Auf ARD entdecke ich eine Miniserie aus Frankreich mit dem Titel „Le Chalet“. Mit meinem Hoxx-VPN auf Firefox bin ich dabei. Die ersten drei von sechs Folgen führen mich in eine wunderbare Alpenregion, ein kleines Dorf mit nur mehr wenigen Einwohner*innen, in denen ein altes Blockhaus zu neuem Leben erweckt und für den Tourismus ausgebaut wurde: Le chalet des glaces. Freunde treffen einander, eine Doppelhochzeit soll gefeiert werden. Doch das Haus hat eine dunkle Vergangenheit, zwanzig Jahre zuvor ist ein Dopplemord geschehen und alles sieht danach aus als wäre nun die Zeit der Abrechnung gekommen. Die Handlung klingt sehr einfach gestrickt, tatsächlich aber ist sie sehr komplex, anfangs sogar ein wenig unüberschaubar. Die Personen sind alle miteinander verstrickt, wie sich herausstellen wird, sie haben eine gemeinsame Geschichte, die sie in eine Katastrophe führen wird. Immer wieder erinnere ich mich an die Urlaube in dem kleinen Dorf in der Obersteiermark am Fuße der Alpen, das in meiner Kindheit und Jugend zu meiner zweiten Heimat geworden war.
Obwohl ich sehr spät ins Bett gekommen bin, funktioniert mein innerer Wecker, den ich auf 7.30 Uhr gestellt habe. Um 8 Uhr bin ich – nach einem schnellen Müsli – schon im örtlichen Gewerbepark, um im Drogeriemarkt die wöchentliche Futterration für unseren Kater zu besorgen. Beim Blick auf den Parkplatz des benachbarten Supermarkts, in dem ich den Wocheneinkauf an Lebensmittel machen möchte, steht schon ein Auto neben dem anderen, bei den Einkaufswagen herrscht reges Treiben. Ich habe bei meinem Plan, so früh wie möglich da zu sein, um damit den großen Run zu vermeiden, offensichtlich nicht bedacht, dass durch den Feiertag am Vortag Gott und die Welt unterwegs ist, um sich mit Essbarem einzudecken. Na gut, auch ich stürze mich also ins „Vergnügen“, maskiert und mit dem Unwohlsein des Gestressten. Seit dem vergangenen Feiertag gelten in unserem Land zwar neue Regeln – die Ausgangsbeschränkungen wurden aufgehoben – aber die Maske und der Mindestabstand sind beim Einkaufen (laut Regierungsangaben bis zur Entwicklung eines Impfstoffes oder eines wirksamen Medikaments) Pflicht. Die hier anwesenden Kund*innen halten aber offenbar – in einer Art Freiheitsrausch – nicht viel davon, Abstände sind kein Thema mehr und eine Vielzahl von Masken ist unter die Nase gerutscht. Ich als bekennender Maskenskeptiker bin dennoch „not amused“. Vor allem habe ich im Praxistest festgestellt, dass das korrekte Anlegen und Tragen des Mund-Nasen-Schutzes nicht durchführbar ist, die empfohlenen Hygieneregeln nicht einhaltbar sind. Ich müsste vor dem Anlegen und nach dem Abnehmen meine Hände waschen und das Stückchen Stoff sofort einem Waschgang mit 60 Grad und Seife unterziehen. Das hieße, dass ich die Maske zu Hause anlegen und dann auch erst zuhause wieder abnehmen müsste. Dazwischen liegt eine Fahrt auf dem Rad, bei der Atmen ganz wichtig ist. Also: Ist das ganze eine ernstgemeinte und nützliche Sache? Dann müsste sie unter anderen Bedingungen stattfinden. Oder ist es eine Alibiaktion? Für letzteres spricht auch, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln ab sofort kein Mindestabstand mehr gilt oder besser gesagt: Die Regel vom Mindestabstand gilt nur, wenn es die Anzahl der Reisenden erlaubt. Und wie uns ja ausgiebig geschildert wurde, schützt die Maske „nur“ die anderen, nicht aber mich selbst. Ein Zirkelschluss? Ich mache also meine Runde. Ich brauche doppelt so lange als üblich, vor allem, weil ich bedacht bin, den Mindestabstand einzuhalten. Ich umkurve, pausiere, drehe mehrere Ehrenrunden und warte schließlich an einer von vier (!) geöffneten Kassen in einer langen Schlange, und das um 8.30 Uhr. Vor mir mehrere Kund*innen mit vollen Einkaufswagen, die an die 200 Euro schwer sind. Ich gebe für unsere fünfköpfige Familie knappe 60 Euro für die Woche aus. Ich habe die Befürchtung, dass so manches Eingekaufte aus den anderen Wagen im Müll landen wird. Schöne neue Post-Corona-Welt. Tja – und noch eine Hoffnung hat sich in nur wenigen Tagen zerschlagen: Die Gemüseregale sind prall gefüllt mit Waren aus Spanien. Die österreichischen Produkte firmieren ab sofort wieder unter „ferner liefen“. What the fuck … Zuhause dann endlich meine Morgenmeditation, war auch dringend nötig. Dario umkreist mich derweil im Garten, um dann auf meinen Schoß zu springen und sich knapp 30 Minuten intensiv streicheln zu lassen. Danach ist der den Großteil des Tages outdoor unterwegs, mittags nehme ich ihn, weil einige