Ich schreibe an Route 55, Tag 28 und 29. Dieweil turnt Kater Dario am Schreibtisch, legt sich dann auf meine Unterlagen, macht sich an meinem Laptop zu schaffen, es gelingt ihm, durch eine flinke Tastenkombination mit seinen Tasten mein Virenprogramm dazu zu bringen, mir vorzuschlagen, Dateien für immer zu schreddern. Nun ist es aber genug. Wusste bislang gar nicht, dass mein Virenschutz auch das darf hat, was andere zur mechanischen Vernichtung bringen müssen und danach blöd ausschauen. Nun also ist es aber genug. Dario wird von der Tastatur verbannt, er erntet ein paar ernste Worte. Worauf er sich auf erneut auf meine Unterlagen legt und dabei binnen Sekunden tief und fest einschläft. Ich ziehe ihm noch zwei Seiten unter seinem Bauch weg, da ich sie zum Weiterschreiben brauche, er lässt sich davon nicht stören. Den Nachmittag über hat er schon mit all seinem Lieblingszeugs ausgiebig gespielt. Dazu zählen zwei Wollknäuel (Nr.1), ein Weinkorken (Nr.2) und zwei verbeulte Tischtennisbälle (weit abgeschlagen Nr.3 in seiner persönlichen Hitliste). Sein Namensvetter aus dem Roman Donna und Dario von Barbara Frischmuth hält es mit Badewannenstöpsel, die ihm auch zweimal zum Verhängnis werden: am Anfang fällt er deswegen aus dem Fenster (wird aber von der Krähe Flitzschwinge gerettet und landet mit ihr auf einem alten Sofa auf einem gerade vorbeifahrenden Sperrmüllwagen), ein wenig später fällt er deswegen zwei Gaunern in die Hände, die mit ihm das große Geld machen wollen. In unserem Haushalt hätten wir nur einen echten Gummistöpsel zu bieten, das ist jener bei der Küchenabwasch. Daran ist unser Dario aber bereits mehrmals auf seinen Inspektionsgängen durch die und auf der Küche achtlos vorbeigegangen. Ist offenbar nicht so seins, vielleicht auch noch nicht.
Ich schreibe also weiter und veröffentliche die beiden Blogbeiträge. Danach mache ich mich auf die Suche nach der weiteren Gestaltung meines Abends und stoße beim Durchforsten der Mediatheken von ZDF, ARD und ARTE auf die tolle Initiative „United We Stream“. Unter diesem Titel wird seit 18.3. täglich ab 19 Uhr für ca. 5 Stunden aus jeweils einem anderen Berliner Club ein Musikprogramm, das von DJs gestaltet wird, live übertragen. Ich geb‘ mir zwei Stunden im Ipse-Club mit den DJanes Tereza und Sarah Farina und tanze auf dem Wohnzimmerteppich, zum Teil mit Kater Dario am Arm, dem das Schwingen mit mir sehr behagt. Weder hätte ich jemals zu dieser Art von Musik getanzt, noch wäre ich jemals in diesem Berliner Club gelandet. Corona sei Dank! (Während ich diesen Beitrag hier schreibe höre ich grade im Hintergrund das heutige Musikprogramm aus dem Club Else X Wilde Renate, derzeit legt DJ Roman Flügel auf. Auch nicht so wirklich meine Musik, aber ich finde diese Initiative wirklich gut und wichtig – und freue mich über diese virtuellen Ausflüge und Begegnungen mit und in der Berliner Clubszene.) Ich schlafe unruhig, aber womöglich war die Musik doch zu „stressig“. Morgens weckt mich Dario, weil er zu uns ins Bett springt, um unsere Decke zu attackieren. Ja, meine Liebste und ich stecken seit zehn Jahren auch im wahrsten Sinn des Wortes – zumindest nachts - unter einer Decke. Ich stehe auf und bereite mich auf den Tag vor. Das heißt, dass ich neben der Zubereitung meines Frühstücks und des Morgenkaffees für meine Frau, den ich ihr gelegentlich ans Bett bringe, schon mal den Küchenherd anheize, um die Minestrone fürs Mittagessen vorzubereiten, so dass wir am Vormittag getrost und in aller Ruhe unseren wöchentlichen Einkauf im Großmarkt machen können. Bevor wir losfahren, erreicht mich noch ein Kommentar einer lieben Freundin zu einem meiner letzten Blogbeiträge, die von der Vorsehung benachteiligt gerade jenen Namen trägt, den dieses Sturmtief im deutschsprachigen Raum erhalten hat, der mit dem Verschwinden der unsere Mizzi-Katz verbunden ist. Sie muss getröstet werden. Und es muss ihr gesagt werden, was dieser Schicksalsschlag auch Gutes gebracht hat: die Idee zur Geschichte von der Glückskatze (siehe weiter unten) und einen Platz für den im Weinviertel ausgesetzten schwarzen Kater, der vor knapp zwei Wochen bei uns Wohnung im Waldviertel genommen hat. Beim Großmarkt empfängt uns ein großes Schild, geteilt in einen grünen und einen roten Bereich. Im