Eine bedrückende Tatort-Episode aus Köln, viel Schweigen, jede Menge vielsagender Blicke, Mimik zählt - und die Story entwickelt sich entlang des Unausgesprochenen, also quasi zwischen den Zeilen. Mir ist die Sache eigentlich zu steil, aber ich will es wissen. Und das Ende macht mich noch betroffener als die vorhergegangenen 85 Minuten des Streifens. Wenn ein junger Mensch einen jungen Menschen so einfach aus dem Nichts mit dem Skateboard erschlägt und dessen Eltern gemeinsam mit ihm die Leiche des Jungen im Fluss entsorgen, dann muss einem einfach der Atem stocken und die Spucke wegbleiben. Zuletzt wurde auch noch das Thema „angemessene Bestrafung“ angesprochen, der noch nicht strafmündige Bub, aber auch seine Eltern kamen gemäß deutscher Gesetzeslage straffrei davon.
In diesem Zusammenhang stellt sich für mich immer die Frage, ob es eine angemessene Bestrafung geben kann – oder was den eigentlich einer einer solchen Tat angemessene Konsequenz wäre. Gefängnisse halte ich für eher ungeeignet, wie wohl ich anerkenne, dass manche Täter nicht gesellschaftsfähig sind und daher einen Platz außerhalb der Gemeinschaft brauchen. Re-Sozialisierung ist ein großes Wort, das auch schon heute seinen Platz im Strafvollzug hat, doch viel zu oft nicht mit dem nötigen Erfolg. Dieser kann aber unter Bedingungen, die in Haft- und Strafanstalten dieser Tage herrschen, auch nur eher zufällig eintreten, in den meisten Fällen bedeutet Haft eher eine weitere De-Sozialisierung. Eine weitere Frage, auf die ich noch keine Antwort habe, ist jene, ob eine Tat durch eine Verurteilung und eine darauffolgende Strafe an den Betroffenen oder dessen Angehörigen wieder gut gemacht werden kann. Zum einen gibt es für mich Taten, die nicht wieder gut gemacht werden können, etwa ein Mord, zum anderen gibt es sehr wohl Möglichkeiten der Wiedergutmachung, die aber durch eine Gefängnisstrafe auch verhindert werden, etwa bei Vermögensdelikten. Wie schon gesagt, eine schwierige Frage, auf die ich keine eindeutige Antwort habe, aber eine Tendenz, nämlich jene der Menschlichkeit und der daraus resultierenden Notwendigkeiten. Auch nachts kam ich nicht zur Ruhe. Die bedrohliche Stimmung des Krimis legte sich über meinen Nachtschlaf und in meine Träume. Morgens wachte ich voller Panik auf, auch die kurz bevorstehende Externistenprüfung unseres Jüngsten machte mir zu schaffen. Was wäre, wenn er sie nicht bestünde und im Herbst das Schuljahr in einer Schule wiederholen müsste? Mir schien so manches plötzlich vollkommen sinnlos, ich sehnte mich nach Leben, nach wahren Leben, in dem es darauf ankommt, dem eigenen Weg folgen zu können, zum Wohl für einen selbst und die Gemeinschaft, in der man lebt. Die Schule, das Dogma der Erwerbsarbeit als Grundlage jeglicher Existenzberechtigung, das herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem schienen mir in diesem Moment das genaue Gegenteil von Menschlichkeit. So in Gedanken versunken und durch sie auch körperlich verkrampft, machte ich, als ich das Toastbrot aus der Brotbox holte, eine kleine falsche Bewegung, die mein Kreuz plötzlich blockierte. Mein fünfter Lendenwirbel zeigte mir einmal mehr die sich aus meinen oft so angstvollen Gedanken herausbildende Verkrampfung, die mich in manchen Phasen am wahren Leben hindert. Ein Weckruf. Zuerst aber musste ich meinem Körper die nötige Unterstützung bieten, bevor ich mich der Gedankenwende