Regentropfen fallen, mit hinein, er schläft während meiner Pause auf meinen Beinen. Vor lauter Faszination – da erinnert er mich an junge Menschenkinder – vergisst er zu fressen, erst um 16 Uhr (nachdem ich mir schon die eine oder andere Sorge gemacht habe) kommt er zum „Frühstück“. Das ist dann allerdings der Auftakt für das Nachholen aller „Mahlzeiten“ und als ich am nächsten Lebenstag gegen 3 Uhr (nach einem Servus-TV-Interview mit Professor Sucharit Bakhdi und den drei abschließenden Folgen von Le Chalet) schlafen gehe, hat er alles aufgeholt. Fürs Mittagessen bereiten meine Liebste und ich Pitafalafel zu. Schon wieder so ein Festessen. Auch in der nächsten Woche wird noch das eine oder andere folgen, zumindest gemäß des von mir auf Basis des diesmal von mir alleine erstellten Speiseplans getätigten Einkaufs. Im Lauf des Tages gelingt es mir, vier Tagebucheinträge zu verfassen, ich bemerke, dass die Quantität doch deutlich auf die Qualität abfärbt, bin aber froh, dass es mir gelingt das Wesentliche dieser Woche endlich „auf‘s Papier“ gebracht zu haben. Ebenso ersucht mich mein Jüngster gemeinsam mit ihm eine Lösung für die von ihm geplante „Konfetti-Explosion“ zu finden. Dazu hat er mehrere Luftballons mit selbstgemachten Konfetti gefüllt. Sein Zimmer sieht dementsprechend aus. Er bittet mich, sie aufzublasen. Der erste zerplatzt während dieses Vorgangs, obwohl ich sehr vorsichtig war, es gibt einen machtvollen Crash und der Inhalt des Ballons verteilt sich in der ganzen Küche. Aufräumarbeiten sind angesagt, ebenso ein neuer Plan, da die „echte“ Explosion outdoor stattfinden soll, und das bei starkem Wind. Aber wir finden eine Möglichkeit. Um 16.30 Uhr ist es schließlich so weit. Der vom ihm an einer Schnur, die an einem Haken am Dachstuhl befestigt ist, angebrachte Luftballon baumelt im Wind vor unserem Schlafzimmerfenster. Ich stehe mit dem ausgeklappten Stichel meines Taschenmessers und meiner Handykamera in Position, während Junior eine Decke hält, um die Verbreitung der Konfetti auf ein Minimum zu reduzieren. Ich steche zu, es knallt, in Millisekunden ist alles vorbei – und wir machen uns sofort ans Kehren, damit der kräftige Wind nicht alles in die Wiese weht.Gut, dass wir den Crash auf Video festgehalten haben, ich bearbeite es umgehend, so dass es in Zeitlupe zu sehen ist. Eindrucksvoll, wenn auch das Zerplatzen nur im Fensterspiegel zu sehen ist. Da habe ich die Kamera nicht richtig mitbewegt. Trotzdem haben wir unsere Freude. Nachher spielt Kimi noch ein Fußball-Miniturnier gegen sich selbst im Garten mit 4 Mannschaften aus Mizland (FC Ki&Co Mumintal, FC Dosenöffner, FC Tiger und FC Radio Mizland), ich schaue zu, meine Liebste gesellt sich zu uns und wir plaudern über dies und das. Zum Abendessen kriegen wir dann von unserem Mittleren nicht nur die Speisen serviert, sondern ein paar Botschaften von seinem Vater aus Berlin. Er tritt in den Widerstand und wirft uns Worte an den Kopf, die nicht aus seinem Wesen stammen, sondern die wir aus anderen Quellen kennen. Es ist zum Verrücktwerden und ich wanke. In der fast einstündigen Diskussion bleiben sowohl meine Liebste als auch ich ruhig, aber bestimmt. Nachher bin ich schwer erschöpft, weil er ordentlich und sehr verletzend ausgeteilt hat, es geht, wie die SMS seines Vaters in den letzten Tagen schon deutlich gemacht haben, um Eskalation – nicht von seiner Seite. Er ist hier – wie auch sein großer Bruder – der Spielball des Mächtigen (oder des Mächtig-Agierenden). Und das in einer Phase, in der es noch größere Unsicherheit als vor zwei Monaten gibt, in der Zukunft kaum planbar ist und sich Entscheidungsprozesse massiv verzögern. Das Agieren des Vaters ist gelinde gesagt unverantwortlich, der Druck bei unserem Mittleren extrem hoch. Den wird er los, in dem er ihn uns mit Worten und auf Biegen und Brechen drüberschüttet. Als ich ihn ein wenig später in seinem Zimmer aufsuche, wirkt er beruhigt. Ich denke, er ist für‘s Erste los, was ihn so getrieben hat, wir haben ihm schon verziehen, weil er ja eigentlich nichts dafür kann. Und ich habe die Worte im Ohr: „Lass dich bitte nicht verrückt machen.“ Leichter gesagt als getan, aber meine Aufgabe in Zeiten wie diesen. Also bestelle ich mir über die AK-Online-Bibliothek die von meinem lieben Freund empfohlene „Weisheit der Stoiker“. Und dann esse ich endlich mein Abendessen, der neue Lebenstag hat schon längst begonnen.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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