grünen zeigt uns ein Piktogramm einen Einkaufswagen und einen Menschen, der ihn führt („Richtig“), im roten („Falsch“) werden uns zwei Erwachsene, wovon einer den Einkaufswagen schiebt, und zwei Kinder in ihrer Mitte vor Augen geführt. Darunter ist zu lesen: Ein Einkauf ist kein Familienausflug. Ich krieg gleich einmal mein schlechtes Gewissen, fasse dann aber den Mut, mich davon nicht einschüchtern zu lassen. Erstens sind wir fünf (schwaches Argument), zweitens sind wir eine Patchworkfamilie aus zwei Teilen (nicht minder schlechtes Argument) und drittens brauchen wir zu fünft bei guter Arbeitsteilung sicher nicht mehr als zehn Minuten, um alle Einkäufe im Wagen zu haben (ganz starkes Argument, da uns ja von Kontakten mit anderen von über 15 Minuten dringend abgeraten wurde). Wir kommen nach einer Viertelstunde heil raus – ohne des Marktes verwiesen zu werden und düsen auf unseren Rädern direkt nachhause, wo schon die Minestrone und ein hungriger, kleiner schwarzer Kater auf uns warten. Mittagspause im Liegestuhl in der Sonne. Danach verfasse ich den Anfang meiner Erzählung von der Glückskatze. Hier ein erster Einblick: Die Glückskatze für Maria Mizzi-Kaze, für alle, die Sabine heißen und nichts dafür können, dass ein Sturmtief nach ihnen benannt ist für all jene, deren Katze eines Tages nicht mehr heimgekommen ist Eines Tage war sie plötzlich da, eines anderen Tages war sie plötzlich wieder weg. Sie kam und ging. Sie kam und ging, so wie das echte, wilde, freie Katzen tun, die von den Menschen nicht zu falschen, handzahmen und versklavten Stubenhockern gemacht worden sind. Ich erinnere mich noch gut, als mir Timi zum ersten Mal von ihr erzählte. Er war damals von seinen Eltern angehalten worden, bei mir vor Beginn des neuen Schuljahres täglich eine Stunde Mathematiknachhilfe zu nehmen. Nun war Mathematik nicht gerade mein Lieblingsfach – und ich hatte es auch in meiner Zeit als Lehrer niemals unterrichtet – aber das Grundschulwissen bereitete mir keine Probleme. Auch Timi hatte damit eigentlich kaum große Schwierigkeiten, er beherrschte das kleine Einmaleins im Schlaf. Auch Addieren und Subtrahieren konnte er im Kopf, bloß das Dividieren war tatsächlich nicht seine große Stärke. Daran also arbeiteten wir hauptsächlich. Und noch etwas beschäftigte uns während unserer Trainingsstunden: Das war die Situation, in der Timi und nicht nur er, sondern seine ganze Familie steckten. Es gab bei ihnen nämlich jede Menge Zank und Hader und kein Tag verging, an dem nicht irgendjemand, meistens die Erwachsenen oder die älteren Brüder meines Schützlings, einander laut anschrien. Der Eine also schrie, der andere schrie dann nicht weniger laut, meist sogar noch lauter zurück. Das ging wie beim Ping-Pong einige Male hin und her, bis dann auch noch die Türen knallten. Von da an aber war immer gespenstische Ruhe. Und ich kann die Erzählungen von Timi gewissenhaft bezeugen, lebe ich doch in direkter Nachbarschaft zu seiner Familie, den Winters, Garten an Garten, Haus an Haus. Nun kam also Timi an jenem Augusttag im vorvorigen Jahr ganz aufgeregt zu unserer Stunde. Er rannte ohne zu klingeln oder zu klopfen, wie es sonst seine Art war, laut meinen Namen rufend durch die unversperrte Haustüre. Ich saß gerade noch bei meinem Nachmittagskaffee, weil ich mit ihm erst zehn Minuten später gerechnet hatte, ließ aber, als ich ihn so schreien hörte, alles liegen und stehen und ging ihm entgegen. Als wir am Hintereingang meines Hauses, der in den Garten führt, zusammentrafen, erschreckten wir uns beide sehr. Nach dieser kurzen Schrecksekunde brach es aus Timi heraus: „Mikko, Mikko (so nannte er mich liebevoll nach seinem schon verstorbenen Großvater), wir haben eine Katze!“ „Das ist ja wunderbar“, erwiderte ich und danach umarmte er mich und hielt mich eine ganze Zeit lang fest. „Sie ist eine Glückskatze, weißt du“, sagte er, „sie hat nämlich ein dreifarbiges Fell. Am Kopf ist weiß und braun und schwarz, da erinnert sie mich an den Gugelhupf von Oma, am Bauch ist sie ganz weiß bis auf einen kleinen hellbraunen Fleck, am Rücken ist die hauptsächlich braun und ihr Schwanz ist getigert.