrachtung, um die 'Einführung' einer Geistesart, die den guten Bürgern in der Tat 'gespenstisch' vorkommen muss. 'Ein Gespenst geht um in Europa', schrieb denn auch Karl Marx ..." (Eugen Drewermann, Von der Macht des Geldes, Düsseldorf 2007, S.144) "Wer inmitten von 'Wirtschaftsasylanten' und 'Hungerflüchtlinge' allen Ernstes ein Haus sein Eigen nennt, lebt in Pracht und Luxus ... Armut, Elend und Verzweiflung - so die Geisteshaltung von Kommunisten und Urchristen - lassen sich nicht durch (eine) noch eifrigere Vermehrung von noch merh Prunk und von noch mehr Schätzen - auf dass es irgendwann denn doch für alle reichen möge - aus der Welt schaffen, sondern nur durch Beschränkung, Verzicht und Teilen. ... Wer inmitten von 'Wirtschaftsasylanten' und 'Hungerflüchtlinge' allen Ernstes ein Haus sein Eigen nennt, muss es anderen weggenommen, geraubt haben, und man hat folglich - so die Weltsicht aller 'armen Tiere' der Welt - ein Recht, die ursprüngliche Ordnung wiederherzustellen, in dem man ihn daraus vertreibt." (ebd. S. 145 f.) "Ein gewalttätiges Vorgehen, das ist ihnen klar, kommt für sie durchaus nicht in Betracht, davon verstehen die mutmaßlichen Räuber allemal mehr. ... in dieser Formation lassen sie nun im Chor, so gewaltig es geht, ihre Stimmen erschallen ... und der Erfolg ist durchschlagend ... Die Räuber ... flohen in größter Furcht in den Wald hinaus." (ebd. S. 142 f.) "Dies ist aber das eigentlich Märchenhafte an diesem Märchen: dass es -mit heiterem Augenzwinkern - die revolutionäre Gewalt, die in ihm liegt, vermeidet, indem es sie in das Gewissen der strukturellen Gewalt der Besitzenden selber verlegt." Denn: "... wann wäre Gewalt je tauglich gewesen, Weisheit zu lehren?" (ebd. S. 148 f.) "Eine 'andere' Welt kann es nur geben durch eine Änderung unseres gesamten Gesellschaftssystems. ... seine (des Märchens, Anm.) brennende Aktualität ist spürbarer den je. Wovon sie kündet ist ... die Rückerinnerung an eine verlorene Dimension der Menschlichkeit. ... Die ganze Welt könnte ein Paradies sein, ein Haus darin es den vier Bremer Musikanten, stellvertretend für alle 'Freigesetzten', so wohl gefällt, dass sie nicht wieder heraus wollten. Und so ist innerlich auch dies als eine Art 'Hausbesetzung' zu verstehen: es nach und nach zu lernen, den Freiraum des Lebens zu betreten, der sich öffnet, sobald wir uns von den verfremdenden Zwecksetzungen und Planungsvorgaben unsers Daseins zu lösen beginhen. All die verinnerlichten Schuldgefühle, sobald wir unsere Zeit nur einmal 'sinnlos' vertun und 'unnütz' vergeuden, basieren auf dem Minderwertigkeitsgefühl, nicht wirklich etwas wert zu sein, wenn wir nicht durch 'Wertschöpfung' etwas 'leisten'; doch der wahre Grund unseres Lebens besteht in jener heiligen Angstfreiheit ..." (ebd. S. 150) Diese Tatsachen sind nun auch mitten in unseren "reichen, westlichen" Gesellschaften angekommen, sie betreffen nicht mehr einige wenige und dann eventuell bloß Zugewanderte. Nein, der Keil geht mitten durch die Gesellschaft und spaltet die oberen 10 % von den anderen 90%. Letztere aber sind keineswegs eine homogene Gruppe, weil viele von ihnen noch immer glauben, dass sie durch ein Mitspielen im System (auch mit unfairen Mitteln) gute Chancen auf einen Platz bei den "Oberen Zehntausend" haben. Es braucht also eine Solidarität der "Unterdrückten", die mit ihrem "Geschrei" das Gewissen der Besitzenden rühren, so dass ihnen angst und bang wird. Erleben wir das nicht gerade immer wieder - aufflackernd an vielen kleinen und großen Ort rund um den Erdball? Rumpelstilzchen: "...indem es uns warnend, mahnend, beschwörend vor Augen stellt, was der verordnete Zwang zur 'Goldspinnerei' aus uns machen muss. 'Du bist unendlich viel mehr wert als alles Geld und Gut dieser Welt ... Du bist in deinem Dasein etwas Unbezahlbares. Du musst deine Existenzberechtigung nicht erst erarbeiten. Lass Dir Deine Schönheit nicht rauben. Tausch dich nicht ein gegen Erfolg und Karriere. Versuche, dich selbst zu bewahren gegen die Verbotsschilder all der 'Väter' und 'Könige' der sogenannten Realität. Sie meinen nicht dich; sie wollen nichts als die Vergrößerung ihrer selbst, als die Vermehrung ihres Besitzes - sie leben nicht wirklich, sie sind lebendige Tote. Höre nicht auf sie. Richte dein Augenmerk auf dich selbst. Du hast ein Recht auf deine Gefühle, und selbst in deinen Traurigkeiten liegt mehr Wahrheit als in all ihren Vergnügungen. Erlaube dir. glücklich zu sein. Du nimmst damit niemandem etwas weg. Die beste Art, Verantwortung wahrzunehmen für etwas Lebendes, ist: selber zu leben. Für die Menschen an Deiner Seite kannst Du nichts besseres tun, als der Mensch zu werden, der Du in Wirlichkeit bist. Denn als 'Königin', als 'König' leben wirst Du erst, wenn Du das 'Goldspinnen' drangibst, - und wenn Du beginnst, an Dich selber zu glauben." (ebd. S. 69 f.) Dem möchte ich heute nichts hinzufügen.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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