Zuerst eine Widmung des Sieges beim Song-Contest für alle, die an die Zukunft von Frieden und Freiheit glauben. Und dann noch: "We are unity - we are unstoppable - you know who you are.“
Davor gab es schon zweimal eine Performance des Liedes "Rise like a Phoenix", der die meisten Hörenden an einen Bond-Song erinnerte. In den Tagen vor dem Halbfinale am Donnerstag und an jenen zwischen diesem und dem Hauptbewerb gab es einen richtigen Hype um Conchita Wurst, das Alter Ego von Tom Neuwirth. Dieser reichte vom Shitstorm auf einschlägigen FB-Seiten bis zur Euphorie begeisterter finnischer Freundinnen meiner Frau. Tom und Conchita hatten die Herzen Europas erobert, quer durch den Kontinent. Meine Frau Reetta und ich schauten kurz vor Mitternacht in Kopenhagen vorbei, diesmal ließ uns der ORF-App auf meinem Handy nicht - wie so oft davor - im Stich und wir konnten in gestochen scharfen Bildern und ohne dauernde Unterbrechungen der Punktevergabe folgen, die viel schneller ablief als noch vor vielen Jahren, als ich zuletzt Euro-Song-Contest geguckt habe. Schnell war klar, dass die Sache klar war. Ich begann mich zu fragen, was denn zu diesem Erfolg geführt hatte. Erklärungen gibt es sicher unzählige, aber das perfekte Marketingkonzept alleine war es genausowenig wie der Text des Songs. So bin ich der Überzeugung, dass da jemand ganz seinem Weg gefolgt ist, einfach authentisch und ganz bei sich war. Wieso das in der von ihm geschaffenen Kunstfigur Conchita eher gelang als in seiner wahren Identität als Tom? Paradox? Vielleicht ... aber jede/r von uns weiß, dass sich in einer "Maske" das Wirkliche verbirgt, ja besser ausdrücken lässt und viel leichter von allen anderen akzeptiert wird. Der alljährliche Karneval und seine unzähligen Alter Egos sprechen für sich. Wenn wir noch weiter zurückschauen, hat sich auch die griechische Tragödie der Maske bedient und sie Persona genannt, Daraus konnten die Menschen ihre Schlüsse ziehen und sich leichter mit den Darstellenden identifizieren sowie bereitwilliger auf die Katharsis des eigenen Lebens und seiner Untiefen einlassen. Man konnte auf diese Weise ein neuer Mensch werden. Apropos neuer Mensch: Wenn wir unsere Projektionen - die negativen wie die positiven - ernst nähmen, dann würden wir rasch feststellen, das sie uns beide in unsere Schattenwelt führen (vgl. C. G. Jung). Ablehnung gegen und Euphorie für jemanden oder etwas zeigen uns die beiden Seiten einer Medaille, nämlich des Ungelebten in uns. Einmal müssen wir es verdammen, weil wir erfahren haben, dass sich ein solches Verhalten nicht gehört, ein anderes Mal müssen wir uns dafür unendlich begeistern, weil wir diese Seite in uns noch nicht in die Welt gebracht haben. Beides haben Conchita und Tom in den Menschen Europas ausgelöst. Und den Euohorikern sei gesagt, dass sie hier ganz deutlich wahrgenommen haben, dass auch sie diesen Weg einschlagen können, um neu, ja sie selbst zu werden. Wer so neu wird, also ganz authentisch und bei sich selbst ist, der kann damit nicht nur das eigene akzeptieren sondern auch dem Fremden Respekt zollen. Diese Möglichkeit haben uns Conchita und Tom in der vergangenen Nacht gelehrt. Wohl auch mit dem Ziel, dass es einmal an einem fernen Tag auch ganz ohne Masken gehen wird, die Person zu sein, die man immer schon war.
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Hinweis:
Meine Meinung zu aktuellen Themen habe ich bis 1.9.2015 im Blog "Mein Senf zu allem" veröffentlicht. Seither habe ich sie auf dieser Seite in meine Tagebucheinträge integriert.
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Juli 2019
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