“ „Das ist ja wunderbar“, wiederholte ich, schloss kurz die Augen, um mir die soeben beschriebene Katze vorzustellen und fragte den Jungen, wie das denn nun gekommen sei. Mitten im Schreiben werde ich von einem Anruf einer Mitarbeiterin der SVS (Sozialversicherung der Selbständigen) unterbrochen, die mit mir – aufgrund meines E-Mails aus der Vorwoche – die weitere Vorgangsweise bezüglich meiner Pflichtversicherung bespricht. Wir einigen uns auf eine Herabsetzung meines Beitrags auf die Mindestbeitragsgrundlage und eine zinsenlose Beitragsstundung bis Ende Juni dieses Jahres. Das ist aus meiner Sicht die absolute Notlösung, denn die bis dahin nicht bezahlten Beiträge hängen mir ja nachher dann im G‘nack. Vielleicht gelingt es mir ja, zumindest mal den monatlichen Mindestbeitrag einzuzahlen. Denn die heute und in der nächsten Zeit verlorenen Geschäfte sind auch danach nicht wieder aufzuholen. Und angesichts von weit mehr als 100.000 neuen Arbeitslosen in den letzten 8 Tagen und vielen einkommenslosen Einpersonenunternehmer*innen und Selbständigen mit Klein- bzw. Kleinstbetrieben wird sich die Regierung dann doch eine Art Grundauskommen für die Betroffenen überlegen müssen, wie ich es in meinem Schreiben an Vizekanzler Kogler und Sozialminister Anschober vorgeschlagen habe. Am Nachmittagsprogramm stehen dann noch eine Partie Boccia und drei Tischtennismatches auf zwei Gewinnsätze mit meinem Jüngsten im noch sonnigen Garten, ich ziehe in gewohnter Weise den Kürzeren, was mir aber jede Menge Spaß bereitet, und drei Saunagänge mit meiner Liebsten und dem Junior. Beim Relaxen danach stoße ich auf einen Facebook-Beitrag, den zwei Freunde gepostet haben. Er verlinkt zu einem Interview mit dem Historiker René Schlott auf WDR 5, der sich Gedanken zur Gefährdung der Demokratie in Zeiten von Corona macht. Besorgt ist er vor allem darüber, dass die strengen Ausgangsbeschränkungen als alternativlos dargestellt werden, Verstöße dagegen unter Strafe gestellt werden, PolitikerInnen sich bloß sehr einseitig beraten lassen (nämlich von Virologen und nicht auch von Soziolog*innen und Psycholog*innen) und das Volk willfährig und ohne Diskussion den geforderten Maßnahmen entspricht (in Deutschland stimmen diesen 80 % der Befragten zu). Auch in Österreich versucht Bundeskanzler Kurz das Volk erwartungsgemäß auf eine lange Phase des Nicht-Normalzustandes einzustimmen – und meiner weiteren Erwartung nach ist das nur ein Schritt auf dem Weg zur Erklärung des Notstands zum Normalzustand. Geteilt wird die Gesellschaft – wie Historiker Schlott anmerkt – in systemrelevante Bereiche und Menschen und solche, die entbehrlich sind. Entbehrlich sind demnach Kunst, Kultur, Bildung, unentbehrlich der Konsum. Das Maßnahmenpaket soll vor allem die Wirtschaft stärken, von Menschen ist erst in zweiter Linie die Rede. Ich postete den WDR-Beitrag mit folgenden Worten auf Facebook: „Ein wichtiger Beitrag in bewegten Zeiten. Die Entmündigung des Einzelnen kann á la longue nicht im Sinne einer gesunden Gesellschaft und eines gesunden Menschen sein. Vielmehr geht es aus meiner Sicht darum, mündige Menschen zu ‚bilden‘, die in Notsitautionen die angemessenen Entscheidungen treffen - für sich selbst und das Wohl der Gemeinschaft. Eine lohnende Aufgabe, aber natürlich komplexer und komplizierter als einem überaus starken Führer zu folgen.“ Eine weitere brennende Frage stellt sich für mich seit der heutigen Pressekonferenz von Bundeskanzler Kurz, der wieder von Vizekanzler Kogler, Gesundheits- und Sozialminister Anschober und Innenminister Nehammer flankiert wurde, diesmal aber ohne Verteidigungsministerin Danner auftrat (die vor kurzem für Mai die Einberufung der Miliz angekündigt hatte): Was tut die Regierung, wenn das für kommenden Freitag angekündigte „valide Datenmaterial“ die Wirksamkeit der Maßnahmen in Zweifel zieht? Noch ein Schäuferl nachlegen und Ausgangssperren verhängen? Was tut das Volk, wenn es diese Zahlen erfährt? Kuschen oder Aufbegehren? Und: Was tut die Regierung, wenn aufbegehrt wird?
2 Comments
Sabine Fila
25/3/2020 07:30:53
Danke für den Trost. Aber jetzt habe ich neuerlich ein schlechtes Gewissen wegen meiner 2 versklavten Stubenhocker ;-)
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M.A. Karjalainen
25/3/2020 08:44:44
Schön, dass du's mit Humor nimmst! ;-)
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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