widmen konnte. Ich hatte für diesen Fall glücklicherweise schon eine Strategie parat, die Massage der entsprechenden Akupressurpunkte machte dem Schlimmsten schnell ein Ende, die körperlich Bewegungsfähigkeit war letztlich nur ein wenig eingeschränkt – und mein Kreuz fühlte sich so an, als hätte es einen kräftigen Muskelkater. Das Paradoxon dieser Situation ist immer die nötige Lockerheit im und die notwendige Bewegung des betroffenen Bereiches, obwohl du dich in diesem Moment genau davor fürchtest, weil du meinst, jede weitere Bewegung würde alles noch schlimmer machen. Mit den Gedanken ging es leider nicht so leicht, denn die Stärke derselben ist enorm. Ich wünschte mir, ich könnte diese Kraft für das positive Denken aufwenden, dann könnte ich – biblisch gesprochen – den einen oder anderen Berg versetzen, ohne mich zu verheben. Allein mir fehlt immer wieder der Glaube. Nach dem Frühstück gab es noch eine letzte Wiederholungsrunde mit meinem Sohn für seine am nächsten Tag angesetzte Jahresprüfung. Ich war merklich angespannt, was ihm nicht behagte, dementsprechend bockig verhielt er sich, was mich zusätzlich nervte. Zur Entspannung widmete ich mich dem Kochen und dem weiteren Schreiben meines Blogs. Die Mittagspause ließ ich ausfallen, weil ich auch noch das Kinderfußballtraining vorbereiten wollte, obwohl das Wetter auch diesmal, wenn schon nicht Gewitter, so doch Regen erwarten ließ. Um 15.15 machte ich mich auf den Weg zum Sportplatz, mein neuer Co-Trainer kam im selben Moment wie ich an, er war mit einem Steyr Waffenrad angereist, was ihn mir noch sympathischer machte. Wir harmonierten von Anfang an gut – und das entspannte mich zum ersten Mal an diesem Tag, er wusste unausgesprochen um das, was ich wollte, und auch ich unterstützte seine Initiativen gerne. Die beiden 45-Minuten-Trainings vergingen wie im Flug – und nach dem Wegräumen der Trainingsutensilien blieb ich mit meinem Jüngsten noch, um den zweiten Teil des U14-Trainings, an dem unser Mittlerer teilnahm, zu beobachten. Pünktlich zum Abendessen waren wir zuhause – und ich genoss die Entspannung, in die sich aber allmählich wieder die Anspannung vor dem Schulbesuch mit Sohn Nr. 3 am nächsten Tag mischte. Zu oft hatte ich – trotz aller Reflexion und auch positiver Erlebnisse – die Schule als einen Ort struktureller Gewalt erlebt, als Schüler, als Lehrer, als Vater und auch als Mensch, der Pädagog*innen bei ihrer beruflichen Tätigkeit begleitet. Auch meine vor mehr als 5 Jahren ins Leben gerufene Sendung im freien Wiener Radio Orange hatte mir diese Tatsache trotz aller vorbildlichen Beispiele, die ich dokumentieren und präsentieren konnte, jedes Mal von Neuem bewusst gemacht. Ich versuchte, meine Gedanken zu bändigen, erfolglos wie ich einmal mehr erkennen musste, denn - wie ich schon lange wissen sollte - ließen sie sich bestenfalls loslassen. Aber da war ich bei einer weiteren Problemzone meiner Existenz angekommen, nämlich eben dem Loslassen.
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Route 55
Dieser Blog begleitet mich durch mein 55. Lebensjahr, das ich mit einer Feier im Freundeskreis am Vorabend meines Geburtstages eingeläutet habe, das am 23.2.20 um 19.21 h tatsächlich begonnen hat und das sogar 366 Tage zu bieten hat, also mehr als viele andere meiner bisherigen Lebensjahre. Archiv
Februar 2021
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