Nachdem ich meine Vorbereitungsgruppe für die Berufsreifeprüfung Deutsch heute zur Analyse der Ringparabel in Lessings Nathan der Weise begleitet hatte, machte ich mich auf einen nächtlichen Spaziergang durch unseren Ort. Es war herrlich meinen Körper nach so viel Starre, also nach der Anspannung und dem Stress des Tages in Bewegung zu bringen. Erinnerungen wurden wach an meine erste ähnliche Runde, die nach unserer Übersiedlung Mitte Dezember 2017 absolviert hatte. Ich war damals sehr, sehr erschöpft und dementsprechend unrund gewesen – doch die Runde hatte mich wieder rund gemacht. Diesmal musste ich nicht rund werden, aber meinen Körper wieder in eine gesunde Mitte bringen. Das gelang damals wie heute ausgezeichnet.
Zum Abschluss des Kalendertages las ich Julie Zeh‘s Corpus Delicti fertig. Die Dystopie erreichte kurz vor Schluss ihren Höhepunkt, die Protagonistin wurde zum Einfrieren auf unbestimmte Dauer (die „neue“ Scheintodesstrafe jener Zeit) verurteilt, um knapp vor Vollstreckung begnadigt zu werden, weil man sich staatlicherseits keine Märtyrerin leiste wollte, die das System womöglich zum Kippen brächte. Meine anschließende Abendmeditation brachte mich in einen guten Schlaf. Fit für die geplante Tour ins Innere der Bezirkshauptstadt erwachte ich. Aber: es regnete. Es regnete erstmals seit Monaten wirklich. Ein wunderbarer, aber kalter Landregen prasselte auf Wiese und Pflaster in unserem Garten. Wunderbar – zum einen, ein wenig abschreckend, was die Radfahrt betraf, auf der andere Seite. Dennoch machten wir uns nach dem Frühstück zu dritt auf den Weg. Der Regen ließ immer wieder nach, mein Jüngster und ich hatten uns gut in Regenhosen und Regenjacken verpackt, meine finnische Frau machte es „hardcore“ nur in Jeans und einer guten regenfesten Parka. Finnisch eben! In der Stadt machten wir unsere Cityrunde, erledigten und besorgten dies und das und kamen rechtzeitig heim, um das Mittagessen zuzubereiten. De Mittagspause liße ich diesmal ausfallen, um endlich die Unterlagen für den Gutachter zusammenzustellen, in knapp zwei Stunden war die Sache schließlich erfolgreich bewältigt. Währenddessen fand meine Liebste im Postkasten einen gelben Zettel, der mich über die erfolglose Zustellung eines Pakets aus Oberösterreich informierte. Die Birke war angekommen und ich durfte sie ab 16.30 h bei der örtlichen Poststelle beim Greißler in Empfang nehmen. Das tat ich dann auch mit großer Freude – und wurde dabei auch gleich das Einschreiben an den Sachverständigen los. Die Birke hatte ihre zweitägige Reise in einem einfachen Karton überraschend gut überstanden. Ihr Geäst war liebevoll zusammengerollt, der Wurzelstock mit Heimaterde in einem nassen T-Shirt eingewcikelt und in einem Plastiksack verpackt worden. Ihr neuer Standort in unserem Garten war schon Tage zuvor ausgewählt worden, es galt nun eine entsprechend große Grube zu graben, um ihr die neue Heimat schmackhaft zu machen. Der Regen, der mir doch einigermaßen heftig erschienen war, hatte – was ich beim Einstechen mit dem Spaten bemerkte – nur die oberste Schicht, also die Grasnarbe gut durchfeuchtet, fünf Zentimeter später war schon Schluss mit nass. Also musste der Gartenschlauch her, um den lehmigen Boden leichter bearbeitbar zu machen. Eine halbe Stunde später stand unser aktuell letzter Baum sicher an seinem neuen Platz. Mit seinen knapp sechzig Zentimetern Höhe ist er wesentlich kleiner als Apfel- und Kirchbaum, aber um ein bisschen größer als unser zweijährige Tanne. Ich muss zugeben, dass ich seinen „Stamm“ an einer Pflanzstange gut durchgestreckt an mehreren Stellen sanft angebunden habe, womit er diese „imposante“ Größe erreichte. Laut den mir vorliegenden Informationen wachsen Birken bis zu 40 Zentimetern pro Jahr. Aus Finnland weiß ich um die überbordende Vermehrung dieser Spezies und auch von ihrem schnellen Größer-Werden. Nun hatten wir also den finnischen Nationalbaum auch in unserem Garten – und damit ein Stück der Identität des Landes im Norden in unser Leben eingepflanzt. Kippis! Auch Kater Dario war vom Familienzuwachs so begeistert, dass er das Bäumchen intensiv beschnupperte und schließlich umarmte. Tags darauf – das nehme ich hier schon vorweg – musste ich die Brike aufgrund der Katerliebe zu ihrem Schutz mit einem dünnen Zaungitter umrunden, da ich um ihre Existenz fürchtete. Knapp vor dem Abendessen fanden sich plötzlich vier spatzengroße aber ziemlich bunte Vögel in unserem Garten ein, sie „pflückten“ während ihres hubschraubergleichen Standfluges die Grassamen und die Kleeblüten. Ich war begeistert und erkannte sie schließlich – nach meiner Internetrecherche – als Stieglitze bzw. Distelfinken, die vorwiegend in Naturgärten ihr Zuhause hatten. Somit war der endgültige Beweis erbracht, dass wir das an unserem Hoftor prangende Schild mit der Aufschrift „Natur im Garten“ wirklich redlich verdient hatten.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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